Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
spanische Literatur
spanische Literatur,Literatur in span. Sprache, soweit sie in Spanien verfasst wurde. Über die spanisch geschriebene Literatur Lateinamerikas lateinamerikanische Literaturen.Mittelalter (12.-15. Jh.): Die s. L. des MA. erwuchs aus dem Miteinander von lateinisch-klerikaler, volkssprachlich-laizist., arab. und jüd. Kultur. Mit dieser einmaligen Synthese wurde sie zur wichtigen Vermittlerin oriental. Erzählstoffe (so durch die »Disciplina clericalis« des Petrus Alfonsi, entstanden nach 1106). Unmittelbares Zeugnis dieser Mischkultur sind die Jarchas, Schlussstrophen arab. Gedichte, die in roman. Volkssprache abgefasst sind; sie gelten als älteste Belege vorhöfischer roman. Liebeslyrik. Der span. Minnesang des 13. und 14. Jh. bediente sich der galic. und der provenzalisch-katalan. Sprache. Relativ spät belegt ist das Epos, dessen einziges (fast) vollständig erhaltenes Beispiel der »Cantar de mío Cid« (entstanden um 1140) ist. Er entstand in zeitl. Nähe zu den Taten des Cid, die historisch getreu wiedergegeben werden. Weitere Epen lassen sich aus den Prosaauflösungen der Chroniken des 13. und 14. Jh., v. a. aus der »Primera crónica general« (entstanden 1289), rekonstruieren. Bruchstücke dieser Epen sind auch durch die Romanzen überliefert, jener spezifisch spanischen lyr. Gattung, die bis in die Gegenwart auch mündlich tradiert wird. Neben dieser anonymen Spielmannsdichtung steht eine gelehrte Dichtung, deren erster Vertreter G. de Berceo ist, der älteste namentlich bekannte span. Dichter.
Das kulturelle Zentrum der Zeit bildete der Hof Alfons' X., des Weisen (1252-82), an dem arab. und hebr. naturwissenschaftliches Denken durch systemat. Übersetzungen für die span. Prosa und damit für die gesamte europ. Kultur erschlossen wurde. Die überragenden Werke des 14. Jh. sind die Sammlungen von Novellen und Exempeln »Der Graf von Lucanor« des Infanten Don Juan Manuel (entstanden 1335) und das Religiöses und Profanes mischende »Libro de buen amor« (zwei Fassungen, 1330 und 1343, dt. Ausw. 1960 u. d. T. »Aus dem Buch der guten Liebe«) von J. Ruiz (gen. Arcipreste de Hita). Die Lyrik des 15. Jh. repräsentieren der Marqués de Santillana, der das Sonett in Spanien einführte, und J. Manrique. In dieser Zeit begann auch die Sammlung mittelalterl. Kunstdichtung in den Cancioneros (»Cancionero de Baena«, entstanden um 1445). Das um 1200 mit dem anonymen »Auto de los Reyes Magos« einsetzende Drama des MA. findet seinen ersten Höhepunkt in der von F. de Rojas verfassten Celestina.Siglo de oro (»goldenes Zeitalter«, 16. und 17. Jh.): Diese im europ. Vergleich früh einsetzende Blütezeit der s. L. umfasst Renaissance (Regierungszeit Karls V.) und Barock. Trotz starker italien. und klassisch-lat. Einflüsse brach die span. Renaissance weder mit dem christl. Denken noch mit der heim. Dichtungstradition. Durch Spaniens führende Rolle in der katholischen Reform beeinflusste auch seine Lit. das übrige Europa einschl. der prot. Länder bis mindestens 1650. In der Lyrik übernahmen J. Boscán Almogáver und Garcilaso de la Vega Formen und Themen des italien. Petrarkismus, der von der »Schule von Sevilla«, bes. F. de Herrera, fortgeführt wurde. Eine von der Alltagssprache völlig abgehobene poet. Sprache schuf L. de Góngora y Argote. Der gewollt schwierige, gelehrte Stil (Culteranismo) seiner »Soledades« (entstanden 1613/14, gedruckt 1636), bei den Zeitgenossen umstritten (Konzeptismus des F. Gómez de Quevedo y Villegas), wirkte durch seine ungewöhnl. Metaphern seit S. Mallarmé auf die Lit. der Moderne. Von den Lyrikern dieser Zeit sind noch San Juan de la Cruz, Fray Luis de León, v. a. aber Lope F. de Vega Carpio zu nennen.
Das Siglo de oro war auch die erste Blütezeit des span. Romans. Auf frz. höfischen Vorbildern basierte die Flut der Ritterromane (v. a. um Amadis von Gaula ); von Italien beeinflusst war der idealisierende Schäferroman (J. de Montemor, Lope de Vega Carpio). Eine eigene span. Schöpfung ist der realistisch-krit. pikareske Roman (der anonyme »Lazarillo de Tormes«, 1554; »Das Leben des Guzmán von Alfarache« von M. Alemán, 1599-1604, u. a.). M. de Cervantes Saavedras »Don Quijote« (1605-15) steht in dieser Tradition; das Meisterwerk der s. L., das gleichzeitig ritterl. Leben und die Romane darüber parodiert, wurde zum Vorbild des europ. Romans. Mit den »Exemplar. Novellen« (1613) begründete Cervantes die eigenständige span. Novellistik.
Einzigartig ist die asketisch-myst. Lit., mit der in zahllosen Abhandlungen, Heiligenviten und Predigten ein Ideal verinnerlichter Frömmigkeit propagiert wurde (Theresia von Ávila, Luis de Granada, Johannes vom Kreuz). Ebenso weit verbreitet waren die Chroniken, bes. die über die Eroberung Amerikas (B. de Las Casas). Satir. und moralist. Prosawerke schufen A. de Guevara, Quevedo y Villegas und B. Gracián y Morales (»Hand-Orakel«, 1647). Außerordentlich reich war die Bühnendichtung des Siglo de oro. Aus volkstüml. Traditionen entwickelte sich ein eigenständiges, sehr erfolgreiches Theater. Die Hauptgattungen sind die profane, auf Unterhaltung breiter Schichten zielende Comedia, das Auto sacramental und das derb-kom. Zwischenspiel (Entremés). Lope de Vega Carpio und P. Calderón de la Barca sowie ihre jeweiligen Schüler (Tirso de Molina, G. de Castro y Bellvís, F. de Rojas Zorrilla, A. Moreto y Cavana) haben dieses Theater mit Tausenden von Stücken versorgt.Das 18. Jahrhundert: Nur zögernd fand Spanien Anschluss an das säkularisierte Denken der europ. Aufklärung. Einen entscheidenden Schritt in Richtung auf ein kritisches naturwiss. Denken vollzog der Benediktiner B. J. Feijoo y Montenegro mit seinem von traditionalist. Seite heftig bekämpften Werk. Satir. Kritik am traditionalist. Spanien übten die Prosawerke von J. F. de Isla y Rojo und J. Cadalso y Vázquez. Lyrik und Theater des 18. Jh. blieben lange dem Spätbarock verhaftet. 1765 wurden die Autos sacramentales verboten. Gegen Ende des Jh. erneuerte L. Fernández de Moratín durch seine klassizist. Komödien nach dem Vorbild Molières das span. Drama. Während der frz. Besetzung entstand patriot. Lyrik (M. J. Quintana).Das 19. Jahrhundert: Die span. Romantik setzte erst in den Jahren 1825-35 ein, als gegen Ende der Herrschaft Ferdinands VII. viele Emigranten zurückkehrten (u. a. der Dramatiker F. Martínez de la Rosa, der vielseitige Essayist M. J. de Larra, der Lyriker J. Espronceda y Delgado). Einen eigenen Stil fand J. Zorrilla y Moral mit seinen Verslegenden und Dramen. Seit den 1830er-Jahren entstanden auch wieder Romane. Schöpferin des realistischen span. Romans ist Fernán Caballero (eigtl. Cecilia Böhl de Faber). Wie ihr Werk ist auch das von B. Pérez Galdós eng mit der span. Landschaft und Geschichte verbunden, dessen Romane ein umfassendes Bild der span. Gesellschaft zeichnen. Die geistigen Leitlinien dieser Zeit bot der Krausismus (nach Karl Christian Friedrich Krause; * 1781, ✝ 1832). Naturalist. Tendenzen waren in der s. L. nur abgeschwächt ausgeprägt, so in den Romanen und Erzählungen von Clarín (eigtl. L. E. Alas y Ureña), V. Blasco Ibáñez und Emilia Pardo Bazán, die sich auch theoretisch damit befasste. Die Lyrik wurde von G. A. Bécquer erneuert. Seine »Rimas« (1871) sind von Heine inspiriert, verweisen aber bereits auf den Symbolismus. Rosalia de Castro bereitete mit ihren (meist galicisch geschriebenen) intimen Gedichten formal den Modernismo vor. Auf dem Theater waren in der 2. Hälfte des 19. Jh. Gesellschaftsstücke erfolgreich (naturalistisch beeinflusst bei J. Echegaray y Eizaguirre [Nobelpreis 1904], satirisch bei J. Benavente [Nobelpreis 1922]). Das 19. Jh. brachte auch das Wiedererstehen einer eigenen Lit. in katalan. und galic. Sprache.Das 20. Jahrhundert: Der Verlust der meisten Kolonien im Jahre 1898 führte zu einer tief greifenden polit., wirtsch. und kulturellen Krise. Die Schriftsteller versuchten, ihr durch Besinnung auf die kulturellen Leistungen Spaniens, durch Kampf gegen geistigen Konformismus und Streben nach geistiger Erneuerung zu begegnen (Generation von 98, bed. Vertreter: M. de Unamuno y Jugo, J. Martínez Ruiz [Pseud. Azorín], P. Baroja y Nessi, A. Machado y Ruiz). Hauptmedium war neben dem intellektuell ausgerichteten Roman v. a. der Essay. Parallel dazu entwickelte sich in der Lyrik die span. Variante des Symbolismus, der Modernismo (Modernismus; S. Rueda, R. Darío), R. M. del Valle-Inclán übertrug diesen Stil virtuos in Prosaformen. Die 20er- und 30er-Jahre zeichneten sich durch undogmat. Denken und künstler. Experimente aus, wobei häufig die Grenzen zw. Lit., Malerei und dem neuen Medium Film aufgehoben wurden (S. Dalí, L. Buñuel, R. Alberti, F. García Lorca). Das Bindeglied zw. den Modernisten und der folgenden Dichtergruppe bildet das Werk von J. R. Jiménez (Nobelpreis 1956). Fast alle Autoren der sog. Generation von 1927 verstanden sich als seine Schüler. Im Sinne von Góngora (nach dessen 300. Todesjahr die Gruppe benannt wird) und im Ggs. zur »engagierten Lit.« der Generation von 1898 bekannten sie sich zur »reinen Kunst« (bed. Vertreter: J. Guillén, P. Salinas, G. Diego Cendoya, V. Aleixandre, L. Rosales, L. Cernuda). Die europ. Moderne und die span. Tradition wirkten in der Revolutionierung des Theaters zusammen, die von Valle-Inclán und García Lorca ausging. Das essayist. Schaffen wurde u. a. von J. Ortega y Gasset fortgeführt. Bed. Romane schrieben G. Miró Ferrer, B. Jarnés Millán und R. J. Sender.
Durch den Span. Bürgerkrieg und das Francoregime brachen alle Entwicklungen ab. Wichtige Repräsentanten der künstler. Elite kamen um (wie García Lorca), der größte Teil ging ins Exil und kehrte erst in den 60er-Jahren oder überhaupt nicht nach Spanien zurück. Der Bürgerkrieg selbst brachte leidenschaftlich engagierte polit. Lyrik hervor (R. Alberti, M. Hernández). Die Lit. der Nachkriegszeit stand bis in die 70er-Jahre unter staatl. und kirchl. Zensur. Bedeutendster der im Lande verbliebenen Dichter war V. Aleixandre (Nobelpreis 1977), der sich in seiner formstrengen Lyrik zu humanist. Idealen bekannte. Seit den 50er-Jahren sah sich die Mehrzahl der Autoren einer politisch und sozial engagierten Lit. verpflichtet: in der Lyrik G. Celaya, J. A. Goytisolo, B. de Otero, auf dem Theater A. Buero Vallejo, A. Sastre, im Frühwerk auch F. Arrabal, im Roman J. C. Cela (Nobelpreis, 1989), M. Delibes, R. Sánchez Ferlosio, Ana María Matute, L. und J. Goytisolo, J. Marsé Carbo. Den Anschluss an den modernen europ. Roman stellten u. a. L. Martín Santos, G. Torrente Ballester und J. Benet Goitia her, internat. erfolgreich sind auch J. Semprún, M. Vazquéz Montalbán, A. Pombo. Seit den 60er-Jahren löste sich die Lyrik vom polit. Engagement zugunsten formaler Experimente (u. a. Ana María Moix, A. Colinas, L. A. Colinas García Montero). Bed. Autoren der jüngeren Generation sind I. Martínez de Pisón, E. Mendoza, J. Tomeo, J. J. Millás, J. Marías, A. Muñoz Molina. Wesentl. Anteil an der zeitgenöss. s. L. haben erfolgreiche Autorinnen: Almudena Grandes, Adelaida García Morales, Rosa Montero, Soledad Puértolas, Carme Riera und Esther Tusquets.
Literatur:
Flasche, H.: Geschichte der s. L., 3 Bde. Bern u. a. 1977-89.
Das span. Theater. Vom MA. bis zur Gegenwart, hg. v. V. Roloff u. a. Düsseldorf 1988.
Die span. Lyrik der Moderne. Einzelinterpretationen, hg. v. M. Tietz. Frankfurt am Main 1990.
Span. Theater im 20. Jh., hg. v. W. Floeck. Tübingen 1990.
Neuschäfer, H.-J.: Macht u. Ohnmacht der Zensur. Literatur, Theater u. Film in Spanien (1933-76). Stuttgart 1991.
Gumbrecht, H.-U.: Eine Gesch. der s. L., 2 Bde. Sonderausg. Frankfurt am Main 1992.
Franzbach, M.: Gesch. der s. L. im Überblick. Stuttgart 1993.
Wittschier, H. W.: Die s. L. Einführung u. Studienführer. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Tübingen 1993.
Hauptwerke der spanischen u. portugiesischen Literatur, hg. v. W. Rössig. München 1995.
Der span. Roman vom MA. bis zur Gegenwart, hg. v. V. Roloff u. H. Wentzlaff-Eggebert. Stuttgart u. a. 21995.
Geschichte der s. L., hg. v. C. Strosetzki. Tübingen 21996.
Medieval Iberia. Essays on history and literature of medieval Spain, hg. v. D. J. Kagay u. J. T. Snow. New York 1997.
Span. Literaturgeschichte, hg. v. H.-J. Neuschäfer. Stuttgart u. a. 1997.
Die span. Lyrik von den Anfängen bis 1870. Einzelinterpretationen, hg. v. M. Tietz. Frankfurt am Main 1997.
Spanisches Gegenwartstheater, hg. v. W. Floeck, 2 Bde. Tübingen 1997.
Writers of the Spanish colonial period, hg. v. D. W. Fosteru. a. New York 1997.
Frackowiak, U.: Ein Raum zum Schreiben. Schreibende Frauen in Spanien vom 16. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert. Berlin 1998.
Spanische Reise. Ein literarischer Reiseführer durch das heutige Spanien, hg. v. I. Echeverria u. a. Neuausg. Berlin 1998.
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