Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
schwedische Literatur
schwedische Literatur,die Literatur in schwed. Sprache in Schweden und Finnland.Anfänge bis 1611: In vorchristl. Zeit gab es Heldenlieder, Götterhymnen und Spruchdichtung, doch sind zusammenhängende Literaturdenkmäler nicht erhalten. Mit der Christianisierung kam lat. Schriftkultur nach Schweden. Die religiöse Lit., meist in lat. Sprache, fand ihren Höhepunkt in den myst. Visionen »Uppenbarelser« (etwa 1342-49) der hl. Birgitta. Der erste namhafte Dichter in schwed. Sprache war Bischof Thomas von Strängnäs (✝ 1443). Seit Ende des 13. Jh. entwickelte sich die Volksballade (Folkvisa). L. und O. Petri leiteten die große Bibelübers. ein (1526 erste Übers. des N. T.).Großmachtzeit (1611-1718): Künste und Wissenschaften wurden vom schwed. Hof gefördert und dort zentralisiert. Das enzyklopädisch-polyhistor. Bewusstsein der Epoche spiegelt sich in dem Geschichtswerk »Atland eller Manheim« (4 Bde., 1675-1702) des Universalgelehrten O. Rudbeck. In L. Wivallius fand die s. L. ihren ersten volkstüml. Lyriker. G. Stiernhielm leitete eine neue Epoche ein, in der die europ. Kunstdichtung mit ihren festen Regeln und Formen die Lit. bestimmte. Die Dichtung wurde zum Ausdruck der barocken Weltordnung und fand ihren Höhepunkt bei S. Bergbo, J. Runius und L. Johansson.1719-1809: Mit dem Beginn der »Freiheitszeit« nach dem Tod Karls XII. setzte auf allen Gebieten eine geistige Erneuerung ein. Begründer der modernen schwed. Prosasprache wurde O. von Dalin mit seiner moralisch-satir. Wochenschrift »Then Swänska Argus«. Die Ideen der Frühaufklärung reflektierte der Orden »Tankebyggarorden« (»Gedankenbauer«) mit der Lyrikerin Hedvig Charlotta Nordenflycht, dem Idyllendichter G. P. Graf Creutz und dem Odendichter C. Graf Gyllenborg. Zu den ältesten Romanschriftstellern gehören J. H. Mörk und J. Wallenberg. Gustav III., der selbst Dramatiker war, ist der Gründer der Oper (1772) und des Nationaltheaters (1787) in Stockholm und der Stifter der Schwed. Akademie (1786). Dabei unterstützten ihn u. a. die Dichter J. G. Graf Oxenstierna, J. H. Kellgren, C. G. af Leopold sowie die Idyllikerin Anna Maria Lenngren. Lebensfrohe, derb anakreont. Lieder schrieb C. M. Bellman. Vorboten der Romantik waren T. Thorild, B. Lidner, F. M. Franzén und der geistl. Liederdichter J. O. Wallin.1810-30: Die Gruppe des Uppsalaer »Aurora förbundet« (»Aurorabund«) vertrat eine von F. W. J. Schelling beeinflusste romant. Universalpoesie (P. D. A. Atterbom »Die Insel der Glückseligkeit«, 1824-27). Stifter des historisch-vaterländisch eingestellten »Götischen Bundes« waren der Historiker E. G. Geijer, der Volksliedsammler A. A. Afzelius und P. H. Ling. Aus der göt. Schule ging E. Tegnér hervor. Der Vollender der Romantik war E. J. Stagnelius.1830-80: Die Ideen des europ. Liberalismus bewirkten eine Ablösung romant. Dichtungsideale durch den poet. Realismus. C. J. Almqvist begründete den Frührealismus. Der realist. Richtung gehören ferner an die Lyriker K. V. A. Strandberg, O. P. Sturzen-Becker, der Schilderer des Studentenlebens G. Wennerberg, die Frauenrechtlerinnen Fredrika Bremer und Emilie Flygare-Carlén sowie die Finnlandschweden Z. Topelius und J. L. Runeberg. Großen Einfluss hatte ein Kreis von Dichtern, die sich in den 60er-Jahren in Uppsala zusammenfanden (Signaturengruppe): u. a. der Ästhetiker C. R. Nyblom, der Lyriker Graf C. Snoilsky, C. D. af Wirsén.1880-1910: Die 80er-Jahre standen im Zeichen des gesellschaftskrit. Naturalismus, dessen überragende Gestalt A. Strindberg war. Den sozialkrit. Realismus vertraten neben ihm v. a. G. af Geijerstam und Victoria Benedictsson. V. von Heidenstam leitete die Neuromantik ein. Die Romane von Selma Lagerlöf und P. A. L. Hallström reflektieren neuromant. Gefühl, Geschichtsbewusstsein und Heimatliebe. Die schwed. Provinzen wurden in der neuromant. Lyrik lebendig: Varmland bei G. Fröding, Dalarna bei E. A. Karlfeldt, Schonen bei V. Ekelund und K. G. Ossiannilsson. H. Söderberg und B. H. Bergman schildern die Fin-de-Siècle-Stimmung des Stockholmer Bürgertums.20. Jahrhundert: Die psychologisch vertiefte Gesellschaftsschilderung bestimmte die Prosa im 2. Jahrzehnt des 20. Jh., u. a. E. G. Hellström, L. Nordström, Sven Lidman und Elin Wägner. Der kühnste formale Erneuerer dieser Zeit ist P. F. Lagerkvist, der einzige schwed. Expressionist. Mit dem idyll. Realismus der frühen 20er-Jahre brachen der Lyriker und Erzähler B. Sjödberg, die Lyriker K. Ek und E. Blomberg. Für die sexuelle Freiheit der Frau kämpfte Agnes von Krusenstjerna. Eine neue Strömung setzte in den 30er-Jahren mit den Autodidakten aus der Arbeiterschicht ein: die Lyriker und Erzähler H. Martinson und A. Lundkvist, die Erzähler V. Moberg, J. Fridegård, R. Värnlund, I. Lo-Johansson und E. Johnson. Den modernen Durchbruch in der Lyrik vollzogen H. Gullberg, J. Edfelt und G. Ekelöf. Zu dieser Lyrikergeneration gehören auch A. Ljungdal und O. Lagercrantz. Von visionärer Kraft erfüllt ist das Werk von Karin Maria Boye. Die 40er-Jahre waren bestimmt von einem Stil des Engagements und der Formexperimente; Erzähler sind S. Arnér, L. Ahlin, S. Dagerman, führende Lyriker E. Lindegren, K. G. Vennberg.
Die Nachkriegslit. zeigte zunächst Verinnerlichung und Abkehr vom Ideologischen (L. Gyllensten, Birgitta Trotzig, S. Rosendahl, der Lyriker T. G. Tranströmer). In den 60er-Jahren entstanden neue literar. Formen wie der Dokumentarroman (P. O. Sundman, P. O. Enquist). Nichtfiktionaler Genres wie Reportage, Protokoll, Bericht, Interview bedienten sich Sara Lidman, G. Palm. Probleme der modernen Welt thematisierten P. G. Evander, S. Claesson, E. Bukman, S. Seeberg, J. Myrdal, L. Gustafsson und P. G. Jersild, im Kriminalroman Maj Sjöwall und P. Wahlöö. Die modernist. Tradition der Lyrik führten neben Tranströmer B. Setterlind, F. Isaksson und Ö. Sjöstrand weiter; die Vertreter der »neueinfachen Richtung«, u. a. Palm, Sonja Åkesson, B. Håkansson, bemühten sich um Nähe zur gesellschaftl. Realität. Polit. Engagement und sprachkrit. Reflexion verbinden sich in der Lyrik G. Sonnevis. Bedeutung als Kinderbuchautorin erlangte Astrid Lindgren. In den 70er-Jahren ist eine Rückkehr zu ep. Großformen festzustellen (S. Delblanc, Kerstin Ekman, Sara Lidman, P. O. Enquist). Psycholog. Personendarstellung zeigen u. a. Anne Westberg und Gerda Antti; Erzähler der jüngsten Generation zeigen auch Hinwendung zu experimentellen Formen (G. Hägg, L. G. Andersson, Torgny Lindgren, P. Odensten). Bedeutendster Dramatiker der Gegenwart ist L. Norén.Finnlandschwedische Literatur: Schwedisch schreibende finn. Dichter der Barockzeit waren J. P. Lilienstedt und J. Frese. Eine eigenständige Entwicklung begann mit F. M. Franzén, E. Lönnrot und J. L. Runeberg, in dessen Werk sich die Tendenzen der finnlandschwed. Lit. des 19. Jh. vereinigten: Vermischung von Klassik, Romantik und Liberalismus in Verbindung mit einer patriotisch-finn. Gesinnung. Der Wandel vom Realismus zum Naturalismus vollzog sich um 1885 (K. A. Tavaststjerna). Nach der finn. Unabhängigkeitserklärung (1917) wurde der europ. Modernismus vorherrschender Schreibstil, u. a. bei Hagar Olsson, Edith Irene Södergran. Romane verfassten T. Colliander und Sally Salminen. Die Orientierung an schwed. Vorbildern wird bes. nach 1945 deutlich, v. a. in der Lyrik von B. Carpelan und T. Warburton. Bed. Prosaautor ist C. A. Kihlman, sozialkrit. Sachlit. repräsentiert J. Donner mit krit. Reportagen.
▣ Literatur:
Gustafson, A.: A history of Swedish literature. Minneapolis, Minn., 1961.
⃟ Friese, W.: Nord. Lit. im 20. Jh. Stuttgart 1971.
⃟ Special issue devoted to modernism in Finland-Swedish literature, hg. v. J. Wrede. London 1976.
⃟ Nord. Lit.geschichte, Redaktion: M. Brøndsted u. a., 2 Bde. A. d. Dän. München 1982-84.
⃟ Algulin, I.: Schwed. Erzählkunst der Gegenwart. A. d. Schwed. Stockholm 1983.
⃟ S. L. in dt. Übersetzung, bearb. v. R. Quandt, 7 Bde. Göttingen 1987-88.
⃟ Grundzüge der neueren skandinav. Lit., hg. v. F. Paul. Darmstadt 21991.
Die Nachkriegslit. zeigte zunächst Verinnerlichung und Abkehr vom Ideologischen (L. Gyllensten, Birgitta Trotzig, S. Rosendahl, der Lyriker T. G. Tranströmer). In den 60er-Jahren entstanden neue literar. Formen wie der Dokumentarroman (P. O. Sundman, P. O. Enquist). Nichtfiktionaler Genres wie Reportage, Protokoll, Bericht, Interview bedienten sich Sara Lidman, G. Palm. Probleme der modernen Welt thematisierten P. G. Evander, S. Claesson, E. Bukman, S. Seeberg, J. Myrdal, L. Gustafsson und P. G. Jersild, im Kriminalroman Maj Sjöwall und P. Wahlöö. Die modernist. Tradition der Lyrik führten neben Tranströmer B. Setterlind, F. Isaksson und Ö. Sjöstrand weiter; die Vertreter der »neueinfachen Richtung«, u. a. Palm, Sonja Åkesson, B. Håkansson, bemühten sich um Nähe zur gesellschaftl. Realität. Polit. Engagement und sprachkrit. Reflexion verbinden sich in der Lyrik G. Sonnevis. Bedeutung als Kinderbuchautorin erlangte Astrid Lindgren. In den 70er-Jahren ist eine Rückkehr zu ep. Großformen festzustellen (S. Delblanc, Kerstin Ekman, Sara Lidman, P. O. Enquist). Psycholog. Personendarstellung zeigen u. a. Anne Westberg und Gerda Antti; Erzähler der jüngsten Generation zeigen auch Hinwendung zu experimentellen Formen (G. Hägg, L. G. Andersson, Torgny Lindgren, P. Odensten). Bedeutendster Dramatiker der Gegenwart ist L. Norén.Finnlandschwedische Literatur: Schwedisch schreibende finn. Dichter der Barockzeit waren J. P. Lilienstedt und J. Frese. Eine eigenständige Entwicklung begann mit F. M. Franzén, E. Lönnrot und J. L. Runeberg, in dessen Werk sich die Tendenzen der finnlandschwed. Lit. des 19. Jh. vereinigten: Vermischung von Klassik, Romantik und Liberalismus in Verbindung mit einer patriotisch-finn. Gesinnung. Der Wandel vom Realismus zum Naturalismus vollzog sich um 1885 (K. A. Tavaststjerna). Nach der finn. Unabhängigkeitserklärung (1917) wurde der europ. Modernismus vorherrschender Schreibstil, u. a. bei Hagar Olsson, Edith Irene Södergran. Romane verfassten T. Colliander und Sally Salminen. Die Orientierung an schwed. Vorbildern wird bes. nach 1945 deutlich, v. a. in der Lyrik von B. Carpelan und T. Warburton. Bed. Prosaautor ist C. A. Kihlman, sozialkrit. Sachlit. repräsentiert J. Donner mit krit. Reportagen.
▣ Literatur:
Gustafson, A.: A history of Swedish literature. Minneapolis, Minn., 1961.
⃟ Friese, W.: Nord. Lit. im 20. Jh. Stuttgart 1971.
⃟ Special issue devoted to modernism in Finland-Swedish literature, hg. v. J. Wrede. London 1976.
⃟ Nord. Lit.geschichte, Redaktion: M. Brøndsted u. a., 2 Bde. A. d. Dän. München 1982-84.
⃟ Algulin, I.: Schwed. Erzählkunst der Gegenwart. A. d. Schwed. Stockholm 1983.
⃟ S. L. in dt. Übersetzung, bearb. v. R. Quandt, 7 Bde. Göttingen 1987-88.
⃟ Grundzüge der neueren skandinav. Lit., hg. v. F. Paul. Darmstadt 21991.