Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
türkische Literatur
tụ̈rkische Literatur,i. e. S. die Literatur der Türken Anatoliens und der europ. Türkei in vorosman., osman. und nachosman. Zeit. Die altanatolisch-türk. Periode (13.-15. Jh.) umfasst sowohl das an den Höfen der türk. Kleinfürstentümer Anatoliens entstandene rumseldschuk. Schrifttum als auch die altosman. Literatur. Die ersten bedeutenden Vertreter der sufischen Derwischdichtung waren Sultan Veled und der volkstüml. Mystiker Junus Emre. Schulebildend wirkte auch Nesimi, der zugleich der frühaserbaidschan. Literatur angehört. Ein wichtiges Zeugnis der Volksdichtung ist der ogus. Epenzyklus des Dede Korkut. Ein bekannter Vertreter der Volkspoesie war Kaygusuz Abdal. Für die klassisch-osman. Hochliteratur (etwa ab 1453) waren in einem noch stärkeren Maße pers. Vorbilder maßgeblich. Zu den führenden Dichtern zählen im 15. Jh. Ahmed Pascha, im 16. Jh. Baki, Fuzuli, Lamii und Jachja Bej, im 17. Jh. der Satiriker Nefi und Sabit, im 18. Jh. A. Nedim sowie Scheich Ghalib. Volksschauspielgattungen waren das komisch-satir. Schattenspiel (Karagöz), das Puppenspiel und das »orta oyunu« (eine Art Schauspielertheater ohne Bühne). Im 19. Jh. setzte sich europ., v. a. frz. Einfluss immer mehr durch, bes. in der Publizistik und Bühnendichtung des Ibrahim Schinasi und bei dem ersten bed. Vertreter patriot. Dichtung, M. Namyk Kemal. Nach 1908 dominierten die vom »Türkismus« des Ziya Gök Alp beeinflussten national und sprachpuristisch orientierten Autoren. Einer der bedeutendsten Erzähler der nat. Literatur war R. H. Karay. Die junge Literatur der republikan. Zeit war stark patriotisch geprägt. Nach der Schriftreform (Ersetzung der arab. Schrift durch die Lateinschrift 1928) und den Sprachreformen erfolgte eine Vitalisierung des literar. Lebens. Die Prosa, meist in Form von Kurzgeschichten und Kurzromanen, gewann an Eigenständigkeit durch Autoren wie H. E. Adɪvar, Reşat Nuri Güntekin und Y. K. Karaosmanoğlu, die u. a. den nat. Freiheitskampf schilderten. Ein früherer Vertreter der sozial engagierten Richtung war der Novellist Sadri Ertem. Einflussreich waren Sabahattin Alis Bilder aus dem anatol. Provinzleben und S. F. Abasɪyanɪks impressionist. Skizzen aus Istanbul. A. Nesin spiegelt in seiner satir. Prosa die vielfach widersprüchl. gesellschaftl. Verhältnisse der modernen Türkei. Die von Mahmut Makal eingeleitete und mehrere Jahrzehnte dominierende »Dorfliteratur« behandelt gesellschaftliche Probleme aus der Sicht der Landbevölkerung Anatoliens (Kemal Tahir, F. Baykurt, Kemal Bilbaşar, S. Kocagöz); ihr bedeutendster Vertreter ist Yaşar Kemal. O. Kemal beschrieb soziale Folgen von Urbanisierung und Slumbildung. Von Kemal Tahir stammt eine Reihe krit. Romane zum histor. Hintergrund der modernen Türkei. Eine bed. moderne Theaterdichtung entstand erst in der republikan. Zeit. In bewusstem Gegensatz zum entstandenen Neoklassizismus und Ästhetizismus führte Nazɪm Hikmet den freien Vers und die Volkssprache in die Poesie ein. Dieser zu Lebzeiten in der Türkei als Marxist politisch verfolgte Autor hat der modernen türk. Dichtung Weltgeltung verschafft. Der bekannteste moderne Vertreter der alten Volkssängertradition ist Âşɪk Veysel Şatɪroğlu. Auf die politisch engagierte Literatur der 60er- und 70er-Jahre folgte schon einige Jahre vor dem Militärputsch von 1980 eine Reaktion, die u. a. Pluralismus und größere Offenheit für internat. Strömungen förderte. Zu den führenden Prosaautoren und -autorinnen gehören z. B. B. Adalet Ağaoğlu, N. Meriç, T. Yücel, Füruzan (Selçuk), S. Soysal, F. Edgü und S. İleri. Bes. bekannt wurden die Romane O. Pamuks, mit denen die t. L. in die Postmoderne eintritt.Seit Ende der 60er-Jahre entwickelt sich eine t. L. auch in Westeuropa, bes. in Dtl., die sich z. T. mit der Situation der Arbeitsmigration auseinander setzt. Bed. Vertreter sind der Lyriker und Erzähler A. Ören, der Lyriker und Essayist Y. Pazarkaya und (seit 1979) F. Baykurt. Einige deutschlandtürk. Autoren (z. B. Ören, Pazarkaya, S. Dikmen) und Autorinnen (u. a. Emine Sevgi Özdamar) schreiben auch in dt. Sprache.
▣ Literatur:
Gibb, E. J.: A history of Ottoman poetry, 6 Bde. London 1900-09, Nachdr. ebd. 1958-67.
⃟ Spies, O.: Die türk. Prosaliteratur der Gegenwart. Leipzig 1943.
⃟ Spuler, C.-U.: Das Türk. Drama der Gegenwart. Eine literarhistor. Studie. Leiden 1968.
⃟ Öztürk, A. O.: Das türk. Volkslied als sprachl. Kunstwerk. Bern u. a. 1994.
⃟ T. L. in dt. Sprache. Eine Bibliographie, mit Beiträgen v. T. Demir u. a. Wuppertal 1995.
▣ Literatur:
Gibb, E. J.: A history of Ottoman poetry, 6 Bde. London 1900-09, Nachdr. ebd. 1958-67.
⃟ Spies, O.: Die türk. Prosaliteratur der Gegenwart. Leipzig 1943.
⃟ Spuler, C.-U.: Das Türk. Drama der Gegenwart. Eine literarhistor. Studie. Leiden 1968.
⃟ Öztürk, A. O.: Das türk. Volkslied als sprachl. Kunstwerk. Bern u. a. 1994.
⃟ T. L. in dt. Sprache. Eine Bibliographie, mit Beiträgen v. T. Demir u. a. Wuppertal 1995.