Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Ungarn
I Ụngarn Fläche: 93 030 km2
Einwohner: (1997)10,174 Mio.
Hauptstadt: Budapest
Verwaltungsgliederung: 20 Bezirke (Megye)
Amtssprache: Ungarisch
Nationalfeiertage: 15. 3., 20. 8., 23. 10.
Währung: 1 Forint (Ft) = 100 Fillér (f)
Zeitzone: MEZ
(ungar. Magyarország, amtl. Vollform Magyar Köztársaság; dt. Ungar. Rep.), Staat im SO Mitteleuropas, grenzt im N an die Slowak. Rep., im NO an die Ukraine, im O an Rumänien, im S an Jugoslawien (Serbien), Kroatien, Slowenien, im W an Österreich.
Staat und Recht: Nach der am 18./19. 10. 1989 einer Totalrevision unterzogenen und seither mehrfach geänderten Verf. vom 18. 8. 1949 ist U. eine parlamentar. Republik. Staatsoberhaupt ist der vom Parlament auf fünf Jahre gewählte Präs. (nur einmalige Wiederwahl zulässig). Er ist formell Oberbefehlshaber der Streitkräfte, ernennt die Mitgl. des Kabinetts, kann Gesetze initiieren und verfügt über ein Vetorecht. Die Legislative liegt bei der Nationalversammlung (386 Abg., für vier Jahre gewählt), die Exekutive bei der Reg. unter Vorsitz des MinPräs. Einflussreichste Parteien: Bund Junger Demokraten - Ungar. Bürgerpartei (FIDESz-MPP), Ungar. Sozialist. Partei (MSzP), Unabhängige Partei der Kleinen Landwirte, Landarbeiter und Bürger (FKgP), Bund Freier Demokraten (SzDSz), Ungar. Demokrat. Forum (MDF), Ungar. Partei für Gerechtigkeit und Leben (MIÉP).
Landesnatur: U. liegt im Pannon. Becken; es umfasst hauptsächlich das vom Ungarischen Mittelgebirge geteilte Ungarische Tiefland, das von Donau und Theiß, den Hauptflüssen des Landes, durchzogen wird. Im SW zw. Donau und Drau erhebt sich das Transdanub. Hügelland mit dem Mecsekgebirge (bis 682 m ü. M.); an der österr. Grenze hat U. Anteil an den Ausläufern der Alpen: Ödenburger Gebirge, Günser Gebirge. Größte Seen sind der Plattensee und der Velencer See; zu U. gehört außerdem der südlichste Teil des Neusiedler Sees. - Das Klima ist gemäßigt-kontinental, mit atlant. und subtropisch-mediterranen Einflüssen; mittlere Jahresniederschläge 500-800 mm. Rd. 16 % der Fläche sind bewaldet.
Bevölkerung: Über 90 % sind Ungarn (Magyaren), ferner Ungarndeutsche (2,2 %), Slowaken (0,9 %), Kroaten (0,8 %), Rumänen (0,2 %), Serben, Slowenen, Bulgaren, Griechen, Armenier, Polen sowie 400 000-600 000 Sinti und Roma. 63 % der Bev. wohnen in Städten, allein rd. 20 % in Budapest; etwa 5 Mio. Ungarn leben im Ausland. - Allg. Schulpflicht besteht vom 7. bis 16. Lebensjahr. Die Angehörigen der nat. Minderheiten haben das Recht auf Unterricht in der Muttersprache. Es bestehen 21 Univ. u. a. Hochschulen (davon 6 TU), die ältesten in Pécs (gegr. 1367) und in Budapest (gegr. 1635). - Rund 2/3 der Bev. sind Katholiken, 25 % Protestanten.
Wirtschaft, Verkehr: Mit dem Übergang zur Marktwirtschaft befindet sich die gesamte Wirtschaft in der Umstrukturierung; schrittweise erfolgt die Privatisierung. Die Landwirtschaft nutzt 70 % der Landesfläche und erbringt fast 30 % Exportanteil. Angebaut werden v. a. Weizen und Mais, ferner Gerste, Kartoffeln, Zuckerrüben, Gemüse (Tomaten, Paprika, Zwiebeln), Obst und Wein. Viehhaltung (Rinder, Schweine, Schafe, Geflügel) ist von großer Bedeutung, Forstwirtschaft und Fischerei sind nachrangig. U. ist relativ arm an Bodenschätzen; wichtigstes Bergbauprodukt ist Bauxit. Gefördert werden ferner Stein- und Braunkohle, Eisenerz, Kupfererz, Mangan, Erdöl, Erdgas. Die Ind. konzentriert sich im Raum Budapest; die wichtigsten Bereiche sind Maschinen- und Fahrzeugbau, Nahrungsmittel-, chem., metallurg., Textil-, Bekleidungs-, Baustoff-, Leder-, Holz- und Papierind. Der Tourismus ist ein wichtiger Devisenbringer. Exportiert werden v. a. Konsumgüter, Maschinen, Nahrungsmittel. Haupthandelspartner: Dtl. u. a. EG-Länder sowie Staaten der GUS. - U. ist ein Transitland; Eisenbahnnetz rd. 8 000 km lang, davon 2 249 km elektrifiziert; Straßennetz rd. 30 000 km. Wichtigste Schifffahrtswege: Donau und Theiß. Internat. Flughafen ist Budapest-Ferihegy; nat. Fluggesellschaft ist MALEV.
Geschichte: Zur Vorgeschichte Südosteuropa. Bis zur Christianisierung (5.-11. Jh.): In das mittlere Donautal, das röm. Pannonien, strömten seit dem Rückzug der Römer (um 400) german. und hunn. Stämme. Zunächst Mittelpunkt des Hunnenreichs unter Attila (✝ 453), zogen später Wandalen und Langobarden durch, Gepiden siedelten dauerhaft. Der Awarenherrschaft seit 567 setzte Karl d. Gr. zwischen 791 und 803 ein Ende. Seit 896 besetzten die Magyaren das Pannon. Becken und unternahmen Raubzüge in ganz Europa (besiegt bei Riade 933, auf dem Lechfeld 955, vor Byzanz 970). Fürst Géza (etwa 970-997) aus der Dynastie der Árpáden festigte die fürstl. Macht und bereitete die Christianisierung vor. Sein Sohn Stephan I., der Heilige, ließ sich im Jahre 1000 zum König krönen (Stephanskrone). Das unabhängige Königreich Ungarn (bis 1526): 906 um die Slowakei vergrößert, Mitte des 11. Jh. vorübergehend vom dt. Reich lehensabhängig, kam es 1102 zur Personalunion mit Kroatien. Unter König Géza II. (1141-62) begann um 1150 die Ansiedlung von Deutschen in Siebenbürgen (Siebenbürger Sachsen), später auch in der Zips; nach 1239/40 wanderten Kumanen ein. 1222 erzwang der ungar. Adel in der »Goldenen Bulle« die Bestätigung seiner Vorrechte. 1241/42 besetzten die Mongolen das Land. Nach dem Aussterben der Árpáden (1301) folgten Herrscher aus versch. Häusern. Ludwig I., d. Gr., (1342-82), seit 1370 auch König von Polen, betrieb eine expansive Außenpolitik (v. a. gegenüber den Balkanländern). Sein Schwiegersohn, Sigismund von Luxemburg (1387 bis 1437; seit 1410/11 auch Röm. König), wandte sich nach der Niederlage gegen die Osmanen bei Nikopol 1396 stärker der Politik im Hl. Röm. Reich zu und suchte eine europ. Koalition gegen die Osmanen zu bilden. Aber erst der Sieg von J. Hunyadi bei Belgrad (1456) bannte die osman. Gefahr für längere Zeit. Matthias I. Corvinus (1458-90) eroberte Mähren, Schlesien und die Lausitz, Niederösterreich und die Steiermark. 1485 zog er in Wien ein und machte es zu seiner Residenz; Wirtschaft und Kultur erlebten eine Blütezeit (Renaissance). Unter der Dynastie der Jagiellonen (1490-1526) zerfiel die Zentralmacht. Nach der grausamen Niederschlagung des Bauernkrieges 1514 unter G. Dózsa wurde die Leibeigenschaft verschärft und gesetzlich fixiert. Die verbliebene, zahlenmäßig schwache Adelsarmee unterlag den Türken 1526 bei Mohács, auch König Ludwig II. (1516-26) fiel; Ungarn zerfiel in drei Teile. Ungarn unter den Osmanen und den Habsburgern (1526-1918): Nach der Doppelwahl von 1526 konnte Johann I. Zápolya, Woiwode von Siebenbürgen (1526-64), mit osman. Unterstützung den Machtbereich seines habsburg. Gegenkönigs Ferdinand I. (1526/27-64) auf Ober-U. (die Slowakei) und einen schmalen Teil West-U. beschränken, das zur österr. Provinz herabsank. Mittel-U. (mit Slawonien) wurde ab 1541 als Paschalik Ofen türkisch (Türkisch-U.), Ost-U. (Siebenbürgen) selbstständiges Fürstentum unter türk. Oberhoheit. Fürst Stephan IV. Báthory (1571-86) legte die Grundlagen eines starken siebenbürg. Staates, dessen Unabhängigkeit und Religionsfreiheit (Reformation) nach einem Aufstand der ungar. Stände unter I. Bocskay (1605-06) von Österreich im Wiener Frieden (1606) anerkannt wurden. Als die Türken den nach der Wesselényischen Verschwörung ausgebrochenen Aufstand der Kuruzen unter Führung von Graf I. Thököly (1678-82) unterstützten, entbrannte der Große Türkenkrieg (1683-99). Nach der raschen Eroberung U.s durch kaiserl. Truppen (1686 Fall Budas, 1697 Sieg bei Zenta) traten die Osmanen im Frieden von Karlowitz 1699 U. (mit Ausnahme des späteren Banats von Temesvar), Kroatien und Slawonien an Österreich ab. Nach dem Tokajer Kuruzenaufstand 1697 und dem Freiheitskampf unter Franz II. Rákóczi (1703-11) sicherte der Friede von Sathmar (1711) die ständische Verf. und die Religionsfreiheit; die Stände behaupteten in der Folgezeit immer wieder ihre Sonderrechte (Steuerfreiheit des Adels, Leibeigenschaftssystem). Im Gebiet der Militärgrenze wurden die vor den Türken geflohenen Serben und Kroaten angesiedelt. Die Kolonisation in der Batschka und im Banat (Banater Schwaben), v. a. unter Maria Theresia (1740-80), ließ die Magyaren im Land zur Minderheit werden. Joseph II. (1780-90) gewährte Religionsfreiheit durch das Toleranzpatent von 1781 und Freizügigkeit für Leibeigene 1785; doch der wachsende Zentralismus, bes. aber die einschneidenden Verwaltungsreformen (u. a. Deutsch als Amts- und Unterrichtssprache) scheiterten am Widerstand des ungar. Adels. Während der 1. Hälfte des 19. Jh. erwachte das ungar. Nationalbewusstsein, begleitet von einem kulturellen Aufschwung, wenngleich die Unzufriedenheit mit dem »System Metternich« immer breitere Kreise erfasste. Unter dem Eindruck der Revolutionen in Paris und Wien brach am 15. 3. 1848 unter Führung von S. Petőfi in Pest die ungar. Revolution aus. Am 17. 3. akzeptierte Wien die Bildung einer liberalen ungar. Reg. unter L. Graf Batthyány. Im Sept. 1848 kam es zum offenen Bruch mit Habsburg, dessen Truppen L. Kossuth mit der Honvéd-Armee bezwang (Anfang 1849; am 14. 4. 1849 Erklärung der Unabhängigkeit U.s). Mit russ. Hilfe konnte Österreich den ungar. Freiheitskampf im Aug. 1849 niederwerfen. U. wurde der zentralistischen österr. Verwaltung eingegliedert und nach dem Muster der übrigen österr. Kronländer regiert. Nach der Niederlage Österreichs im Dt. Krieg 1866 kam es zum österr.-ungar. Ausgleich von 1867, durch den U. in Realunion mit Österreich selbstständiges Königreich wurde (Österreich, Geschichte; Österreich-Ungarn). Der kroatisch-ungar. Ausgleich vom Juni 1868 regelte das Verhältnis zu Kroatien mit Slawonien; die Union Siebenbürgens mit U. wurde im Dez. 1868 endgültig vollzogen. Das Banat war 1860 wieder an U. gekommen. Nach 1875 verschärften sich die sozialen (Arbeiterunruhen) und ethn. (v. a. durch die forcierte Magyarisierung) Gegensätze. Eine Auswanderungswelle nach Übersee kam in Gang. Die Republik Ungarn und die restaurierte Monarchie (1918-45): Die Niederlage im Ersten Weltkrieg führte zur Revolution und Ausrufung der Republik am 16. 11. 1918. Die Reg. unter M. Graf Károlyi musste weite Gebiete im S und O des Landes räumen. Kroatien-Slawonien hatte bereits am 29. 10. die staatsrechtl. Verbindung mit U. gelöst. Unter dem Schutz der Entente-Alliierten besetzten die Tschechen Ober-U. (Slowakei), die Rumänen Siebenbürgen und die Serben Südungarn. Am 21. 3. 1919 musste Károlyi einer sozialdemokratisch-kommunist. Reg. weichen, die faktisch von B. Kun geleitet wurde und die Ungar. Räterepublik proklamierte (bis 1. 8. 1919). Nach blutiger Abrechnung mit den Anhängern der Räterepublik und u. a. antisemit. Pogromen siegte bei den Wahlen zur Nationalversammlung die 1909 gegr. Partei der Kleinen Landwirte; am 1. 3. 1920 wählte die Nationalversammlung M. Horthy zum Reichsverweser und stellte trotz späterer Amtsenthebung der Habsburger (6. 11. 1921) die Monarchie wieder her. Nach dem Friedensvertrag von Trianon (4. 6. 1920) verlor U. 68 % seines früheren Staatsgebietes und 59 % seiner früheren Bev. Die Wiener Schiedssprüche von 1938/40 und die Teilnahme am Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1941 brachten U. einen Teil der 1918/20 verlorenen Gebiete zurück (Batschka, Karpato-Ukraine [Transkarpatien], Nordsiebenbürgen). Am 19. 3. 1944 besetzten dt. Truppen das Land und zwangen Horthy, eine deutschfreundl. Reg. einzusetzen. Sein Versuch, am 15. 10. 1944 Waffenstillstand zu schließen, scheiterte. Horthy dankte ab und übergab die Macht dem Pfeilkreuzlerführer F. Szálasi. Sowjet. Truppen besetzten das Land schrittweise ab 23. 9. 1944 bis zum 4. 4 1945. Am 22. 12. 1944 hatte sich im sowjetisch besetzten Debrecen eine provisor. Reg. der Ungar. Nationalen Unabhängigkeitsfront gebildet, die am 28. 12. Dtl. den Krieg erklärte und am 20. 1. 1945 einen Waffenstillstand mit den Alliierten schloss. »Volksdemokratie« und kommunist. Herrschaft (1945-89): Nach den Wahlen zur Nationalversammlung im Herbst 1945 wurde Z. Tildy zum MinPräs. und am 1. 2. 1946 zum Staatspräs. gewählt. Der Pariser Friede vom 10. 2. 1947 stellte die ungar. Grenzen vom 1. 1. 1938 wieder her. 1946-49 vollzog sich eine Adaption des sowjet. Sozialismusmodells, die u. a. zu schweren wirtsch. und polit. Deformationen (Schauprozesse gegen Oppositionelle wie J. Kardinal Mindszenty oder L. Rajk) führte. Bis Sommer 1948 waren fast alle Parteien verboten oder hatten sich selbst aufgelöst; am 12. 6. 1948 erfolgte (unter Druck) die Vereinigung der Sozialdemokraten mit der KP zur Partei der Ungar. Werktätigen (seit 1956 Ungar. Sozialist. Arbeiterpartei [USAP]). Die Verf. vom 20. 8. 1949 erklärte U. zur Volksrepublik. Anstelle des Stalinisten M. Rákosi wurde am 3. 7. 1953 I. Nagy als MinPräs. eingesetzt. Er führte 1953-55 polit. und wirtsch. Reformen (v. a. Milderung der schnellen Industrialisierung und der auf Gewalt begründeten Kollektivierung) durch; der polit. Terror ließ nach. Nagy scheiterte 1955 jedoch am Widerstand der dogmat. Kräfte um Rákosi, der 1956 durch den ebenfalls dogmat. Stalinisten E. Gerős als Gen.-Sekr. abgelöst wurde. Dessen starrer Haltung ist es hauptsächlich mit zuzuschreiben, dass es am 23. 10. 1956 zum ungarischen Volksaufstand kam; Nagy bildete eine Koalitionsreg. und kündigte den Austritt aus dem Warschauer Pakt an. Am 4. 11. 1956 bildete J. Kádár eine Gegenreg. und ließ den Volksaufstand von sowjet. Truppen blutig niederschlagen sowie die am Aufstand Beteiligten hart verfolgen; fast 200 000 Ungarn flüchteten ins westl. Ausland.
Als Erster ZK-Sekretär der neuen USAP konnte Kádár (bis 1958 und 1961-68 auch MinPräs.) unter gewaltsamer Ausschaltung der Parteiopposition unter Nagy (mit P. Maléter u. a. 1958 hingerichtet) sowie der Konservativen um J. Révai das polit. und ökonom. System konsolidieren. Nach einer in der Folgezeit wieder eindeutig prosowjet. Politik begannen Anfang der 60er-Jahre schrittweise Korrekturen hin zu einem selbstständigen Sozialismusmodell, welche relativ schnell zu sozialen Verbesserungen, einem Wirtschaftsaufschwung sowie einer gewissen Liberalisierung führten (»Gulaschkommunismus«; bes. ab 1978 intensiviert). Die schon vor Beginn der sowjet. Politik von Glasnost und Perestroika einsetzenden reformkommunist. Bestrebungen, die dann durch diese eine Verstärkung erfuhren, schlugen ab 1987 in eine umfassende Liberalisierung um (u. a. Mai 1988 Entmachtung Kádárs), die den Übergang zum polit. Pluralismus (Okt. 1989 gesetzlich verankert) und zur Marktwirtschaft vorbereitete. Das neue demokrat. Ungarn (seit 1989/90): Schon am 27. 9. 1987 war das Ungar. Demokrat. Forum (MDF) gegr. worden. Weitere Parteien entstanden 1988/89, u. a. der Bund Freier Demokraten (SzDSz), die Partei der Kleinen Landwirte, Landarbeiter und Bürger (FKgP, wieder gegr.) und die Christlich-Demokrat. Volkspartei (KDNP). Der am 2. 5. 1989 begonnene Abbau der Sperranlagen an der österr.-ungar. Grenze führte ab Sommer 1989 (erster Höhepunkt: Sopron) zu einer in ihrem Ausmaß nicht vorhergesehenen Flüchtlingswelle v. a. jüngerer DDR-Bürger, da Außenmin. G. Horn diesen am 11. 9. 1989 die Grenze zur freien Ausreise öffnen ließ; die damit verbundenen schweren polit. Erschütterungen beschleunigten den tief greifenden gesellschaftl. Umbruch in der DDR und ganz Osteuropa. Im Ergebnis der Selbstauflösung der USAP (7./8. 10. 1989) entstand u. a. die (sozialdemokrat.) Ungar. Sozialist. Partei (MSzP bzw. USP). Am 23. 10. 1989 änderte das Parlament den Staatsnamen in Republik U.; am 10. 3. 1990 wurde der vollständige Abzug der sowjet. Truppen bis Ende Juni 1991 vereinbart (bis 17. 6. 1991 realisiert). Die ersten freien Wahlen seit 1947 (25. 3. bzw. 8. 4. 1990) gewann das MDF; MinPräs. einer Koalitionsreg. von MDF, FKgP und KDNP wurde J. Antall (MDF; ✝ 1993). Am 2. 3. 1990 wählte das Parlament Á. Göncz (SzDSz) zum Parlamentspräs., am 3. 8. 1990 zum Staatspräs. (wieder gewählt 1995). Durch Grundlagenverträge, die die Rechte ethn. Minderheiten regeln, suchte U. das Verhältnis zur Ukraine (1993), zur Slowak. Rep. (1994) und zu Rumänien (1996) zu bessern. Im Febr. 1994 trat U. dem NATO-Programm »Partnerschaft für den Frieden« bei. Nach den Wahlen vom Mai 1994 bildete MinPräs. G. Horn eine Koalitionsreg. aus MSzP und SzDSz; die Wahlen im Mai 1998 gewann die bürgerl.-liberale FIDESz-MPP, die mit V. Orbán (* 1963) den neuen MinPräs. stellt. Im März 1999 wurde U. Mitgl. der NATO.
Literatur:
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II Ụngarn,
Volk in SO-Europa, Magyaren.
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