Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Venezuela
Venezuela Fläche: 912 050 km2
Einwohner: (1995) 21,636 Mio.
Hauptstadt: Caracas
Verwaltungsgliederung: 20 Bundesstaaten, der Distrito Federal um die Hauptstadt Caracas , 2 Bundesterritorien und die Dependencias Federales
Amtssprache: Spanisch
Nationalfeiertag: 5. 7.
Währung: 1 Bolívar (Bs., B.) = 100 Céntimos (c, cts)
Zeitzone: MEZ —5 Std.
[v-] (amtlich span. República de Venezuela), Staat im N Südamerikas, grenzt im N an das Karib. Meer und den offenen Atlantik, im W an Kolumbien, im S an Brasilien und im O an Guyana.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1961 ist V. eine präsidiale Bundesrep. Staatsoberhaupt und oberster Inhaber der Exekutive (Reg.chef) ist der Präs. (auf 5 Jahre direkt gewählt; Wiederwahl erst zehn Jahre nach Ablauf der 1. Amtsperiode möglich). Er ernennt und entlässt die Mitgl. der Reg., ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte und und kann Gesetze sowie die Verf. außer Kraft setzen. Die Legislative liegt beim Zweikammerparlament, dem Kongress (Legislaturperiode fünf Jahre), bestehend aus Abg.kammer (189 Abg.) und Senat (51 Mitgl., davon je zwei gewählte Repräsentanten der Bundesstaaten und des -distrikts sowie die ehem. Präsidenten). - Einflussreichste Parteien: Acción Democrática (AD), Movimiento V República (MVR), Partido Social-Cristiano (COPEI), Proyecto Venezuela (PRVZL), Movimiento al Socialismo (MAS). - Am 25. 4. 1999 votierte die Bev. in einem Referendum für die Überarbeitung der Verfassung.
Landesnatur: V. erstreckt sich vom Tiefland des Maracaibobeckens (mit dem Maracaibosee) im NW über die Kordillere von Mérida (im Pico Bolívar 5 002 m ü. M.), die sich als Doppelstrang in der karib. Küstenkordillere (bis 2 765 m ü. M.) fortsetzt, über das Tiefland des Orinoco mit seinen Überschwemmungssavannen (Llanos) bis zum Bergland von Guayana im SO. Im äußersten S hat V. Anteil am Amazonastiefland. Das trop. Klima bringt hohe Temperaturen (in den Höhenlagen gemildert) und, bes. an den Hängen der Kordilleren (mit Ausnahme der N-Küste) und im Bergland von Guayana, hohe Niederschläge im Sommer.
Bevölkerung: Die meisten Bewohner V.s sind Mischlinge, v. a. Mestizen. Die etwa 10 % Schwarzen leben v. a. im karib. Küstengebiet. Der Anteil der Weißen (21 %) hat seit 1945 durch starke Einwanderung, bes. von Spaniern und Italienern, zugenommen. Nur wenige Indianer (2 %) leben noch im äußersten NW, im Orinocodelta und im Bergland von Guayana. Hauptsiedlungsgebiete sind die Gebirge im NW und ihre Randzonen. Der jährl. Bev.zuwachs (1985-93: 2,5 %) liegt über dem Durchschnitt Lateinamerikas. - Allg. Schulpflicht besteht vom 8. bis 13. Lebensjahr; einschließlich einer Fernuniv. hat V. 33 staatl. und private Universitäten. - R. 90 % der Bev. sind katholisch.
Wirtschaft, Verkehr: Die Wirtschaft des ehemals agrarisch ausgerichteten Staates hat unter dem Einfluss des Erdöls (seit 1920, verstärkt seit 1945) bed. Wandlungen erfahren. Wichtigster Zweig ist die 1976 verstaatlichte Erdölind.; Erdöl und seine Produkte erbringen über 60 % der Mittel des Staatshaushaltes und 80 % der Exporteinnahmen. V. ist das Land mit den viertgrößten nachgewiesenen Erdölreserven der Erde. 75 % der gesamten venezolan. Erdölförderung (Staatsunternehmen PETROVEN) stammen aus dem Maracaibobecken. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Lagerstätten des Orinocogebietes, in dem sich auch bed. Ölsandvorkommen befinden. Rasch wachsende wirtsch. Bedeutung erlangt die Erdgasförderung. Zweitwichtigstes Bergbauprodukt ist Eisenerz (über 60 % Fe-Gehalt; Förderzentrum Cerro Bolívar), das zu 65 % exportiert wird (v. a. in die USA). Eisenerzbergbau und Eisen schaffende Ind. wurden 1975 verstaatlicht. Weiterhin werden Manganerz, Gold, Diamanten und Bauxit gewonnen. V. verfügt außerdem über Vorkommen an Nickel, Kupfer-, Blei- und Zinkerzen. Wichtige Ind.zweige sind die Nahrungsmittel- und Genussmittel-, petrochem. Ind., Eisen-, Stahl- und Aluminiumerzeugung sowie die Textilindustrie. Die Elektroenergieerzeugung erfolgt zu über 50 % durch das Wasserkraftwerk Guri (8 800 MW; 1985 fertig gestellt) am Río Caroni. Die Landwirtschaft beschäftigt zwar etwa 14 % der Erwerbstätigen, erbringt jedoch nur einen Anteil von rd. 6 % des Bruttoinlandprodukts; die landwirtsch. Produktion konnte aber in den letzten Jahren durch Vergrößerung der Anbauflächen wesentlich erhöht werden. Bei vorherrschendem Großgrundbesitz werden Mais (auf 25 % der Anbaufläche), Reis, Baumwolle, Zuckerrohr, Bohnen, Maniok und Sesam sowie Gemüse angebaut. Trop. Früchte (Bananen, Ananas, Orangen) werden in großen Mengen geerntet. Der Kaffee, an den Kordillerenhängen angebaut, bildete bis 1925 das wichtigste Exportprodukt. Haupthandelspartner sind die USA, Dtl., die Niederländ. Antillen und Italien. - Das Land wird von einem weitmaschigen Straßennetz durchzogen (etwa 93 300 km, davon sind rd. 30 000 km asphaltiert). Autobahnen verbinden die Großstädte Caracas und Valencia miteinander und mit ihren Häfen La Guaira und Puerto Cabello. Eine Eisenbahnverbindung besteht zw. Barquisimeto, Puerto Cabello und Acarigua (336 km). Der untere Orinoco ist für Seeschiffe bis Ciudad Bolívar schiffbar; der Hafen Puerto Ordaz wurde für den Abtransport von Eisenerz ausgebaut. Wichtigste Seehäfen sind La Guaira, Puerto Cabello und Maracaibo (Erdölexport). Der binnenländ. Flugverkehr ist gut ausgebaut. Wichtigster internat. Flughafen ist »Simón Bolívar« nahe Caracas.
Geschichte: Das Gebiet von V., obwohl schon sehr lange besiedelt (älteste Keramik um 2500 v. Chr.), gehörte keiner der großen altamerikan. Kulturen an, die engsten Beziehungen hatte es zum karib. Raum. Kolumbus entdeckte die Küste auf seiner dritten Reise (1498), Alonso de Hojeda (* um 1473, ✝1515 oder 1516) gelangte 1499 zum Golf von Maracaibo und gab - nach den indian. Pfahlbauten - dem Land den Namen V. (»Klein-Venedig«). Die Welser erhielten 1528 von Kaiser Karl V. das Recht zur Kolonisation. Gegensätze zw. ihnen und den Spaniern brachten V. wieder an die span. Krone. 1577 wurde Caracas (gegr. 1567) Sitz eines Gouverneurs, 1777 wurde das Generalkapitanat V. geschaffen. Die Loslösung von der span. Herrschaft begann, nach vergebl. Versuchen 1797 und 1806, mit der Revolution in Caracas 1810 unter der Führung S. Bolívars. 1811 wurde die Unabhängigkeit erklärt, die erst nach wechselvollen Kämpfen 1821 Realität war. Seit 1819 gehörte V. zu der von Bolívar gegr. Rep. Groß-Kolumbien, nach deren Zerfall 1829/30 wurde es selbstständig. Bis weit ins 20. Jh. hinein prägten aber Bürgerkrieg und Diktaturen das Land. Seit den 1920er-Jahren profitierte V. von seinen Erdölvorkommen und entwickelte sich auf dieser Grundlage zu einem der modernsten lateinamerikan. Staaten. Im Zweiten Weltkrieg entstanden neue polit. Parteien, die sich den drängenden sozialen Fragen zuwandten (z. B. 1941 die Demokrat. Aktion, AD). Die AD, 1945-48 erstmals an der Macht, wurde zwar nach dem Putsch des Militärs gegen Präs. R. Gallegos (gewählt 1947) verboten, aber nach dem Sturz des Diktators Marcos Pérez Jiménez (1958) war sie erneut die stärkste polit. Kraft. 1964 erlebte V. den ersten verfassungsmäßigen Präs.wechsel. Soziale Unruhen konnten beigelegt werden, auch gelang die Eindämmung der Guerillabewegung, deren Aktivitäten 1962-65 ihren Höhepunkt erreicht hatten. 1968-83 wechselten AD und die christlich-soziale COPEI in der Reg.verantwortung einander ab; die Wahlen 1983 (Jaime Lusinchi) und 1988 gewann die AD. Im Febr. 1989 wurde Carlos Andrés Pérez zum zweiten Mal (erstmals 1973-78) ins Amt des Präs. gewählt. Sein Programm zur Sanierung der Staatsfinanzen zeigte zwar 1990 erste Erfolge, doch kam es immer wieder zu Massenprotesten gegen die rigorose Wirtschaftspolitik, im Febr. 1992 zu einem (gescheiterten) Militärputsch von Hugo Chávez Frías. Im Aug. 1993 wurde Pérez wegen des Vorwurfs der Unterschlagung öffentl. Gelder durch das Parlament abgesetzt. Die Wahlen im Dez. 1993 gewann der parteilose Rafael Caldera als Kandidat eines linksgerichteten Parteienbündnisses. Seine Reg. suchte der sich verschärfenden Wirtschaftskrise mit Programmen zur Reduzierung des Haushaltsdefizits (u. a. Privatisierung des Erdölsektors sowie anderer Staatsbetriebe) zu begegnen. Die Präsidentschaftwahl im Dez. 1998 gewann Chávez Frías mit einem populist. Programm.
Literatur:
C. Borcherdt, Geograph. Untersuchungen in V., hg. v. 2 Bde. Stuttgart 1973-85.
V., Kolumbien, Ekuador. Wirtschaft, Gesellschaft u. Geschichte, hg. v. H.-A. Steger. München 1980.
Diccionario de historia de V. hg. v. M. Pérez Vila u. a., 3 Bde. Caracas 1988.
Gerdes, C.: Eliten u. Fortschritt. Zur Geschichte der Lebensstile in V. 1908-1958. Frankfurt am Main 1992.
V. A country study, hg. v. R. A. Haggerty. Washington, D. C., 41993.
Rudolph, D. K. u. Rudolph, G. A.: Historical dictionary of V. Lanham, Md., u. a. 21996.
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