Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Urknall
Urknall(Big Bang), nach der U.-Theorie die explosionsartige Expansion, mit der das Weltall vor etwa 15-20 Mrd. Jahren entstanden ist. Verfolgt man die Expansion des Weltalls (Hubble-Effekt) zurück, so gelangt man unter gewissen Voraussetzungen zu dem Ergebnis, dass das Weltall anfangs auf einen sehr kleinen Raum mit sehr hoher Dichte und Temperatur beschränkt war. Die heute als Standardmodell akzeptierte U.-Theorie geht von einem Anfangszustand unendlich hoher Temperatur und Dichte des Universums aus (kosmolog. Singularität), das beim U. explosionsartig auseinander getrieben wurde, wobei die Temperatur rasch abnahm.
Man geht heute davon aus, dass sich das Universum unmittelbar nach dem U. im Zustand höchster Symmetrie befand und gleich große Mengen von Materie und Antimaterie existiert haben. In den ersten 10—35 s dürfte die Energie jene Schwelle überschritten haben, bei der im Rahmen der Großen Vereinheitlichten Theorie elektromagnet., schwache und starke Wechselwirkung vereinigt und die Unterschiede zw. den versch. Materieteilchen aufgehoben sind. Vermutlich sind Quarks, Elektronen und deren Antiteilchen aus dem Zerfall der in dieser Anfangsphase angenommenen überschweren sog. X-Bosonen entstanden. Durch Symmetriebruch bildete sich ein geringfügiges Übergewicht von Quarks gegenüber Antiquarks. Später führte jeder Zusammenstoß von Antiquarks mit Quarks zur Vernichtung beider Teilchen unter Emission von Strahlung. Die heute beobachtbare Materie entspricht nach diesem Modell der Zahl der überschüssigen Quarks. Etwa 10—4 s nach dem U. entstanden die ersten Strukturen im Kosmos: die bei Temperaturen um 1013 K aus den Quarks sowie durch Paarbildung aufgebauten Protonen und Neutronen. Diese konnten sich teilweise noch zu Deuterium- und Heliumkernen verbinden, ehe die rasche Expansion die Temperatur des Weltalls unter die für die Elementsynthese erforderl. Grenze absinken ließ. Da außerdem auch Elektronen entstanden waren, die sich aufgrund der noch zu hohen Temperatur nicht mit den Atomkernen zu neutralen Atomen verbinden konnten, blieb das Weltall anfangs für elektromagnet. Strahlung undurchdringlich: Photonen, die etwa milliardenfach häufiger als Protonen und Neutronen waren, wurden an den Elektronen immer wieder gestreut. Erst einige 10 000 Jahre nach dem U. bei einer Temperatur von etwa 3 000 K bildeten sich die ersten Atome im Universum. Da diese elektrisch neutral sind und nicht direkt mit den Photonen wechselwirken, »entkoppelten« sich Strahlung und Materie, konnte sich die Photonenstrahlung frei durch das All bewegen; die Relikte jener Strahlung beobachtet man heute als kosmische Hintergrundstrahlung. Sie gilt neben dem Hubble-Effekt und der beobachteten Heliumhäufigkeit im All (Kosmologie) als Hauptstütze der U.-Theorie. Etwa 1 Mio. Jahre nach dem U. entstanden die ersten größeren Materiezusammenballungen, die Vorläufer der heutigen Galaxien. - Die urspr. Form dieses kosmolog. Modells geht auf G. Lemaître einerseits und H. A. Bethe und G. Gamow andererseits zurück, jüngere Theorien beziehen z. B. das Konzept einer inflationären Phase ein, bei der das Universum aus einer einzigen Quantenfluktuation heraus explodierte. Das Modell geht von einer heißen Materieblase als Anfangszustand aus, der durch Abkühlung von einer höher symmetr. in eine weniger symmetr. Phase übergeht und kurzzeitig exponentiell (inflationär) expandiert. Die Inflationsphase (etwa zw. 10—35 s und 10—33 s nach dem U.) ist mit einer Volumenausdehnung auf das etwa 1090fache verbunden. Um Aussagen unterhalb von 10—43 s (Planck-Zeit) nach Einsetzen des U. treffen zu können, müssen Quanteneffekte der Gravitation berücksichtigt werden, für die es bislang noch keine Theorie gibt.
Literatur:
Lutz, J.u. a.:Ratlos vor der großen Mauer. Das Scheitern der U.-Theorie. Essen 31994.
Pailer, N.: Geheimnisvolles Weltall. Stuttgart 1994.
Weinberg, S.: Die ersten drei Minuten. Der Ursprung des Universums. A. d. Amerikan. Neuausg. München 111994.
Hawking, S. W.: Eine kurze Geschichte der Zeit. A. d. Engl. Reinbek 391.-420. Tsd. 1996.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Urknall