Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Tod
Tod(Exitus), der Stillstand der Lebensfunktionen bei Mensch, Tier und Pflanze. Lediglich einzellige Lebewesen besitzen potenzielle Unsterblichkeit, da ihr Zellkörper durch Teilung immer wieder vollständig in den Tochterzellen aufgeht. Der T. ist das Ende eines Prozesses, der als Sterben bezeichnet wird. Dabei kommt es zu einem irreversiblen Funktionsverlust des Atmungs-, Kreislauf- und Zentralnervensystems. Als Kriterium für den Eintritt des T. gilt der Organ-T. des Gehirns. Häufig geht dem T. ein unterschiedlich langer Sterbevorgang voraus, wobei eine fortschreitende Reduzierung aller Lebensäußerungen stattfindet, die als Vita reducta oder Vita minima, in der letzten Phase als Agonie bezeichnet wird. Andererseits kann der Sterbevorgang äußerst kurz sein, bes. bei bestimmten Fällen des gewaltsamen T. (z. B. Reflex-T., Bade-T.; bei Einwirkung von elektr. Strom, bei bestimmten Vergiftungen), aber auch durch natürl. Geschehnisse plötzlich und unerwartet nach scheinbarem Wohlbefinden (z. B. durch plötzl. Verschluss von Gehirn-, Herz- oder Lungengefäßen durch Blutgerinnsel). Als klin. T. wird das Aufhören der Atmung und Herzaktion bezeichnet. Dieser Zustand kann in besonderen Fällen durch Wiederbelebung, v. a. Herzmassage und Beatmung, rückgängig gemacht werden. Wenn das Gehirn jedoch nicht innerhalb weniger Minuten wieder mit Sauerstoff versorgt wird, kommt es zum unwiderrufl. Absterben von Gehirnzellen (Hirn-T., biolog. T.). Die Feststellung des T. beruht auf dem Nachweis von T.-Zeichen. Unsichere T.-Zeichen sind u. a. Stillstand von Atmung und Kreislauf, Absinken der Körpertemperatur, Erlöschen der Reflexe, die auch beim Schein-T., einer hochgradigen Reduzierung der Stoffwechselprozesse, z. B. infolge starker Unterkühlung oder bei Schlafmittelvergiftung, auftreten können. Als beweisend für den T.-Eintritt bzw. als Zeitpunkt für die Beendigung von Wiederbelebungsmaßnahmen gilt nur das Auftreten von sicheren T.-Zeichen (Totenflecke und Totenstarre). Diese fehlen beim Schein-T. Die Totenflecke (Leichenflecke, Livores) entstehen nach Stillstand des Blutkreislaufs infolge Absinkens des Blutes in die tief liegenden Körperregionen und treten als blauviolette Hautverfärbung in Erscheinung. Die Totenstarre (Leichenstarre, Rigor mortis) beginnt i. d. R. zwei Stunden nach dem T. und ist i. Allg. in sieben bis acht Stunden vollständig ausgebildet. Hinsichtlich der T.-Art ist zu unterscheiden zw. natürl. T., d. h. krankheits- oder altersbedingt eingetretenem T., und unnatürl. T. durch äußere Einwirkung (z. B. Unfall, Selbstmord, Totschlag). Die amtl. T.-Bescheinigung erfolgt durch den Arzt unter Prüfung der T.-Zeichen mit Angabe von T.-Art und T.-Zeitpunkt.Recht: Mit dem T. endet die Rechtsfähigkeit des Menschen. Das Vermögen geht auf den Erben über (Erbfolge). Der T. der Prozesspartei oder ihres gesetzl. Vertreters im Zivilprozess führt zur Unterbrechung des Verfahrens; der T. des Angeklagten (Beschuldigten) bewirkt die Beendigung des Strafverfahrens.Philosophie: Die bis in die Gegenwart reichende Vorstellung von der Unsterblichkeit der Seele im Ggs. zur Sterblichkeit des Leibes geht v. a. auf Platon zurück. In seinem Dialog »Phaidon« definiert er den T. als Befreiung der Seele vom Körper, dem »Grab der Seele«. Die der Aufklärung folgenden Strömungen kreisen um den Gedanken, dass der Körper zwar stirbt, Seele oder Geist des Individuums hingegen weiterleben. Diesen Dualismus versuchte die Existenzphilosophie zu überwinden mit der Annahme des T. als eines absoluten Endes individuellen Lebens. Nach M. Heidegger rundet der Mensch mit dem T. sein Dasein, das endlich ist, zum Ganzen. K. Jaspers zählte den T. zu den Grenzsituationen, in denen ein Unbedingtes als Transzendenz erfahrbar wird, ähnlich im 19. Jh. S. Kierkegaard. - Die ind. Philosophie versteht wie die spätantike Gnosis und die Anthroposophie den T. als Durchgang zur Wiederverkörperung.Religion: Der T. und seine »Bewältigung« nimmt in allen Religionen eine zentrale Stellung ein und wird in unterschiedl. Weise theologisch beantwortet und, im Rahmen des Totenkults, rituell bewältigt. Zahlr. Glaubensvorstellungen gehen von einer »Weiterexistenz« des Verstorbenen nach dem T. aus, wobei v. a. die Vorstellungen von einem ewigen Leben (Unsterblichkeit) und der Wiedergeburt große Bedeutung erlangt haben; Erstere in Judentum, Christentum und Islam, Letztere vorrangig in den ind. (Hinduismus, Buddhismus, Dschainismus) und den von ihnen beeinflussten neuen Religionen. Für die jüd., christl. und islam. Theologie hebt der T. für die im Glauben Verstorbenen die Gemeinschaft mit Gott nicht auf. Sie sind »bei Gott« (Himmel), während die wissentlich und willentlich im Unglauben Verstorbenen nach dem T. endgültig in Gottesferne und -verlassenheit verharren (Hölle).Kunst: Bei den Griechen verkörperte Thanatos in Gestalt eines nackten Jünglings den T., in der späten Antike auch das Skelett, im MA. zunächst ein hässl. Greis, auch ein hässl. Weib (so im Triumph des T., Pisa, Camposanto, um 1355). Die Darstellung des T. als Skelett, die im 14. Jh. häufiger wurde, setzte sich im 15. Jh. durch. Bildl., auch dichter. Ausdruck fanden die das Spät-MA. bewegenden T.-Gedanken v. a. im Totentanz (frz. danse macabre). Dargestellt wurden Menschen jeden Alters und Standes, die einen Reigen mit Toten tanzen, von denen sie gepackt und weggerafft werden. In späteren, nicht mehr einen Tanz darstellenden Bilderfolgen (ebenfalls Totentänze gen.) ist jeweils einem Lebenden ein den T. selbst verkörperndes Skelett, oft mit Stundenglas und Sense (»Hippe«), zugeordnet. Die Totentänze wurden, zuerst wohl in Frankreich, auf Mauern von Kirchhöfen, Kapellen und Beinhäusern gemalt. Einen Höhepunkt der Totentanzdarstellungen bildet eine Holzschnittfolge von H. Holbein d. J. (Lyon 1538). Die italien. Renaissance wich der Darstellung des T. aus. Seit dem späteren 16. Jh. wurde der T. oft an Grabmälern dargestellt, am eindrucksvollsten im Barock. Der Klassizismus suchte die antike T.-Auffassung zu erneuern. Als Skelett erschien der T. wieder bei A. Rethel, in M. Klingers Radierfolgen »Vom Tode«, bei J. Ensor, F. Masereel, A. Kubin, HAP Grieshaber u. a.; das Totentanzmotiv wurde u. a. von A. Hrdlicka wieder aufgegriffen.
Literatur:
H. H. Jansen. Der T. in Dichtung, Philosophie u. Kunst, hg. v. Darmstadt 21989.
Condrau, G.: Der Mensch u. sein T. Neuausg. Zürich 1991.
Ariès, P.: Geschichte des T. Aus dem Frz. München 31.-34. Tsd., 71995.
Kübler-Ross, E.: Interviews mit Sterbenden. Aus dem Amerikan. Neuausg. Gütersloh 1996.
Leben u. T. in den Religionen, hg. v. G. Stephenson. Sonderausg. Darmstadt 1997.
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