Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Terrorismus
Terrorịsmus[lat.] der, politisch motivierte Gewaltanwendung v. a. durch revolutionäre oder extremist. Gruppen und Einzelpersonen, die aufgrund ihrer zahlenmäßigen Unterlegenheit gegenüber dem herrschenden Staatsapparat mit auf bes. hervorragende Vertreter des herrschenden Systems gezielten, meist grausamen direkten Aktionen die Hilflosigkeit des Reg.- und Polizeiapparates gegen solche Aktionen bloßstellen, Loyalität von den Herrschenden abziehen und eine revolutionäre Situation schaffen wollen; sie unterscheiden sich durch die Nichtverfügbarkeit von Macht und Herrschaft und die Form der Gewaltanwendung vom staatlich angeordneten oder tolerierten Terror, der von Staatsorganen oder von durch diese gedeckten privaten Gruppen durchgeführt wird.Seine theoret. Grundlage fand der T. v. a. im revolutionären Anarchismus, dessen wichtigster Theoretiker, M. A. Bakunin, die Vernichtung jegl. Gesellschaftsform (»Pandestruktion«) forderte, woraus sein Schüler S. G. Netschajew die Kampfform der »Propaganda der Tat« entwickelte, die jede rächende Tat an einem Vertreter herrschaftl. Ordnung rechtfertigte. Zumindest zeit- und teilweise haben sich im 20. Jh. zur Befreiung von fremder Herrschaft die nat. Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, die ETA, die IRA, jüd. Organisationen im Kampf gegen Briten und Araber in Palästina vor 1948 (z. B. Irgun Zwai Leumi) sowie die palästinens. Befreiungsorganisationen im Kampf gegen Israel terrorist. Mittel bedient. Die von palästinens. Gruppen zur polit. Erpressung unternommenen Flugzeugentführungen brachten v. a. in den 1970er-Jahren den Übergang zum internat. T. mit dem Phänomen der Zusammenarbeit von Terrororganisationen unterschiedlichster polit. Ausrichtung. Im Nahen Osten versuchen gegenwärtig (1997/98) versch. terrorist. Gruppen (v. a. Hamas), den israelisch-palästinens. Friedensprozess durch Anschläge auf größere Menschengruppen in Israel zu torpedieren.In der Bundesrep. Dtl. hat sich der T. aus einem kleinen radikalen Teil der student. Protestbewegung gegen Ende der 1960er-Jahre entwickelt, die terrorist. Anschläge werden größtenteils der RAF (Rote-Armee-Fraktion) zugeschrieben. Neben den linksextremist. Terrorbewegungen, deren Aktionen i. d. R. gegen einzelne Repräsentanten des staatl. und gesellschaftl. Systems gerichtet sind (z. B. auch seitens der ab Beginn der 1970er-Jahre aktiven »Roten Brigaden« in Italien und der »Action directe« in Frankreich), sind insbesondere seit 1980 auch vermehrt neofaschist. bzw. neonazist. Terroraktionen zu verzeichnen - so v. a. in Italien (Attentat von Bologna), Frankreich (Synagogenattentat in Paris) und in Dtl. (v. a. Attentate auf Ausländer). 1993 begann in Österreich vonseiten rechtsextremist. Gruppen eine Serie von Briefbombenattentaten gegen bekannte Verfechter einer liberalen Ausländerpolitik oder gegen Angehörige von Minderheiten selbst. Mit terrorist. Angriffen auf türk. Einrichtungen suchten Anhänger der kurd. Autonomie bzw. der Unabhängigkeitsbewegung innerhalb und außerhalb der Türkei (bes. auch in Dtl.) ihrem Ziel mit Gewalt näher zu kommen, in der Türkei selbst auch unter der bewussten Inkaufnahme der tödl. Bedrohung von Touristen.Mit dem Angriff auf hoch empfindl. und daher verwundbare Schaltstellen der heutigen Industriegesellschaft (Verwaltungs- und Kommunikationszentren, Drehpunkte und Einrichtungen des Verkehrswesens) erreichte der T. eine bis dahin unbekannte Dimension. Er bedroht mit seinen Anschlägen in Ballungszentren eine größtmögl. Zahl von Opfern auf engstem Raum. Mit einer hohen Zahl von Opfern verübten 1993 islam. Fundamentalisten einen Sprengstoffanschlag auf das World Trade Center in New York. Bei einem Anschlag der japan. Aum-Sekte (Om-Shinrikyo) mit dem Nervengift Sarin auf die U-Bahn in Tokio sowie bei einem Attentat amerikan. Rechtsextremisten auf ein Bürogebäude in Oklahoma City wurden 1995 viele Menschen getötet oder verletzt.Recht: In der Bundesrep. Dtl. wurde zur Bekämpfung terrorist. Gewalttaten das Anti-Terror-Ges. vom 18. 8. 1976 erlassen, das die Bildung von terroristischen Vereinigungen als neuen Straftatbestand (§ 129 a) in das StGB einfügte. Vor demselben polit. Hintergrund wurde im Sept. 1977 das Kontaktsperre-Ges. (Kontaktsperre) verabschiedet. Mit dem Ges. zur Bekämpfung des T. vom 19. 12. 1986 erfolgte u. a. eine Erweiterung und Verschärfung des § 129 a StGB. 1989 wurde die Kronzeugenregelung (Kronzeuge) eingeführt. Der internat. Gefahrenabwehr und Straftatbekämpfung dient das Europ. Übereinkommen zur Bekämpfung des T. vom 27. 1. 1977.
Literatur:
W. J. Mommsen Sozialprotest, Gewalt, Terror. Gewaltanwendung durch polit. u. gesellschaftl. Randgruppen im 19. u. 20. Jh., hg. v. u. a. Stuttgart 1982.
Rebmann, K.: Probleme bei der Bekämpfung des T. Melle 1986.
Laqueur, W.: T. Die globale Herausforderung. A. d. Engl. Frankfurt am Main u. a. 1987.
Backes, U.: Bleierne Jahre. Baader-Meinhof u. danach. Erlangen u. a. 1991.
Herzog, T.: T. Versuch einer Definition u. Analyse internat. Übereinkommen zu seiner Bekämpfung. Frankfurt am Main u. a. 1991.
Aust, S.: Der Baader-Meinhof-Komplex. Neuausg. Hamburg 1997.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Terrorismus