Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Sowjetunion
Sowjẹtunion(Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Abk. UdSSR, russ. Sojus Sowjetskich Sozialistitscheskich Respublik, Abk. SSSR), ehem. Bundesstaat in O-Europa und N-Asien, bestand aus 15 Unionsrepubliken, 22,4 Mio. km2 (davon 5,57 Mio. km2 in Europa), 288,62 Mio. Ew. (1990); Hptst. Moskau. Die S. grenzte im W an das Schwarze Meer, an Rumänien, Ungarn, die Tschechoslowakei und Polen; im NW an die Ostsee, an Finnland und Norwegen; im N an das Nordpolarmeer, im O an den Pazifik, im SO an das Japan. Meer, an Nord-Korea und China; im S an China, die Mongolei und Afghanistan sowie im SW an Iran und die Türkei.
Politisches System Die S. war ein multinat. kommunist. Unionsstaat, der sich als Diktatur des Proletariats verstand und von Anfang an totalitäre Züge aufwies. 1936 war die führende Rolle der Kommunist. Partei der S. (KPdSU) in allen staatl. und gesellschaftl. Bereichen und damit ein Einparteiensystem in der Verf. verankert worden. Die Monopolstellung der KPdSU mit einer engen Verquickung von Partei und Staat führte zum Ausbau eines zentralistisch geführten, bürokrat. Wirtschafts- und Verwaltungssystems, das auf Staatseigentum in allen Wirtschaftsbereichen basierte. Ihre Führungs- und Kontrollfunktion auf allen Ebenen der Gesellschaft übte die Partei über weitgehende Weisungsrechte, Vorschlagsrecht für die Zusammensetzung staatl. Organe sowie eine von ihr dominierte Personalpolitik aus. Die Ausübung der Staatsmacht erfolgte durch ein auf dem leninschen Prinzip des »demokrat. Zentralismus« basierendes System der Sowjets der Volksdeputierten. Nach der Verf. von 1977 fungierte das von seinem Vors. geleitete Präsidium des Obersten Sowjets als kollektives Staatsoberhaupt. De facto galt jedoch der Gen.-Sekr. der Partei mit seiner Machtfülle als oberster Repräsentant des Staates. 1990 übernahm ein mit weitgehenden Vollmachten ausgestatteter Präs. das Amt des Staatsoberhauptes. Höchstes Staats- und Legislativorgan war seit 1989 der Kongress der Volksdeputierten (2 250 Mitgl., auf fünf Jahre gewählt). In seine Kompetenz fielen u. a. Verf.änderungen, Grundfragen der Innen- und Außenpolitik, Wahl des Obersten Sowjets der UdSSR. Als ständig tätiges Gesetzgebungs- und Kontrollorgan fungierte der Oberste Sowjet (bis 1989 war er höchstes Machtorgan), bestehend aus zwei gleichberechtigten Kammern mit je 271, für fünf Jahre gewählten Deputierten (Unions- und Nationalitätensowjet). Ihm oblag u. a. die Ernennung des Kabinetts unter Leitung des MinPräs. und des Generalstaatsanwalts der Union sowie die Gesetzesauslegung. Exekutivorgan der Union war der Min.rat (bis 1946 Rat der Volkskommissare); seine Dekrete waren in der gesamten S. bindend. Mit der Streichung des Führungsanspruchs der KPdSU aus der Verf. am 13. 3. 1990 wurden Voraussetzungen für einen Parteienpluralismus geschaffen. Im Gefolge entstanden zahlr. neue Parteien. Zu den gesellschaftl. Organisationen gehörten u. a. der der Staatspartei unterstehende Gewerkschaftsverband mit 31 Fachgewerkschaften, Berufsverbände, die Jugend- und Kinderorganisationen »Komsomol« und »Verband der Pioniere«. Im Dez. 1990 wurde die Bildung unabhängiger Gewerkschaften gesetzlich geregelt.Die föderative Struktur der S.: Das sowjet. Verf.recht betrachtete die 15 Unionsrepubliken (sozialist. Sowjetrepubliken, SSR) formal als souveräne Staaten (einschl. des Rechts auf Austritt aus der Union). Tatsächlich verfügte die Union jedoch über weit reichende Kompetenzen in fast allen staatlich bedeutsamen Belangen. Die Gesetzgebung in den nicht der Union vorbehaltenen Bereichen übte die Legislative der Unionsrepubliken aus, die im Wesentlichen analog der auf Unionsebene organisiert war. Die Exekutive lag beim jeweiligen Min.rat. Bestimmte Ministerien waren den entsprechenden Unionsministerien untergeordnet, andere Ressorts dagegen nur dem Min.rat der Unionsrepublik (z. B. Sozialfürsorge, öffentl. Ordnung, Verkehr, regionaler Handel, kommunale Einrichtungen). Nat. heterogene Unionsrepubliken waren weiter untergliedert. Je nach der zahlenmäßigen Stärke einer Nationalität gab es »Autonome Sozialist. Sowjetrepubliken« (ASSR), »Autonome Gebiete« und »Autonome Kreise«. Die legislativen und administrativen Aufgaben in den versch. regionalen Verwaltungsebenen wurden von den Sowjets der Volksdeputierten wahrgenommen.Das Gerichtswesen war zwar in ein bundeseigenes und ein Gerichtswesen der Unionsrepubliken getrennt, der vom Obersten Sowjet für fünf Jahre gewählte Oberste Gerichtshof der S. übte jedoch die Oberaufsicht über alle Gerichte der S. aus. Neben der letztinstanzl. Entscheidung im System der Sowjetgerichtsbarkeit und der Behandlung von bes. wichtigen und schweren Fällen in 1. Instanz fällte er Grundsatzentscheidungen und nahm Gesetzeserläuterungen vor. Oberste Gerichtshöfe hatten auch die Unionsrepubliken und die ASSR. Im Allg. wurden Richter von den entsprechenden Sowjets (auf lokaler Ebene von den Bürgern direkt) auf fünf Jahre, die Beisitzer für 21/2 Jahre gewählt und waren jederzeit abberufbar. Militärtribunale waren Sondergerichte mit Rechtszug zum Obersten Gerichtshof der S. Außerhalb der staatl. Gerichtsbarkeit standen die Kameradschaftsgerichte in Kollektiven und gesellschaftl. Organisationen. Die Staatsanwaltschaft war zentralistisch organisiert und nur dem Obersten Sowjet verantwortlich; an ihrer Spitze stand der Generalstaatsanwalt der Sowjetunion.
Geschichte Zur Entwicklung des Russ. Reiches bis 1917 Russland (Geschichte).Vom Sturz der Zarenherrschaft bis zur Gründung der UdSSR: Nach der Februarrevolution 1917 (Abdankung des Kaisers Nikolaus II. am 2.[15.] 3.) kam es zur Herausbildung einer Doppelherrschaft der bürgerlich-liberalen Reg. (zunächst unter Fürst G. J. Lwow, später unter A. F. Kerenski), die den Krieg fortsetzte, und den in vielen Städten entstandenen Arbeiter- und Soldatenräten (Sowjets). Der im April 1917 mit dt. Hilfe aus dem Exil nach Russland zurückgekehrte W. I. Lenin entwickelte in seinen »Aprilthesen« das polit. Aktionsprogramm der Bolschewiki. Nach dem Scheitern eines Putsches von General L. G. Kornilow, der im Sept. 1917 eine Militärdiktatur zu errichten suchte, errangen die Bolschewiki die Mehrheit im Petrograder und Moskauer Sowjet; daraufhin entschlossen sie sich unter Führung Lenins und L. D. Trotzkis zum bewaffneten Aufstand gegen die Provisor. Reg. (Oktoberrevolution): Am 25. 10. (7. 11.) 1917 übernahmen sie die Macht in Petrograd. Unter dem Vorsitz Lenins konstituierte sich als erste Sowjetreg. ein »Rat der Volkskommissare«, dem u. a. Trotzki (Außenbeziehungen) und Stalin (Nationalitätenfragen) angehörten. Der 2. Allruss. Sowjetkongress verabschiedete am 26./27. 10. (8./9. 11.) 1917 bed. Dekrete. Das Dekret über den Frieden bot allen Krieg führenden Staaten einen Frieden ohne Annexionen und Kontributionen an, doch führte es schließlich nur zum Bruch mit den bisherigen Verbündeten und zum verlustreichen Frieden von Brest-Litowsk (Brest) mit den Mittelmächten am 3. 3. 1918. Das Dekret über das Land enteignete die Grundbesitzer entschädigungslos (Nationalisierung von über 150 Mio. ha Land). Bei den Wahlen zur Konstituierenden Versammlung, die am 5. (18.) 1. 1918 zusammentrat, erhielten die Bolschewiki nur 25 % der Stimmen und lösten deshalb die Versammlung gewaltsam auf. Lenins Innenpolitik konzentrierte sich nun auf die Ausschaltung aller nichtbolschewist. Kräfte. Zur Durchsetzung des »roten Terrors« (von Lenin selbst so gen.) wurde die von F. E. Dserschinski geleitete Staatssicherheitspolizei (Tscheka) ins Leben gerufen (1918 entstanden erste Zwangsarbeitslager); die Aufhebung der Pressefreiheit, die rigorose Trennung von Staat und Kirche sowie die Verstaatlichung von Banken, Privathandel und Ind. (bzw. deren Unterstellung unter eine Arbeiterkontrolle) waren weitere Maßnahmen zur Sicherung der bolschewist. Macht. Am 10. 7. 1918 wurde die erste Verf. der Russ. Sozialist. Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) angenommen. Die militär. Intervention der ehem. Verbündeten Russlands (1918-20) erfolgte v. a. wegen der Verletzung der materiellen Interessen der Ententemächte (Nichtanerkennung der russ. Staatsschulden und Enteignung von Ind.betrieben seitens der Sowjetreg.); ausgelöst wurde sie durch den Versuch der Bolschewiki, die Tschechische Legion aufzuhalten und zu entwaffnen.
Den fast dreijährigen Bürgerkrieg gegen die sich aus Monarchisten, bürgerl. Kräften, Sozialrevolutionären und Menschewiki rekrutierenden »weißen« Armeen unter den Generalen A. W. Koltschak, N. N. Judenitsch, A. I. Denikin und P. N. Wrangel konnte die von Trotzki 1918 formierte Rote Armee erst nach harten Kämpfen für sich entscheiden (endgültig um die Jahreswende 1921/22). Die ins Ausland geflüchteten Reste der »weißen« Streitkräfte verstärkten die russ. Emigration in W-Europa und den USA (1925 rd. 2,5 Mio. Menschen). Nach einem Krieg mit Polen (1920/21) musste Sowjetrussland im Frieden von Riga einen Teil Weißrusslands und Wolhyniens abtreten.
Bürgerkrieg und überstürzte Sozialisierung ließen die Ind.produktion auf ein Siebentel der Vorkriegsleistung absinken. Nach einer Missernte (1921) brach eine Hungersnot (v. a. in S-Russland) aus und forderte etwa 4-5 Mio. Menschenleben. Streiks in Petrograd und ein von Truppen blutig niedergeschlagener Aufstand der Kronstädter Matrosen (1921) hatten einen weiteren Ausbau der Doktrin von der Diktatur des Proletariats im Sinne der unumschränkten Herrschaft der bolschewist. Partei zur Folge. Der radikale Kurswechsel vom Kriegskommunismus (vollständige Zentralisierung von Produktion und Verteilung, Abgabezwang von Nahrungsmitteln, Verbot jeden Privathandels) zur sog. Neuen Ökonom. Politik (NÖP, russ. Abk. NEP) im März 1921 führte zu einer Erhöhung der Agrarproduktion etwa auf den Vorkriegsstand und hatte auch eine beachtliche wirtsch. Erholung im industriellen Bereich zum Ergebnis; so wurde die willkürl. Zwangseintreibung von Agrarprodukten durch eine feste Naturalsteuer ersetzt sowie teilweise die Privatwirtschaft wieder eingeführt. Die erste Verf. (1924) der am 30. 12. 1922 gegr. UdSSR organisierte den Staat als Bundesstaat nach dem Nationalitätenprinzip.Die Errichtung der Alleinherrschaft Stalins: In den letzten beiden Lebensjahren Lenins (✝ 1924) und in den Jahren nach seinem Tode bestimmte der Machtkampf zw. den führenden Männern der bolschewist. Partei die innere Geschichte des Landes. Stalin, 1922 in das neu geschaffene Amt des Gen.-Sekr. der KP berufen, konnte schon in den Jahren 1924-29 durch die Besetzung der entscheidenden Partei- und Staatspositionen mit seinen Anhängern Gegner aus dem polit. Leben ausschalten. Höhepunkt waren die polit. »Säuberungen« (Große Tschistka) 1935-39 mit Schauprozessen (1936-38) und Todesurteilen gegen Stalins Opponenten (L. B. Kamenew, G. S. Sinowjew, N. I. Bucharin, A. I. Rykow u. a.), die zur Auslöschung der revolutionären Elite von 1917 führten. Stalins mächtigster Gegenspieler Trotzki, 1925/27 aller Partei- und Staatsämter enthoben, musste 1929 ins Exil (Mexiko) gehen (1940 im Auftrag Stalins ermordet).
Stalins Diktatur war verbunden mit einem zunehmenden Kult um seine Person und insbesondere der Errichtung eines zentralistisch geführten, bürokrat. Verwaltungsapparats. Stalin setzte die staatl. Geheimpolizei (seit 1922 GPU, seit 1934 NKWD) ein, um die Bev. zu überwachen und auch mit terrorist. Maßnahmen wie Deportationen, Zwangsarbeit, Erschießungen jegl. Opposition niederzuhalten. Parallel dazu erfolgte eine allmähl. polit. Gleichschaltung und Indoktrinierung der Bev.: Erziehung zum »Sowjetpatriotismus« als Staatsgesinnung, dogmat. Auslegung des Marxismus-Leninismus in der parteioffiziellen Version, Ideologisierung und Reglementierung von Kunst und Kultur (»sozialist. Realismus«). Das radikale Vorgehen gegen die polit. Opposition weitete sich in der 2. Hälfte der 30er-Jahre zu Repressalien gegen große Bev.teile aus (Offiziere, Wissenschaftler, Künstler, Funktionäre der unteren Ebenen, religiöse Gruppen) und v. a. auch gegen nichtruss. Völkerschaften (z. B. Auflösung der Rep. der Wolgadeutschen und deren Deportation nach Sibirien bzw. Mittelasien 1941, 1944 opferreiche Zwangsumsiedlung nordkaukas. Völkerschaften, z. B. der Tschetschenen, der Krimtataren von der Krim, der Mescheten aus Südgeorgien); auch Ausländer waren davon betroffen (z. B. aus dem nat.-soz. Dtl. emigrierte Kommunisten). Stalin benutzte die Kommunist. Internationale (Abk. Komintern) zur Durchsetzung der Vorherrschaft der KPdSU(B) über die anderen nat. kommunist. Parteien.Industrialisierung und Kollektivierung: Nach dem Ausbleiben der urspr. von den Bolschewiki erwarteten »Weltrevolution« stellte sich die sowjet. Innen- und Wirtschaftspolitik zunehmend auf die Bedingungen der »kapitalist. Umkreisung« ein. Die zunächst fortgeführte NÖP, die eine wirtsch. Normalisierung, das Entstehen kleinerer Privatbetriebe und einer starken Mittelbauernschicht (Kulaken) bewirkt hatte, wurde in der 2. Hälfte der 20er-Jahre abgebrochen. 1927 leitete Stalin im Rahmen seiner »Revolution von oben« eine forcierte Industrialisierung mit Konzentration auf die Schwerind. ein, die mit der Aufstellung erster Fünfjahrpläne (1928-32 und 1933-37) und dem Aufkommen einer staatlich initiierten Wettbewerbsbewegung (Stachanowbewegung seit 1935) einherging. Die Ende der 20er-Jahre begonnene Zwangskollektivierung in der Landwirtschaft zielte auf eine »Liquidierung« der Kulaken als Klasse (nach ihrer Enteignung zumeist deportiert); sie führte zu sozialen Auseinandersetzungen auf dem Lande (bewaffnete Zusammenstöße, Viehabschlachtungen durch die Bauern) und verursachte eine Hungersnot mit Mio. Toten (bes. gravierend in der Ukraine 1932-33). Im Ergebnis der Kollektivierungspolitik (Höhepunkt 1930/32) waren 1932 61,5 % und 1937 rund 93 % der Bauernwirtschaften in Kolchosen zusammengeschlossen. Gestützt auf den 1932 gegründeten Schriftstellerverband, unterwarf Stalin unter dem Prinzip des sozialist. Realismus Literatur und Kunst parteipolit. Reglementierung. Mit der Erziehung der Jugend zum Sowjetpatriotismus sollte eine Staatsgesinnung geschaffen werden, die sich an der gesellschaftl. Neuordnung seit der Oktoberrevolution und zugleich an positiv bewerteten Leistungen und Persönlichkeiten des vorrevolutionären Russland orientierte. Die Führungsrolle der KPdSU wurde erstmals in der Verf. von 1936 festgeschrieben.Die Außenpolitik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges: Seit Beginn der 30er-Jahre vertrat die sowjet. Diplomatie das Konzept der »kollektiven Sicherheit«. Verstärkt wurde v. a. die 1922 mit dem Vertrag von Rapallo eingeleitete sowjetisch-dt. Zusammenarbeit auf wirtsch. und militär. Gebiet. 1932 schloss die S. Nichtangriffsverträge mit Finnland, Lettland, Estland, Polen und Frankreich. Nach der De-jure-Anerkennung durch die USA (1933) und andere westl. Staaten erfolgte 1934 die Aufnahme der S. in den Völkerbund (Ausschluss 1939 wegen ihres Angriffs auf Finnland). 1935 ging die S. militär. Beistandsverträge mit Frankreich und der ČSR ein. Angesichts der außenpolit. Isolierung der S. (Wirkungslosigkeit ihrer Politik der kollektiven Sicherheit in Europa 1938/39) und des rapiden Ausbaus der dt. Machtstellung entschied sich Stalin für ein Bündnis mit dem nat.-soz. Dtl., das die Beteiligung an einer Aufteilung Osteuropas sicherte (Deutsch-Sowjetischer Nichtangriffspakt vom 23. 8. 1939). Nach der Unterwerfung Polens durch das Dt. Reich zu Beginn des Zweiten Weltkriegs begann am 17. 9. 1939 der Einmarsch der Roten Armee in Ostpolen. Tausende poln. Offiziere, die sich in sowjet. Kriegsgefangenschaft begeben hatten, wurden 1940 durch Truppen des NKWD ermordet (Katyn). Der am 28. 9. 1939 geschlossene dt.-sowjet. Freundschafts- und Grenzvertrag legte die beiderseitige Grenze entlang der Flüsse Narew, Bug und San fest, was der S. in Polen einen Landgewinn von rd. 200 000 km2 mit fast 13 Mio. Ew. brachte. Die balt. Staaten wurden durch die S. gezwungen, militär. Beistandspakte abzuschließen; im Juni 1940 folgte ihre vollständige militär. Besetzung, im Aug. 1940 die staatl. Integration als Sowjetrepubliken. Nur Finnland widersetzte sich im Finnisch-Sowjet. Winterkrieg (1939/40) der Erpressungspolitik. 1940 zwang die S. Rumänien, Bessarabien und die N-Bukowina an sie abzutreten.
Nach dem dt. Vordringen auf dem Balkan 1941 sicherte sich die S. durch einen Nichtangriffs- und Neutralitätsvertrag (13. 4. 1941) mit dem schon 1938/39 in heftigen Gefechten und Grenzschlachten zurückgewiesenen Japan vor der Gefahr eines Zweifrontenkrieges im Falle eines dt. Angriffs. Am 22. 6. 1941 überfiel die dt. Wehrmacht, gefolgt von ihren Verbündeten, die S. und stieß schnell bis vor Leningrad, Moskau und an den Zugang zum Kaukasus vor. Das nat.-soz. Dtl. führte einen Eroberungskrieg mit dem Ziel einer Vernichtung bzw. Vertreibung der slaw. Völker (u. a. Generalplan Ost).
Neben dem Überraschungsmoment (die sowjet. Führung hatte wiederholte ausländ. Warnungen vor dem bevorstehenden Angriff ignoriert) resultierte der dt. Anfangserfolg auch aus den Folgen der stalinschen Repressalien gegen das sowjet. Offizierskorps 1937/38 (Liquidierung der Mehrheit der militär. Führungskader). In der Schlacht vor Moskau (Ende 1941) scheiterte die dt. Blitzkriegsstrategie; der Sieg der sowjet. Streitkräfte bei Stalingrad und Kursk (1943) markierte die Wende des Zweiten Weltkriegs. Um alle Abwehrkräfte zu bündeln, hatte Stalin, seit Mai 1941 als Vors. des Rates der Volkskommissare, ein »Staatskomitee für Verteidigung« gebildet. Je weiter sich die dt. Streitkräfte den Zentren der S. näherten und je offenkundiger die Brutalität der nat.-soz. Besatzungspolitik wurde, desto leichter konnte Stalin, der den Kampf gegen Dtl. zum »Großen Vaterländ. Krieg« erklärte, den Patriotismus der Sowjetbürger zu einem Partisanenkrieg im Rücken der dt. Truppen mobilisieren. In kürzester Zeit wurden über 1 000 Ind.betriebe aus den bedrohten Gebieten nach O verlegt. Außenpolitisch wuchs die S. mit den westl. Kriegsgegnern Dtl.s (v. a. Großbritannien und USA) 1941/42 zur »Anti-Hitler-Koalition« zusammen. Dank ihrer Einbeziehung in das Lend-lease-System der USA konnte die S. im Verbund mit den eigenen Anstrengungen einen Kriegsumschwung erreichen. Bis 1944 wurde das sowjet. Territorium vollständig befreit. Im Anschluss daran zwang die Rote Armee die dt. Streitkräfte in ganz Osteuropa zum Rückzug und führte ihren Feldzug im Bündnis mit den westl. Alliierten, die im Juni 1944 eine zweite Front in Westeuropa errichtet hatten, bis zur Einnahme Berlins (2. 5. 1945) und der bedingungslosen dt. Kapitulation (8./9. 5. 1945) fort. Auf den Konferenzen von Teheran (1943), Jalta und Potsdam (beide 1945) konnte Stalin die weitgehende Billigung seiner Pläne durch die Westmächte erreichen. Die sowjet. Einflusssphäre reichte nunmehr von Dtl., dem östl. Mitteleuropa, Finnland und dem Adriat. Meer bis zur Mandschurei, die die S. nach der Kriegserklärung an Japan (8. 8. 1945) besetzte (ebenso den S der Insel Sachalin sowie die Kurilen). Die schwer abschätzbaren demograph. Verluste der sowjet. Bev., sei es durch militär. Einwirkung, sei es durch terrorist. Methoden der dt. Besatzungsmacht oder der stalinschen Herrschaftsorgane wird auf eine Zahl von annähernd 40 Mio. veranschlagt (nach russ. Angaben offiziell etwa 27 Mio. Menschen als direkte Opfer des Zweiten Weltkriegs).Spätstalinismus und Kalter Krieg: Das Scheitern einer gemeinsamen Dtl.politik der Alliierten und die Sowjetisierung O-Mitteleuropas lösten vor dem Hintergrund ideolog. und interessenpolit. Gegensätze 1946/47 den Ost-West-Konflikt und den ihn begleitenden Kalten Krieg aus, der die internat. Politik unter wechselnden Problemstellungen im Einzelnen für mehr als 40 Jahre bestimmte. Höhepunkte des Ost-West-Konflikts in der Zeit des Spätstalinismus waren die Berliner Blockade (1948/49) sowie die Spaltung Dtl.s (1949). Im Koreakrieg (1950-53) spitzte sich der Kalte Krieg zu einem militär. Konflikt zu. 1949 gelang es der S., das Kernwaffenmonopol der USA zu brechen, wodurch der Ost-West-Konflikt eine neue Dimension erhielt. - 1949 wurde der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) gegr. Jugoslawien wurde 1948 wegen seiner eigenständigen nationalkommunist. Linie aus dem Sowjetblock ausgestoßen. Mit der Entstehung der VR China 1949 erwuchs der S. ein ranggleicher kommunist. Partner.Innenpolitisch stand der 1946 verabschiedete 4. Fünfjahrplan angesichts der schweren Zerstörungen des Krieges ganz im Zeichen des Wiederaufbaus (Errichtung von Wohnungen, Großprojekte der Stromversorgung). Konnte unter Zurückdrängung der Konsumgüterind. bis 1952 die Produktion der Schwerind. über das Vorkriegsniveau gesteigert werden, blieb die Agrarproduktion in ihrer Entwicklung zurück. In der Ukraine kam es erneut zu einer schweren Hungersnot. Angesichts dieser Entwicklung plante die Partei- und Staatsführung seit 1950 die Zusammenlegung der Kolchosen zu Agrostädten. Im Zeichen eines ideolog. Kampfes gegen »westl. Einflüsse« unterwarf A. A. Schdanow, ZK-Sekretär für Propaganda, im Auftrag Stalins das Schaffen sowjet. Künstler und Wissenschaftler einer starren, nur geringen Spielraum gewährenden Reglementierung. Die letzten Reg.jahre Stalins waren bestimmt von einem gesteigerten Kult um seine Person. Von größerem Misstrauen als je zuvor erfüllt, hatte der Diktator mit Wachsamkeitskampagnen, Verhaftungen, Deportationen und Einweisungen in Zwangslager eine Atmosphäre dauernder Unsicherheit und Furcht über die ganze Bev. verbreitet. Neue Säuberungen begannen. Nach dem ungeklärten Tod Schdanows (1948), der die Parteiorganisation in Leningrad geführt hatte, wurde 1949 die gesamte ortsansässige Funktionärsschicht verhaftet und später erschossen (»Leningrader Affäre«). Die seit 1948 zunehmend antisemit. Politik in der S. erreichte mit dem »Ärztekomplott« (Anfang 1953; Beschuldigung von Kreml-Medizinern, Mordanschläge auf hohe Partei- und Staatsführer unternommen zu haben) ihren Höhepunkt.Entstalinisierung und friedliche Koexistenz: Nach dem Tod Stalins (5. 3. 1953) und der Entmachtung des unter ihm zum Chef des NKWD und stellv. MinPräs. aufgestiegenen L. P. Berija trat an die Stelle der totalitären Diktatur eines Einzelnen wieder das Prinzip der kollektiven Führung; dieses wurde allerdings 1958, als N. S. Chruschtschow nach Ausschaltung von G. M. Malenkow, W. M. Molotow, L. M. Kaganowitsch und N. A. Bulganin die höchsten Staats- und Parteiämter auf sich vereinigte, erneut infrage gestellt. Chruschtschow bemühte sich wenig erfolgreich um Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft (u. a. umfangreiche Neulandaktionen in Kasachstan). Mit dem Start des ersten künstl. Erdsatelliten (4. 10. 1957) leitete die S. die Weltraumfahrt ein und löste in den USA (die die UdSSR bis dahin für technisch unterlegen hielten) einen »Sputnik-Schock« aus; am 12. 4. 1961 gelang der S. darüber hinaus mit der Umkreisung der Erde durch J. A. Gagarin der erste bemannte Weltraumflug.
Parallel zur Auflockerung im Innern (»Tauwetter«) wurde eine Politik der Entspannung und begrenzten Kooperation eingeleitet (Waffenstillstandsabkommen mit Korea 1953, Österr. Staatsvertrag 1955). Das Verhältnis zu Jugoslawien wurde 1955/56 normalisiert. Die Einbeziehung der Bundesrep. Dtl. in die NATO beantwortete die S. 1955 mit dem Abschluss des Warschauer Pakts. Chruschtschows Abrechnung mit dem stalinist. Personenkult (Entstalinisierung) auf dem XX. Parteitag der KPdSU (sog. »Geheimrede«) führte 1956 auch zu den Aufständen in Polen und Ungarn; Letzterer wurde durch sowjet. Truppen niedergeschlagen. In Ggs. zur VR China geriet Chruschtschow 1956 mit der Theorie der friedl. Koexistenz, die den Beginn der sowjetisch-amerikan. Annäherung markierte. Diese wurde selbst durch die Phase aggressiver sowjet. Außenpolitik (Berlin-Ultimatum 1958, Kubakrise 1962) nicht nachhaltig beeinträchtigt (Atomteststoppabkommen 1963 und Atomwaffensperrvertrag 1968). Der Bruch mit China konnte auch durch das chinesisch-sowjet. Parteitreffen 1963 nicht verhindert werden.Stagnation unter Breschnew: Nach dem v. a. innenpolitisch bedingten Sturz Chruschtschows 1964 wurde die kollektive Führung mit L. I. Breschnew als Erstem Sekr. der KPdSU (seit 1966 Gen.-Sekr., seit 1977 auch Vors. des Präsidiums des Obersten Sowjets) und A. N. Kossygin als MinPräs. an der Spitze wiederhergestellt. Unter ihr war die S. mit zahlr. wirtsch. Problemen konfrontiert und außerdem gezwungen, den Rüstungsgleichstand mit den USA zu erzielen, weit gestreute kostspielige Militärhilfe zu leisten und schließlich den in ihrem unmittelbaren Vorfeld infrage gestellten Hegemonieanspruch erneut durchzusetzen.
Während die S. die eigenständige rumän. Außenpolitik tolerierte, schritt sie gegen die reformkommunist. Bestrebungen der KP der ČSSR (»Prager Frühling«) im Aug. 1968 militärisch ein (Breschnew-Doktrin). Ihr Ziel der Festschreibung der Nachkriegsgrenzen verfolgte die S. mit dem Dt.-Sowjet. Vertrag von 1970, dem Berlinabkommen und mit der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE). Die seit 1969 geführten Gespräche zw. den USA und der S. über die Begrenzung strateg. Rüstungen führten im Mai 1972 zu einem ersten Abkommen (SALT), im Juni 1979 folgte ein 2. SALT-Abkommen, dessen Ratifizierung durch den amerikan. Senat allerdings wegen des sowjet. Einmarsches in Afghanistan im Dez. 1979 nicht erfolgte. Seit den 70er-Jahren, verstärkt seit Anfang der 80er-Jahre, kam es in der S. zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums, der Zunahme von ökonom. Disproportionen. Die auf Eindämmung der inneren Konflikte gerichtete Politik Breschnews, die die Entstalinisierung beendete, führte zu gesellschaftl. Stagnation. Die Folgen waren zunehmende Bürokratisierung, Verflachung des Kulturlebens, wachsende Kriminalität (v. a. in den Großstädten) und Suchtprobleme (bes. Alkoholismus). Zudem verstärkten sich die Nationalitätenprobleme des Vielvölkerimperiums, gab es zw. einzelnen Unionsrepubliken (u. a. den mittelasiat.), in denen nat. Funktionäre einen größeren Einfluss zu erlangen suchten, und der Moskauer Zentralmacht wiederholt Spannungen (z. T. Säuberung der Partei- und Staatsapparate dieser Republiken). Krisenerscheinungen führten in den 70er-Jahren (insbesondere nach Veröffentlichung der KSZE-Akte) u. a. auch zur Entstehung einer sich v. a. aus der wiss.-künstler. und techn. Intelligenz rekrutierenden Bürgerrechts- und Dissidentenbewegung. Herausragende Persönlichkeiten waren u. a. A. D. Sacharow, L. S. Kopelew und A. I. Solschenizyn. Mit verstärkten Einweisungen von Dissidenten in Arbeitslager (»Archipel Gulag«) oder in psychiatr. Kliniken oder aber durch ihre Verbannung suchte die Partei- und Staatsführung die Opposition zu unterdrücken, für deren Überwachung und Ausschaltung v. a. der KGB (1967-82 geleitet von J. W. Andropow) zuständig war.Nach dem Tod Breschnews (1982) folgten J. W. Andropow (1982-84) und K. U. Tschernenko (1984/85) als Gen.-Sekr. des ZK der KPdSU und Vors. des Präsidiums des Obersten Sowjets.Perestroika und neues polit. Denken: Mit der Wahl M. S. Gorbatschows zum Parteichef 1985 begann ein Generationswechsel in der sowjet. Führung, in die zahlr. Reformpolitiker aufstiegen; E. Schewardnadse löste den seit 1957 amtierenden Außenmin. A. A. Gromyko ab, der das Amt des Vors. des Präsidiums des Obersten Sowjets übernahm (bis 1988). Die von Gorbatschow eingeleitete Perestroika zielte auf eine Modernisierung der sowjet. Gesellschaft bei Aufrechterhaltung der kommunist. Orientierung und Beibehaltung der Führungsrolle der KPdSU; sie wurde von einer breit angelegten öffentl. Diskussion (Glasnost) begleitet und schloss auch die Wiederaufnahme des unter Breschnew abgebrochenen Entstalinisierungsprozesses ein (1990 Reg.beschluss über eine Generalrehabilitation aller Opfer des Stalinismus der 20er- bis 50er-Jahre). Wirtsch. Reformen (Selbstverwaltung der Betriebe, Zulassung des privaten Einzelhandels, Genossenschaftsgesetz u. a.) verknüpften sich eng mit polit. Veränderungen (Mehrkandidatenwahl, Bildung des Kongresses der Volksdeputierten als oberstes Machtorgan 1989, Erweiterung des Spielraumes der Medien, Entflechtung der Kompetenzen von Partei- und Staatsorganen). Die mit der Politik der Perestroika verbundene Abkehr der UdSSR von ihrem Hegemonieanspruch im Ostblock lockerte die starre Unterordnung dieser Länder unter die sowjet. Interessen und ermöglichte den polit. Umbruch in Mittel- und Osteuropa 1989-91. Im Zuge des proklamierten »neuen polit. Denkens« gingen Gorbatschow und Schewardnadse zu einer wirksamen Entspannungsdiplomatie über, die zu einer schrittweisen Verbesserung der sowjetisch-amerikan. Beziehungen, Fortschritten bei der internat. Abrüstung und schließlich zur Beendigung des Kalten Krieges in Europa führte. Mit einem einseitigen Atomteststopp (1985-87) und weiteren Initiativen signalisierte die S. ihre Bereitschaft zu umfassenden Abrüstungsverhandlungen auf dem Gebiet der Kernwaffen, wo nach mehreren sowjetisch-amerikan. Gipfeltreffen mit dem INF-Vertrag zur Beseitigung der Mittelstreckenraketen beider Länder im Dez. 1987 ein Erfolg zu verzeichnen war. Internat. Auswirkungen hatte eine Kernreaktorkatastrophe in Tschernobyl (Ukraine) im April 1986, durch die auch weite Gebiete Europas radioaktiv belastet wurden. Von Mai 1988 bis zum Febr. 1989 zog die S. ihre Truppen (zuletzt rd. 115 000 Mann) aus Afghanistan ab, deren Einsatz seit 1979 rd. 13 300 sowjet. Soldaten das Leben gekostet hatte; in ihrer Schlussphase hatte die erfolglose sowjet. Militärintervention in Afghanistan auch starke innenpolit. Wirkungen in der UdSSR, v. a. durch die hohen Kriegslasten und den wachsenden Protest der Afghanistan-Veteranen. Auf dem ersten Gipfeltreffen zw. der S. und China seit 1959 wurden die beiderseitigen Beziehungen im Mai 1989 wieder normalisiert.Der Zerfall der Sowjetunion: Ende der 80er-Jahre geriet die Politik der Perestroika in eine tiefe Krise. Die häufig nur im Ansatz verwirklichten Reformen zogen wachsende wirtsch. Schwierigkeiten, Versorgungsprobleme und soziale Konflikte (u. a. steigende Arbeitslosigkeit, zunehmende Verarmung) nach sich, die immer wieder zu Massenprotesten führten. Die seit Jahrzehnten unterdrückten Nationalitätenprobleme entluden sich in einer Reihe ethnisch geprägter Bev.konflikte mit z. T. bürgerkriegsähnl. Charakter (z. B. seit 1988 zw. Armeniern und Aserbaidschanern um das Autonome Gebiet Bergkarabach, seit 1989 zw. Georgiern und den Abchasiern sowie den Südosseten) und führten, beginnend mit dem Baltikum, zum Unabhängigkeitsstreben einer steigenden Zahl von Unionsrepubliken.
Angesichts dieser Lage setzte Gorbatschow im Febr. 1990 im ZK der KPdSU den Verzicht auf das Machtmonopol der Partei durch (Streichung des Führungsanspruchs aus der Verf.). Dem Zerfall der Union versuchte Gorbatschow (seit 1988 auch Vors. des Obersten Sowjets) im Frühjahr 1990 durch die Errichtung des Präsidialsystems zu begegnen (im März Wahl Gorbatschows zum Staatspräs.). Ausdruck für eine fortschreitende innenpolit. Differenzierung war die Gründung versch. polit. Parteien; 1990 entstand die sich als strikte Oppositionskraft zur KPdSU verstehende Bewegung »Demokrat. Russland«. Die einseitigen Unabhängigkeitserklärungen der balt. Republiken (Litauen am 11. 3., Estland am 30. 3., und Lettland am 4. 5. 1990) führten zu einem schweren Konflikt mit der Unionsreg. (u. a. Wirtschaftsblockade gegen Litauen, im Jan. 1991 gewaltsame Militäreinsätze in Litauen und Lettland).
Im Mai 1990 wurde der Reformer B. N. Jelzin zum Vors. des Obersten Sowjets (im Juni 1991 zum Präs.) der RSFSR (Russland), der größten Unionsrepublik, gewählt, die im Juni 1990 ihre Souveränität im Rahmen der S. erklärte. Gorbatschows Politik des Ausgleichs zw. Radikalreformern und konservativen Kräften brachte ihn zunehmend in Konflikt mit beiden Gruppen, die sich auf dem 28. Parteitag der KPdSU im Juli 1990 harte Auseinandersetzungen lieferten, ihn jedoch als Gen.-Sekr. der Partei bestätigten. Der Macht- und Prestigeverlust der KPdSU führte zu Massenaustritten aus der Partei (1990 nach offiziellen Angaben 2,7 Mio., darunter Jelzin, 1991 auch Schewardnadse). Im Zeichen der angespannten innenpolit. Lage baute Gorbatschow im Dez. 1990 seine Präsidialmacht aus (Verf.änderung zur Neuordnung der Exekutivgewalt) und nahm unter dem Druck orth. Parteikreise verstärkt konservative Kräfte in die Reg.mannschaft auf (Vizepräs. G. I. Janajew, Innenmin. B. K. Pugo). Der am 20. 12. 1990 aus »Protest gegen das Herannahen einer Diktatur« zurückgetretene Außenmin. Schewardnadse wurde im Jan. 1991 durch A. Bessmertnych ersetzt. Nachfolger des an den wirtsch. Reformen gescheiterten MinPräs. N. I. Ryschkow (1985-91) wurde der vorherige Finanzmin. W. S. Pawlow. Bis zum Dez. 1990 hatten sich alle 15 Unionsrepubliken als souverän erklärt. Um ein völliges Auseinanderbrechen der Union zu verhindern, stellte Gorbatschow einen neuen Unionsvertrag in Aussicht und veranlasste ein Referendum am 17. 3. 1991 über den Fortbestand der S. als eine »Föderation gleichberechtigter souveräner Republiken«, für die sich (Estland, Lettland, Litauen, Moldawien, Georgien und Armenien nahmen nicht teil) 76 % der Beteiligten aussprachen. Im Gegenzug hatten Volksabstimmungen in den drei balt. Republiken (Febr. und März 1991) klare Mehrheiten für deren Unabhängigkeit erzielt. Am 1. 7. 1991 verabschiedete das sowjet. Parlament ein Gesetz zur Privatisierung von Staatsunternehmen. Zur Reformierung der KPdSU unterbreitete Gorbatschow im gleichen Monat dem ZK den Entwurf eines neuen Parteiprogramms mit sozialdemokrat. Zügen.
Mit der völligen Auflösung des RGW und des Warschauer Paktes 1991 büßte die S. die früher von ihr dominierten Bündnissysteme ein. Nach anfängl. Zögern stimmte die S. als ehem. Besatzungsmacht 1990 bei den Zwei-plus-vier-Gesprächen der Wiederherstellung der Einheit Dtl. zu, mit dem sie im Nov. 1990 einen neuen Grundlagenvertrag schloss. Das sowjetisch-amerikan. Gipfeltreffen vom Juli 1991 in Moskau führte zur Unterzeichnung des START-Vertrages.
Ein Putsch konservativer kommunist. Politiker und Militärs, die am 19. 8. 1991 ein »Notstandskomitee« unter dem Vorsitz von Vizepräs. Janajew bildeten, den Ausnahmezustand verhängten und Gorbatschow auf der Krim festhielten, scheiterte bereits am 21. 8. v. a. am Widerstand demokrat. Kräfte in Russland, an deren Spitze sich der russ. Präs. Jelzin stellte, und an der Uneinigkeit der Armee. Die balt. Republiken, in denen während des Staatsstreiches sowjet. Truppen aufmarschiert waren, setzten nach dessen Scheitern unverzüglich ihre völlige Unabhängigkeit durch. Die führenden Putschisten (neben Janajew u. a. KGB-Chef W. A. Krjutschkow, Verteidigungsmin. D. T. Jasow, MinPräs. Pawlow) wurden ihrer Ämter enthoben und verhaftet. Der nach seiner Rückkehr (22. 8. 1991) formell als Staatspräs. wieder eingesetzte, aber nunmehr vom russ. Präs. Jelzin politisch bevormundete Gorbatschow trat am 24. 8. 1991 vom Amt des Gen.-Sekr. der KPdSU zurück; dieser wurde wegen ihrer Verwicklung in den Staatsstreich jegl. weitere Tätigkeit in Russland untersagt. Die grundlegende Umbildung der Staatsorgane im Sept. 1991 (Konstituierung eines aus zwei selbstständigen Kammern, dem Rat der Republiken und dem Rat der Union, bestehenden Parlamentes, eines vom Präs. geführten Staatsrates und eines interrepublikan. Wirtschaftskomitees) beseitigte die bisherigen zentralen Machtstrukturen und übertrug den Republiken, von denen die meisten nach dem Putsch ihre Unabhängigkeit proklamiert hatten, weit reichende Kompetenzen.
Alle nachfolgenden Versuche Gorbatschows, die Union zu erhalten, blieben erfolglos, da Russland zus. mit Weißrussland und Ukraine am 8. 12. 1991 eine »Gemeinschaft Unabhängiger Staaten« (GUS) als lockeren Staatenbund gründete. Der Beitritt acht weiterer Republiken (Armenien, Aserbaidschan, Moldawien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan) am 21. 12. 1991 in Almaty beendete faktisch die Existenz der S. (Rücktritt von Staatspräs. Gorbatschow am 25. 12. 1991).
Literatur:
Wagner, G.: Das Wirtschaftssystem der S. Gernsbach 1981.
Zimm, A. u. Markuse, G.: Geographie der S. Gotha 21984.
Karger, A.: Die S. als Wirtschaftsmacht. Frankfurt am Main u. a. 41987.
Aganbegjan, A. G.: Ökonomie u. Perestroika. Gorbatschows Wirtschaftsstrategien. A. d. Russ. Hamburg 1989.
Meissner, B.: Die S. im Umbruch. Stuttgart 21989.
Stökl, G.: Russ. Geschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Stuttgart 51990.
Grotzky, J.: Herausforderung S. Eine Weltmacht sucht ihren Weg. München u. a. 1991.
Kagarlitzki, B.: Der gespaltene Monolith. Die russ. Gesellschaft an der Schwelle zu den neunziger Jahren. A. d. Russ. Berlin 1991.
Metzger, W.: Bibliographie deutschsprachiger S.-Reiseberichte, -Reportagen u. -Bildbände 1917-90. Wiesbaden 1991.
Der Putsch, bearb. v. G. Ruge. Frankfurt am Main 1991.
Die Umwertung der sowjet. Geschichte, hg. v. D. Geyer. Göttingen 1991.
Halbach, U.: Das sowjet. Vielvölkerimperium. Nationalitätenpolitik u. nationale Frage. Mannheim u. a. 1992.
Mark, R. A.: Die Völker der ehem. S. Die Nationalitäten der GUS, Georgiens u. der balt. Staaten. Ein Lexikon. Opladen 21992.
Rußland-Ploetz. Russ. u. sowjet. Geschichte zum Nachschlagen, hg. v. W. Kessler. Freiburg im Breisgau u. a. 31992.
Histor. Lex. der S. 1917/22-1991. hg. v. H.-J. Torke. München 1993.
Altrichter, H.: Kleine Gesch. der S. 1917-1991. ebd. 1993.
Moldenhauer, H. u. Stolberg, E.-M.: Chronik der UdSSR. ebd. 1993.
Simon, G. u. N.: Verfall u. Untergang des sowjet. Imperiums. ebd. 1993.
Torke, H.-J.: Einf. in die Gesch. Rußlands. ebd. 1997.
Das Schwarzbuch des K. Beiträge v. S. Courtois u. a. A. d. Frz. München 51998.
Hildermeier, M.: Gesch. der S. 1917-1991. 1998.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Sowjetunion