Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Sudan
I Sudander (Sudanzone, arab. Bilad es-Sudan), Landschaftsraum im nördl. Afrika, zw. der Sahara im N und dem trop. Regenwald im S, erstreckt sich vom Senegalbecken (Fouta Djalon) im W über 5 500 km bis zum Äthiop. Hochland im O. Bergzüge gliedern den S. in West-S. mit Nigerbecken, Mittel-S. mit Tschadbecken, Ost-S. mit Weißnilbecken. Pflanzen- und Tierwelt entsprechen der fast breitenparallelen Anordnung der Klimazonen, von der Dornbuschsavanne (Sahel) im N über die Trockensavanne bis zur Feuchtsavanne im S. Am S. haben Anteil die Staaten Senegal, Guinea, Mali, Burkina Faso, Nigeria, Niger, Tschad und die Rep. Sudan. - Die ethnisch zersplitterte einheim. negride Bauernbev. hat sich mit hellhäutigen Hirtenvölkern aus dem N vermischt (Berber, Araber, Äthiopide). Großen Einfluss gewann der Islam.
Geschichte: Der S. war vom Altertum an bis etwa 1500 n. Chr. wichtiges Durchgangsgebiet für Handel und Verkehr. Vom 10. bis 19. Jh. bestanden mehrere mächtige Staaten (Gana, Mali, Songhai, Kanem-Bornu, die Hausastaaten und die Staaten Nubiens). Reformbewegungen des Islam (seit dem 10. Jh.) führten im 19. Jh. zur Bildung neuer Staaten, die um 1900 dem frz. oder brit. Kolonialreich einverleibt wurden.
Literatur:
Fischer, R.: Gold, Salz u. Sklaven. Die Geschichte der großen Sudanreiche Gana, Mali, Songhai. Oberdorf 21991.
Die Sudanforschung in der Bundesrep. Dtl., hg. v. M. Wauschkuhn u. K. Wohlmuth. Münster u. a. 1995.
II Sudan
Fläche: 2 505 813 km2
Einwohner: (1995) 28,1 Mio.
Hauptstadt: Khartum
Verwaltungsgliederung: 26 (Bundes-)Staaten
Amtssprache: Arabisch
Nationalfeiertag: 1. 1.
Währung: 1 Sudanesischer Dinar (sD) = 10 Sudanesische Pfund (sud£) = 1 000 Piastres (PT.)
Zeitzone: OEZ
(amtlich arab. El-Djumhurijja es-Sudan), Staat in NO-Afrika, grenzt im N an Ägypten, im NO an das Rote Meer, im O an Eritrea und Äthiopien, im S an Kenia, Uganda und die Demokrat. Rep. Kongo, im SW an die Zentralafrikan. Rep., im W an Tschad und im NW an Libyen.
Staat und Recht: Nach der am 29. 3. 1998 vom Parlament gebilligten Verf. (seit 1. 7. 1998 in Kraft) ist S. eine islam. Rep. mit Präsidialregime. Die neue Verf. fixiert Rede-, Religions- und Reisefreiheit sowie das Recht auf Bildung polit. Parteien; die Umsetzung wird aufgrund des fortdauernden Bürgerkrieges erschwert. Als Staatsoberhaupt und Reg.chef fungiert der mit weitgehenden Vollmachten ausgestattete Präs. (auf fünf Jahre direkt gewählt). Oberstes gesetzgebendes Organ ist derzeit die (Übergangs-)Nationalversammlung (400 Mitgl., davon 125 auf dem Nationalkongress im Januar 1996 bestimmt und 275 im März 1996 direkt gewählt). Dominierende Partei ist die National Islamic Front (NIF); die wichtigsten Oppositionsparteien, darunter die Democratic Unionist Party (DUP), die National Umma Party (NUP) und die Sudanese People's Liberation Army (SPLA), sind in der National Democratic Alliance (NDA) zusammengeschlossen.
Landesnatur: S. umfasst den O-Teil der Sudanzone und hat im N Anteil an der Libyschen Wüste; im NO liegt die Nubische Wüste. Die flache Beckenlandschaft wird von Nil, Weißem Nil und Bahr el-Ghasal durchflossen und von Randgebirgen eingefasst: im NO gegen das Rote Meer durch die Red Sea Hills (bis 2 229 m ü. M.), im SO durch das Äthiop. Hochland, im S durch die Imatong Mountains (im Kinyeti 3 187 m ü. M.); im zentralen Bergland von Kordofan erreichen die Nubaberge 1 450 m ü. M. Im S liegt die Überschwemmungs- und Sumpflandschaft des Sudd. S. hat trop. und randtrop. Klima mit einer Regenzeit, im N herrscht Wüstenklima. Vollwüste nimmt etwa 25 % der Landesfläche ein.
Bevölkerung: Die Bev. (Sudanesen) setzt sich aus über 50 ethn. Gruppen mit entsprechend vielen Sprachen zusammen. Es besteht ein konfliktreicher ethnisch-religiöser sowie politisch-wirtsch. Gegensatz zw. den vorwiegend muslim. S.-Arabern (rd. 49 %) im N und den teils animist., teils christl. Südsudanesen (Dinka, Nuba, Bedja, Nuer u. a. Gruppen), Nubiern und Kuschiten. Die Wüstengebiete im N sind fast menschenleer, im Gebiet Khartum und in der Zentralregion leben dagegen fast 30 % der Gesamtbev. auf nur 6,5 % der Gesamtfläche. - Es besteht allg. Schulpflicht, die auf dem Land nur z. T. realisiert wird. Die Analphabetenquote liegt bei 73 %. Es gibt sieben Univ., darunter eine für Frauen in Omdurman.
Wirtschaft, Verkehr: Grundlage bildet die Landwirtschaft, in der über die Hälfte der Erwerbstätigen beschäftigt ist. Ackerbau kann nur auf rd. 5 % der Landesfläche betrieben werden, v. a. der Bewässerungsfeldbau (bes. im Gesiragebiet), im S auch Regenfeldbau. Hauptanbauprodukt bes. für den Export ist Baumwolle; für den Eigenbedarf werden v. a. Hirse, Weizen, Erdnüsse, Sesam, Gemüse angebaut. Viehweidewirtschaft (Rinder, Schafe, Ziegen, Kamele) wird von Nomaden betrieben. Der Wald nimmt nur 1 % der Landesfläche ein; das Holz dient vorwiegend als Brennholz. Weltwirtsch. Bedeutung hat die Gewinnung von Gummiarabikum. Geringer Bergbau auf Chrom-, Manganerz, Gold, Glimmer; die Vorkommen von Erdöl und Erdgas sind bisher ungenutzt. Die Industrie ist wenig entwickelt, konzentriert sich um Khartum und in der Zentralregion: Nahrungsmittel-, Leder-, Textil-, chem. Ind.; Erdölraffinerie in Port Sudan. Ausfuhr von Baumwolle, Gummiarabikum, Ölsaaten, Lebendvieh, Häuten und Fellen; Haupthandelspartner sind die EU-Länder, Ägypten und Saudi-Arabien. - Der S. ist verkehrstechnisch wenig erschlossen; das Eisenbahnnetz ist 4 874 km, das Straßennetz 73 577 km lang (einschl. Pisten). Binnenschifffahrt streckenweise auf dem Nil und seinen Nebenflüssen; wichtigster Seehafen ist Port Sudan; internat. Flughäfen haben Khartum, Port Sudan und Wadi Halfa.
Geschichte: Das obere Niltal bis zum 4. Katarakt (Nubien) wurde von den Pharaonen kolonisiert. Von etwa 900 bis 300 v. Chr. bestand dort das selbstständige Reich Kusch. Im 6. Jh. drang das Christentum aus Ägypten vor. Es entstand eine Reihe christlich-nub. Staaten. 1315 wurde der nördl. Staat um Dongola, 1504 der südliche um Soba islamisiert. Im 16. Jh. entstand das islam. Reich Fung um Sennar, das 1821 von den Ägyptern erobert wurde. Gegen die ägypt. Herrschaft erhob sich 1881 der Mahdi und eroberte 1885 Khartum. Sein Nachfolger behauptete seine Herrschaft noch bis 1898, als er von ägypt. Truppen unter Führung des brit. Generals Lord Kitchener geschlagen wurde. 1899-1953 war S. angloägypt. Kondominium, faktisch brit. Kolonie.1956 gewann S. unter MinPräs. I. al-Ashari (1954-56) die staatl. Unabhängigkeit. 1958 ergriff General I. Abboud durch einen Staatsstreich die Macht, musste sie jedoch 1964 nach einem Aufstand in Khartum an eine Zivilreg. abgeben. Nach einem erneuten Staatsstreich 1969 übernahm Oberst J. M. an-Numeiri als Chef eines Revolutionsrats die Führung des Landes und errichtete ein Einparteiensystem (»Sudanes. Sozialist. Union«, SSU). Mit der Gewährung eines Autonomiestatus für den Süd-S. beendete an-Numeiri 1972 den langjährigen Konflikt mit dem christlich-schwarzafrikan. S des Landes. Die anfänglich guten Beziehungen zu Libyen (1971 Niederschlagung eines kommunist. Aufstandes mit libyscher Hilfe) verschlechterten sich in den 70er-Jahren zunehmend; im selben Zeitraum konnte an-Numeiri zahlr. Putschversuche abwehren. Die Anfang der 80er-Jahre wieder zunehmenden Spannungen zw. dem arabisch-islam. N und dem christlich-schwarzafrikan. S sowie die fortschreitende Islamisierung führten zum erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges, den das Militär schließlich zum Sturz an-Numeiris (1985) nutzte, einen Militärrat an die Macht brachte und die SSU auflöste. Nach demokrat. Wahlen wurde 1986 eine zivile Reg. unter S. al-Mahdi gebildet. 1989 übernahm nach einem Putsch der Revolutionäre Kommandorat (RCC) unter dem proislamisch eingestellten O. H. Ahmed al-Bashir die Macht. Im Frühjahr 1992 versuchte die Reg. mit einer Militäroffensive gegen die Autonomie für den S fordernde Sudanes. Volksbefreiungsarmee (SPLA) den Bürgerkrieg zu beenden. Mit der Ernennung al-Bashirs zum Präs. im Okt. 1993 (März 1996 im Amt bestätigt) endete formell die Militärherrschaft. Die Reg. suchte weiterhin mit großer militär. Härte, die nach Berichten internat. Beobachter einem Völkermord gleichkam, die Autonomiebewegung im christlich dominierten S zu unterdrücken. Gleichzeitig leistete sie einer radikalen Islamisierung des Landes Vorschub (gestützt v. a. auf die Nat. Islam. Front und deren Führer H. A. Turabi). Gespräche zw. Reg. und SPLA endeten im Herbst 1997 ergebnislos. Ein Ende des Bürgerkrieges zeichnete sich somit nicht ab. Erschwert wird die Situation zusätzlich durch heftige polit. Auseinandersetzungen im islam. N, durch miteinander konkurrierende polit. Gruppierungen und Ethnien im S, durch Grenzstreitigkeiten S.s mit seinen Nachbarländern sowie durch Hungersnot und Flüchtlingsströme.
Literatur:
Fuchs, P.: S. Landschaften, Menschen, Kulturen zw. Niger u. Nil. Wien 1977.
Iten, O.: Schwarzer S. Die Stämme der Nuba, Ingessana, Schilluk, Dinka, Nuer, Azande u. Latuka. Kreuzlingen 1978.
Tetzlaff, R.: Staatswerdung im S. Münster u. a. 1993.
S. Antike Königreiche am Nil, bearb. v. D. Wildung, Ausst.-Kat. Institut du Monde Arabe Paris. Tübingen 1996.
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