Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Tunesien
Tunesi|en Fläche: 163 610 km2
Einwohner: (1995) 8,896 Mio.
Hauptstadt: Tunis
Verwaltungsgliederung: 23 Gouvernorate
Amtssprache: Arabisch
Nationalfeiertag: 20. 3.
Währung: 1 Tunesischer Dinar (tD) = 1 000 Millimes
Zeitzone: MEZ
(amtlich arab. Al-Djumhurijja at-Tunisijja), Staat in N-Afrika, grenzt im N und NO an das Mittelmeer, im SO an Libyen, im SW und W an Algerien.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1959 (mehrfach, zuletzt 1997, geändert) ist T. eine präsidiale Republik. Staatsoberhaupt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte und oberster Inhaber der Exekutive ist der auf fünf Jahre direkt gewählte Präs. (zweimalige Wiederwahl möglich). Er ernennt und entlässt die Reg. unter Vorsitz des MinPräs. und hat Vetorecht im Gesetzgebungsverfahren. Die Legislative liegt bei der Nationalversammlung (163 Abg., auf fünf Jahre gewählt). Neben der staatstragenden Konstitutionellen Demokrat. Sammlung (RCD) existieren zahlr. legale Oppositionsparteien. Unter den nicht zugelassenen Parteien gewann v. a. die Partei der Wiedergeburt (En-Nadha), eine fundamentalist. islam. Partei, an Bedeutung.
Landesnatur: T. erstreckt sich vom Mittelmeer bis in die Sahara. Die über 1 000 km lange Küste, im N meist steil, im O lagunenreich, ist durch die Golfe von Tunis, Hammamet und Gabès gegliedert, mit vorgelagerten flachen Inseln (Djerba, Kerkennainseln). Im N vorherrschend Bergland, gebildet von den Ausläufern des Tell- und Saharaatlas. Südlich der Gebirgszone erstrecken sich die zentraltunes. Steppenlandschaften sowie die Salztonebenen und Salzseen des Schott. Der wüstenhafte S besteht aus den Dünengebieten des Östl. Großen Erg; nach SO hat T. Anteil an der Küstenebene Djeffara. Klimatisch reicht T. vom mediterranen Klima mit Winterregen (im Bergland bis über 1 500 mm; vereinzelt noch Hartlaubwälder) im N bis zum Wüstenklima mit nur episod. Niederschlägen im S.
Bevölkerung: Rd. 98 % der Bev. sind Araber und arabisierte Berber, 1-2 % Berber mit eigenen Dialekten. 70 % leben im N des Landes und im östl. Küstengebiet, über 50 % in Städten; größte Bev.dichte im Raum Tunis. - Allg. Schulpflicht besteht vom 7. bis 14. Lebensjahr; die Einschulungsquote liegt bei etwa 95 %; Univ. in Tunis, Sfax und Sousse. - Der Islam ist Staatsreligion, zu dem sich rd. 99 % der Bev. bekennen.
Wirtschaft, Verkehr: Die wichtigsten Bereiche sind Erdöl- und Phosphatförderung, Landwirtschaft, Tourismus und verarbeitende Ind. Rd. 50 % der Landesfläche werden landwirtsch. genutzt, davon 12 % über Stauwerke bewässert, bes. am Medjerda. Hauptanbaugebiete sind der fruchtbare N (Getreide, Zitrusfrüchte u. a. Obst, Gemüse, auch Wein; Rinderzucht) und die Zentralregion (Getreide, Oliven, Datteln; Schafweiden); im S nur in Oasen Anbau, sonst Weidewirtschaft (Ziegen). Es gibt kaum noch geschlossene Waldgebiete; Aufforstung wird betrieben; Gewinnung von Alfagras (für Papier- und Zellstoffind.) und Kork. Küstenfischerei, bes. um Sfax. - Von den reichen Bodenschätzen werden abgebaut: Phosphate, Erdgas und Erdöl (z. T. im Offshorebereich), ferner Eisen-, Blei- und Zinkerz. Wichtigste Ind.zweige sind die Textil-, Leder-, Elektroind., ferner Nahrungsmittel-, chem. Ind., Erdölraffinerie, Eisen- und Stahlverarbeitung, Kfz-Montagewerk. Der Fremdenverkehr (v. a. an den Küsten und auf der Insel Djerba) ist ein bed. Devisenbringer. Exportiert werden Phosphate, Erdöl, Olivenöl, Zitrusfrüchte, Wein, Textilien und Lederwaren; Haupthandelspartner sind Frankreich, Italien, Dtl. - Das Eisenbahnnetz ist 2 260 km lang, das Straßennetz über 29 000 km, davon etwa 17 000 km asphaltiert. Wichtigste Häfen sind Tunis-La Goulette, Sfax, Biserta, Sousse, La Skhirra und Gabès; internat. Flughäfen: Tunis, Djerba, Monastir, Sfax, Tozeur.
Geschichte: Um 1100 v. Chr.1100 v. Chr. kolonisierten Phöniker das von Berbern bewohnte Gebiet des heutigen T. Ihre Nachfolger gründeten 814 Karthago. Nach dessen Zerstörung (146 v. Chr.) im 3. Pun. Krieg wurde das Gebiet Teil der röm. Provinz Africa. Nach 439 wurde es Mittelpunkt des Reichs der Wandalen und stand ab 533 unter byzantin. Herrschaft. Im 7. Jh. eroberten die Araber das Land und gründeten Kairouan als Provinz-Hptst. des Kalifenreichs. Vom 10. bis 16. Jh. stand T. unter der Herrschaft eigener islam. Dynastien (u. a. Fatimiden, Almohaden, Hafsiden), unter denen es allmählich als wiss. und polit. Zentrum größere Bedeutung gewann. 1574 eroberten die Osmanen endgültig das Land, das nunmehr von Paschas, Deis und schließlich von Beis (1705-1957 aus der Dynastie der Husainiden) in Vertretung des Sultans verwaltet wurde. Seit der Eroberung Algeriens durch Frankreich (1830) wuchs der frz. Einfluss in T., das im Bardo-Vertrag 1881 frz. Protektorat wurde. 1920 schloss sich die einheim. Führungsschicht in der Destur-Partei zusammen, die die Unabhängigkeit erstrebte. Ihr zu Kompromissen nicht bereiter Flügel spaltete sich 1934 als Neo-Destur-Partei unter der Führung von H. Bourguiba ab. Nach Streiks, blutigen Unruhen und Verhandlungen über die innere Autonomie erkannte Frankreich 1956 die Unabhängigkeit T. an; Bourguiba wurde zum MinPräs. gewählt. 1957 erklärte das Parlament T. zur Rep. und wählte Bourguiba zum Staatspräs. (1975 auf Lebenszeit). 1964 wurden die Destur-Partei und die Neo-Destur-Partei in der Einheitspartei Sozialist. Destur-Partei (PSD) neu organisiert. Die vorsichtige innenpolit. Liberalisierung seit 1980 führte zur Zulassung weiterer polit. Gruppierungen bei den Parlamentswahlen 1981. Die Wahlen 1986 wurden von der Opposition boykottiert. Nachdem Bourguiba Amtsunfähigkeit bescheinigt worden war, wurde er 1987 durch MinPräs. Ben Ali entmachtet, der das Amt des Staatspräs. übernahm. Ein 1988 verabschiedetes Parteiengesetz institutionalisierte zwar das Mehrparteiensystem, wird aber wegen des darin festgeschriebenen Vorrangs für die Reg.partei RCD, der früheren PSD, und der restriktiven Bestimmungen von der Opposition abgelehnt. Die (umstrittenen) Wahlen 1989 gewann die RCD. Bei den Präsidentschaftswahlen 1994 wurde Präs. Ben Ali im Amt bestätigt. Bei den gleichzeitigen Parlamentswahlen gewann die RCD alle Sitze, doch erhielten erstmals aufgrund einer zuvorigen Wahlrechtsreform die sechs Oppositionsparteien ihrem jeweiligen Stimmenanteil entsprechend 19 Sitze im Parlament. Einem Erstarken der islamist. Gruppen suchte die Reg. mit dem Ausbau der sozialen Versorgung, Förderung der Bildung sowie dem Abbau der hohen Arbeitslosigkeit zu begegnen. Entgegen den Ankündigungen von Staatspräs. Ben Ali, 1997 demokrat. Reformen einzuleiten, kam es zu verschärfter Verfolgung und Behinderung oppositioneller Kräfte.
Literatur:
Fushöller, D.: T. u. Ostalgerien in der Römerzeit. Bonn 1979.
Adeli, A. H.: Die sozio-kulturellen u. religiös-polit. Auswirkungen der Re-Islamisierung in den Maghrebstaaten Algerien u. T. seit der Islamischen Revolution von 1979 im Iran. Engelsbach u. a. 1994.
T. Landschaft, Kultur, Geschichte, Beiträge v. F. Mellah u. a. Stuttgart u. a. 1994.
Perkins, K. J.: Historical dictionary of Tunisia. Lanham, Md., u. a. 21997.
Murphy, E. C.: Economic and political change in Tunisia. From Bourguiba to Ben Ali. New York u. a. 1999.
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