Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Technik
Tẹchnik[frz. aus grch.] die, i. w. S. eine besondere Art des Vorgehens oder der Ausführung einer Handlung (z. B. Mal-T.); i. e. S. die Menge der industriell (z. T. auch handwerklich) produzierten, also künstl., materiellen Gebilde (Werkzeuge, Maschinen, Apparate, Bauwerke u. a.). Die neuere interdisziplinäre T.-Forschung versteht unter T.: a) die Menge der nutzenorientierten, künstl., materiellen Gebilde (Artefakte oder techn. Sachsysteme); b) die Menge menschl. Handlungen und Einrichtungen, in denen Sachsysteme entstehen; c) die Menge menschl. Handlungen, in denen Sachsysteme verwendet werden. T. bezeichnet also nicht nur die von Menschen gefertigten Gegenstände, sondern auch deren Entstehungs- und Verwendungszusammenhänge und die dafür erforderl. besonderen Fertigkeiten. T. ist in diesem Sinne kein isolierter, selbstständiger Bereich, sondern eng mit Wirtschaft, Gesellschaft, Politik und Kultur verflochten. Oft wird heute T. gleichbedeutend mit Technologie verwendet (z. B. Biotechnologie).
Anstelle der schlecht abgrenzbaren Ausdrücke Maschine, Gerät, Apparat ist heute als allg. Begriff das techn. System gewählt worden. Ein techn. System ist durch die Funktion gekennzeichnet, Stoff (Masse), Energie und/oder Information zu wandeln, zu transportieren und/oder zu speichern. Es ist stofflich-konkret und besteht aus Werkstoffen mit definierten Eigenschaften, die aus Systemen der (physikal., chem., biolog.) Verfahrens-T. hervorgehen. Von der Form her ist es ein räuml. Gebilde mit geometrisch definierter Gestalt und setzt sich aus Bauteilen mit geometrisch definierter Gestalt zusammen; die Gestaltgebung erfolgt in Systemen der Fertigungstechnik.Geschichte: Sicher nachweisbar ist die Werkzeugherstellung schon für Homo habilis vor über 2,5 Mio. Jahren, die früheste gesicherte Feuerstelle ist 0,7 Mio. Jahre alt. In der Jungsteinzeit erschienen geschliffenes Steinbeil, Hacke mit geschliffener Schneide, Fiedelbohrer, Spindel und Webstuhl, Töpferei, Handmühle und im Übergang zur Metallzeit der Pflug. Revolutionierend war die Erfindung des Rades. Seit etwa 3000-2000 v. Chr. folgten gegossene und getriebene Kupfer- und Bronzewerkzeuge, seit etwa 1000 v. Chr. geschmiedete Eisenwerkzeuge. In den großen vorgrch. Kulturen (Ägypten, Mesopotamien) wurden techn. Großleistungen vollbracht bei der Nutzbarmachung von Euphrat, Tigris und Nil (Bewässerungs-, Deich-, Kanalbauten), bei der Lastenförderung mit Rolle und Hebel (Pyramiden). Aus dem altägypt. Kulturkreis stammen u. a. Segelschiff, Papyrus, Bierbrauerei, Gerberei, Glas, Pergament, Waage, aus Vorderasien Rad, Blasebalg, Zange.In der grch. Antike erlaubte der Stand der T. die Ausformung von Keramik, Plastik und Architektur zu hohem künstler. Rang. Zu den Erfindungen gehören z. B. einfache Maschinen, wie Drehstuhl als Vorläufer der Drehbank, Schöpfeimer, Trettrommel, Zahnstange und -rad, Wasserrad, -orgel, Feuerspritze, Geschütz mit Luftdruck u. a. Die röm. T. erzielte v. a. im Straßen-, Brücken-, Aquädukten-, Kriegsmaschinen-, Hoch- und Bergbau Großleistungen. Aus dem alten China stammen Erfindungen wie Armbrust, Papier, Kummetgeschirr, Schießpulver, Eisenguss, Porzellan, Druck mit bewegl. Wortbild-Typen, Kompass für die Schifffahrt. Im alten Indien war die Stahlbereitung früh entwickelt. Auch das Spinnrad scheint zuerst in Indien erfunden worden zu sein.
Im MA. wurden tier. Muskelkraft (Kummetgeschirr), Wind und Wasser (Windrad, Wasserrad als Mühlenantrieb) stärker genutzt, das Segelschiff wurde verbessert. Spinnrad und Trittwebstuhl, Drehbank mit Wippe und Gewichtsräderuhr kamen auf. Die Bauhütten vollbrachten im Sakralbau hohe Leistungen. Im 13./14. Jh. wurde das Gusseisen erfunden, im 14. Jh. der Hochofen und das Schießpulvergeschütz. Dies und der Buchdruck (Mitte des 15. Jh.) beeinflussten die gesamte Kultur nachhaltig. Das wiss.-techn. Denken begann in der Renaissance (F. Brunelleschi, L. B. Alberti und Leonardo da Vinci). In der Textil-, der Berg- und Hütten-T. entstanden Großbetriebe.Das 17. Jh. brachte die neue messende Physik (G. Galilei) und Fortschritte der experimentellen Naturwiss.; man kam zu neuen Lösungen technischer Aufgaben (erste einfache atmosphär. Dampfmaschine von D. Papin, 1690 ff.). In England bildete sich ein geregeltes Patentwesen. Im Rahmen des Merkantilismus entwickelte sich das Manufakturwesen stärker.
Im 18. Jh. begann man, die mathemat. Naturwiss. auf das techn. Schaffen anzuwenden. Günstige polit. und wirtsch. Verhältnisse gaben der engl. T. bald einen Vorsprung. J. Watt entwickelte eine Dampfmaschine, die eine starke Steigerung der Wasser-, Kohlen- und Erzförderung und den Aufschwung der Textilind. ermöglichte. Die Verwendung des Kokses im Hochofenprozess, die Erfindung des Gussstahls u. a. machten die großtechn. Verwendung des Eisens möglich. Die Verfügbarkeit über Eisen und Energie führte zu neuen Arbeitsmaschinen.
Das 19. Jh. ist gekennzeichnet durch die umfassende Ausbreitung der Dampfmaschine, später der Verbrennungsmotoren mit weit reichenden Auswirkungen v. a. auf das Verkehrswesen, durch immer leistungsfähigere Arbeitsmaschinen und durch die steigende Anwendung der Wiss. auf die T., gefördert durch die zahlr. technischen Schulen und technischen Hochschulen. Seit dem späten 19. Jh. entwickelte sich die Elektro-T. in wenigen Jahrzehnten zu einem umfassenden Gebiet.Im 20. Jh. spezialisierte sich die T. immer stärker. Die Massenfabrikation zusammengesetzter Gegenstände kam bes. seit dem Ersten Weltkrieg auf. Die Stoff- und Werkstückzuleitung wurde durch das Fließbandsystem mechanisiert. Das Flugzeug eroberte den Luftraum, Dampf- und Gasturbine verdrängten die Dampfmaschine. Mit der Entwicklung der Hochfrequenz-T. (Funk-T., Hörfunk, Fernsehen, Radar, Fernwirk-T.) trat neben die T. der mit Bewegungsmechanismen arbeitenden Maschinen, der stat. Konstruktionen des Bauwesens und der Stoffe aufbauenden chem. Verfahren eine apparative elektron. T. (Elektronenröhre, Halbleiter-T., Mikroprozessor), die die Fortschritte der modernen Nachrichten-T., der Automatisierung, der Mikroelektronik (Prozessrechner, Computer, Industrieroboter) ermöglichte. Daneben war der Ausbau der chem. Großsynthesen wichtig (Ammoniak, flüssige Kohlenwasserstoffe, hochpolymere organ. Kunststoffe und Chemiefasern). Die Raketen-T., deren groß angelegte Entwicklung im Zweiten Weltkrieg begann, führte zur Raumfahrt. In der Energieversorgung trat neben die Wasserkraft und fossile Energiequellen die Kernenergie. Erneuerbare Energiequellen (Sonnenenergie, Erdwärme, Bioenergie, Windkraft) sind heute stärker im Gespräch.
Literatur:
Küffner, G.: Faszinierende T. Mit Können u. Kniffen zum Meisterwerk. Frankfurt am Main 1993.
Böge, A.: Das Techniker-Hb., Beiträge v. F. Kemnitz u. a. Braunschweig u. a. 141995.
Geschichte der T. in Schlaglichtern, hg. v. W. Conrad. Mannheim u. a. 1997.
Propyläen-Technikgeschichte, hg. v. W. König, 5 Bde. Neuausg. Berlin 1997.
Zimmerli, W. C.: Technologie als »Kultur«. Hildesheim 1997.
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