Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
spanische Kunst.
spanische Kunst.Bestimmend für Wesen und Entwicklung der s. K. wurde die Vielfalt ihrer Überlieferungen. Vom 5. bis 1. Jh. v. Chr. von den Iberern geprägt (Dame von Elche), verschmolz die s. K. seit dem 1. Jh. v. Chr. durch radikale Romanisierung völlig mit der röm. Kunst; von der reichen Sakral- und Profanarchitektur blieb manches erhalten (Aquädukte in Segovia, Tarragona, Theater in Mérida). Aus westgot. Zeit (409-711 n. Chr.) sind die ältesten in Spanien erhaltenen Kirchenbauten (San Juan in Baños de Cerrato bei Palencia, San Pedro de la Nave bei Zamora) und die Königshalle in Naranco (Oviedo). Entscheidend wurde die Eroberung Spaniens durch die Araber (711). Über weite Teile Spaniens verbreitete sich die westislam. Kunstform (islamische Kunst) des maur. Stils (Moschee von Córdoba, Palaststadt Medina Azahara, Alhambra von Granada). Die maurisch geprägte christl. Kunst Spaniens (Mozaraber) nahm islam. Einflüsse auf, bes. in der Ornamentik, während der Kirchenbau auf den christl. Kult abgestimmt war (San Miguel de Escalada, 913; Santiago de Peñalba bei Ponferrada, 935-937).Architektur: Zentren der roman. Baukunst liegen in Kastilien, León, Aragonien und Katalonien, v. a. entlang der Pilgerstraße nach Santiago de Compostela; sie standen mit den übrigen europ. Kunstlandschaften (bes. Roussillon, Languedoc, Lombardei, Burgund) durch wandernde Bauhütten in Verbindung. Das bedeutendste Bauwerk dieser Zeit ist die Kathedrale von Santiago de Compostela (1060 ff.), ein Wallfahrtsziel des gesamten Abendlandes, in ihren wichtigsten Teilen Werk frz. Baumeister.
Gleichzeitig mit der christl. Kunst im N entstanden in S-Spanien die maur. Bauten der Almohaden (Giralda und Patio de los Naranjos, Ende 12. Jh., in Sevilla) und die üppige Kunst der letzten spanisch-arab. Dynastie der Nasriden vom 13. bis 15. Jh. im Königreich Granada (Alhambra).
Die Gotik erschien in Spanien zuerst in der burgund. Form der Zisterzienser (Klöster Santa María de Poblet und Santas Creus bei Valls in Katalonien). Die ersten in nordfrz. Gotik erbauten Kirchen waren die Kathedralen von León (1209 ff.) und Burgos (seit 1221; im 15. Jh. vollendet). Die Kathedrale von Toledo wurde, der in Burgos nacheifernd, fünfschiffig gebaut (seit 1227). An der Stelle von Moscheen und durch deren Grundriss bestimmt, entstanden die Kathedrale von Saragossa (seit 1188) und die fünfschiffige Kathedrale von Sevilla, durch ihre gewaltigen Ausmaße (142 m lang, 75 m breit) eines der imposantesten Bauwerke der Gotik (seit 1402). Aus der Verschmelzung mit maur. Kunst entwickelte sich der Mudéjarstil. Aus diesem ging, bereichert durch spätgot. und antike Formen, der auf überreiche Schmuckwirkungen ausgehende Platereskenstil hervor, der in seiner ersten Stilstufe den Übergang zw. Spätgotik und Renaissance bildet, mit dem Zentrum in Salamanca. Seit der Mitte des 16. Jh. nimmt die platereske Ornamentik Formen der italien. Renaissance auf, die Dekoration wird sparsamer, die Strukturen werden klarer (Univ. in Alcalá de Henares; Palast Monterrey in Salamanca). In reinen Renaissanceformen wurden der Sommerpalast Karls V. innerhalb der Alhambra erbaut und v. a. der Escorial, 1582 vollendet von Juan de Herrera, der auch die Börse von Sevilla baute und die Kathedrale von Valladolid begann.
Die Baukunst des Barock verbreitete sich in der von F. Borromini geprägten Form (Barockkirchen in Sevilla), setzte sich in einer Wiedererweckung des Platereskenstils fort (Neubauten an der Kathedrale zu Santiago de Compostela) und endete im Churriguerismus (Churriguera), in dem sich die Neigung der span. Baukunst zu wuchernd dekorativen Formen am ungehemmtesten entfaltete und der sich über ganz Spanien verbreitete. Nachdem sich der Klassizismus durchgesetzt hatte (San Marcos 1749-53, Prado 1785-87, beide Madrid), brachte die Baukunst Leistungen von nat. Eigenart erst wieder zur Zeit des Jugendstils hervor. Die Architektur A. Gaudís, der Zeit weit vorauseilend, gab Impulse, die sich nicht nur auf die Architektur beschränkten, sondern sich auf Plastik und Malerei ausgeweitet haben. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Architektur einen neuen Aufschwung. Neben Francisco J. Saénz de Oiza und José María García de Paredes traten nach Mitte der 70er-Jahre zahlr. Architekten mit klassisch orientierter, individueller moderner Architektur hervor. Ricardo Bofill und die Planungsgruppe Taller de Arquitectura fanden mit postmodernen Großbauten internat. Aufmerksamkeit. Aufsehen erregten auch die Bauten des Studios PER, die Gruppe Josep-María Martorell, Oriol Bohigas Guardiola sowie die Architekten José Rafael Moneo und Santiago Calatrava.Plastik: Die Bildhauerkunst der Romanik war bereits gegen Ende des 11. Jh. hoch entwickelt (Reliefs im Kreuzgang von Santo Domingo de Silos, Portal von Santa María in Ripoll). In der 2. Hälfte des 12. Jh. entstanden die Portalskulpturen von San Vincente in Ávila und des Pórtico de la Gloria in Santiago de Compostela (1168 von Meister Mateo begonnen), deren Qualität frz. Arbeiten aus dieser Zeit entspricht. Expressiv und farbenprächtig ist die Holzplastik der Zeit. Elfenbeinschnitzereien zeigen häufig maur. Einflüsse.
Eine Fülle von Aufgaben bot den Bildhauern der Gotik außer den Portalen die bildner. Ausgestaltung der Altäre und der Umfassungswände des Chors; sowohl frz. als auch vereinzelt fläm. und dt. Anregungen wurden aufgegriffen. Italien. Künstler, die in Spanien arbeiteten, beeinflussten die span. Bildhauer (B. Ordóñez, D. de Siloé) der Renaissance. A. Berruguetes Kunst leitete schon zum Frühmanierismus über, er machte Valladolid zum Zentrum der Bildhauerkunst.
In der Plastik des Barock verband sich leidenschaftlich religiöser Ausdruck mit Realismus, oft zu äußerstem Naturalismus gesteigert. Die bedeutendsten Meister waren G. Hernández, J. Martínez Montañés, das Haupt der Sevillaner Bildhauerschule, der von ihm ausgehende, auch als Maler tätige A. Cano und dessen Schüler P. de Mena y Medrano. Meister des 18. Jh. sind P. Roldán und F. Salcillo.
Die Entwicklung der modernen Plastik, stark durch Gaudí beeinflusst, wurde durch den Bürgerkrieg und seine Folgen beeinträchtigt. Die auch als Bildhauer tätigen Maler P. Picasso, J. Gris, S. Dalí und J. Miró arbeiteten vorwiegend im Ausland, ebenso J. González, der bahnbrechend auf dem Gebiet der Eisenskulptur war und zusammen mit P. Gargallo den folgenden Bildhauergenerationen wichtige Impulse gab, u. a. Jorge Oteiza, Pablo Serrano, Andreu Alfaro, Martín Chirino, Eduardo Chillida, Miguel Berrocal, Agustí Roqué, Elisa Arimany, Susana Solano, Juan Muñoz, Txomin Badiola, Pello Irazu. Realistisch arbeiten Julio L. Hernández, Francisco López und Antonio López-García.Malerei: Die Hauptwerke der Romanik gehören dem 12. Jh. an. Führend war die katalan. Malerei (bes. in der Provinz Lleida: Fresken von Santa Maria und Sant Clemente in Tahull; heute Barcelona, Museu d'Art de Catalunya), die sich sehr selbstständig mit der byzantin. Kunst auseinander setzte, aber auch Anregungen aus der mozarab. Buchmalerei und frz. Wandmalerei verarbeitete. Einen Höhepunkt bilden die Fresken im Pantheon der Könige in San Isidoro in León. Antependien sind wegen ihrer sorgfältigen Maltechnik gut erhalten. Bed. Werke der Buchmalerei des 11. Jh. sind die Bibel von Ripoll (Rom, Vatikan. Sammlungen) und die Bibel von Roda (Paris, Bibliothèque Nationale de France).
Für die Malerei der Gotik waren zunächst italien. Vorbilder maßgebend, die auf F. Bassa, J. Serra, P. Nicoláu u. a. wirkten. Im 15. Jh. setzte sich niederländ. Einfluss durch. Zw. Gotik und Renaissance vermittelnd, steht das Werk P. Berruguetes, der mit italien. Meistern zusammengearbeitet hatte. Seit der Hochrenaissance orientierte sich die span. Malerei vorwiegend an italien. Vorbildern (F. Yáñez, V. Masip, J. de Juanes, P. de Campaña). Als Porträtisten wirkten am Hofe Philipps II. A. Mor, A. S.Coello und dessen Schüler J. P. de la Cruz. Der bedeutendste Maler des Manierismus, El Greco, war vorwiegend in Toledo tätig.
In der Zeit des Barock führte J. de Ribera, der früh nach Neapel ging, die realist. Helldunkelmalerei Caravaggios fort, von dem auch F. de Zurbaráns Bilder - hauptsächlich religiöse Motive - ausgingen. Velázquez wurde nach seiner Ausbildung in Sevilla, wo er in genrehaften Bildern Volkstypen realistisch darstellte, Hofmaler in Madrid. Seine Bildnisse der königl. Familie prägten einen Porträtstil, in dem Repräsentation und individuelle Charakterisierung eine neuartige Verbindung eingehen, und wirkten in ihrer lichten Farbigkeit, der fast skizzenhaften Pinselschrift auf die frz. Impressionisten. Der gefeiertste Maler Sevillas war B. E. Murillo, dessen Madonnen ebenso volkstümlich wurden wie seine Gassenbubenbilder.
Im 18. Jh. suchte A. R. Mengs, 1761-69 Hofmaler in Madrid, das Kunstleben im klassizist. Sinn zu lenken. Seinen Einfluss überwand an der Wende zum 19. Jh. F. de Goya, der nicht nur als Maler zu den überragenden Persönlichkeiten der europ. Kunst gehört, sondern mit seinen graf. Zyklen neue, zukunftweisende Maßstäbe setzte. Im späteren 19. Jh. wurde außerhalb Spaniens v. a. I. Zuloaga y Zabaleta bekannt. Im 20. Jh. haben span. Künstler entscheidende Stilprägungen der modernen Kunst entwickelt bzw. erhielten von ihnen wichtige Impulse. P. Picasso und J. Gris entwickelten in Paris den Kubismus. S. Dalí und J. Miró gehörten in den 20er-Jahren dem Kreis der Surrealisten in Paris an. Das universelle und bis ins hohe Alter erfindungsreiche Schaffen von Picasso zeigt in der Emigration nach Frankreich starke Anteilnahme am Schicksal Spaniens. Die unter Franco im Land verbliebenen Künstler, v. a. in Barcelona um die Zeitschrift »Dau al Set« (gegr. 1948; zu ihr gehörte A. Tàpies), in Madrid in der Künstlergruppe »El Paso« (1957-60) aktiv, darunter Antonio Saura und Rafael Canogar, hatten antiakadem., politisch revolutionäre Ziele. Bed. Beiträge zur informellen Kunst leisteten R. Canogar, Luis Feito, Manolo Millares (eigtl. Manuel Millares Soll); A. Saura sowie Eduardo Arroyo und die Gruppe »Equipo Crónica« mit Manuel Valdés und Rafael Solbes setzten sich für eine politisch engagierte Kunst ein. Mit großformatigen, subtilen Zeichnungen von menschenleeren Interieurs und Landschaften traten María Moreno und Isabel Quintanilla hervor. Joan Hernàndez i Pijuan, Gerardo Delgado, Soledad Sevilla, José Manuel Broto und José María Sicilia knüpfen an die Tradition der informellen Malerei an. Seit den 1980er-Jahren finden sich auch in Spanien Parallelen zu der expressiven Malweise der Neuen Wilden, u.a. Juan Navarro Baldeweg, Ferran García Sevilla, Miquel Barceló.
Literatur:
P. de Palol Spanien. Kunst des frühen Mittelalters vom Westgotenreich bis zum Ende der Romanik, bearb. v. u. a. Neuausg. München 1991.
Vision oder Wirklichkeit. Die span. Malerei der Neuzeit, hg. v. H. Karge. München 1991.
Kunst in Spanien, hg. v. U. M. Reindl u. G. Rivet. Köln 1992.
Die neue span. Architektur, bearb. v. A. Zabalbeascoa. A. d. Amerikan. Stuttgart u. a. 1992.
Span. Kunstgeschichte. Eine Einführung, hg. v. S. Hänsel u. H. Karge, 2 Bde. Berlin 1992.
Art and literature in Spain. 1600 -1800, hg. v. C. Davis u. a. London 1993.
Iberische Halbinsel, Beiträge v. H. Schomann u. V. Rödel, 3 Bde. Darmstadt 1996-98.
Kunst in Spanien im Blick des Fremden, hg. v. G. Noehles-Doerk. Frankfurt am Main 1996.
Folk art in Spain and the Americas, hg. v. M. Oettinger. New York 1997.
Die Geschichte der s. K., hg. v. X. Barral i Altet. A. d. Span. Köln 1997.
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