Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Synergetik
Synergetik[grch.] die, von dem Physiker H. Haken entwickeltes interdisziplinäres Forschungsgebiet zur Beschreibung komplexer Systeme in Physik, Biologie, Soziologie, Ökonomie u. a. Wissenschaften. Die S. geht vom Zusammenwirken vieler einzelner Elemente bzw. Teilsysteme aus und untersucht mithilfe neuartiger kollektiver Größen und Methoden (wie Bifurkation, Ordnungsparameter, Versklavung) die spontane Ausbildung von Strukturen in komplexen Systemen. Der Ansatz der S. beruht auf der Selbstorganisation der einzelnen Zustände, wobei der Zusammenhang (die Dynamik) zw. mikroskopisch kooperativem Verhalten und makroskop. Strukturbildung durch »Ordnungsparameter« bestimmt wird. Bes. in den Naturwiss.en handelt es sich um offene (nichtlineare) Systeme, die zur Entstehung geordneter Strukturen aus ungeordneten Phasen führen können (z. B. Kristallbildung, Laser, lebende Zelle, Magnetismus).Zum Konzept der S.: Die Systeme werden durch unspezif. Kontrollparameter (z. B. die Energiezufuhr in ein System) beeinflusst. Im Vordergrund der S. steht die Idee, Systeme bei solchen Werten der Kontrollparameter zu untersuchen, bei denen sich das Systemverhalten makroskopisch qualitativ ändert. Bei bestimmten Kontrollparameterwerten kann der bisherige Zustand seine Stabilität verlieren. An einem solchen Instabilitätspunkt erzeugt das System, wie die mathemat. Behandlung zeigt, bestimmte kollektive Konfigurationen der einzelnen Systemelemente (z. B. kollektive Schwingungen der Laseratome). Diese Konfigurationen werden durch das Verhalten der jeweiligen Teile kennzeichnende Funktionen beschrieben, deren Amplituden die Ordnungsparameter darstellen. Nach dem Versklavungsprinzip der S. wird das Verhalten (d. h. die Dynamik) der einzelnen Systemteile durch die i. Allg. wenigen Ordnungsparameter bestimmt. Auf diese Weise wird die Zahl der Variablen eines Systems drastisch reduziert. Die Dynamik des Zustandsvektors in dem hochdimensionalen Raum der Systemvariablen wird somit auf die Dynamik der Ordnungsparameter in deren niedrigdimensionalen Raum zurückgeführt, sodass eine starke »Informationskompression« vorliegt. Die dabei auftretenden Ordnungsparametergleichungen lassen sich in einer Reihe wichtiger Fälle (zu denen als Spezialfälle die der Katastrophentheorie gehören) klassifizieren. Dadurch werden ausgesprochene Analogien im Verhalten von sonst ganz versch. Systemen sichtbar. I. Allg. stellen die Ordnungsparameter langsam, die von ihnen versklavten Teile dagegen schnell veränderl. Größen dar. Wird ein Kontrollparameter kontinuierlich verändert, so kann ein System eine Hierarchie von Instabilitäten mit jeweils verschiedenartigem Verhalten durchlaufen. Beispielsweise können in einem System, etwa in einer Flüssigkeit, zunächst Oszillationen mit einer einzigen Frequenz, dann mit zwei oder drei unterschiedl. Frequenzen auftreten und schließlich in ein determinist. Chaos umschlagen.
Literatur:
Haken, H.u. Haken-Krell, M.: Entstehung von biologischer Information u. Ordnung. Darmstadt 1995.
Haken, H. u. Haken-Krell, M.: Gehirn u. Verhalten. Unser Kopf arbeitet anders, als wir denken. Stuttgart 1997.
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