Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Strukturalismus
Strukturalịsmus[lat.] der, wiss. Betrachtungsweise, nach der sich wesentl. Erscheinungen der untersuchten Einzelphänomene erst aus ihrer Einbettung in einen Zusammenhang erkennen lassen. Ausgehend von der Sprachwiss. wurde die strukturalist. Analyse der Funktionen eines geordneten Ganzen aus dessen Gesamtaufbau v. a. in den 1960er-Jahren (in Anlehnung an naturwiss. Exaktheit) zum method. Programm versch. Geistes- und Sozialwissenschaften (J. Lacan).
In der Sprachwissenschaft bedeutet der S. eine Theorie, die Sprachen als strukturierte Zeichensysteme auffasst und Methoden zu ihrer Beschreibung entwickelt. Der europ. S. geht auf F. de Saussure zurück, der Sprache nicht mehr als Ergebnis histor. Entwicklung (Diachronie), sondern als Zusammenwirken gleichzeitiger Einheiten (Synchronie) neu definierte. Sie ist nicht zu fassen im konkreten individuellen Sprechen (Parole), sondern ist vielmehr ein überindividuelles System von Werten, das als soziale Institution in einer Sprachgemeinschaft gilt (Langue). Dieser Ansatz wurde v. a. von der Prager Schule und von der Glossematik aufgegriffen und weiterentwickelt. Auch der von L. Bloomfield in den 1920er-Jahren begründete amerikan. S. beschreibt Sprache als synchrones System. Aus der beobachtbaren gesprochenen Sprache entwickelt er exakte Analysemethoden, um aus einem Korpus von Äußerungen ohne Rückgriff auf die Bedeutungen dieser Äußerungen die Grammatik einer Sprache zu ermitteln. Diese Methoden haben zum Ziel, Äußerungen in sich wiederholende gleiche Teile zu segmentieren, die Teile nach ihrer Distribution zu klassifizieren. Segmentierung und Klassifizierung haben eine Grammatik zum Ergebnis, die die Formen strukturell beschreibt, ihre Bedeutungen jedoch unberücksichtigt lässt. Die Verdienste des S. liegen v. a. in der Erkenntnis der Systemhaftigkeit der Sprachen und in der Entwicklung theoretisch fundierter Analysemethoden.
In der Völkerkunde hat v. a. C. Lévi-Strauss die strukturelle Analyse angewendet und versucht, Sprachsysteme, soziale Ordnungen, Religionen und Mythen der Völker auf kleinste Einheiten, d. h. ihre zu allen Zeiten gleiche Struktur, zurückzuführen.
Literatur:
Deleuze, G.: Woran erkennt man den S.? Aus dem Frz. Berlin 1992.
Gramstadt, C.: »Norm« u. »Limitation« oder wozu taugt der S. noch? Frankfurt am Main u. a. 1995.
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