Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Surrealismus
Surrealịsmus[frz. aus sur »über« und réalisme »Realismus«] der (frz. Surréalisme), ein erstmals 1917 von G. Apollinaire verwendeter Name für eine künstler. Richtung, die auf das Surreale (»Überwirkliche«) zielt.Literatur: Die Bewegung des S. erwuchs um 1920 aus der Pariser Gruppe des Dada (L. Aragon, A. Breton, P. Soupault, T. Tzara). Ihr Führer wurde A. Breton, der 1924 mit dem »Ersten Manifest des S.« die literarisch-philosoph. Theorie erarbeitete (»Zweites Manifest«, 1930). Der S. sucht, im Anschluss an die Psychoanalyse S. Freuds, die eigentl. Wirklichkeit des Menschen im Halb-, Vor- und Unbewussten und verwertet Traum- und Rauscherlebnisse sowie hypnot. Zustände als Quelle der künstler. Eingebung und der Erkenntnis. Der dichter. Akt soll als »psych. Automatismus« im passiven Niederschreiben beliebiger Zurufe aus vorrationalen Tiefenschichten bestehen, unter Verzicht auf Logik, Syntax und literar. Formung. Der literar. S. brachte, v. a. in den Werken von L. Aragon, P. Éluard, A. Breton und P. Soupault, in bewusster Abkehr von der mimet. Ästhetik eine Fülle neuer literar. Techniken hervor, die sämtlich das Ziel hatten, die Grenzen zw. Poesie und Wirklichkeit aufzulösen (Collage, Fragment, Protokoll). Von Anfang an verband sich in Frankreich mit dem S. die Provokation bürgerl. Normalität. Die wichtigsten Schriften finden sich in der Zeitschrift »La Révolution Surréaliste« (1924-29, ab Heft 3 von Breton allein hg.). 1928/29 wurde die innere Einheit der Bewegung durch polit. Differenzen gesprengt (Annäherung des linken Flügels mit Aragon, Éluard, B. Péret u. a. an die kommunist. Bewegung). Nach dem Zweiten Weltkrieg existierte der S. als Bewegung nicht mehr, doch sind seine Einflüsse auf die Literatur und die zeitgenöss. Kunst weiterhin wirksam. - Auch in der neueren Lit. anderer Länder entstanden Werke mit surrealist. Gepräge, so im dt. Sprachraum von A. Kubin, H. Kasack, H. E. Nossack, P. Celan, im span. von F. García Lorca und P. Neruda.In der bildenden Kunst steht die Erweiterung des Schaffensprozesses und die damit verbundene Ausklammerung einer log. Konzeption aus dem künstler. Werk (Automatismus) im Mittelpunkt: Bildformen und -techniken wurden neu oder weiterentwickelt (Collage, Frottage, Grattage). Die Einflüsse moderner Tiefenpsychologie unterscheiden den S. von der fantast. Malerei vergangener Jahrhunderte (H. Bosch, G. Arcimboldo, Symbolisten des 19. Jh.). In der Malerei gehört die Pittura metafisica mit ihrer verfremdeten Dingwirklichkeit zu den wichtigsten Voraussetzungen; ein weiterer bedeutender Anreger war M. Ernst, selbst ein Hauptvertreter des S. 1925 fand in Paris die erste Gruppenausstellung des S. statt, auf der auch P. Picasso, P. Klee, H. Arp und M. Ray vertreten waren. Es wird zw. zwei Varianten unterschieden: Maler wie Y. Tanguy und S. Dalí stellten nicht zusammengehörige Dinge oder Formen im perspektiv. Raum naturalistisch dar (»verist. S.«); A. Masson, J. Miró, H. Arp u. a. bedienten sich einer abstrakten, symbolhaften Formensprache (»absoluter S.«). In der Plastik dominierte die Erfindung des »surrealist. Gegenstands«, der Erfahrungen des Traums konkretisieren sollte (A. Giacometti, M. Ray, Meret Oppenheim) oder sich als alltägl. Objekt den Projektionen aus dem Unterbewusstsein öffnet (Objet trouvé). Ausläufer der surrealist. Konzeption bestimmten weitgehend die expressiv-totemist. Plastik der 1940er- und 50er-Jahre. Mit M. Ray, R. Ulsac und Brassaï erlangte der S. auch für die Fotografie Bedeutung.
Der S. war eine weltweite Erscheinung der modernen Kunst, bes. nachdem während des ZweitenWeltkrieges Ernst, Masson und Tanguy in die USA emigriert waren. Dort hatte er u. a. Anhänger in J. Cornell, Dorothea Tanning und dem Fotografen F. Sommer. Weitere bed. Vertreter in Europa waren in Belgien R. Magritte und P. Delvaux, in der Tschechoslowakei J. Styrsky und Toyen, in Dänemark W. Freddie, in Schweden M. W. Svanberg. Verglichen mit anderen europ. Ländern wirkte der S. in Dtl. (R. Oelze, E. Ende, M. Zimmermann) weniger nachhaltig. Nach dem Zweiten Weltkrieg regte der vom S. propagierte Automatismus den abstrakten Expressionismus an.
Auch im Film wurde der Versuch surrealist. Darstellung gemacht, u. a. von L. Buñuel, S. Dalí und J. Cocteau.
▣ Literatur:
P. Bürger. S., hg. v. Darmstadt 1982.
⃟ Als die Surrealisten noch recht hatten. Texte u. Dokumente, hg. v. G. Metken. Hofheim 21983.
⃟ Chénieux-Gendron, J.: Le surréalisme. Paris 1984.
⃟ Duplessis, Y.: Der S. Aus dem Frz. Berlin 1992.
⃟ Nadeau, M.: Geschichte des S. Aus dem Frz. Reinbek 1992.
⃟ S., Traum des Jahrhunderts, Ausst.-Kat. Galerie Beyeler. Basel 1995.
⃟ Les surréalistes. Une génération entre le rêve et l'action, Beiträge v. J.-L. Respail u. a. Paris 1995.
Der S. war eine weltweite Erscheinung der modernen Kunst, bes. nachdem während des ZweitenWeltkrieges Ernst, Masson und Tanguy in die USA emigriert waren. Dort hatte er u. a. Anhänger in J. Cornell, Dorothea Tanning und dem Fotografen F. Sommer. Weitere bed. Vertreter in Europa waren in Belgien R. Magritte und P. Delvaux, in der Tschechoslowakei J. Styrsky und Toyen, in Dänemark W. Freddie, in Schweden M. W. Svanberg. Verglichen mit anderen europ. Ländern wirkte der S. in Dtl. (R. Oelze, E. Ende, M. Zimmermann) weniger nachhaltig. Nach dem Zweiten Weltkrieg regte der vom S. propagierte Automatismus den abstrakten Expressionismus an.
Auch im Film wurde der Versuch surrealist. Darstellung gemacht, u. a. von L. Buñuel, S. Dalí und J. Cocteau.
▣ Literatur:
P. Bürger. S., hg. v. Darmstadt 1982.
⃟ Als die Surrealisten noch recht hatten. Texte u. Dokumente, hg. v. G. Metken. Hofheim 21983.
⃟ Chénieux-Gendron, J.: Le surréalisme. Paris 1984.
⃟ Duplessis, Y.: Der S. Aus dem Frz. Berlin 1992.
⃟ Nadeau, M.: Geschichte des S. Aus dem Frz. Reinbek 1992.
⃟ S., Traum des Jahrhunderts, Ausst.-Kat. Galerie Beyeler. Basel 1995.
⃟ Les surréalistes. Une génération entre le rêve et l'action, Beiträge v. J.-L. Respail u. a. Paris 1995.