Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Vereinigte Staaten von Amerika, Kunst.
Vereinigte Staaten von Amerika, Kunst. Sieht man von der anfangs weitgehend zerstörten und erst in der jüngsten Vergangenheit schrittweise wieder entdeckten Kunst der nordamerikan. Indianer ab, so hat die amerikan. Kunst erst relativ spät zu ihrer Identität gefunden. In den ersten Jahrhunderten der Besiedlung des nordamerikan. Kontinents spielte die Kunst eine sekundäre Rolle; später wurde vorwiegend an frz., engl., holländ. und im Westen v. a. span. Kulturtraditionen angeknüpft. Gemäß der polit. Struktur der versch. Landesteile handelte es sich um Kolonialkunst, wie dies auch in der Benennung der Stilperiode vor 1776 (»Colonial Period«) zum Ausdruck kommt.Nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 und bes. in der »Federal Period« genannten Stilphase (etwa 1780-1825) entwickelte sich ein an Vorbildern der Antike orientierter Repräsentationsstil (»Greek Revival«), der v. a. öffentl. Bauten bestimmte. 1791 wurde der frz. Architekt P. C. L'Enfant mit der Ausarbeitung eines Plans für die neue Hauptstadt Washington beauftragt. T. Jefferson entwarf den exemplar. Campus der Univ. von Virginia in Charlottesville (1817-26). Weitere hervorragende Architekten dieser Zeit waren C. Bulfinch, J. Hoban, B. H. Latrobe, W. Thornton und T. U. Walter. Gegen Mitte des 19. Jh. entstanden auch Bauten im Stil des »Gothic Revival« (J. Renwick, R. Upjohn).
Die Malerei der Zeit wurde durch die in England arbeitenden Künstler B. West und J. S. Copley bestimmt. Spezifisch lokale Züge treten erstmals in den Werken von J. J. Audubon, G. Catlin und E. Hicks auf. Die Landschaftsbilder von W. Allston sowie der »Hudson River school« (T. Cole, F. E. Church, A. B. Durand, J. F. Kensett) und der an sie anknüpfenden Maler G. Inness, G. C. Bingham und A. Bierstadt vergegenwärtigen die einheim. Topographie in einem Stil zw. Romantik und Realismus. In der Porträtmalerei traten bes. T. Sully sowie E. Johnson hervor, der sich auch als Genremaler einen Namen machte. Meister des Stilllebens waren R. Peal und W. M. Harnett. Die Skulptur der Zeit steht mit den Marmorbildnissen und Statuen von H. Powers (»The Greek Slave«, 1843) und H. Greenough (»George Washington«, 1841) in der Tradition des Klassizismus.
Seit der Mitte des 19. Jh. fand die amerikan. Kunst ihre Eigenständigkeit, u. a. in den auf industrielle Konstruktionsmethoden und das Material Gusseisen gerichteten Bauten von J. Bogardus und D. D. Badger, in den Hängebrücken von J. A. Röbling, in den öffentl. Parkanlagen von F. L. Olmsted (Central Park, New York, 1858 ff.) sowie in den Geschäftshäusern von H. H. Richardson, die die Hochhausarchitektur einleiteten. Durch L. H. Sullivan und die Architekten der Schule von Chicago und v. a. durch F. L. Wright nahm die amerikan. Kunst im Bereich der Architektur an der Wende zum 20. Jh. bereits eine internat. Vorrangstellung ein. In der Malerei (W. Homer, J. McNeill Whistler, J. S. Sargent, Mary Cassatt, T. Eakins, M. Prendergast) und der Skulptur (A. Saint-Gaudens, D. C. French) dominierten noch europ. Einflüsse (v. a. Realismus, Impressionismus, Neoimpressionismus). F. Remington wurde als Maler des amerikan. Westens berühmt.Die amerikan. Kunst im 20. Jh. zeichnet sich durch eine umfassende Universalität aus, indem sie Anregungen aus allen Teilen der Welt aufnimmt und nach einer schöpfer. Transformation wieder zurückgibt. Vor allem im Werk von F. L. Wright findet dies den überzeugendsten Ausdruck, doch auch in den Bauten vieler Emigranten wie Eliel und Eero Saarinen, W. Gropius, L. Mies van der Rohe, E. Mendelsohn, J. L. Sert, M. Breuer, R. M. Schindler und R. Neutra. Sonderleistungen stellen die Gestaltung des Hochhauses sowie die auf neue Struktursysteme gerichteten Bauformen von R. B. Fuller dar.
Malerei und Skulptur der 1. Hälfte des 20. Jh. verbleiben stärker im Zusammenhang mit der europ. Entwicklung, und auch hier sind die Einwirkungen von Emigranten beträchtlich (A. Archipenko, J. Albers, N. Gabo, Louise Nevelson, J. Lipchitz, M. Ernst, H. Hofmann, L. Moholy-Nagy). In den Bildern von C. Demuth, Georgia O'Keefe, C. Sheeler sowie von T. Benton und G. Wood fand eine z. T. krit. Auseinandersetzung mit der städt. und ländl. Zivilisation Amerikas statt. Ihnen thematisch verbunden, jedoch von unterschiedl. Bildsprache sind die Werke J. Marins, M. Webers und E. Hoppers. Spezif. Merkmale amerikan. Kunst dokumentieren auch die Fotografen A. Stieglitz, E. Steichen und M. Ray, die »Mobiles« A. Calders sowie die monumentalen Porträts von vier amerikan. Präsidenten des Mount Rushmore National Memorial von G. Borglum. Populärste Vertreterin der naiven Malerei war Grandma Moses. Durch C. Still, M. Rothko, A. Reinhardt und J. Pollock wurde in der Malerei die Phase des abstrakten Expressionismus eingeleitet.
Seit etwa 1950 wurde die amerikan. Kunst in allen Bereichen internat. stilbestimmend. Die Architekturtheorie wurde am nachhaltigsten von L. I. Kahn geprägt. In dieser Tradition stehen R. Venturi und C. Moore. Breitenwirkung erzielte das Architektenbüro Skidmore, Owings und Merrill unter führender Beteiligung von G. Bunshaft. Zu den namhaften Architekten gehören auch P. C. Johnson, M. Yamasaki, I. M. Pei, P. M. Rudolph und K. Roche. Aus der Gruppe »New York Five« (P. Eisenman, C. Gwathmey, R. A. Meier, J. Hejduk, M. Graves) ragen die Arbeiten von Meier heraus.
Die Malerei hat seit den 50er-Jahren eine große Zahl von Stilmöglichkeiten erschlossen, die die Vielfalt der amerikan. Kunst dokumentieren: u. a. Op-Art (R. Anuszkiewicz), Pop-Art (R. Lichtenstein, R. Rauschenberg, J. Johns, A. Warhol), Farbfeldmalerei (B. Newman, M. Louis, Helen Frankenthaler, K. Noland, E. Kelly, F. Stella), Fotorealismus (P. Pearlstein, H. Kamowitz, R. Estes), Patternpainting (Miriam Shapiro, R. Kushner) und Graffiti (K. Haring). In den 80er-Jahren gelangten J. Borofsky, Susan Rothenberg, J. Schnabel und D. Salle zu internat. Anerkennung. Im Bereich der Skulptur entwickelte sich die Minimalart (D. Judd, R. Morris, C. Andre, D. Smith). In verschiedenen zeitgenöss. Stilströmungen arbeiten die Bildhauer G. Segal, D. Hanson, C. Oldenburg, R. Morris und R. Serra. Daneben gibt es Experimente in der Land-Art (R. Smithson, W. de Maria, M. Heizer), Body-Art (V. Acconci, D. Oppenheim), Videokunst (N. J. Paik, B. Nauman), Conceptart (J. Kosuth) sowie in Mixedmedia-Veranstaltungen wie Happening (A. Kaprow), Fluxus (N. J. Paik, G. Brecht), Performance (Laurie Anderson) und Environment (E. Kienholz). Auf dem Gebiet der künstler. Fotografie sind v. a. die Arbeiten von E. Weston, P. Strand, A. Adams (Landschaftsfotografie) sowie Diane Arbus und R. Mapplethorpe (Porträtfotografie) von besonderer Bedeutung.
Literatur:
Jencks, C.: Die Postmoderne. Der neue Klassizismus in Kunst u. Architektur. A. d. Amerikan. Stuttgart 21988.
Amerikan. Kunst im 20. Jh. Malerei u. Plastik 1913-1993, hg. v. C. M. Joachimides u. N. Rosenthal. A. d. Amerikan. München 1993.
Die Kunst der USA, Beiträge v. J. Martin u. a. Aus dem Frz. Freiburg im Breisgau u. a. 1993.
Lucie-Smith, E.: Amerikan. Realismus. A. d. Amerikan. Leipzig 1994.
Architektur in Nordamerika seit 1960, Beiträge v. A. Tzonis u. a. Aus dem Engl. Basel u. a. 1995.
Hughes, R.: Bilder von Amerika. Die amerikan. Kunst von den Anfängen bis zur Gegenwart. A. d. Amerikan. München 1997.
The view from Denver. Amerikan. Gegenwartskunst aus dem Denver Art Museum, hg. v. M. Chambers u. a. Ausst.-Kat. Museum Moderner Kunst, Wien. Wien 1997.
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