Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
sozialistischer Realismus
sozialịstischer Realịsmus,Bez. für eine Methode der künstler. Gestaltung und Kritik in der Literatur, die eng an die marxistisch-leninist. Ideologie gebunden ist; auch übertragen auf andere Künste, v. a. auf die bildende Kunst.
Historisch entstand der Begriff bereits im Umkreis der zw. dem Ende des Sozialistengesetzes (1890) und dem Beginn des Ersten Weltkriegs in der dt. Sozialdemokratie geführten Literaturdebatten über das Thema Literatur und Proletariat; in den frühen 1930er-Jahren wurde er vom sowjet. Herrschaftssystem unter der Führung Stalins beansprucht und als verbindl. Programm für Kunst und Literatur formuliert (erstmals 1932 in der sowjet. Literaturdiskussion über die dem Sozialismus angemessene »schöpfer. Methode«).
Auf dem 1. Allunionskongress (1934) des Verbandes der sowjet. Schriftsteller wurde in dessen Statut festgelegt: »Der s. R., der die Hauptmethode der sowjet. schönen Literatur und Literaturkritik darstellt, fordert vom Künstler wahrheitsgetreue, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung. Wahrheitstreue und histor. Konkretheit der künstler. Darstellung muss mit den Aufgaben der ideolog. Umgestaltung und Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus verbunden werden«. Dabei wurde der s. R. keinesfalls allein politisch bzw. jenseits von ästhet. Kategorien definiert. Vielmehr suchte man ihn in Traditionszusammenhänge des Realismus zu stellen; Forderungen waren: Parteilichkeit, Volksverbundenheit und Volkstümlichkeit als Hauptprinzipien künstler. Gestaltung sowie die Darstellung des »positiven Helden«, der den sozialist. Fortschritt repräsentiert und als Identifikationsfigur diente. Durch den Stalinismus, der seinen Führungsanspruch auch in der Kunst durchsetzte, wurde die weit gefasste Formel des s. R. aufgrund willkürl. Auslegung immer wieder zu Maßregelungen eingesetzt; opponierende Schriftsteller wurden verfolgt. Die Resonanz in der internat. sozialist. Literaturentwicklung war seit den 1930er-Jahren von Land zu Land verschieden; Kunst wurde u. a. als Faktor des Geschichtsprozesses im Sinne des Antifaschismus verstanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nach kontroversen Diskussionen um die geistige Erneuerung mit Beginn des sozialist. Aufbaus in einer Reihe von europ. Staaten der s. R. als verpflichtende Schaffensmethode deklariert. So erfuhren als formalistisch erachtete Standpunkte (Formalismusdebatte) polit. Verurteilung und administrative Verdrängung. Zeitprobleme wurden verschwiegen, die Ästhetik der Moderne ausgeklammert bzw. strikt abgelehnt; wichtige Genres verkümmerten, die Produkte wurden austauschbar. Nach Stalins Tod (1953), in der Zeit des Tauwetters (1956 bis etwa 1965), begann eine öffentl. Auseinandersetzung mit den Prinzipien des s. R.; v. a. in der sowjet. Literatur spiegelten sich seit den 60er-Jahren die wachsenden Probleme des Alltags, ohne dass die Doktrin widerrufen wurde. Bis zum Ende des real existierenden Sozialismus vertiefte sich zunehmend die Kluft zw. künstler. Prozessen und machtkonformer Ideologie, was z. B. in der Auseinandersetzung um eine freiere Interpretation des s. R. zum Ausdruck kam. Diese Entwicklung verlief z. T. mit großen (zeitl. und qualitativen) Unterschieden in den einzelnen sozialist. Ländern.
▣ Literatur:
R. Grimm. Realismustheorien in Literatur, Malerei, Musik u. Politik, hg. v. Stuttgart 1975.
⃟ Możejko, E.: Der s. R. Theorie, Entwicklung u. Versagen einer Literaturmethode. Bonn 1977.
⃟ Internationale Literatur des s. R. 1917-45. Aufsätze, hg. v. G. Dimow. Berlin 1978.
⃟ Das Ende der Abstraktionen. Provokationen zur »Sowjetliteratur«, hg. v. D. Kassek u. a. Aus dem Russ. Leipzig 1991.
⃟ Fast, P.: Ideology, aesthetics, literary history. Socialist realism and its others. Frankfurt am Main 1999.
Historisch entstand der Begriff bereits im Umkreis der zw. dem Ende des Sozialistengesetzes (1890) und dem Beginn des Ersten Weltkriegs in der dt. Sozialdemokratie geführten Literaturdebatten über das Thema Literatur und Proletariat; in den frühen 1930er-Jahren wurde er vom sowjet. Herrschaftssystem unter der Führung Stalins beansprucht und als verbindl. Programm für Kunst und Literatur formuliert (erstmals 1932 in der sowjet. Literaturdiskussion über die dem Sozialismus angemessene »schöpfer. Methode«).
Auf dem 1. Allunionskongress (1934) des Verbandes der sowjet. Schriftsteller wurde in dessen Statut festgelegt: »Der s. R., der die Hauptmethode der sowjet. schönen Literatur und Literaturkritik darstellt, fordert vom Künstler wahrheitsgetreue, historisch konkrete Darstellung der Wirklichkeit in ihrer revolutionären Entwicklung. Wahrheitstreue und histor. Konkretheit der künstler. Darstellung muss mit den Aufgaben der ideolog. Umgestaltung und Erziehung der Werktätigen im Geiste des Sozialismus verbunden werden«. Dabei wurde der s. R. keinesfalls allein politisch bzw. jenseits von ästhet. Kategorien definiert. Vielmehr suchte man ihn in Traditionszusammenhänge des Realismus zu stellen; Forderungen waren: Parteilichkeit, Volksverbundenheit und Volkstümlichkeit als Hauptprinzipien künstler. Gestaltung sowie die Darstellung des »positiven Helden«, der den sozialist. Fortschritt repräsentiert und als Identifikationsfigur diente. Durch den Stalinismus, der seinen Führungsanspruch auch in der Kunst durchsetzte, wurde die weit gefasste Formel des s. R. aufgrund willkürl. Auslegung immer wieder zu Maßregelungen eingesetzt; opponierende Schriftsteller wurden verfolgt. Die Resonanz in der internat. sozialist. Literaturentwicklung war seit den 1930er-Jahren von Land zu Land verschieden; Kunst wurde u. a. als Faktor des Geschichtsprozesses im Sinne des Antifaschismus verstanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nach kontroversen Diskussionen um die geistige Erneuerung mit Beginn des sozialist. Aufbaus in einer Reihe von europ. Staaten der s. R. als verpflichtende Schaffensmethode deklariert. So erfuhren als formalistisch erachtete Standpunkte (Formalismusdebatte) polit. Verurteilung und administrative Verdrängung. Zeitprobleme wurden verschwiegen, die Ästhetik der Moderne ausgeklammert bzw. strikt abgelehnt; wichtige Genres verkümmerten, die Produkte wurden austauschbar. Nach Stalins Tod (1953), in der Zeit des Tauwetters (1956 bis etwa 1965), begann eine öffentl. Auseinandersetzung mit den Prinzipien des s. R.; v. a. in der sowjet. Literatur spiegelten sich seit den 60er-Jahren die wachsenden Probleme des Alltags, ohne dass die Doktrin widerrufen wurde. Bis zum Ende des real existierenden Sozialismus vertiefte sich zunehmend die Kluft zw. künstler. Prozessen und machtkonformer Ideologie, was z. B. in der Auseinandersetzung um eine freiere Interpretation des s. R. zum Ausdruck kam. Diese Entwicklung verlief z. T. mit großen (zeitl. und qualitativen) Unterschieden in den einzelnen sozialist. Ländern.
▣ Literatur:
R. Grimm. Realismustheorien in Literatur, Malerei, Musik u. Politik, hg. v. Stuttgart 1975.
⃟ Możejko, E.: Der s. R. Theorie, Entwicklung u. Versagen einer Literaturmethode. Bonn 1977.
⃟ Internationale Literatur des s. R. 1917-45. Aufsätze, hg. v. G. Dimow. Berlin 1978.
⃟ Das Ende der Abstraktionen. Provokationen zur »Sowjetliteratur«, hg. v. D. Kassek u. a. Aus dem Russ. Leipzig 1991.
⃟ Fast, P.: Ideology, aesthetics, literary history. Socialist realism and its others. Frankfurt am Main 1999.