Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Türkenkriege
Tụ̈rkenkriege,die Kriege europäisch christl. Staaten gegen das in SO-Europa eingedrungene und nach W ausgreifende islam. Osman. Reich. Neben Österreich, das sich im 1526 ererbten Königreich Ungarn behaupten musste, führten Venedig, Polen und v. a. Russland, das seit dem 18. Jh. den Zugang zum Schwarzen Meer und später die Kontrolle über die Meerengen anstrebte, Kriege gegen die Hohe Pforte. - Die T. trugen anfänglich den Charakter von Kreuzzügen, dann traten polit. Motive in den Vordergrund. Erschwert wurde der Kampf gegen die Türken durch deren Bündnisse mit Frankreich, das seine expansive Politik durch die militär. Bindung Österreichs im O stützen wollte.
Anfänge: Nachdem die Osmanen 1354 mit einem Stützpunkt auf der Halbinsel Gallipoli (heute Gelibolu) erstmals Europa bedrohten, konnte die osman. Expansion auf dem Balkan nicht mehr aufgehalten werden, trotz Abwehrversuche der Serben und ihrer Verbündeten an der Maritza (1371) und auf dem Amselfeld (»Vidovdan«, 1389). Ein Kreuzfahrerheer wurde bei Nikopolis geschlagen (1396), ein weiteres bei Warna (1444), gefolgt von der Niederlage des ungar. Reichsverwesers J. Hunyadi auf dem Amselfeld (1448). Die Eroberung Konstantinopels durch Mehmed II. (1453) gab dem Osman. Reich ein neues Zentrum.Die türkisch-venezianischen Kriege: Das Interesse Venedigs als der führenden Seemacht im östl. Mittelmeer galt v. a. der Wahrung seiner Handelsprivilegien im Osman. Reich. In einer Vielzahl von Kriegen (1423-30, 1463-79, 1499-1503, 1537-40, 1570/71, 1645-69, 1683-99, 1714-18) konnten auch die Venezianer die weitere osman. Expansion nicht verhindern. Lediglich Zypern brachten sie 1489-1570/71 unter ihre Herrschaft; im Frieden von Karlowitz (1699) konnten sie früher Verlorenes zurückgewinnen. Der Sieg von Lepanto (1571), an dem die venezian. Flotte beteiligt war, blieb u. a. wegen des Separatfriedens Venedigs mit der Hohen Pforte 1573 ungenutzt. Nach dem Verlust ihrer letzten Stützpunkte auf Kreta und der Peloponnes im Frieden von Passarowitz (1718) spielte Venedig in den T. keine Rolle mehr.Die Türkenkriege der Habsburger: Unter Sultan Süleiman II. drangen die Türken erfolgreich nach SO-Europa vor (u. a. Eroberung Belgrads 1521, Schlacht bei Mohács 1526, 1. Belagerung Wiens 1529, Eroberung von Ofen 1541; Siebenbürgen wurde osman. Vasall); die Habsburger richteten zur Abwehr die Militärgrenze ein. Mit osman. Hilfe befreiten sich die Ungarn unter I. Thököly von der habsburg. Herrschaft (1678-80/82). Mit dem Großen Türkenkrieg (1683-99) der von Papst Innozenz XI. initiierten Hl. Liga von 1684 (Österreich/Hl. Röm. Reich, Polen, Venedig, Papst) begann die Vertreibung der Osmanen aus Europa: Großwesir Kara Mustafa belagerte ab dem 14. 7. 1683 Wien, bis das Entsatzheer unter Herzog Karl V. Leopold von Lothringen und dem poln. König Johann III. Sobieski am 12. 9. 1683 die Schlacht am Kahlenberg gewann und Wien befreite. Prinz Eugen von Savoyen siegte am 11. 9. 1697 bei Zenta (Senta) über Sultan Mustafa II. Im Frieden von Karlowitz (26. 1. 1699) musste die Türkei an Österreich ganz Ungarn (außer dem Banat von Temesvar) und Siebenbürgen, an Venedig das 1685-87 von ihm eroberte Morea (Peloponnes), an Polen Podolien abtreten. Erneut siegte Prinz Eugen bei Petrovaradin (5. 8. 1716) und Belgrad (16. 8. 1717). Die Türkei trat im Frieden von Passarowitz (21. 7. 1718) das Banat, die nördl. Teile Bosniens und Serbiens (mit Belgrad) und die Kleine Walachei an Österreich ab; Venedig erhielt anstelle der Peloponnes dalmatin. und alban. Küstenplätze. Kaiser Karl VI. verlor im Frieden von Belgrad (18. 9. 1739) alle Erwerbungen von 1718 außer dem Banat; bis auf die Abtretung der Bukowina (1775) blieb die Grenze zw. Österreich und dem Osman. Reich bis 1878 (Berliner Kongress) stabil.Die Türkenkriege Russlands: Der Russisch-Türk. Krieg 1710/11 führte zur Einschließung Peters I., d. Gr., am Pruth; im Frieden am Pruth (12. 7. 1711) konnte er sich u. a. durch die Rückgabe Asows (am 28. 7. 1696 eingenommen, 1702 erworben) freikaufen. Durch die beiden siegreichen T. der Kaiserin Katharina II. (1768-74, beendet durch den Frieden von Küçük Kaynarcɪ 21. 7. 1774; 1787-92, Friedensschluss von Jassy am 9. 1. 1792) kam das gesamte Nordufer des Schwarzen Meers in russ. Besitz; Russland hatte am 5. 7. 1770 bei Çeşme die türk. Flotte vernichtet, und A. W. Suworow erfocht 1789/90 mehrere Siege an der Moldau. Der Russisch-Türk. Krieg 1806-12 endete mit der Abtretung Bessarabiens und der östl. Moldau an Russland (28. 5. 1812). Nach dem Russisch-Türk. Krieg 1828/29 erhielt Russland die Ostküste des Schwarzen Meers, ferner die Inseln an der Donaumündung, die Schutzherrschaft über die Donaufürstentümer Moldau und Walachei sowie freie Durchfahrt durch die Dardanellen (Frieden von Adrianopel, 14. 8. 1829). Griechenland wurde unabhängig. Nach dem Krimkrieg 1853-56 musste Russland die Schutzherrschaft über die Donaufürstentümer aufgeben (Pariser Frieden, 30. 3. 1856). Der Russisch-Türk. Krieg 1877/78 endete mit dem Berliner Kongress. (Balkankriege)
▣ Literatur:
Eickhoff, E.: Venedig, Wien u. die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645-1700. Stuttgart 21992.
⃟ Niederkorn, J. P.: Die europ. Mächte u. der »Lange Türkenkrieg« Kaiser Rudolfs II. (1593-1606). Wien 1993.
Anfänge: Nachdem die Osmanen 1354 mit einem Stützpunkt auf der Halbinsel Gallipoli (heute Gelibolu) erstmals Europa bedrohten, konnte die osman. Expansion auf dem Balkan nicht mehr aufgehalten werden, trotz Abwehrversuche der Serben und ihrer Verbündeten an der Maritza (1371) und auf dem Amselfeld (»Vidovdan«, 1389). Ein Kreuzfahrerheer wurde bei Nikopolis geschlagen (1396), ein weiteres bei Warna (1444), gefolgt von der Niederlage des ungar. Reichsverwesers J. Hunyadi auf dem Amselfeld (1448). Die Eroberung Konstantinopels durch Mehmed II. (1453) gab dem Osman. Reich ein neues Zentrum.Die türkisch-venezianischen Kriege: Das Interesse Venedigs als der führenden Seemacht im östl. Mittelmeer galt v. a. der Wahrung seiner Handelsprivilegien im Osman. Reich. In einer Vielzahl von Kriegen (1423-30, 1463-79, 1499-1503, 1537-40, 1570/71, 1645-69, 1683-99, 1714-18) konnten auch die Venezianer die weitere osman. Expansion nicht verhindern. Lediglich Zypern brachten sie 1489-1570/71 unter ihre Herrschaft; im Frieden von Karlowitz (1699) konnten sie früher Verlorenes zurückgewinnen. Der Sieg von Lepanto (1571), an dem die venezian. Flotte beteiligt war, blieb u. a. wegen des Separatfriedens Venedigs mit der Hohen Pforte 1573 ungenutzt. Nach dem Verlust ihrer letzten Stützpunkte auf Kreta und der Peloponnes im Frieden von Passarowitz (1718) spielte Venedig in den T. keine Rolle mehr.Die Türkenkriege der Habsburger: Unter Sultan Süleiman II. drangen die Türken erfolgreich nach SO-Europa vor (u. a. Eroberung Belgrads 1521, Schlacht bei Mohács 1526, 1. Belagerung Wiens 1529, Eroberung von Ofen 1541; Siebenbürgen wurde osman. Vasall); die Habsburger richteten zur Abwehr die Militärgrenze ein. Mit osman. Hilfe befreiten sich die Ungarn unter I. Thököly von der habsburg. Herrschaft (1678-80/82). Mit dem Großen Türkenkrieg (1683-99) der von Papst Innozenz XI. initiierten Hl. Liga von 1684 (Österreich/Hl. Röm. Reich, Polen, Venedig, Papst) begann die Vertreibung der Osmanen aus Europa: Großwesir Kara Mustafa belagerte ab dem 14. 7. 1683 Wien, bis das Entsatzheer unter Herzog Karl V. Leopold von Lothringen und dem poln. König Johann III. Sobieski am 12. 9. 1683 die Schlacht am Kahlenberg gewann und Wien befreite. Prinz Eugen von Savoyen siegte am 11. 9. 1697 bei Zenta (Senta) über Sultan Mustafa II. Im Frieden von Karlowitz (26. 1. 1699) musste die Türkei an Österreich ganz Ungarn (außer dem Banat von Temesvar) und Siebenbürgen, an Venedig das 1685-87 von ihm eroberte Morea (Peloponnes), an Polen Podolien abtreten. Erneut siegte Prinz Eugen bei Petrovaradin (5. 8. 1716) und Belgrad (16. 8. 1717). Die Türkei trat im Frieden von Passarowitz (21. 7. 1718) das Banat, die nördl. Teile Bosniens und Serbiens (mit Belgrad) und die Kleine Walachei an Österreich ab; Venedig erhielt anstelle der Peloponnes dalmatin. und alban. Küstenplätze. Kaiser Karl VI. verlor im Frieden von Belgrad (18. 9. 1739) alle Erwerbungen von 1718 außer dem Banat; bis auf die Abtretung der Bukowina (1775) blieb die Grenze zw. Österreich und dem Osman. Reich bis 1878 (Berliner Kongress) stabil.Die Türkenkriege Russlands: Der Russisch-Türk. Krieg 1710/11 führte zur Einschließung Peters I., d. Gr., am Pruth; im Frieden am Pruth (12. 7. 1711) konnte er sich u. a. durch die Rückgabe Asows (am 28. 7. 1696 eingenommen, 1702 erworben) freikaufen. Durch die beiden siegreichen T. der Kaiserin Katharina II. (1768-74, beendet durch den Frieden von Küçük Kaynarcɪ 21. 7. 1774; 1787-92, Friedensschluss von Jassy am 9. 1. 1792) kam das gesamte Nordufer des Schwarzen Meers in russ. Besitz; Russland hatte am 5. 7. 1770 bei Çeşme die türk. Flotte vernichtet, und A. W. Suworow erfocht 1789/90 mehrere Siege an der Moldau. Der Russisch-Türk. Krieg 1806-12 endete mit der Abtretung Bessarabiens und der östl. Moldau an Russland (28. 5. 1812). Nach dem Russisch-Türk. Krieg 1828/29 erhielt Russland die Ostküste des Schwarzen Meers, ferner die Inseln an der Donaumündung, die Schutzherrschaft über die Donaufürstentümer Moldau und Walachei sowie freie Durchfahrt durch die Dardanellen (Frieden von Adrianopel, 14. 8. 1829). Griechenland wurde unabhängig. Nach dem Krimkrieg 1853-56 musste Russland die Schutzherrschaft über die Donaufürstentümer aufgeben (Pariser Frieden, 30. 3. 1856). Der Russisch-Türk. Krieg 1877/78 endete mit dem Berliner Kongress. (Balkankriege)
▣ Literatur:
Eickhoff, E.: Venedig, Wien u. die Osmanen. Umbruch in Südosteuropa 1645-1700. Stuttgart 21992.
⃟ Niederkorn, J. P.: Die europ. Mächte u. der »Lange Türkenkrieg« Kaiser Rudolfs II. (1593-1606). Wien 1993.