Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Sozialpolitik
Sozialpolitik,i. w. S. Gesamtheit der staatl. und privaten Maßnahmen zur Wahrung und Mehrung von materieller Sicherheit und Chancengleichheit in den Bereichen Einkommen, Gesundheit, Wohnung, Bildung und im berufl. Bereich. Die S. i. e. S. wird verstanden als die Politik der sozialen Sicherung gegen das Risiko des Einkommensausfalls bzw. unplanmäßiger finanzieller Belastung z. B. im Alter, bei Arbeitslosigkeit, Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, Unfall, Krankheit oder Mutterschaft; sozialpolit. Wirkungen können auch von finanz-, wirtschafts-, bildungs- und gesundheitspolit. Maßnahmen ausgehen. Vom Staat wird die Durchführung einzelner sozialpolit. Aufgaben auch auf nichtstaatl. Institutionen übertragen. Zu den Mitteln staatl. S. gehören v. a.: 1) gesetzl. (nichtfinanzielle) Maßnahmen, die die gesellschaftl. Stellung sozial schwächerer Gruppen absichern sollen (z. B. Arbeitsrecht, Kündigungsschutz); 2) die Bereitstellung öffentl. Güter, die sonst aufgrund ihrer Anschaffungs- und/oder Unterhaltungskosten ein Privileg von wenigen wären (z. B. Bäder, Verkehrsmittel); 3) Steuererleichterungen oder direkte finanzielle Zuwendungen an nach sozialen Kriterien abgrenzbare Personengruppen, z. B. in Form von Sozialhilfe, Kinder-, Wohngeld; 4) Maßnahmen der Sozialversicherung und der Versorgung.S. im heutigen Sinn entstand als Folge der Industrialisierung und der mit ihr einhergehenden sozialen Frage. Erste Maßnahmen der staatl. S. waren gegen Kinderarbeit gerichtet, v. a. über die Bildungspolitik mit der Einführung der Schulpflicht. Es folgten Einschränkungen für die Arbeitszeit von Frauen und Jugendlichen, dann auch generelle Beschränkungen der Arbeitszeit. Durch den Erlass von Arbeitsschutzbestimmungen und Unfallverhütungsvorschriften sollten die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Im Bereich der Unterstützung von Alten und Kranken traten zunehmend private, kirchl. und genossenschaftl. Einrichtungen in Erscheinung; erst in den 1880er-Jahren griff der Staat unter dem Druck der Arbeiterbewegung mit Einführung gesetzl. Sozialversicherungen ein. In der Weimarer Rep. wurden gesetzl. Regelungen für den Abschluss von Tarifverträgen erlassen, und die Gewerkschaften erreichten die Einführung des Achtstundentages und von Betriebsräten. In der Bundesrep. Dtl. wurde der S. durch die Verankerung des Sozialstaatsprinzips im GG ein besonderer Rang zugewiesen. Die Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Betriebsräte wurden neu aufgebaut und ein wirtschaftspolit. Mitbestimmungsrecht verwirklicht. Der Neuregelung der Rentenversicherung folgte eine Rentenreform, die deren Rahmen erweiterte und schließlich die Anerkennung von Erziehungsleistungen brachte. Eine wichtige Neuerung der S. erfolgte mit Einführung der Pflegeversicherung. Die dt. Vereinigung, anhaltende Arbeitslosigkeit, die Globalisierung des Wettbewerbs und der demograph. Umbruch haben die ökonom., finanziellen und polit. Rahmenbedingungen der S. verschlechtert, eine kontroverse Diskussion über einen »Umbau des Sozialstaats« ausgelöst und zur Kürzung von Sozialleistungen geführt. Teilweise wird befürchtet, dass eine Reduzierung sozialpolit. Leistungen wirtschaftlich untauglich sei und die polit. Stabilität beeinträchtige. - In der letzten Zeit werden substanzielle Ergebnisse einer internat. S. zunehmend angemahnt (v. a. von der Internat. Arbeitsorganisation), da die Fixierung rechtl. Grundsätze (z.B. Europ. Sozialcharta) und Konferenzen (»Weltsozialgipfel« 1995) nicht ausreichend sind.
▣ Literatur:
B. von Maydell Handbuch S., hg. v. u. a. Pfullingen 1988.
⃟ Schmidt, Manfred G.: S. Histor. Entwicklung u. internationaler Vergleich. Opladen 1988.
⃟ Der wirtsch. Wert der S., hg. v. G. Vobruba. Berlin 1989.
⃟ Esping-Anderson, G.: The three worlds of welfare capitalism. Cambridge 1990.
⃟ Strukturwandel der S., hg. v. G. Vobruba. Frankfurt am Main 1990.
⃟ Übersicht über die soziale Sicherheit, hg. vom Bundesminister für Arbeit u. Sozialordnung. Bonn 21991.
▣ Literatur:
B. von Maydell Handbuch S., hg. v. u. a. Pfullingen 1988.
⃟ Schmidt, Manfred G.: S. Histor. Entwicklung u. internationaler Vergleich. Opladen 1988.
⃟ Der wirtsch. Wert der S., hg. v. G. Vobruba. Berlin 1989.
⃟ Esping-Anderson, G.: The three worlds of welfare capitalism. Cambridge 1990.
⃟ Strukturwandel der S., hg. v. G. Vobruba. Frankfurt am Main 1990.
⃟ Übersicht über die soziale Sicherheit, hg. vom Bundesminister für Arbeit u. Sozialordnung. Bonn 21991.