Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Slawen
Slawen, Angehörige einer der drei großen Sprachfamilien Europas. Heute leben in O-, SO- und Mitteleuropa rd. 290 Mio. Slawen. Die Gemeinsamkeit der S. basiert stärker als bei Germanen und Romanen auf der Verwandtschaft der Sprachen, weniger auf einem gemeinsamen Kulturerbe (Romanen) oder auf früh entwickelten und lange festgehaltenen Rechtsvorstellungen (Germanen). - Die Herkunft des Namens der S. wie auch die zeitl. Folge und der geograph. Raum ihrer Ethnogenese sind bis heute umstritten. In röm. Quellen erscheint der Name Venedi, der der dt. Bez. Wenden oder Windische entspricht.Geschichte: Die Ausbreitung der S. begann nicht vor dem 1. Jh. n. Chr.; Bedeutung für ihre im Wesentlichen heute noch gültige Teilung in Ost-S. (v. a. Russen, Ukrainer, Weißrussen), West-S. (v. a. Polen, Masuren, Tschechen, Slowaken, Obotriten) und Süd-S. (v. a. Serben, Kroaten, Slowenen, Bulgaren, Makedonier) hatten die Züge der Gepiden und Goten durch ihr Gebiet. Im 5./6. Jh. wanderten die S. nach SO-Europa und in den Balkan sowie über die Elbe nach W. Im 9./10. Jh. begann die Christianisierung der S. (in Polen 966, in Russland 988). Da diese sowohl von Rom als auch von Byzanz ausging, entstanden Einflussbereiche der römisch-kath. (Tschechen, Polen, Slowenen, Kroaten) und der orth. Kirche (Russen, Weißrussen, Ukrainer, Bulgaren, Serben, Makedonier). Im 16. Jh. schlossen sich Teile der Sorben, Tschechen und Slowaken der Reformation an; zahlr. Bulgaren und Makedonier traten unter osman. Herrschaft zum Islam über. Mythologie und
vorchristl. Religion: Über beides ist wenig bekannt, schriftl. Quellen gibt es nur aus späterer, christl. Sicht (z. B. die Nestorchronik), archäolog. Spuren sind selten. Götternamen aus dem westslaw. Gebiet sind auch bei Thietmar von Merseburg und Saxo Grammaticus erwähnt. An der Spitze der slaw. Götter standen der Donnergott Perun und der Gott des Viehs und des Reichtums Weles (auch Wolos), weiterhin sind der Feuergott Swarog und der Sonnengott Dashbog bekannt, auch der Glaube an eine Vielzahl von Naturgöttern und -geistern ist bezeugt. In den kosm. Vorstellungen spielte der Weltenbaum eine bed. Rolle. Die genauesten Nachrichten über die Religion der S. sind von den Ostsee-S. überliefert: Sie verehrten die Götter Swantewit und Triglaw (mehrgesichtige Abbilder erhalten), in Arkona (Insel Rügen) befand sich bis zur Zerstörung durch die Dänen 1168 ein großes Heiligtum.Gesellschaftl. Organisation: In der frühen Sozialordnung werden Familie und Sippe (Rod) als Grundlage gesehen. Mehrere Sippen konnten sich zu einem Stamm (Plem) vereinigen. Die Entwicklung der südslaw. Großfamilie (Zadruga) und der russ. Dorfgemeinschaft (Mir) fällt erst in die spätere Zeit der Türkenherrschaft. - Erste Aufzeichnungen eines Rechtssystems aus dem 11. Jh. lassen Einflüsse des grch. Kirchenrechts und des german. Rechts erkennen, aber auch Relikte älterer, eigenständiger Rechtsnormen. - Die staatl. Entwicklung war sehr unterschiedlich: nur Russen, Polen, Tschechen, Bulgaren, Serben und Kroaten sowie ansatzweise Slowenen und Ukrainer bildeten eigene Staaten mit eigenen Dynastien und allein die Russen behielten diesen Staat kontinuierlich, während alle anderen in Personalunion zu nichtslaw. Staaten traten oder lange Perioden der Unfreiheit erlebten. Trotzdem war aufgrund der Ähnlichkeit der Sprachen ein Zusammengehörigkeitsgefühl vorhanden. Es erreichte im 19. Jh. mit der Begründung der Slawistik sowie dem Slawophilentum in Russland seinen Höhepunkt.
▣ Literatur:
Zagiba, F.: Das Geistesleben der Slaven im frühen MA. Wien 1971.
⃟ Die S. in Dtl. Gesch. u. Kultur der slaw. Stämme westl. von Oder u. Neiße vom 6. bis 12. Jh., hg. v. J. Herrmann. Berlin (Ost) 1985.
⃟ Die Welt der S. Gesch., Gesellschaft, Kultur, hg. v. J. Herrmann. München 1986.
vorchristl. Religion: Über beides ist wenig bekannt, schriftl. Quellen gibt es nur aus späterer, christl. Sicht (z. B. die Nestorchronik), archäolog. Spuren sind selten. Götternamen aus dem westslaw. Gebiet sind auch bei Thietmar von Merseburg und Saxo Grammaticus erwähnt. An der Spitze der slaw. Götter standen der Donnergott Perun und der Gott des Viehs und des Reichtums Weles (auch Wolos), weiterhin sind der Feuergott Swarog und der Sonnengott Dashbog bekannt, auch der Glaube an eine Vielzahl von Naturgöttern und -geistern ist bezeugt. In den kosm. Vorstellungen spielte der Weltenbaum eine bed. Rolle. Die genauesten Nachrichten über die Religion der S. sind von den Ostsee-S. überliefert: Sie verehrten die Götter Swantewit und Triglaw (mehrgesichtige Abbilder erhalten), in Arkona (Insel Rügen) befand sich bis zur Zerstörung durch die Dänen 1168 ein großes Heiligtum.Gesellschaftl. Organisation: In der frühen Sozialordnung werden Familie und Sippe (Rod) als Grundlage gesehen. Mehrere Sippen konnten sich zu einem Stamm (Plem) vereinigen. Die Entwicklung der südslaw. Großfamilie (Zadruga) und der russ. Dorfgemeinschaft (Mir) fällt erst in die spätere Zeit der Türkenherrschaft. - Erste Aufzeichnungen eines Rechtssystems aus dem 11. Jh. lassen Einflüsse des grch. Kirchenrechts und des german. Rechts erkennen, aber auch Relikte älterer, eigenständiger Rechtsnormen. - Die staatl. Entwicklung war sehr unterschiedlich: nur Russen, Polen, Tschechen, Bulgaren, Serben und Kroaten sowie ansatzweise Slowenen und Ukrainer bildeten eigene Staaten mit eigenen Dynastien und allein die Russen behielten diesen Staat kontinuierlich, während alle anderen in Personalunion zu nichtslaw. Staaten traten oder lange Perioden der Unfreiheit erlebten. Trotzdem war aufgrund der Ähnlichkeit der Sprachen ein Zusammengehörigkeitsgefühl vorhanden. Es erreichte im 19. Jh. mit der Begründung der Slawistik sowie dem Slawophilentum in Russland seinen Höhepunkt.
▣ Literatur:
Zagiba, F.: Das Geistesleben der Slaven im frühen MA. Wien 1971.
⃟ Die S. in Dtl. Gesch. u. Kultur der slaw. Stämme westl. von Oder u. Neiße vom 6. bis 12. Jh., hg. v. J. Herrmann. Berlin (Ost) 1985.
⃟ Die Welt der S. Gesch., Gesellschaft, Kultur, hg. v. J. Herrmann. München 1986.