Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Vietnam
Vietnạm Fläche: 329 566 km2
Einwohner: (1995) 74,545 Mio.
Hauptstadt: Hanoi
Verwaltungsgliederung: 60 Provinzen und die der Regierung direkt unterstehende Stadt Da Nang
Amtssprache: Vietnamesisch
Nationalfeiertag: 2. 9.
Währung: 1 Dong (D) = 10 Hào = 100 Xu
Zeitzone: MEZ + 7 Std.
[viɛt-] (amtlich Công Hòa Xã Hôi Chu Nghĩa Viêt Nam, dt. Sozialistische Republik V.), Staat in Südostasien, an der O- und SO-Küste Hinterindiens, grenzt im N an China, im W an Laos und Kambodscha, im S und O an den Golf von Thailand bzw. an das Südchines. Meer. V. erhebt außerdem Ansprüche auf die Paracel- und Spratlyinseln.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 15. 4. 1992 ist V. eine sozialist. Volksrepublik. Das neue Grundgesetz fixiert Wirtschaftsliberalisierung, zugleich aber die Beibehaltung des Machtmonopols der KPV. Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und Vors. des Nat. Verteidigungs- und Sicherheitsrates ist der Präs. (Amtszeit fünf Jahre). Die Legislative liegt bei der Nationalversammlung (450 Abg., für fünf Jahre gewählt), die den Präs., den Vizepräs. und den Premiermin. wählt. Exekutivorgan ist die dem Parlament verantwortliche Reg. unter Vorsitz des Premiermin. Staatstragende Partei ist die Kommunist. Partei V.s (KPV).
Landesnatur: Im N liegt Tongking mit dem von Hochländern umgebenen fruchtbaren Delta des Roten Flusses als Zentrallandschaft mit Hanoi und dem Hafen Haiphong. Die Mitte nimmt Annam mit der nach O steil zu schmalen Küstenebenen abfallenden Annamit. Kordillere (2 598 m ü. M.) ein; hier liegen die alte Kaiserstadt Huê und der Hafen Da Nang. Cochinchina im S ist sumpfreiches Tiefland beiderseits des Mekongdeltas mit Ho-Chi-Minh-Stadt als städt. Zentrum. Das überwiegend feuchtheiße, im N subtrop., im S trop., in Höhenlagen (ab 1 500 m ü. M.) kühlere Klima wird vom Monsun geprägt. Trop. Regenwälder reichen bis 1 300 m ü. M., darüber folgen Misch- und Laubwälder. Große Überschwemmungen und alljährlich auftretende Taifune richten schwere Schäden an. Primär- und Sekundärvegetation haben durch den Krieg, bes. im N des Landes, stark gelitten (Pflanzenvernichtung, Entlaubung durch chem. Kampfmittel).
Bevölkerung: Die fast ausschl. in den Tieflandsgebieten lebenden Vietnamesen (Kinh) machen etwa 85 % der Gesamtbev. aus. In den agrar. Gunsträumen des Tongking- und Mekongdeltas übersteigen die Bev.dichten 1 000 Ew./km2 z. T. erheblich. Die Konzentration der Vietnamesen auf die beiden Deltagebiete und die Küstenzone beruht auf der Wirtschaftsform des Nassreisanbaus. Die menschenarmen Berg- und Gebirgsländer werden von über 50 Minderheiten bewohnt, v. a. von Tai (und verwandten Stämmen), Miao, Muong, Yao, Dao u. a., im südvietnames. Siedlungsgebiet von Cham, Khmer und Chinesen. Der Bev.zuwachs ist mit über 2 % sehr hoch, der Urbanisierungsgrad mit rd. 20 % gering. - Es besteht Schulpflicht vom 7. bis 11. Lebensjahr. V. verfügt über zahlr. Hochschuleinrichtungen, darunter sieben Univ. und zwei offene Universitäten. - Traditionell bekannte sich die Bev.mehrheit zum Buddhismus; daneben Konfuzianismus und Daoismus, im S auch Katholizismus und Caodaismus.
Wirtschaft, Verkehr: V. ist ein Agrarstaat mit einer v. a. auf der Verarbeitung von Agrarprodukten und Bodenschätzen basierenden Industrie. Nach dem Pro-Kopf-Einkommen zählt der Staat zu den ärmsten Ländern der Welt. Die sich seit 1985 erneut verschärfende Wirtschaftskrise, verbunden mit einer hohen Arbeitslosenzahl und stark angewachsener Inflationsrate, konnte zwischenzeitlich durch wirtschaftspolit. Maßnahmen (Reformen im Lohn-, Preis-, Steuer- und Währungssystem; ausländ. Kapitalinvestitionen) z. T. eingedämmt werden. Eine Weiterführung marktwirtsch. Reformen soll die Wirtschaft konsolidieren. Die Landwirtschaft beschäftigt etwa 70 % aller Erwerbstätigen. Hauptanbaukultur ist Reis (Anbau auf rd. 80 % der landwirtsch. Nutzfläche, v. a. im Mekongdelta), für den Export werden Tee, Ananas, Tabak, Zuckerrohr, Kaffee, Kautschuk und Baumwolle angebaut. Infolge der Rohstoffvorkommen (Steinkohlen- und Braunkohlenabbau, Förderung von Eisen-, Wolfram-, Chrom- und Zinnerzen) dominieren im N des Landes Eisen- und Stahlerzeugung, Maschinenbau, chem. und Zementind., während im S (wichtigstes Ind.zentrum) Nahrungsmittel-, Textil- und Elektroind. vorherrschen. Im S hat sich außerdem ein stark ausgebauter Handels- und Dienstleistungssektor erhalten. Seit 1984 werden im Schelf des Sondergebietes Vung Tau-Con Dao Erdöl und Erdgas gefördert. Hauptind.standorte sind Hanoi, Haiphong, Da Nang und Ho-Chi-Minh-Stadt. Haupthandelspartner sind Singapur, Japan, Hongkong und Frankreich. - Das Straßennetz ist rd. 90 000 km lang, davon haben 10 % eine feste Decke. Die Hauptverkehrsader bildet zus. mit der parallel verlaufenden Küstenstraße die 1 730 km lange Eisenbahnverbindung zw. Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt. In den Deltagebieten spielt die Binnenschifffahrt eine große Rolle. Die wichtigsten Überseehäfen sind Haiphong, Ho-Chi-Minh-Stadt und Da Nang. Internat. Flughäfen sind Hanoi und Ho-Chi-Minh-Stadt.
Geschichte: Im N des seit dem Paläolithikum besiedelten Territoriums von V. entwickelte sich im 1. Jt. v. Chr. die früheste Bronzekultur SO-Asiens (Dongsonkultur). Als erstes, halblegendäres Königreich gilt Van Lang (7.-3. Jh. v. Chr., im Mythos 2879 v. Chr. gegr.) im Delta des Roten Flusses. Dort entstand um 210 v. Chr. der erste geschichtl. Staat, Au Lac, der 179 v. Chr. von dem 207 v. Chr. im südchines. Raum gegr. Nam Viet erobert wurde. Dieses wurde 111 v. Chr. für ein Jahrtausend eine chines. Provinz. Nach vielen Aufständen (z. B. unter Führung der Schwestern Trung 39/40-42/43 n. Chr.) gelang 939 die Vertreibung der Chinesen; das neue vietnames. Reich Dai Co Viet entstand; in der 2. Hälfte des 10. Jh. wurde es zum Kaiserreich unter dem bis 1804 offiziellen Namen Dai Viet. Hptst. wurde Thang Long (heute Hanoi). Die Ly-Dynastie (1009/10-1225) zentralisierte das Staatswesen; die Tran-Dynastie (1225-1400) wehrte drei Invasionsversuche (1257, 1284 und 1287) der mongol. Yuan-Dynastie ab. Die späte Le-Dynastie (begr. 1428) unterwarf 1471 das Reich Champa. Die als Gegendynastie auftretende Mac-Dynastie (1527-92/93) wurde durch die Feudalfamilien Nguyen und Trinh entmachtet; diese bauten bei nomineller Wiederherstellung der Le-Dynastie ihre eigene Macht aus. Das Haus Trinh stellte von nun an die Reichsverweser; die Nguyen errichteten in Süd-V. ein seit 1620 autarkes Herrschaftsgebiet (Hptst. Phu Xuan, heute Huê) und nahmen dabei einen florierenden Handelsverkehr mit den Europäern (bes. den Portugiesen) auf, die ihnen auch Waffen lieferten. Der 1771/72 ausgebrochene Tay-Son-Aufstand beendete diese Zweiteilung des Landes. Nach dem Sieg über die Nguyen und Trinh rief sich Nguyen Hue aus dem Geschlecht Tay Son zum Kaiser einer neuen Dynastie aus, deren Macht aber schon 1802 mit frz. Hilfe durch Nguyen Anh wieder gebrochen wurde (als Gia Long 1802-20 Kaiser). Unter seiner Herrschaft wurde das Land in Viet Nam umbenannt. 1859 besetzten frz. Truppen Saigon. Die Nguyen-Dynastie musste 1862 (Vertrag von Saigon) die reichsten Prov. in Süd-V. (Cochinchina) an Frankreich abtreten, das Annam und Tongking in den 1880er-Jahren ein Protektoratsverhältnis aufzwang und diese dann 1887 mit Cochinchina sowie Kambodscha zur Indochines. Union vereinte.In der 1. Hälfte des 20. Jh. entstand eine Unabhängigkeitsbewegung (Intellektuellengesellschaften, 1926 Gründung der bürgerl. Vietnames. Nationalpartei), deren Führung nach einem gescheiterten Aufstand (1930) an die kommunistisch dominierte, 1941 von Ho Chi Minh gebildete Vietminh überging; diese richtete ihren Widerstand nach der frz. Niederlage im Zweiten Weltkrieg v. a. gegen die Besetzung des Landes durch die Japaner (ab 1940). Im Aug. 1945 dankte Kaiser Bao Dai ab. Am 2. 9. 1945 rief Ho Chi Minh die Demokrat. Rep. V. (DRV) aus. Entgegen dem frz.-vietnames. Abkommen vom 6. 3. 1946, das der DRV den Status eines freien Staates innerhalb der Frz. Union zuerkannte, betrieb Frankreich eine Rekolonialisierungspolitik, der die Vietminh militär. und polit. Widerstand entgegensetzte. Entschieden wurde der verlustreiche Kampf Frankreichs gegen die von General Vo Nguyen Giap geführte Befreiungsarmee durch die Niederlage des frz. Expeditionskorps in Dien Bien Phu (7. 5. 1954). Die Genfer Indochinakonferenz (1954) fixierte die provisor. Teilung in eine nördl. Zone, die den Vietminh zugewiesen wurde, und eine südl. Zone, in die sich das frz. Expeditionskorp zurückziehen sollte (vorläufige Demarkationslinie am 17. Breitengrad). Für 1956 wurden gesamtvietnames. Wahlen vereinbart (Genfer Konferenzen).In Nord-V. festigte die seit 1955 durchgeführte Landreform die Macht der Kommunisten, die unter Staatspräs. Ho Chi Minh Hilfsabkommen mit der UdSSR und China abschlossen. 1960 trat eine neue Verf. in Kraft, und die ersten Wahlen seit 1946 wurden abgehalten. Die Abhängigkeit von den sowjet. Kriegsmateriallieferungen für den Guerillakrieg in Süd-V. bewirkte die zunehmende Orientierung nach Moskau. Die amerikan. Bombenangriffe während des Vietnamkrieges auf Nord-V. ab 1964 brachten zwar erhebl. Verluste (etwa 4 % der Zivilbev.) und Zerstörungen (45 % der Städte, 75 % der Ind.anlagen, 25 % der landwirtsch. Produktion), unterbanden jedoch den Nachschub nach Süd-V. nicht. (Ho-Chi-Minh-Pfad)In Süd-V. wurde 1954 der von den USA unterstützte Katholik Ngo Dinh Diem zum Reg.chef berufen, der im Okt. 1955 die Republik Süd-V. ausrief (deren erster Präs.). Seine Gewaltherrschaft führte zum Anschluss auch der nat. gesinnten bürgerl. Kräfte an die kommunistisch geführte Nat. Befreiungsfront von Süd-V. (Vietcong, FNL), die sich auf eine seit 1956 ausgeweitete Guerillatätigkeit stützen konnte. Nach dem Sturz und der Ermordung Ngo Dinh Diems (1963) durch eine Militärrevolte wurde 1965 General Nguyen Van Thieu Staatsoberhaupt (1967 Präs.). Nur widerwillig nahm die Saigoner Reg. ab 1969 an den Friedensgesprächen teil, die die USA und Nord-V. seit Mai 1968 in Paris führten. Nachdem sie unter amerikan. Druck dem Friedensabkommen vom Jan. 1973 zugestimmt hatte, verhinderte sie die dort vorgesehene polit. Lösung. Unterdessen versuchten die Saigoner Reg. und die FNL, ihre Gebiete mit Waffengewalt zu vergrößern. Diese Auseinandersetzung endete im April 1975 mit dem Zusammenbruch der Rep. Süd-V., der Besetzung Saigons durch FNL-Truppen und der Übernahme der Reg.gewalt durch die Provisor. Revolutionsreg. von Süd-Vietnam.Mit der Gründung der Sozialist. Rep. V. (SRV) am 2. 7. 1976 wurde die offizielle Wiedervereinigung von Nord- und Süd-V. unter kommunist. Herrschaft vollzogen. Der Prozess der Integration von Süd-V. verschärfte sich ab 1978 und führte zu einem Flüchtlingsstrom (Boatpeople). Ende 1977 begannen krieger. Auseinandersetzungen mit dem von den Roten Khmer beherrschten, prochinesisch orientierten Kambodscha, das vietnames. Truppen im Jan. 1979 besetzten (Einsetzung der Reg. Heng Samrin). Die VR China reagierte mit dem Einmarsch in Nord-V. Anfang 1979, zog sich aber nach verlustreichen Kämpfen nach einigen Wochen zurück. Nachdem es V. im Rahmen der zentralist. Planwirtschaft trotz beträchtl. Entwicklungshilfe (insbesondere aus der UdSSR) nicht gelungen war, den Wiederaufbau nach dem V.-Krieg in erforderl. Maße voranzubringen, leitete die KPV nach dem Rücktritt von Vertretern der alten polit. Führungsriege (Dez. 1986) unter ihrem neuen Gen.-Sekr. Nguyen Van Linh (1986-91) wirtsch. Reformen mit marktwirtsch. Orientierung ein (u. a. Zulassung von Privatunternehmen, Subventionsabbau). Die ohne polit. Kursänderung begonnene wirtsch. Öffnung geriet angesichts der seit Ende der 80er-Jahre drastisch zurückgegangenen sowjet. Unterstützung in Schwierigkeiten, die durch ein seit Ende des V.-Krieges bestehendes Wirtschaftsembargo der USA verstärkt wurden. 1987 übernahm Vo Chi Cong das Amt des Vors. des Staatsrats (Staatsoberhaupt). Aufgrund des internat. Drucks zog V. 1989 seine Truppen aus Kambodscha vollständig zurück. Im Juni 1991 löste der bisherige MinPräs. Do Muoi den KP-Gen.-Sekr. Nguyen Van Linh ab; neuer Reg.chef wurde im Aug. 1991 der reformorientierte Vo Van Kiet. 1992 wurde Le Duc Anh zum Staatspräs. gewählt (im Amt bis 1997). Unter dem Eindruck der weltpolit. Veränderungen seit 1989/90 hielt V. am Herrschaftsmonopol der KP und am Sozialismus fest, suchte aber einen Weg zur »sozialist. Marktwirtschaft« (neue Verf. vom April 1992). Nach der Aufhebung des amerikan. Wirtschaftsembargos (Febr. 1994) kam es im Juli 1995 zur Wiederaufnahme der diplomat. Beziehungen mit den USA. Im Juli 1995 trat V. der ASEAN bei.
Unzufriedenheit der Landbev. und die Korruption lokaler KP-Funktionäre führten 1997 zu zahlr. Bauernprotesten. Im selben Jahr wurde eine Parteisäuberung durchgeführt. 1997 kam es auch zu einem Wechsel in der vietnames. Partei- und Staatsführung: Im Sept. wurde Tran Duc Luong (* 1937) Staatspräs., Phan Van Khai (* 1933) Reg.chef und im Dez. Le Kha Phieu (* 1931) Gen.-Sekr. der KP. Die neue Führung, die im Rahmen einer Massenamnestie (1998) auch Dissidenten freiließ, bekräftigte die Absicht einer Fortführung des Wirtschaftsreformprozesses, der allerdings - nicht zuletzt unter dem Eindruck der asiat. Wirtschaftskrise - nur schleppend vorankam.
Literatur:
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Vienne, M.-S. de: L'économie du Viêt-Nam, 1955-1995. Bilan et prospective. Paris 1994.
Hung Truong Cong: Transformation in V. Reformpolitik, Ergebnisse u. Herausforderungen.Marburg 1996.
Kotte, H. u. Siebert, R.: V. Die neue Zeit auf 100 Uhren. Göttingen 1997.
Wolff, P.: V. - die unvollendete Transformation. Köln 1997.
Duiker, W.: Historical dictionary of V. Lanham, Md., u. a. 21998.
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