Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Shakespeare
Shakespeare['ʃe:kspi:r, engl. 'ʃeɪkspɪə], William, engl. Dramatiker, Schauspieler und Dichter, * Stratford-upon-Avon 23. 4. (?; getauft 25. 4.) 1564, ✝ ebd. 23. 4. 1616. Seine Herkunft und sein Leben liegen weitgehend im Dunkeln. Neuere Forschungen haben die früher angenommenen Details (Vater als Zunftmitglied der Handschuhmacher in Stratford, Heirat 1582) eher relativiert als bestätigt. Etwa ab 1589 dürfte er sich in London aufgehalten haben, er gehörte zumindest ab 1594 zur Theatergruppe der Chamberlain's Men (ab 1603 King's Men), bei der er während seiner gesamten Theaterkarriere blieb. Ab 1599 war S. Teilhaber am Globe Theatre, ab 1608 am Blackfriars Theatre; etwa um 1612 siedelte er nach Stratford über, etwa ab 1613 zog er sich aus dem Theaterleben zurück. Bereits zu Lebzeiten genoss er hohes Ansehen. Die bis heute anhaltende reiche internat. Wirkung seines Gesamtwerks macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung der Weltkultur.
⃟ Versdichtung: Die wohl während der pestbedingten Schließung des Theaters entstandenen Versepen »Venus und Adonis« (1593) und »Die Vergewaltigung der Lukretia« (1594) waren Versuche, den Anforderungen der Renaissancepoetik zu genügen. Wegen ihrer Konventionalität bleiben sie jedoch hinter den wohl zw. 1592 und 1598 entstandenen 154 Sonetten zurück, die Liebe und Freundschaft sowie das Wirken der Zeit zum Thema haben.
S.s dramat. Werk umfasst 35 Stücke, an drei weiteren hat er maßgeblich mitgearbeitet. Die »Folio«-Ausgabe der Werke (1623) enthält 36 Stücke, die im Sinn zeitgenöss. Verständnisses als Komödien, Historien bzw. Tragödien klassifiziert werden.
⃟ Historien oder »Königsdramen«: Die nach dem Sieg über die span. Armada (1588), einer Zeit nat. Hochgefühls und wirtsch. Aufschwungs unter der Regentschaft Elisabeths I., populären Dramatisierungen engl. Geschichte stellen, abgesehen von »Heinrich V.« und »Heinrich VIII.«, schwache oder schurk. Herrscher vor, deren unheilvolles Wirken die Probleme Usurpation und polit. Legitimität von Gegengewalt, Intrigen der Mächtigen sowie Notwendigkeit nat. Einheit in den Vordergrund rückt. Sie lassen den Kreislauf von Schuld (Usurpation Heinrichs IV.), Sühne (polit. Wirren der Rosenkriege zw. den Häusern York und Lancaster) und Erlösung (Befriedung Englands durch Henry Tudor, den späteren Heinrich VII.) deutlich werden. Die zehn teilweise als Geschichtspanoramen konzipierten Historien setzen sich zusammen aus der Lancaster-Tetralogie (»Richard II.«, entstanden um 1595, gedruckt 1597; »Heinrich IV.«, 2 Tle., entstanden 1596-98, gedruckt 1598; »Heinrich V.«, entstanden 1599, gedruckt 1600) und der York-Tetralogie (»Heinrich VI.«, 3 Tle., entstanden 1589-91, gedruckt 1595; »Richard III.«, entstanden 1592/1593, gedruckt 1597) sowie »König Johann« (entstanden 1594/96?, gedruckt 1623) und »Heinrich VIII.« (entstanden 1612/13, gedruckt 1623). S.s Originalität besteht darin, sprachlich-stilist. Kontraste und Parallelhandlungen eingefügt und Historie in zusammenhängenden Zyklen präsentiert zu haben.
⃟ Tragödien: Die zehn Tragödien entstanden in S.s mittlerer Schaffensperiode. Das Grundmuster liefert das aus dem MA. tradierte Konzept eines durch das Wirken der Fortuna bewirkten Aufstiegs und Falls der Mächtigen, das S. jedoch unter dem Einfluss der Seneca-Tragödie und T. Kyds Typ der Rachetragödie im melodramat. Drama »Titus Andronicus« (1593/94, gedruckt 1594) variiert. »Romeo und Julia« (entstanden 1595, gedruckt 1597) gestaltet das Motiv der reinen, der Fortuna unterworfenen Liebe. In den Römerdramen »Julius Caesar« (entstanden 1599, gedruckt 1604), »Antonius und Cleopatra« (entstanden 1606/07, gedruckt 1623) und »Coriolan« (entstanden 1607/08, gedruckt 1623) nutzt S. antike Stoffe, um verdeckt sonst nicht erlaubte Themen und Figuren zu dramatisieren. »Timon von Athen« (entstanden 1607/08, gedruckt 1623) gestaltet das Thema des durch den Undank der Welt zum Menschenfeind Gewordenen. Die »großen Tragödien« - »Hamlet« (entstanden 1600/01, gedruckt 1603), »Othello« (entstanden 1604, gedruckt 1622), »König Lear« (entstanden um 1605, gedruckt 1608) und »Macbeth« (entstanden 1606, gedruckt 1623) - bringen überzeitlich relevante Gestalten und Geschehnisse auf die Bühne und gehören zu S.s unbestrittenen Meisterwerken. Sie dramatisieren das Wirken des Bösen in der Welt und siedeln den Konflikt im einzelnen Menschen selbst an, anhand von Themen wie dem des polit. Verbrechens aus Ehrgeiz und Verblendung, der unüberlegten Machtabgabe und des Generationskonflikts, der privaten Rache, des Intrigenspiels und der Täuschung der Liebenden. Hervorstechende stilist. Merkmale der großen Tragödien sind: unterschiedlichste sprachl. Mittel der Dialogführung, funktionelle Vielfalt der Monologe, leitmotivisch Szenen und Akte strukturierende Bildlichkeit, Konzentration der dramat. Handlung, schließlich die bis in seel. Tiefendimensionen reichende Zeichnung der Hauptfiguren, die durch den subtilen Einsatz der dramat. Sympathielenkung den Zuschauer auch dann noch als zutiefst menschlich anrühren, wenn sie zum Bösen und Verwerflichen neigen.
⃟ Komödien: Mit seinen Komödien knüpft S. an mittelalterl. Traditionen des Volksschauspiels, an antike Muster der Situationskomik (Plautus) sowie an die erfolgreichen Hofkomödien J. Lylys an. Die frühen Komödien »Die Komödie der Irrungen« (entstanden 1592/94, gedruckt 1623), »Der Widerspenstigen Zähmung« (entstanden 1593/94, gedruckt 1594), »Die beiden Veroneser« (entstanden 1594, gedruckt 1623) und »Verlorene Liebesmüh« (entstanden 1594/95, gedruckt 1598) zeigen mit vielfältigen farcenhaft-kom. Mitteln verwickelte Verwechslungs- und Intrigenspiele um Liebe und Freundschaft, Lüge und Entlarvung, weisen jedoch auch zunehmend reflexive Züge auf. Zu den Komödien der mittleren Schaffenszeit gehören »Ein Sommernachtstraum« (entstanden 1595/96, gedruckt 1600), »Viel Lärm um nichts« (entstanden 1598/1599, gedruckt 1600), »Wie es euch gefällt« (entstanden 1599, gedruckt 1623) und »Was ihr wollt« (entstanden 1601/02, gedruckt 1623). Sie beschäftigen sich feinsinnig mit den ernsten und heiteren Seiten der Liebe, die in den Nebenhandlungen vielfach bis ins Derbe oder Verstiegene abgewandelt, mit ernsten Themen wie dem der polit. Herrschaft verknüpft und zur Darstellung menschl. Vervollkommnung durch Selbsterkenntnis und Herzensbildung geführt werden. Zu den Problemkomödien gehören »Der Kaufmann von Venedig« (entstanden 1596/97, gedruckt 1600), »Troilus und Cressida« (entstanden 1601/02, gedruckt 1609), »Ende gut, alles gut« (entstanden 1602/03, gedruckt 1623) und »Maß für Maß« (entstanden 1604, gedruckt 1623), in denen Themen grundsätzlicher durchgespielt und erweitert werden. Die späteren, häufig als »romant. Komödien« oder »Romanzen« bezeichneten Stücke »Perikles, Fürst von Tyrus« (entstanden 1607/08, gedruckt 1609), »Cymbeline« (entstanden 1609/10, gedruckt 1623), »Ein Wintermärchen« (entstanden 1610/11, gedruckt 1623) und »Der Sturm« (entstanden 1611, gedruckt 1623) greifen auf spätgrch. und mittelalterl. Romanzenstoffe zurück, wobei trag. Geschehen z. T. durch mag. Kräfte zu einem glückl. Ende gewendet wird.
⃟ Gesamtcharakteristik: Ob persönl. Erleben das Werk S.s bestimmt hat, lässt sich nicht mehr ermitteln. S. bediente sich z. T. wohl bekannter Vorlagen (G. Boccaccio, G. Chaucer, Plutarch, R. Holinshed). Zweifellos deutet das Werk jedoch auf die Fähigkeit, diesen Stoffen unterschiedlichste Erfahrungen und Erlebnisse, Gefühle und Fantasien unter Einsatz vielfältiger sprachl. Mittel von der holprigen Prosa der niederen Figuren bis zum Blankverspathos der politisch Mächtigen abzugewinnen und sie so zu gestalten, dass ein fast unbegrenzter Facettenreichtum von Personen und Handlungen entsteht. Deshalb lässt sich zu Recht sagen, dass die dichter. Einbildungskraft für S. die Quelle des künstler. Schaffens dargestellt haben muss. S.s Werk deutet angesichts der Fülle von gegensätzl. Figuren, miteinander kontrastierenden Handlungen und der Vermischung des Komischen mit dem Tragischen, des Derben mit dem Sentimentalen, dem Pathetischen, Grotesken und Satirischen auf eine als realistisch zu bezeichnende multiperspektiv. Weltabbildung hin, die das Leben, die Menschen und die Gesellschaft in ihrer Breite und Vielschichtigkeit darstellt. Wenn er einerseits häufig auf Techniken und Figuren des Volkstheaters zurückgreift und Gestalten aus dem Volk (die Totengräber in »Hamlet«) oder die Narren überraschende Einsichten formulieren lässt, schreibt er andererseits auch für das gebildete Publikum der Londoner Juristenschulen oder für den Hof Jakobs I. Der überständischen Rezeption in seiner eigenen Zeit entspricht die überzeitl. Aussagekraft von S.s Werk, die in der Ausweitung seiner Stoffe auf universell-philosoph. Fragen und das gesamte Spektrum menschl. Empfindungen begründet ist.Weiterwirken: Schon zu seinen Lebzeiten galt S. als der führende Dramatiker Englands. Sein Ansehen stieg in der Folgezeit, auch wenn nach Wiedereröffnung der während der Puritanerherrschaft geschlossenen Theater (1660) seine »barock« scheinenden Regelverstöße kritisiert wurden. Mit der Werkausgabe N. Rowes (6 Bde., 1709) begann die S.-Philologie, die bereits Ende des 18. Jh. in E. Malones Ausgabe von 1790 (überarbeitet 1821) einen Höhepunkt fand. Gleichzeitig wurde S. v. a. in Dtl. zum dramat. Paradigma (G. E. Lessing, H. W. Gerstenberg) und Inbegriff des Originalgenies (J. G. Herder, Goethe). Mit der kongenialen Übersetzung von A. W. Schlegel, D. Tieck und W. von Baudissin wurden die Dramen S.s zum festen Bestandteil des dt. Theaters. Nachhaltig ist das S.-Bild immer auch durch die wechselnde Aufführungspraxis geprägt worden: während des 19. Jh. durch die historist. Detailtreue ebenso wie durch die Rekonstruktion der S.-Bühne und den Anti-Illusionismus des modernen Theaters zu Beginn des 20. Jh. (E. G. Craig, H. Granville-Barker). In den 1960er-Jahren wurden v. a. die Inszenierungen der Royal Shakespeare Company durch P. Brook und P. Hall wegweisend; das Buch des Polen J. Kott (»S. heute«, 1961) wirkte nachhaltig auf S.-Bearbeitungen u. a. von E. Ionesco (»Macbett«, 1972) und Heiner Müller (»Macbeth«, 1971). Autoren wie B. Brecht (»Coriolan von S.«, hg. 1959), P. Ustinov (»Romanoff und Julia«, 1957), G. Grass (»Die Plebejer proben den Aufstand«, 1966), T. Stoppard (»Rosenkranz und Güldenstern sind tot«, 1967, Film 1990), F. Dürrenmatt (»König Johann«, 1968; »Titus Andronicus«, 1970) oder B. Strauss (»Der Park«, 1983) schrieben S.-Stücke um. S.-Dramen waren häufig auch Vorlagen für Opernkomponisten wie G. Verdi (»Otello«, 1887; »Falstaff«, 1893), B. Britten (»Ein Sommernachtstraum«, 1960) und A. Reimann (»Lear«, 1978) oder Ballett- und Musicalbearbeitungen (S. S. Prokofjew, »Romeo und Julia«, 1938; C. Porter, »Kiss me, Kate«, 1948; L. Bernstein, »West side story«, 1957). Die Popularität der S.-Dramen zeigt sich auch in den zahlr. Verfilmungen, u. a. von F. Zefirelli »Romeo und Julia« (1967), R. Polanski »Macbeth« (1971), K. Branaghs »Heinrich V.« (1989) oder P. Greenaways »Sturm«-Version (»Prosperos Bücher«, 1991).
▣ Literatur:
Berman, R.: A reader's guide to S.'s plays. Neuausg. Glenview, Ill., 1973.
⃟ Muir, K.: The sources of S.'s plays. Neuausg. New Haven, Conn., 1978.
⃟ Mehl, D.: Die Tragödien S.s. Berlin 1983.
⃟ Boyce, C.: S. A-Z. New York 1990.
⃟ Steiger, K. P.: Moderne S.-Bearbeitungen. Stuttgart u. a. 1990.
⃟ Schoenbaum, S.: S.'s lives. Neuausg. Oxford 1991.
⃟ Paris, J.: W. S. Aus dem Frz. Reinbek 1992.
⃟ S.-Handbuch, hg. v. I. Schabert. Stuttgart 31992.
⃟ Loquai, F.: Hamlet u. Deutschland. Zur literar. S.-Rezeption im 20. Jahrhundert. Stuttgart u. a. 1993.
⃟ The S. dictionary, hg. v. S. Clark. Lincolnwood, Ill., 1994.
⃟ Baumann, U.: S. u. seine Zeit. Stuttgart 1998.
⃟ Honan, P.: S. A life. Oxford 1998.
⃟ Posener, A.: W. S. Reinbek 17.-20. Tsd. 1998.
⃟ Reichert, K.: Der fremde S. München 1998.
⃟ Versdichtung: Die wohl während der pestbedingten Schließung des Theaters entstandenen Versepen »Venus und Adonis« (1593) und »Die Vergewaltigung der Lukretia« (1594) waren Versuche, den Anforderungen der Renaissancepoetik zu genügen. Wegen ihrer Konventionalität bleiben sie jedoch hinter den wohl zw. 1592 und 1598 entstandenen 154 Sonetten zurück, die Liebe und Freundschaft sowie das Wirken der Zeit zum Thema haben.
S.s dramat. Werk umfasst 35 Stücke, an drei weiteren hat er maßgeblich mitgearbeitet. Die »Folio«-Ausgabe der Werke (1623) enthält 36 Stücke, die im Sinn zeitgenöss. Verständnisses als Komödien, Historien bzw. Tragödien klassifiziert werden.
⃟ Historien oder »Königsdramen«: Die nach dem Sieg über die span. Armada (1588), einer Zeit nat. Hochgefühls und wirtsch. Aufschwungs unter der Regentschaft Elisabeths I., populären Dramatisierungen engl. Geschichte stellen, abgesehen von »Heinrich V.« und »Heinrich VIII.«, schwache oder schurk. Herrscher vor, deren unheilvolles Wirken die Probleme Usurpation und polit. Legitimität von Gegengewalt, Intrigen der Mächtigen sowie Notwendigkeit nat. Einheit in den Vordergrund rückt. Sie lassen den Kreislauf von Schuld (Usurpation Heinrichs IV.), Sühne (polit. Wirren der Rosenkriege zw. den Häusern York und Lancaster) und Erlösung (Befriedung Englands durch Henry Tudor, den späteren Heinrich VII.) deutlich werden. Die zehn teilweise als Geschichtspanoramen konzipierten Historien setzen sich zusammen aus der Lancaster-Tetralogie (»Richard II.«, entstanden um 1595, gedruckt 1597; »Heinrich IV.«, 2 Tle., entstanden 1596-98, gedruckt 1598; »Heinrich V.«, entstanden 1599, gedruckt 1600) und der York-Tetralogie (»Heinrich VI.«, 3 Tle., entstanden 1589-91, gedruckt 1595; »Richard III.«, entstanden 1592/1593, gedruckt 1597) sowie »König Johann« (entstanden 1594/96?, gedruckt 1623) und »Heinrich VIII.« (entstanden 1612/13, gedruckt 1623). S.s Originalität besteht darin, sprachlich-stilist. Kontraste und Parallelhandlungen eingefügt und Historie in zusammenhängenden Zyklen präsentiert zu haben.
⃟ Tragödien: Die zehn Tragödien entstanden in S.s mittlerer Schaffensperiode. Das Grundmuster liefert das aus dem MA. tradierte Konzept eines durch das Wirken der Fortuna bewirkten Aufstiegs und Falls der Mächtigen, das S. jedoch unter dem Einfluss der Seneca-Tragödie und T. Kyds Typ der Rachetragödie im melodramat. Drama »Titus Andronicus« (1593/94, gedruckt 1594) variiert. »Romeo und Julia« (entstanden 1595, gedruckt 1597) gestaltet das Motiv der reinen, der Fortuna unterworfenen Liebe. In den Römerdramen »Julius Caesar« (entstanden 1599, gedruckt 1604), »Antonius und Cleopatra« (entstanden 1606/07, gedruckt 1623) und »Coriolan« (entstanden 1607/08, gedruckt 1623) nutzt S. antike Stoffe, um verdeckt sonst nicht erlaubte Themen und Figuren zu dramatisieren. »Timon von Athen« (entstanden 1607/08, gedruckt 1623) gestaltet das Thema des durch den Undank der Welt zum Menschenfeind Gewordenen. Die »großen Tragödien« - »Hamlet« (entstanden 1600/01, gedruckt 1603), »Othello« (entstanden 1604, gedruckt 1622), »König Lear« (entstanden um 1605, gedruckt 1608) und »Macbeth« (entstanden 1606, gedruckt 1623) - bringen überzeitlich relevante Gestalten und Geschehnisse auf die Bühne und gehören zu S.s unbestrittenen Meisterwerken. Sie dramatisieren das Wirken des Bösen in der Welt und siedeln den Konflikt im einzelnen Menschen selbst an, anhand von Themen wie dem des polit. Verbrechens aus Ehrgeiz und Verblendung, der unüberlegten Machtabgabe und des Generationskonflikts, der privaten Rache, des Intrigenspiels und der Täuschung der Liebenden. Hervorstechende stilist. Merkmale der großen Tragödien sind: unterschiedlichste sprachl. Mittel der Dialogführung, funktionelle Vielfalt der Monologe, leitmotivisch Szenen und Akte strukturierende Bildlichkeit, Konzentration der dramat. Handlung, schließlich die bis in seel. Tiefendimensionen reichende Zeichnung der Hauptfiguren, die durch den subtilen Einsatz der dramat. Sympathielenkung den Zuschauer auch dann noch als zutiefst menschlich anrühren, wenn sie zum Bösen und Verwerflichen neigen.
⃟ Komödien: Mit seinen Komödien knüpft S. an mittelalterl. Traditionen des Volksschauspiels, an antike Muster der Situationskomik (Plautus) sowie an die erfolgreichen Hofkomödien J. Lylys an. Die frühen Komödien »Die Komödie der Irrungen« (entstanden 1592/94, gedruckt 1623), »Der Widerspenstigen Zähmung« (entstanden 1593/94, gedruckt 1594), »Die beiden Veroneser« (entstanden 1594, gedruckt 1623) und »Verlorene Liebesmüh« (entstanden 1594/95, gedruckt 1598) zeigen mit vielfältigen farcenhaft-kom. Mitteln verwickelte Verwechslungs- und Intrigenspiele um Liebe und Freundschaft, Lüge und Entlarvung, weisen jedoch auch zunehmend reflexive Züge auf. Zu den Komödien der mittleren Schaffenszeit gehören »Ein Sommernachtstraum« (entstanden 1595/96, gedruckt 1600), »Viel Lärm um nichts« (entstanden 1598/1599, gedruckt 1600), »Wie es euch gefällt« (entstanden 1599, gedruckt 1623) und »Was ihr wollt« (entstanden 1601/02, gedruckt 1623). Sie beschäftigen sich feinsinnig mit den ernsten und heiteren Seiten der Liebe, die in den Nebenhandlungen vielfach bis ins Derbe oder Verstiegene abgewandelt, mit ernsten Themen wie dem der polit. Herrschaft verknüpft und zur Darstellung menschl. Vervollkommnung durch Selbsterkenntnis und Herzensbildung geführt werden. Zu den Problemkomödien gehören »Der Kaufmann von Venedig« (entstanden 1596/97, gedruckt 1600), »Troilus und Cressida« (entstanden 1601/02, gedruckt 1609), »Ende gut, alles gut« (entstanden 1602/03, gedruckt 1623) und »Maß für Maß« (entstanden 1604, gedruckt 1623), in denen Themen grundsätzlicher durchgespielt und erweitert werden. Die späteren, häufig als »romant. Komödien« oder »Romanzen« bezeichneten Stücke »Perikles, Fürst von Tyrus« (entstanden 1607/08, gedruckt 1609), »Cymbeline« (entstanden 1609/10, gedruckt 1623), »Ein Wintermärchen« (entstanden 1610/11, gedruckt 1623) und »Der Sturm« (entstanden 1611, gedruckt 1623) greifen auf spätgrch. und mittelalterl. Romanzenstoffe zurück, wobei trag. Geschehen z. T. durch mag. Kräfte zu einem glückl. Ende gewendet wird.
⃟ Gesamtcharakteristik: Ob persönl. Erleben das Werk S.s bestimmt hat, lässt sich nicht mehr ermitteln. S. bediente sich z. T. wohl bekannter Vorlagen (G. Boccaccio, G. Chaucer, Plutarch, R. Holinshed). Zweifellos deutet das Werk jedoch auf die Fähigkeit, diesen Stoffen unterschiedlichste Erfahrungen und Erlebnisse, Gefühle und Fantasien unter Einsatz vielfältiger sprachl. Mittel von der holprigen Prosa der niederen Figuren bis zum Blankverspathos der politisch Mächtigen abzugewinnen und sie so zu gestalten, dass ein fast unbegrenzter Facettenreichtum von Personen und Handlungen entsteht. Deshalb lässt sich zu Recht sagen, dass die dichter. Einbildungskraft für S. die Quelle des künstler. Schaffens dargestellt haben muss. S.s Werk deutet angesichts der Fülle von gegensätzl. Figuren, miteinander kontrastierenden Handlungen und der Vermischung des Komischen mit dem Tragischen, des Derben mit dem Sentimentalen, dem Pathetischen, Grotesken und Satirischen auf eine als realistisch zu bezeichnende multiperspektiv. Weltabbildung hin, die das Leben, die Menschen und die Gesellschaft in ihrer Breite und Vielschichtigkeit darstellt. Wenn er einerseits häufig auf Techniken und Figuren des Volkstheaters zurückgreift und Gestalten aus dem Volk (die Totengräber in »Hamlet«) oder die Narren überraschende Einsichten formulieren lässt, schreibt er andererseits auch für das gebildete Publikum der Londoner Juristenschulen oder für den Hof Jakobs I. Der überständischen Rezeption in seiner eigenen Zeit entspricht die überzeitl. Aussagekraft von S.s Werk, die in der Ausweitung seiner Stoffe auf universell-philosoph. Fragen und das gesamte Spektrum menschl. Empfindungen begründet ist.Weiterwirken: Schon zu seinen Lebzeiten galt S. als der führende Dramatiker Englands. Sein Ansehen stieg in der Folgezeit, auch wenn nach Wiedereröffnung der während der Puritanerherrschaft geschlossenen Theater (1660) seine »barock« scheinenden Regelverstöße kritisiert wurden. Mit der Werkausgabe N. Rowes (6 Bde., 1709) begann die S.-Philologie, die bereits Ende des 18. Jh. in E. Malones Ausgabe von 1790 (überarbeitet 1821) einen Höhepunkt fand. Gleichzeitig wurde S. v. a. in Dtl. zum dramat. Paradigma (G. E. Lessing, H. W. Gerstenberg) und Inbegriff des Originalgenies (J. G. Herder, Goethe). Mit der kongenialen Übersetzung von A. W. Schlegel, D. Tieck und W. von Baudissin wurden die Dramen S.s zum festen Bestandteil des dt. Theaters. Nachhaltig ist das S.-Bild immer auch durch die wechselnde Aufführungspraxis geprägt worden: während des 19. Jh. durch die historist. Detailtreue ebenso wie durch die Rekonstruktion der S.-Bühne und den Anti-Illusionismus des modernen Theaters zu Beginn des 20. Jh. (E. G. Craig, H. Granville-Barker). In den 1960er-Jahren wurden v. a. die Inszenierungen der Royal Shakespeare Company durch P. Brook und P. Hall wegweisend; das Buch des Polen J. Kott (»S. heute«, 1961) wirkte nachhaltig auf S.-Bearbeitungen u. a. von E. Ionesco (»Macbett«, 1972) und Heiner Müller (»Macbeth«, 1971). Autoren wie B. Brecht (»Coriolan von S.«, hg. 1959), P. Ustinov (»Romanoff und Julia«, 1957), G. Grass (»Die Plebejer proben den Aufstand«, 1966), T. Stoppard (»Rosenkranz und Güldenstern sind tot«, 1967, Film 1990), F. Dürrenmatt (»König Johann«, 1968; »Titus Andronicus«, 1970) oder B. Strauss (»Der Park«, 1983) schrieben S.-Stücke um. S.-Dramen waren häufig auch Vorlagen für Opernkomponisten wie G. Verdi (»Otello«, 1887; »Falstaff«, 1893), B. Britten (»Ein Sommernachtstraum«, 1960) und A. Reimann (»Lear«, 1978) oder Ballett- und Musicalbearbeitungen (S. S. Prokofjew, »Romeo und Julia«, 1938; C. Porter, »Kiss me, Kate«, 1948; L. Bernstein, »West side story«, 1957). Die Popularität der S.-Dramen zeigt sich auch in den zahlr. Verfilmungen, u. a. von F. Zefirelli »Romeo und Julia« (1967), R. Polanski »Macbeth« (1971), K. Branaghs »Heinrich V.« (1989) oder P. Greenaways »Sturm«-Version (»Prosperos Bücher«, 1991).
▣ Literatur:
Berman, R.: A reader's guide to S.'s plays. Neuausg. Glenview, Ill., 1973.
⃟ Muir, K.: The sources of S.'s plays. Neuausg. New Haven, Conn., 1978.
⃟ Mehl, D.: Die Tragödien S.s. Berlin 1983.
⃟ Boyce, C.: S. A-Z. New York 1990.
⃟ Steiger, K. P.: Moderne S.-Bearbeitungen. Stuttgart u. a. 1990.
⃟ Schoenbaum, S.: S.'s lives. Neuausg. Oxford 1991.
⃟ Paris, J.: W. S. Aus dem Frz. Reinbek 1992.
⃟ S.-Handbuch, hg. v. I. Schabert. Stuttgart 31992.
⃟ Loquai, F.: Hamlet u. Deutschland. Zur literar. S.-Rezeption im 20. Jahrhundert. Stuttgart u. a. 1993.
⃟ The S. dictionary, hg. v. S. Clark. Lincolnwood, Ill., 1994.
⃟ Baumann, U.: S. u. seine Zeit. Stuttgart 1998.
⃟ Honan, P.: S. A life. Oxford 1998.
⃟ Posener, A.: W. S. Reinbek 17.-20. Tsd. 1998.
⃟ Reichert, K.: Der fremde S. München 1998.