Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Vereinigte Staaten von Amerika, Literatur.
Vereinigte Staaten von Amerika, Literatur. Die frühesten literar. Zeugnisse stehen in der Tradition europ. Literaturen und Visionen einer »Neuen Welt«. Schneller als andere Nationalliteraturen führte ihre Entwicklung zu internat. Rang.Frühe Kolonialzeit, Aufklärung und Unabhängigkeitsbewegung: An der Atlantikküste setzten die Siedler zunächst engl. Literaturtradition fort; Reiseberichte und Chroniken schrieben Captain J. Smith, L. Hammond, D. Denton und W. Penn. Die Puritaner Neuenglands entwickelten ein umfangreiches religiöses Schrifttum, das v. a. Geschichtsschreibung, Predigten, Tagebücher und theolog. Streitschriften umfasste. Bes. wichtig sind hier die Werke von J. Winthrop, W. Bradford, C. Mather, J. Edwards und G. Woolman sowie die Schriften von J. Cotton, E. Johnson, R. Williams und I. Mather; eindrucksvolle Lyrik schrieben M. Wigglesworth, Anne Bradstreet und E. Taylor. Repräsentativ für die Epoche der Aufklärung ist B. Franklin, der prakt. Tätigkeiten als Drucker und Erfinder sowie als Geschäftsmann und Politiker mit literar. Arbeit verband. Geistiger Wegbereiter der Unabhängigkeit war v. a. T. Paine mit seinen patriotisch-radikalen Werken. Während der Unabhängigkeitsbewegung verfassten v. a. T. Jefferson, der die Unabhängigkeitserklärung redigierte, J. Adams und A. Hamilton polit. Prosaschriften. M. G. J. de Crèvecœurs Darstellungen der Revolutionszeit begründeten in Europa das romant. Amerikabild.19. Jahrhundert. Romantik: Frühe Erscheinungsformen romant. Tendenzen entwickelten sich bei P. Freneau, der sowohl Gedichte zur polit. Unabhängigkeit als auch Naturlyrik verfasste. Auch in den ersten Romanen prägten sich in verschiedener Weise solche Tendenzen aus, so bei W. H. Brown, C. B. Brown und H. H. Brackenridge. Noch überwiegend in der europ. Vergangenheit suchte W. Irving, der bekannteste Autor der Gruppe der »Knickerbocker« in New York, seine Themen. Der Einfluss der Schauerromantik wurde von E. A. Poe aufgegriffen und eigenständig verarbeitet. Sein starker Stilwille prägte die modernen Formen der Kurzgeschichte, der Detektiverzählung, der Literaturkritik und Literaturtheorie; sein Werk war von erhebl. Einfluss auf die Literatur der Moderne. Vergleichbar bedeutend waren die Romane von J. F. Cooper. Seine »Lederstrumpf«-Serie stellte zum ersten Mal das Erlebnis der »Frontier« und des amerikan. Westens in den Mittelpunkt.New England Renaissance: Seit dem 2. Viertel des 19. Jh. entfaltete sich auf der Grundlage früherer romant. Strömungen eine häufig als »New England Renaissance« bezeichnete literar. Bewegung. R. W. Emerson entfernte sich von seiner theolog. Ausbildung und suchte das Göttliche im Menschen selbst und in der Natur. Die Wirkung seiner Essays, Reden und Gedichte ist kaum zu überschätzen. Seine Ideen wurden von H. D. Thoreau aufgegriffen und im prakt. Gebrauch weiterentwickelt. Die Bürde der puritan. Vergangenheit und das Leiden an der gesellschaftl. Situation seiner Zeit verbinden sich in den histor. Romanen und Erzählungen von N. Hawthorne, in denen seine Auseinandersetzung mit histor. Schuld und Sünde zum Ausdruck kommen. H. Melville schrieb nach frühen Abenteuerromanen den Roman »Moby Dick« (1851), in dessen Zentrum das Ringen um Überleben und Lebenssinn in einer Welt der Entfremdung steht.Vom Bürgerkrieg bis zur Jahrhundertwende (Realismus, Naturalismus): Einen tiefen Konflikt der amerikan. Gesellschaft, der bei der Auslösung des amerikan. Bürgerkrieges eine entscheidende Rolle spielen sollte, die Versklavung der Afroamerikaner, griff der Roman »Onkel Toms Hütte« (1852) von Harriet Beecher-Stowe auf. In der Lyrik waren die »Cambridge poets« bei zeitgenöss. Lesern populär; H. W. Longfellow, O. W. Holmes und J. R. Lowell vermittelten in ihren Gedichten Bildungsgut und europ. Traditionen. Die präzisen Gedichte Emily Dickinsons, Ausdruck intensiver Introspektion, wurden erst in den letzten Jahrzehnten analysiert. Von besonderer Bedeutung ist die Lyrik von W. Whitman, deren befreiende Kraft und sinnl. Bildlichkeit bis heute ihre Wirkung ausüben. Eine neue Form der Prosa, in der realist. und gesellschaftskrit. Elemente überwiegen, entwickelte Mark Twain. Von seinen zahlr. Erzählungen und Romanen wurde v. a. »Die Abenteuer Huckleberry Finns« (1884) weltweit bekannt. Auch die Gattung Kurzgeschichte (Shortstory) entwickelte sich durch das Aufgreifen von Themen des amerikan. Westens weiter. Hauptvertreter dieser Tendenz waren B. Harte und A. Bierce. So wie Mark Twain und Harte Erfahrungen des amerikan. Westens verarbeiteten, betonten auch andere Schriftsteller, oft als »local color writers« bezeichnet, das Spezifische bestimmter Regionen, u. a. Sarah O. Jewett, Mary Eleanor Wilkins Freeman, G. W. Cable und Kate Chopin. Zur beherrschenden Gestalt der neuen realist. Erzählweise wurde zunächst W. D. Howells. H. James entwickelte in zahlreichen, z. T. sehr komplexen Romanen die psycholog. Analyse als Feld realist. Erzählens. Die wachsende Zahl weibl. Autoren, unter ihnen Chopin, erweiterte das Spektrum der amerikan. Literatur dieser Epoche. Am Ende des 19. Jh. griffen die naturalist. Prosaschriftsteller sozialdarwinist. Gedanken auf und bezogen sich kritisch auf die Folgen der Industrialisierung (H. Garland, S. Crane, F. Norris und J. London).20. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg: Die Epoche begann mit der Verschärfung der krit. Auseinandersetzung mit gesellschaftl. Missständen, am direktesten in den (überwiegend journalist.) Werken der »Muckrakers« (u. a. Ida M. Tarbell, L. Steffens, U. Sinclair), auch T. Dreiser führte die Tradition des Realismus in diesem Sinn weiter (»Eine amerikan. Tragödie«, R., 1925). Weibl. Autoren waren an dieser Entwicklung in spezif. Weise beteiligt, u. a. Ellen Glasgow, Edith Wharton und Willa Cather. In der Kurzgeschichte setzten sich psychologisierende Erzählhaltungen durch. Neue Kommunikations- und Sprachformen entwickelten sich zunächst in der Lyrik. E. L. Masters griff in freien Rhythmen die Realität des Kleinstadtalltags auf, C. Sandburg das Lebensgefühl in der Großstadt; E. A. Robinson und R. L. Frost nahmen an der Hinwendung zur Alltagssprache teil. W. C. Williams vertrat diese Poetisierung des Alltäglichen mit besonderer Deutlichkeit. Die Tendenz zu präziser Bildlichkeit prägte die Gedichte von Marianne Moore. Herausragend war auch die Lyrik von W. Stevens, C. Aiken und E. E. Cummings. Der eigentl. Durchbruch der modernen Lyrik ist v. a. mit dem Werk von E. Pound und T. S. Eliot eng verknüpft. Ihre formale Brillanz und subtile Verarbeitung modernen Lebensgefühls begründeten ihren großen Einfluss auf die zeitgenöss. Lyrik. Die Zeitschrift »Poetry« machte ab 1912 die von den Imagisten vertretenen Grundsätze in den USA bekannt.Zwischen den beiden Weltkriegen: J. Dos Passos entwickelte seine innovative, auch vom Film angeregte Montagetechnik, die der Auflösung des bürgerl. Individuums und der Übermacht gesellschaftl. Gegensätze Rechnung tragen sollte (»Manhattan Transfer«, 1925; »USA«, Trilogie, 1930-36). F. S. Fitzgerald verband die histor. Hoffnungen des »American Dream« mit der Kritik an ihrem Scheitern (»Der große Gatsby«, 1925). S. Lewis stellte die Provinz des Mittleren Westens mit satir. Mitteln dar (»Babbitt«, 1922), während S. Anderson die Kritik an provinziellen Deformationen mit einem spezif. Vitalitätsglauben verband. Die Sprachexperimente von Gertrude Stein wirkten als Anregungen auf andere Autoren. Die Reinigung der Sprache von Emotionen, die ihm als überholt galten, und die Suche nach tragfähigen Handlungsprinzipien bestimmten die Erzählungen und Romane von E. Hemingway. Die mythisierte Geschichte des amerikan. Südens wurde in den komplexen Romanen von W. Faulkner zum Raum extremer Verfallserscheinungen. Weltgeltung erlangte das amerikan. Drama mit Werken von E. O'Neill, die Gesellschaftskritik und psycholog. Analyse mit kraftvollen Formexperimenten verbanden. Die Literatur und Kultur der Afroamerikaner gewann an Dynamik mit der »Harlem Renaissance« der 20er-Jahre, die u. a. Autoren wie C. McKay, L. Hughes und C. Cullen zeitweise an sich zog. Im Verlauf der Krise von Wirtschaft und Gesellschaft nach 1929 verschärfte sich die Kritik zahlreicher Autoren. Diese Tendenz zeigte sich u. a. in Theaterstücken von C. Odets, in Romanen von J. Steinbeck (»Früchte des Zorns«, 1939) und in Reportagen und Analysen von E. Wilson. T. C. Wolfe griff in epischer Breite die Form des Entwicklungsromans auf. Eine neue Phase afroamerikan. Literatur setzte sich im Werk von R. Wright durch. Humanistisch-konservative Gedanken prägten die Werke von T. Wilder. Angesichts der ökonom. und intellektuellen Krise wurden mit dem »Federal Writers' Project« und dem »Federal Theater Project« erstmals staatl. Förderungsmaßnahmen auch für Schriftsteller ergriffen. Erst mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges erzielten die Dramatiker T. Williams und A. Miller öffentl. Wirkung.Seit dem Zweiten Weltkrieg: In der folgenden Generation von Dramatikern wurde u. a. E. Albee bekannt. Neuere Entwicklungen in diesem Genre zeigen sich u. a. bei J.-C. Van Itallie, A. Kopit, S. Shepard, L. Wilson und R. Wilson. In der nach dem Zweiten Weltkrieg wirksamen Lyrik zeichnen sich neue bekenntnishafte Züge ab, etwa in den Gedichten von R. Lowell und T. Roethke. Anregungen für andere Lyriker kamen auch von den Werken J. Olsons und seinem Konzept des projektiven Gedichts. Der differenzierte Ausdruck subjektiver Erfahrungen prägt die Lyrik von Elizabeth Bishop, J. Dickey, Denise Levertov, J. Berryman und R. Creeley. Teilweise eine Rückkehr zu traditionellen Formen findet sich in der Lyrik von F. Morgan, A. Hecht, D. Wagoner und J. Hollander. Bekannt wurde die Gruppe der New-York-Dichter um F. O'Hara, K. Koch, J. Ashbery u. a. In den Nachkriegsjahren fand sich eine Gruppe von Schriftstellern zusammen, die an Boheme-Traditionen, wie vorher H. Miller, anknüpfte, Protestliteratur schrieb und als »Beatgeneration« bekannt wurde. Als einflussreichste Vertreter dieser Gegenkultur gelten der Lyriker A. Ginsberg, der Romanautor J. Kerouac und der Verfasser experimenteller Prosatexte W. S. Burroughs. Das Lebensgefühl einer auf die Nachkriegsjahre nicht mit Protest, sondern mit Leiden reagierenden Jugend findet sich in der Prosa von J. D. Salinger. Carson McCullers schildert in ihrer Prosa einsame und haltlose Menschen, während Mary McCarthy satir. Gesellschaftsanalysen gibt. Die Aufbruchstimmung der 60er-Jahre äußerte sich nicht überwiegend in literar. Form, findet sich jedoch z. B. in Romanen von K. Kesey und in einigen Beispielen des »New Journalism« bei T. K. Wolfe und H. S. Thompson. Verstärkt wahrgenommen wurde in den letzten Jahrzehnten die ethn. Vielfalt der amerikan. Kultur. Hauptvertreter der jüdisch-amerikan. Literatur sind B. Malamud, S. Bellow, P. Roth und Cynthia Ozick. Unter der großen Zahl afroamerikan. Autoren sind bes. einflussreich R. W. Ellison, J. Baldwin, LeRoi Jones (Imamu Amiri Baraka), I. Reed und E. Cleaver sowie Malcolm X mit seiner Autobiographie (1964). Größeres Interesse findet mittlerweile auch die Literatur der Amerikaner mexikan. Abstammung (»Chicano«-Literatur) und der indian. Ureinwohner. Immer deutlicher entwickelt sich in der amerikan. Literatur eine spezif. Perspektive weibl. Autoren, auch im Bereich afroamerikan. Kultur. Wichtig sind hier die Werke von u. a. Marilyn French, Adrienne Rich, Toni Morrison (Nobelpreis 1993), Sylvia Plath, Joan Didion, Susan Sontag, Joyce C. Oates, Nikki Giovanni und Alice Walker.
Seit den 60er-Jahren tritt die Problematik der Zusammenhänge zw. literarischem Werk und gesellschaftl. Realität in den Vordergrund. Dabei werden Elemente des schwarzen Humors, der Sciencefiction, der Massenliteratur, des Journalismus und Formen der Satire, Montage und Collage oft gleichzeitig benutzt, um Modelle der Diskontinuität zu entwerfen. Diese Entwicklung zeichnet sich bereits ab im hoch entwickelten Formbewusstsein der Romane von V. Nabokov und J. Kosinski sowie in den »Cutup«-Texten von W. Burroughs. Teil dieser Problematik ist der Versuch von T. Capote und N. Mailer, in einzelnen Werken Tatsachenbeschreibung und Romanerzählung zu verbinden (»Nonfiction«-Roman). Auch in der Erzählstruktur der Romane von J. Purdy, J. Heller, H. Selby und R. Brautigan finden sich z. T. weit entwickelte Ansätze dieser Problematik. Ausgeprägt ist diese Tendenz bei einer Reihe von Autoren, für die Schriftsteller (wie J. Barth) und Kritiker den Begriff »Postmodernismus« prägten: K. Vonnegut, W. H. Gass, J. Hawkes, S. Elkin, J. Barth, D. Barthelme, W. Abish, R. Coover, P. Auster, J. McInerney, R. Carver, S. Katz, D. Delillo, Amy Tan und T. Pynchon. Entwicklungstradition der Südstaaten greifen u. a. Cormac McCarthy sowie die Autorinnen Eudora Welty und Anne Tyler auf. Neben der Literatur, die u. a. auch über ihre Verfilmung ein Massenpublikum erreicht (u. a. Stephen King, M. Crichton, J. Grisham), galten Postmodernismus, Frauenliteratur und die Literatur ethnischer Minderheiten (u. a. Indianerliteratur) in den letzten Jahrzehnten als bes. produktive Tendenzen der amerikan. Literatur.
Literatur:
H.-J. Lang. Der amerikan. Roman. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. Düsseldorf 1972.
Die amerikan. Lyrik. Von der Kolonialzeit bis zur Gegenwart, hg. v. K. Lubbers. Düsseldorf 1974.
Die amerikan. Literatur der Gegenwart. Aspekte u. Tendenzen, hg. v. H. Bungert. Stuttgart 1977.
Schirmer, W. F.: Geschichte der engl. u. amerikan. Literatur, 2 Bde. in 4 Teilen. Tübingen 61983.
Das amerikan. Drama, hg. v. G. Hoffmann. Bern u. a. 1984.
Die amerikan. Literatur bis zum Ende des 19. Jh., hg. v. H. Breinig. Tübingen 1985.
Der zeitgenöss. amerikan. Roman. Von der Moderne zur Postmoderne, hg. v. G. Hoffmann, 3 Bde. München 1988.
Galinsky, H.: Geschichte amerikan. Kolonialliteratur, auf 5 Bde. ber. Darmstadt 1991 ff.
Hornung, A.: Lexikon amerikan. Literatur. Mannheim u. a. 1992.
Poststrukturalismus - Dekonstruktion - Postmoderne, hg. v. K. W. Hempfer. Stuttgart 1992.
Link, F.: Amerikan. Erzähler seit 1950. Paderborn u. a. 1993.
Amerikan. Literaturgeschichte, hg. v. H. Zapf. Stuttgart u. a. 1997.
Schulze, M.: Geschichte der amerikan. Lit. von den Anfängen bis heute. Berlin 1999.
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