Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
studentische Verbindungen
studẹntische Verbindungen(Korporationen), Gemeinschaften von Studenten (neuerdings z. T. auch Aufnahme von Studentinnen) und Alten Herren (den i. Allg. berufstätigen Akademikern), deren Grundsätze, Umgangs-, Organisations- und auch Sprachformen bis heute noch von Traditionen aus dem 18. und 19. Jh. geprägt sind. Feste Institutionen sind der Konvent, die Kneipe, Vortragsabende sowie das alljährl. Stiftungsfest mit Kommers, für schlagende Verbindungen außerdem der Pauktag (Mensur, studentisches Brauchtum). Es gibt Farben tragende (Couleur) und nicht Farben tragende (sog. schwarze) s. V.; die Mitgl. sind zuerst Füchse, nach zwei Semestern werden sie vollberechtigte Burschen, im 5. Semester Inaktive und nach dem Examen Alte Herren (Abk. AH). Zur Teilnahme an allen offiziellen Veranstaltungen verpflichtete Füchse und Burschen werden als Aktive bezeichnet (sie bilden die »Aktivitas«). Aus dem Kreis der aktiven Burschen werden jeweils für ein Semester Chargierte gewählt. Der erste Chargierte ist der Sprecher oder Senior, der zweite Chargierte der Fechtwart oder (bei vielen nicht schlagenden Verbindungen) der Damensenior, der Festlichkeiten, Ausflüge u. a. zu organisieren hat. Hinzu kommt der Schriftwart. Die Betreuung der Füchse obliegt dem Fuchsmajor, jeder Fuchs wählt sich als Vertrauensperson einen Leibburschen.
Geschichte: An den Univ. spielte sich das student. Gemeinschaftsleben früher in der Burse im Verbund der jeweiligen »Nation« ab. Die Vorläufer der eigentl. s. V. sind seit dem 17. Jh. die alten Landsmannschaften, aus denen sich die Korps entwickelten. Im 18. Jh. wurden nach dem Vorbild der Freimaurerei auch student. Orden gegründet. Die Befreiungskriege 1813/15 gaben den Anstoß zur Entstehung der Burschenschaften, die wegen ihrer nat. und freiheitl. Bestrebungen (z. B. Wartburgfest 1817) seit 1819 von den Reg. scharf verfolgt wurden (Gesamtverband seit 1902 Dt. Burschenschaft, D. B.). Ab 1840 entwickelten sich s. V. der verschiedensten Richtungen (u. a. die neuen Landsmannschaften, ab 1880/85 die Turnerschaften sowie Sängerschaften). Es entstanden Gruppierungen, die die Bestimmungsmensur und den Grundsatz der Genugtuung mit der Waffe (»Satisfaktion«; seit 1945 allg. nicht mehr üblich) ablehnten, u. a. der Cartell-Verband der kath. dt. Studentenverbindungen (CV; gegr. 1856), daneben der »Wingolfsbund«, der Farben tragende »Schwarzburgbund« (SB; gegr. 1887) und die kath. Studentenverbindungen »Cartell-Verband« (CV), »Kartell-Verband« (KV), »Unitas-Verband« (UV) und der von Letzterem 1924 abgespaltene »Ring Kath. Dt. Burschenschaften« (RKDB). Ab 1882 gab es jüd. s. V., ab 1906 den (nicht Farben tragenden) Verband der Studentinnenvereine Deutschlands. Nach 1918 entstand eine Anzahl neuer Verbände, u. a. die »Schwarzen Verbindungen«. Der Versuch der Nationalsozialisten, s. V. als »Kameradschaften« in den »Nat.-soz. Dt. Studentenbund« und die Altherrenschaften in den »Nat.-soz. Altherrenbund« einzugliedern, hatte nur teilweise Erfolg. - In der Bundesrep. Dtl. entstanden nach 1949 viele zw. 1934 und 1938 aufgelöste s. V. neu. Die Landsmannschaften und Turnerschaften schlossen sich 1951 zum Coburger Convent (CC) zusammen. Sie verbanden sich 1951 - außer den kath. Studentenverbindungen - zum Convent Dt. Korporationsverbände (CDK), ihre Altherrenverbände 1950 im Convent Dt. Akademikerverbände (CDA). Die schlagenden Verbände gründeten 1951 die Arbeitsgemeinschaft Andernach der mensurbeflissenen Verbände (AGA). In der DDR offiziell verboten, entstanden ab 1960 informelle, nur das student. Brauchtum pflegende s. V.; die meisten Farben tragenden unter ihnen vereinigten sich 1990 in der »Rudelsburger Allianz«. - Seit 1990 haben mehrere s. V. ihren Sitz aus den alten Bundesländern an die Orte ihrer Gründung (v. a. in Thüringen und Sachsen-Anhalt) zurückverlegt oder sich dort rekonstituiert. Ende des 20. Jh. existieren in Dtl. in 28 Verbänden über 950 Korporationen (nur aktive Bünde) mit fast 150 000 Mitgl. (davon 21 600 Aktive und Inaktive) sowie etwa 90 freie Verbindungen mit 9 400 Mitgl. (900 Aktive).Von einzelnen früheren Gründungen abgesehen, bildeten sich in Österreich s. V. seit 1850. Sie schlossen sich meist den entsprechenden reichsdt. Verbänden an. In der Schweiz entstanden die ersten s. V. 1819; zu nennen sind u. a. der »Schweizer. Zofingerverein« (lat. »Zofingia«; gegr. 1819) und die »Helvetia« (gegr. 1832).
Literatur:
Gladen, P.: Gaudeamus igitur. Die s. V. einst u. jetzt. 21988.
Füxe, Burschen, alte Herren. Studentische Korporationen vom Wartburgfest bis heute, hg. v. L. Elm u. a. Köln 21993.
Blut u. Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften, Beiträge v. D. Heither u. a. Frankfurt am Main 1997.
Brunck, H.: Die Deutsche Burschenschaft in der Weimarer Republik u. im Nationalsozialismus. München 1999.
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