Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Turnen
Turnen, von F. L. Jahn um 1810 geprägte Bez. für alle Leibesübungen. Ein seit der 2. Hälfte des 19. Jh. eng gefasster Begriff des T. als Geräte-T. in der Halle an den seit Jahn weiterentwickelten Geräten wie Reck, Barren, Pferd u. a. lässt sich abheben von der weit gefassten Verwendung im Dt. Turner-Bund zur Bez. aller dort ausgeübten Arten des T. wie Geräte-T., Gymnastik, Turnspiele, Fechten, Schwimmen u. a.
Die modernen, aus der Tradition der Turnerschaft herkommenden Großvereine bieten zunehmend eine Vielzahl von Sportarten und propagieren verstärkt ein »Jedermann-T.«, das nicht mehr einzelnen Sportarten zugerechnet werden kann (Breitensport). Das heutige T. i. e. S. umfasst das Kunstturnen (bestehend aus Boden- und Geräte-T.), Hindernis-T. (Verwendung der Geräte als Hindernisse) und allgemeines T. (Anwendung spezieller Übungsformen zur Verhinderung von Haltungsfehlern und -schäden).
Organisationen: T. wird in Dtl. durch den Dt. Turner-Bund (DTB; gegr. 1950 in Tübingen, Sitz: Frankfurt am Main) organisiert. In Österreich besteht der Österr. Fachverband für T. (ÖFT; gegr. 1946, Sitz: Wien) und in der Schweiz v. a. der Schweizer. Turnverband (STV; gegr. 1832, Sitz: Aarau), urspr. als Eidgenöss. Turnverein (ETV) geführt und 1985 mit dem Schweizer. Frauenturnverband (SFTV, gegr. 1908) fusioniert. Weltdachverband ist die Fédération Internationale de Gymnastique (FIG; gegr. 1881, Sitz: Moutier), europ. Dachorganisation die Union Européenne de Gymnastique (UEG; gegr. 1982, Sitz: Lausanne).
Geschichte: Die Turnbewegung entstand Anfang des 19. Jh., v. a. durch das Wirken von F. L. Jahn, der an die Bestrebungen von J. B. Basedow, J. C. F. GutsMuths u. a. anknüpfte. Nach Jahn sollte das T. Körper und Charakter bilden und damit auch die Wehrhaftigkeit des dt. Volkes stärken. In der Zeit der napoleon. Herrschaft gewann das T. somit einen polit. Aspekt; es sollte Angelegenheit des ganzen Volkes werden und Standesunterschiede sowie Kleinstaaterei in Dtl. überwinden. 1816 wurde als weltweit erster Turnverein die Hamburger Turnerschaft gegründet; 1819 entstand der erste Turnverein in der Schweiz. Die dt. Turnbewegung wurde als Teil der nat. und liberalen Bewegung und wegen ihrer engen Verbindung mit den Burschenschaften nach der Ermordung A. von Kotzebues 1818 verfolgt, das öffentl. T. verboten. Bes. streng ging Preußen vor: 1819 wurden die öffentl. Turnanstalten geschlossen, 1820 das T. durch die »Turnsperre« überhaupt verboten; Jahn wurde verhaftet bzw. unter Polizeiaufsicht gestellt. Nach Aufhebung des Verbots (1842) erlebte die Turnbewegung einen raschen Aufschwung und wurde Mitträgerin der liberalen Kräfte und der Revolution von 1848. Im Zeichen der nat. Einigung standen seit 1860 (Coburg) die Dt. Turnfeste, ehe die Turnbewegung, die sich 1868 in der Dt. Turnerschaft (DT) vereinigte, nach der Reichsgründung einen mehr konservativen Charakter annahm. Im Rahmen der Arbeiterbewegung (bes. zur Zeit der Geltung des Sozialistengesetzes) bildete sich ein eigenes Turnwesen heraus, 1893 wurde ein Arbeiter-Turner-Bund gegründet. 1933-45 war die Dt. Turnerschaft nach ihrer Auflösung als Fachamt I (zuständig für Geräte-T., Sommerspiele und Gymnastik) in den Nat.-soz. Reichsbund für Leibesübungen eingegliedert. - In der Bundesrepublik Dtl. wurde 1950 der Dt. Turner-Bund (DTB) gegründet, während in der DDR 1958 der Dt. Turn-Verband der DDR (DTV der DDR) gebildet wurde (hervorgegangen aus der Sektion Gymnastik und T. im Staatl. Komitee für Körperkultur und Sport).
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