Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Tolstoi
Tolstoi,russ. Adelsfamilie, Grafen seit 1724:
1) Alexei Konstantinowitsch Graf, russ. Schriftsteller, * Sankt Petersburg 5. 9. 1817, ✝ Krasny Rog (Gebiet Brjansk) 10. 10. 1875, Vetter von 3); Vertreter des L'art pour l'art, schrieb histor. Gedichte, Versepen, den histor. Roman »Fürst Serebräny« (1863), die dramat. Trilogie »Der Tod Iwans des Schrecklichen« (1866) u. a.; veröffentlichte auch unter dem kollektiven Pseudonym Kosma Prutkow.
2) Alexei Nikolajewitsch Graf, russ. Schriftsteller, * Nikolajewsk (Gebiet Saratow) 10. 1. 1883, ✝ Moskau 23. 2. 1945; Großvater von T. N. Tolstaja; schrieb in der Emigration (1918-23) die autobiograph. Erzählung »Nikitas Kindheit« (1922). Die Trilogie »Der Leidensweg« (1920-41) behandelt das Schicksal russ. Intellektueller der Vorkriegs-, Kriegs- und Revolutionszeit und mündet in die Anerkennung des Bolschewismus. Sein Hauptwerk ist der histor. Roman »Peter I.« (3 Bücher, 1929-45, unvollendet). T.s bedeutendstes Drama »Iwan der Vierte« (2 Tle., 1941-43) weicht stark von der histor. Wirklichkeit ab.
3) Lew (Leo) Nikolajewitsch Graf, russ. Schriftsteller, * Jasnaja Poljana (bei Tula) 9. 9. 1828, ✝ Astapowo (Gebiet Lipezk) 20. 11. 1910, Vetter von 1); lebte teils als Gutsbesitzer in Jasnaja Poljana, teils in Moskau und Sankt Petersburg; 1860/61 bereiste er W-Europa; 1862 Heirat mit Sofia Andrejewna Bers (* 1844, ✝ 1919); hatte ersten Erfolg mit der autobiograph. Erzählung »Kindheit« (1852; Fortsetzungen »Knabenalter«, 1854, »Jugendzeit«, 1857; zus. u. d. T. »Aus meinem Leben«). Seine Erlebnisse während des Krimkrieges spiegeln die »Sewastopoler Erzählungen« (3 Erz., 1855/56) wider. T. war ein typ. Vertreter des psycholog. Realismus, Meister einer präzisen und anschaul. Kunst der Naturschilderung (»Die Kosaken«, 1863); er gilt mit dem groß angelegten histor. und geschichtsphilosoph. Roman »Krieg und Frieden« (6 Bde., 1868/69, über das Schicksal dreier Familien vor dem Hintergrund der Napoleon. Kriege) und mit dem Eheroman »Anna Karenina« (3 Bde., 1878) als einer der großen realist. Erzähler des 19. Jh. Seit seiner »Bekehrung« (»Meine Beichte«, 1884) suchte er seine religiösen und sozialen Anschauungen auch in theoret. Schriften auszudrücken. T.s Lehre der Gewaltlosigkeit ist ein Ergebnis des Versuchs, ein reines Urchristentum zu rekonstruieren. Durch die Idealisierung des naturnahen Lebens und des »einfachen Volks«, durch die Kritik der gesellschaftl. Konvention und des sozialen Unrechts gelangte T. schließlich zu einem Kulturnihilismus. Er leugnete den Fortschritt, den Wert von Kunst und Wissenschaft und bekämpfte jede polit., soziale und kirchl. Organisation (1901 wurde er aus der orth. Kirche ausgestoßen). In dieser letzten Schaffensperiode entstanden Werke wie die Erzählung »Der Tod des Iwan Iljitsch« (1886), »Die Kreutzersonate« (1891), der Roman »Auferstehung«, 1899), »Hadschi Murat« (entstanden 1896-1904, hg. 1911), die Dramen »Die Macht der Finsterniß« (1886), »Licht leuchtet in der Finsternis« (entstanden 1896-1900, hg. 1911), »Der lebende Leichnam« (entstanden 1900, hg. 1911) und Schriften wie »Was ist Kunst?« (1898).
Literatur:
Citati, P.: Leo T. Eine Biographie. Aus dem Italien. Neuausg. Reinbek 1994.
Lavrin, J.: Lev Tolstoj. Reinbek 1994.
Rolland, R.: Das Leben T.s. Aus dem Frz. Neuausg. Zürich 1994.
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