Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Stadt
Stadt,Siedlung mit meist nichtlandwirtsch. Funktionen (Ausnahme Ackerbürger-S.), gekennzeichnet u. a. durch eine gewisse Größe, Geschlossenheit der Ortsform, hohe Bebauungsdichte, zentrale Funktionen in Handel, Kultur und Verwaltung; in größeren S. führt die Differenzierung des Ortsbildes zur Bildung von S.-Vierteln (z. B. City, Wohnviertel, Ind.gebiete). - Die statist. Definition der S. geht nur von einer bestimmten Einwohnerzahl aus, unabhängig vom S.-Recht; für internat. Vergleiche scheint eine Mindesteinwohnerzahl von 20 000 sinnvoll zu sein; in Dtl. unterscheidet man Klein- (5 000-20 000 Ew.), Mittel- (20 000-100 000 Ew.) und Groß-S. (über 100 000 Ew.).Geschichte: Die S.-Entwicklung setzte im 9./8. Jt. v. Chr. in Palästina ein (Jericho), aber noch ohne typ. Merkmale städt. Strukturen. Seit dem 5. Jt. entstanden städt. Zentren in den Tälern des Nil (z. B. Theben), Indus (Harappakultur), Euphrat und Tigris (z. B. Uruk) und des Jangtsekiang, in Europa ab dem 2. Jt. v. Chr. im östl. Mittelmeerraum (zunächst Knossos auf Kreta, später die grch. Polis, z. B. Athen und Korinth). Im 1. Jh. n. Chr. erreichten röm. Stadtgründungen den Rhein. Hier traf die S.-Werdung auf bereits bestehende Ansätze eines v. a. befestigten S.-Wesens (u. a. kelt. Oppidum). Die antiken grch. und röm. S. waren organisator. Mittelpunkte des öffentl. Lebens, polit., kulturelle und wirtsch. Zentren.
Das Ende des Röm. Reiches brachte (v. a. im Westen) auch den Niedergang der antiken S.-Kultur mit sich. Die german. und slaw. Völker übernahmen erst allmählich im MA. städt. Lebensformen. Wichtigste Keimzellen oder Gründungskerne der frühmittelalterl. S.-Entwicklung in Mitteleuropa (in den Quellen Civitas oder Oppidum gen.) waren (neben röm. Gründungen, etwa Köln und Trier, oder Kastellen) die entlang den Heer- und Handelsstraßen angelegten Burgen oder Pfalzen (z. B. Dortmund) sowie Domburgen der Bischofssitze (z. B. Bremen) oder Klosteranlagen (z. B. Hameln). Hinzu kam meist in Anlehnung an Burg oder Kloster die Kaufmannssiedlung (Wik). Der Typ der vielgliedrigen und -gestaltigen frühmittelalterl. »Mutter-S.« hat sich bis um 1150, ausgehend vom Maas-Schelde-Raum (Gent, Brügge), über das Rheinland bis in die Ostmarken an Elbe und Saale, Main und Donau ausgebildet. Neben die gleichsam gewachsenen alten S. traten etwa seit 1120 planmäßig gegr. S. (sog. Gründungs-S., etwa Freiburg im Breisgau, Lübeck), zunächst als Instrumente kaiserl. oder fürstl. Machtpolitik, v. a. seit 1250 auch als landesherrl. Gründungen. Ein gewisses Maß an Selbstverw. und eigener städt. Gerichtsbarkeit wurde teils durch Privilegierung, teils in Auseinandersetzungen mit dem S.-Herrn erworben (S.-Recht). Zu den städt. Rechten zählten etwa auch das Marktrecht, das Zunftwesen, Recht auf Selbstverteidigung (Bürgerwehr und Mauern). Die persönl. Freiheit, die Rechtsgleichheit und die besseren wirtsch. Möglichkeiten in der S. übten eine außerordentl. Anziehungskraft auf die Landbev. aus. Die Leistung der mittelalterl. S. bestand v. a. in der Konzentration von Handel und Gewerbe, in der wirtsch. Beherrschung des Umlandes und der Erschließung neuer Absatzräume. Ihre polit. Bedeutung beruhte bes. auf ihrer überlegenen Finanzkraft. Polit. und wirtsch. Zusammenschlüsse (Städtebünde, z. B. der Schwäb. Städtebund) sicherten sich einen Einfluss auf die Reichs- und Territorialpolitik. Die Reichsstädte nahmen ab 1489 als geschlossene Kurie an den Reichstagen teil. - Bis zum 14. Jh. hatten sich aus den Siegeln die S.-Wappen gebildet.
Der entstehende neuzeitl. Staat, auf die Steuerleistung der S. angewiesen, gliederte sie immer stärker in den Staatsverband ein. Die S. wurde Amts- und Verw.zentrum im institutionellen Flächenstaat. Im 18. Jh. finden sich Ansätze zu einheitl. S.-Ordnungen, wenn auch die Grundlage der neueren kommunalen Selbstverw. zuerst 1808 mit den preußischen Reformen geschaffen wurde. Die industrielle Revolution führte im 19. Jh. zu enormem Bev.zuwachs in und bei den Ind.zentren und zur Proletarisierung der Bev., zunächst und am nachhaltigsten in Großbritannien. Neue S.-Teile aus Mietskasernen wurden errichtet; es entwickelten sich die modernen Groß-S. (in Dtl. Berlin, München, Hamburg u. a.). Gleichzeitig wuchsen die öffentl. Aufgaben der S. (u. a. Wasserversorgung, Kanalisation, Müllabfuhr, Gas- und Elektrizitätsversorgung, Nahverkehr, Sozialfürsorge, Schulen).Probleme der Großstadt: Wirtsch. Interessen (Konzentration von Handel und Verwaltung in den S.-Zentren) und steigende Mieten verdrängten nach und nach die Bewohner aus den S.-Zentren; die Betonbautechnik führte dazu, dass v. a. nach dem Zweiten Weltkrieg die alte Bausubstanz durch Hochhäuser aus Glas und Beton ersetzt wurde, während heute vielerorts die Altstadtsanierung zur Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen in der Altstadt den Vorrang genießt. Die S. selbst wuchsen planlos entlang den Ausfallstraßen; die Besserverdienenden siedelten sich in S.-Erweiterungsgebieten im Grünen an; im 19. Jh. geschah dies in geplanten Reihenvillengebieten, im 20. Jh. weitgehend regellos in Gebieten mit Einfamilienhäusern an den S.-Rändern. Um die Ausbreitung der S. unter Kontrolle zu bekommen, wurden an den S.-Peripherien Trabanten- bzw. Satelliten-S. errichtet, oft mit Hochhauskomplexen, die auf die Wohnfunktion reduziert waren. In diesen sog. Schlaf-S. lebten v. a. Hausfrauen, alte Menschen und Kinder wegen fehlender kultureller und sozialer Einrichtungen isoliert; später wurden aufgrund dieser Mängel zur Entlastung der Groß-S. Satelliten-S. mit Versorgungsfunktionen des tägl. und teilweise des gehobenen Bedarfs, die gleichzeitig auch Gewerbestandorte bildeten, gebaut. Diese Lösung strebte bereits um die Jh.wende das Konzept der Garten-S. an, das sich jedoch nicht durchsetzte. Heute wird auch die Bedeutung der Förderung von Stadtteilzentren gesehen.
Das starke Wachstum größerer S., verbunden mit höherem Verkehrsaufkommen durch die Trennung von Wohnen und Arbeiten sowie die zunehmende Umweltbelastung (Abwasser, Müll, Smog), stellen die S.-Verwaltungen vor Probleme, die durch die schwierige Finanzsituation der Kommunen noch verstärkt werden. Darüber hinaus hat die S.-Soziologie, die sich mit den Problemen des modernen (Groß-)Stadtlebens und deren Ursachen beschäftigt, auf den Zusammenhang zw. S.-Größe und sozialem Verhalten hingewiesen, der sich v. a. in einer Verkümmerung sozialer Lebensformen manifestiert und in sozialpatholog. Auswüchsen (z. B. Slums, erhöhte Kriminalitätsrate) gipfelt. Alle diese Erkenntnisse haben Einfluss auf die S.-Planung (Städtebau), die nicht mehr allein Aufgabe von Bauingenieuren, sondern auch von Ökologen, Soziologen und Sozialpsychologen ist.
▣ Literatur:
Schirmacher, E.: Stadtvorstellungen. Die Gestalt der mittelalterl. Städte. Zürich 1988.
⃟ Lichtenberger, E.: Stadtverfall u. Stadterneuerung. Wien 1990.
⃟ Schabert, T.: Stadtarchitektur. Zürich 1990.
⃟ Die Geschichte der S., bearb. v. L. Benevolo. A. d. Italien. Neuausg. Frankfurt am Main 61991.
⃟ Lichtenberger, E.: Stadtgeographie, Bd. 1. Stuttgart 21991.
⃟ Reulecke, J.: Geschichte der Urbanisierung in Dtl. Frankfurt am Main 31992.
⃟ Schmidt-Eichstaedt, G.: Stadtökologie. Lebensraum Großstadt. Mannheim u. a. 1996.
Das Ende des Röm. Reiches brachte (v. a. im Westen) auch den Niedergang der antiken S.-Kultur mit sich. Die german. und slaw. Völker übernahmen erst allmählich im MA. städt. Lebensformen. Wichtigste Keimzellen oder Gründungskerne der frühmittelalterl. S.-Entwicklung in Mitteleuropa (in den Quellen Civitas oder Oppidum gen.) waren (neben röm. Gründungen, etwa Köln und Trier, oder Kastellen) die entlang den Heer- und Handelsstraßen angelegten Burgen oder Pfalzen (z. B. Dortmund) sowie Domburgen der Bischofssitze (z. B. Bremen) oder Klosteranlagen (z. B. Hameln). Hinzu kam meist in Anlehnung an Burg oder Kloster die Kaufmannssiedlung (Wik). Der Typ der vielgliedrigen und -gestaltigen frühmittelalterl. »Mutter-S.« hat sich bis um 1150, ausgehend vom Maas-Schelde-Raum (Gent, Brügge), über das Rheinland bis in die Ostmarken an Elbe und Saale, Main und Donau ausgebildet. Neben die gleichsam gewachsenen alten S. traten etwa seit 1120 planmäßig gegr. S. (sog. Gründungs-S., etwa Freiburg im Breisgau, Lübeck), zunächst als Instrumente kaiserl. oder fürstl. Machtpolitik, v. a. seit 1250 auch als landesherrl. Gründungen. Ein gewisses Maß an Selbstverw. und eigener städt. Gerichtsbarkeit wurde teils durch Privilegierung, teils in Auseinandersetzungen mit dem S.-Herrn erworben (S.-Recht). Zu den städt. Rechten zählten etwa auch das Marktrecht, das Zunftwesen, Recht auf Selbstverteidigung (Bürgerwehr und Mauern). Die persönl. Freiheit, die Rechtsgleichheit und die besseren wirtsch. Möglichkeiten in der S. übten eine außerordentl. Anziehungskraft auf die Landbev. aus. Die Leistung der mittelalterl. S. bestand v. a. in der Konzentration von Handel und Gewerbe, in der wirtsch. Beherrschung des Umlandes und der Erschließung neuer Absatzräume. Ihre polit. Bedeutung beruhte bes. auf ihrer überlegenen Finanzkraft. Polit. und wirtsch. Zusammenschlüsse (Städtebünde, z. B. der Schwäb. Städtebund) sicherten sich einen Einfluss auf die Reichs- und Territorialpolitik. Die Reichsstädte nahmen ab 1489 als geschlossene Kurie an den Reichstagen teil. - Bis zum 14. Jh. hatten sich aus den Siegeln die S.-Wappen gebildet.
Der entstehende neuzeitl. Staat, auf die Steuerleistung der S. angewiesen, gliederte sie immer stärker in den Staatsverband ein. Die S. wurde Amts- und Verw.zentrum im institutionellen Flächenstaat. Im 18. Jh. finden sich Ansätze zu einheitl. S.-Ordnungen, wenn auch die Grundlage der neueren kommunalen Selbstverw. zuerst 1808 mit den preußischen Reformen geschaffen wurde. Die industrielle Revolution führte im 19. Jh. zu enormem Bev.zuwachs in und bei den Ind.zentren und zur Proletarisierung der Bev., zunächst und am nachhaltigsten in Großbritannien. Neue S.-Teile aus Mietskasernen wurden errichtet; es entwickelten sich die modernen Groß-S. (in Dtl. Berlin, München, Hamburg u. a.). Gleichzeitig wuchsen die öffentl. Aufgaben der S. (u. a. Wasserversorgung, Kanalisation, Müllabfuhr, Gas- und Elektrizitätsversorgung, Nahverkehr, Sozialfürsorge, Schulen).Probleme der Großstadt: Wirtsch. Interessen (Konzentration von Handel und Verwaltung in den S.-Zentren) und steigende Mieten verdrängten nach und nach die Bewohner aus den S.-Zentren; die Betonbautechnik führte dazu, dass v. a. nach dem Zweiten Weltkrieg die alte Bausubstanz durch Hochhäuser aus Glas und Beton ersetzt wurde, während heute vielerorts die Altstadtsanierung zur Verbesserung der Wohn- und Lebensbedingungen in der Altstadt den Vorrang genießt. Die S. selbst wuchsen planlos entlang den Ausfallstraßen; die Besserverdienenden siedelten sich in S.-Erweiterungsgebieten im Grünen an; im 19. Jh. geschah dies in geplanten Reihenvillengebieten, im 20. Jh. weitgehend regellos in Gebieten mit Einfamilienhäusern an den S.-Rändern. Um die Ausbreitung der S. unter Kontrolle zu bekommen, wurden an den S.-Peripherien Trabanten- bzw. Satelliten-S. errichtet, oft mit Hochhauskomplexen, die auf die Wohnfunktion reduziert waren. In diesen sog. Schlaf-S. lebten v. a. Hausfrauen, alte Menschen und Kinder wegen fehlender kultureller und sozialer Einrichtungen isoliert; später wurden aufgrund dieser Mängel zur Entlastung der Groß-S. Satelliten-S. mit Versorgungsfunktionen des tägl. und teilweise des gehobenen Bedarfs, die gleichzeitig auch Gewerbestandorte bildeten, gebaut. Diese Lösung strebte bereits um die Jh.wende das Konzept der Garten-S. an, das sich jedoch nicht durchsetzte. Heute wird auch die Bedeutung der Förderung von Stadtteilzentren gesehen.
Das starke Wachstum größerer S., verbunden mit höherem Verkehrsaufkommen durch die Trennung von Wohnen und Arbeiten sowie die zunehmende Umweltbelastung (Abwasser, Müll, Smog), stellen die S.-Verwaltungen vor Probleme, die durch die schwierige Finanzsituation der Kommunen noch verstärkt werden. Darüber hinaus hat die S.-Soziologie, die sich mit den Problemen des modernen (Groß-)Stadtlebens und deren Ursachen beschäftigt, auf den Zusammenhang zw. S.-Größe und sozialem Verhalten hingewiesen, der sich v. a. in einer Verkümmerung sozialer Lebensformen manifestiert und in sozialpatholog. Auswüchsen (z. B. Slums, erhöhte Kriminalitätsrate) gipfelt. Alle diese Erkenntnisse haben Einfluss auf die S.-Planung (Städtebau), die nicht mehr allein Aufgabe von Bauingenieuren, sondern auch von Ökologen, Soziologen und Sozialpsychologen ist.
▣ Literatur:
Schirmacher, E.: Stadtvorstellungen. Die Gestalt der mittelalterl. Städte. Zürich 1988.
⃟ Lichtenberger, E.: Stadtverfall u. Stadterneuerung. Wien 1990.
⃟ Schabert, T.: Stadtarchitektur. Zürich 1990.
⃟ Die Geschichte der S., bearb. v. L. Benevolo. A. d. Italien. Neuausg. Frankfurt am Main 61991.
⃟ Lichtenberger, E.: Stadtgeographie, Bd. 1. Stuttgart 21991.
⃟ Reulecke, J.: Geschichte der Urbanisierung in Dtl. Frankfurt am Main 31992.
⃟ Schmidt-Eichstaedt, G.: Stadtökologie. Lebensraum Großstadt. Mannheim u. a. 1996.