Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Vietnamkrieg
Vietnamkrieg[viɛt-], militär. Konflikt in Indochina (daher auch Indochinakrieg) 1946-75, der seinen Ursprung und Hauptschauplatz in Vietnam hatte.In der 1. (»frz.«) Phase (1946-54) kämpfte die von Vo Nguyen Giap aufgestellte vietnames. Partisanenarmee der Vietminh gegen ein frz. Expeditionsheer; dieses sollte nach dem Abzug der Japaner aus dem von ihnen im Zweiten Weltkrieg besetzten Frz.-Indochina und der Proklamation einer Demokrat. Rep. Vietnam unter der Führung des Kommunisten Ho Chi Minh 1945 die frz. Kolonialmacht wiederherstellen. Auslöser des Krieges war der Haiphong-Zwischenfall (Beschießung der Hafenstadt Haiphong durch frz. Kriegsschiffe am 23. 11. 1946, als der Forderung des frz. Oberbefehlshabers nach sofortigem Abzug der Vietminh aus der Stadt nicht entsprochen wurde). Daraufhin wurden im Dez. 1946 die frz. Garnisonen durch Vietminh-Einheiten angegriffen, die sich jedoch zunächst zurückziehen mussten und ihr Hauptquartier in der unzugängl. Gebirgsgegend westlich von Hanoi (Viet Bac) errichteten. 1949 setzten die Franzosen den ehem. vietnames. Kaiser Bao Dai formell als »Staatschef« wieder ein. Das frz. Expeditionskorps (rd. 160 000 Mann) erwies sich jedoch bald als unterlegen. Seit dem Sieg der Kommunisten im angrenzenden China (1949) erhielt die Vietminh von dort militär. Ausrüstungshilfe und polit. Unterstützung; die seitdem gehegte Befürchtung, ein Erfolg im V. würde auch in den benachbarten Staaten zum kommunist. Umsturz führen (Dominotheorie), veranlasste die amerikan. Reg. ab 1950 nach einem frz. Hilfeersuchen zu Finanzhilfe und zur Entsendung amerikan. Militärberater nach Saigon. 1953 war die militärisch offensive und von der bäuerl. Bev. unterstützte Vietminh in weiten Teilen des Landes präsent. Nach der endgültigen frz. Niederlage in der Schlacht bei Dien Bien Phu (7. 5. 1954) wurden auf der Genfer Indochinakonferenz am 21. 7. 1954 Waffenstillstandsabkommen abgeschlossen (Genfer Konferenzen), die u. a. zur militär. Entflechtung in Vietnam eine vorläufige Demarkationslinie am 17. Breitengrad vorsahen. Die in der (von der Garantiemacht USA nicht unterzeichneten) Schlusserklärung der Konferenz angekündigten gesamtvietnames. Wahlen zur Wiedervereinigung Vietnams scheiterten am Widerstand des von den USA protegierten südvietnames. Reg.chefs Ngo Dinh Diem (1954-63), der die Franzosen aus dem Land drängte, dieses zu einem antikommunist. Vorposten ausbaute (300 000-Mann-Heer) und alle oppositionellen Kräfte ausschaltete. Dagegen richteten sich die seit 1957 ständig zunehmenden Guerillaaktionen des Vietcong, der sich 1960 in der von Nord-Vietnam gelenkten »Nat. Befreiungsfront von Süd-Vietnam« (FNL) organisierte und immer größere ländl. Gebiete unter seine Kontrolle brachte. Nachdem die USA bereits unter Präs. J. F. Kennedy ihre Militärpräsenz in Süd-Vietnam ständig verstärkt hatten (Ende 1963 16 300 Militärberater), ließ sich der amerikan. Präs. L. B. Johnson nach dem Tongking-Zwischenfall (angebl. Beschießung von zwei amerikan. Zerstörern durch nordvietnames. Kriegsschiffe im Golf von Tongking am 2. und 4. 8. 1964) vom Kongress eine Generalvollmacht für den Einsatz amerikan. Truppen in Indochina geben, womit die 2. (»amerikan.«) Phase des V. begann. Truppenverstärkung (rd. 540 000 amerikan. Soldaten 1969), systemat. Bombardierung wirtsch. und militär. Ziele in Nord-Vietnam (ab Febr. 1965), Luftangriffe gegen das von den Nordvietnamesen benutzte Straßennetz des Ho-Chi-Minh-Pfades in Laos und Kambodscha und die direkte Beteiligung einiger mit den USA verbündeter Staaten (Süd-Korea, Thailand, Australien, Neuseeland, Philippinen) folgten. In Süd-Vietnam konnten die Amerikaner durch den Einsatz ihrer überlegenen Luftwaffe zwar einen militär. Gesamterfolg ihres Gegners verhindern, aber keinen Sieg erzwingen. Umsiedlung von Vietnamesen in »Wehrdörfer«, Napalmeinsätze, chem. Entlaubung durch Herbizide und die anhaltenden Bombardements sollten den FNL-Guerillas die Lebensbasis entziehen. Die amerikan. Luftangriffe schadeten der Infrastruktur Nord-Vietnams enorm und machten es abhängig von sowjet. sowie chines. Rüstungs- und Wirtschaftshilfe, sie wirkten aber zugleich innenpolitisch solidarisierend. Obwohl die groß angelegte Tet-Offensive der Truppen Vo Nguyen Giaps (Ende Jan. 1968) militärisch letztlich erfolglos blieb, wirkte sie aufgrund der unerwarteten Schlagkraft der Vietnamesen in den USA als Schock. Insbesondere dort, aber auch weltweit nahm die Kritik an der amerikan. Vietnampolitik zu (v. a. an den Bombenabwürfen auf die Zivilbev., an den Ausschreitungen von Truppen [My Lai], am Einsatz chem. Mittel). Mit der Einstellung der amerikan. Bombardements auf Nord-Vietnam wurde die wichtigste Bedingung für die Aufnahme von Verhandlungen (ab Mai 1968 in Paris) erfüllt. Die Lösung der USA aus dem V. strebte Präs. R. M. Nixon durch den Abbau der amerikan. Streitmacht in Vietnam seit Anfang 1969, in bilateralen Geheimverhandlungen seines Sonderbeauftragten H. A. Kissinger mit Nord-Vietnam (Verhandlungsführer Le Duc Tho) seit Aug. 1969 und durch die »Vietnamisierung« des Konflikts (d. h. den massiven Aufbau der südvietnames. Armee) an. Das Waffenstillstandsabkommen vom 27. 1. 1973 bestimmte den Abzug des gesamten militär. Personals der USA, ohne Festlegungen über die im S befindl. nordvietnames. Truppen (etwa 145 000 Mann) zu treffen. Die polit. Regelung sah vor, dass ein »Nat. Versöhnungsrat« aus Vertretern der Saigoner Reg. unter Nguyen Van Thieu, der von der FNL 1969 gebildeten Revolutionsreg.« (PRRSV) und der »Dritten Kraft« (Oppositionelle außerhalb der FNL) allg. Wahlen in Süd-Vietnam durchführen sollte, doch die Verhandlungen blieben ergebnislos. Stattdessen versuchten die Saigoner Reg. und die kommunist. Truppen, die von ihnen kontrollierten Gebiete mit Waffengewalt zu vergrößern, was die 3. (Bürgerkriegs-)Phase des V. einleitete. Nach Einstellung der finanziellen Hilfe durch die USA und dem Fall der militär. Stützpunkte im Hochland von Annam im März 1975 zogen sich die südvietnames. Reg.truppen rasch zurück und lösten sich unter dem Druck der nachrückenden kommunist. Truppen auf. Am 21. 4. 1975 trat der südvietnames. Präs. Nguyen Van Thieu zurück. Am 30. 4. 1975 wurde Saigon von Einheiten der »Provisor. Revolutionsregierung« der FNL mit nordvietnames. Unterstützung besetzt; ein großer Flüchtlingsstrom setzte ein. Im Gefolge dieser letzten Phase des V. kam es am 2. 7. 1976 zur Wiederherstellung eines gesamtvietnames. Staates unter kommunist. Führung (Sozialist. Republik Vietnam).
Literatur:
Smith, Ralph B.: An international history of the Vietnam war, 3 Bde. London 1983-91.
Arenth, J.: Johnson, Vietnam u. der Westen. Transatlant. Belastungen 1963-69. München 1994.
MacNamara, R. S. u. VanDeMark, B.: Vietnam. Das Trauma einer Weltmacht. A. d. Amerikan. Hamburg 21996.
Scholl-Latour, P.: Der Tod im Reisfeld. München 16.-18. Tsd., 31996.
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