Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Serbien
Sẹrbi|en(serb. Srbija), Gebiet in Südosteuropa, bildet (einschl. der Provinzen Kosovo und Wojwodina) seit 27. 4. 1992 zus. mit Montenegro die Bundesrep. Jugoslawien, 88 361 km2, (1993) 9,854 Mio. Ew. Die Bev. besteht zu rd. 66 % aus Serben, zu 17 % aus Albanern, ferner Ungarn und anderen Minderheiten. Hauptstadt ist Belgrad.Landesnatur: S. hat im N Anteil am Großen Ungar. Tiefland (mit Batschka, Sirmien und westl. Banat), wird von der mittleren Donau und Theiß durchflossen. Südlich von Donau und Save schließen sich Hügel- und Gebirgsland an, mit Šumadija, Kopaonikgebirge sowie Ausläufern des Dinar. Gebirges und des Westl. Balkans. Höchste Erhebung im Đaravica 2 656 m ü. M. an der Grenze zu Albanien. Hat Anteil an der in N-S-Richtung verlaufenden Morava-Vardar-Furche, einer wichtigen Verkehrsachse. Im S liegen Beckenlandschaften wie Amselfeld und Metohija. Das Klima ist gemäßigt kontinental, im S mediterran geprägt. Etwa ein Drittel des Landes ist bewaldet.Wirtschaft: Die wichtigsten Bereiche sind Landwirtschaft und Industrie. Hauptanbaugebiete sind Wojwodina und Moravatal, v. a. Weizen, Mais, Hackfrüchte, Sonnenblumen, Obstbau; Tabakanbau im S; im Moravatal und NO Weinbau. In den Ackerbaugebieten auch Rinder- und Schweinezucht, im Gebirge v. a. Schafzucht. S. ist reich an Bodenschätzen: Kohle, Eisenerz, Kupfer, Zink, Antimon; Erdölförderung nahe Belgrad. Die wichtigsten Ind.zweige sind Maschinen- und Fahrzeugbau, chem., elektrotechn. und elektron., Leder-, Textil- und Nahrungsmittelind.; Ind.zentrum ist Belgrad.Geschichte: Nach S., das im Altertum von illyr., thrak. und kelt. Stämmen bewohnt war, wanderten (vermutlich) im 7. Jh. die südslaw. Serben ein, die vom 8. bis 12. Jh. unter bulgar. und byzantin. Oberhoheit standen. Erst Großfürst Stephan Nemanja (um 1166-96), Begründer der Nemanjiden-Dynastie, konnte um 1180 gegen Byzanz die Unabhängigkeit seines Fürstentums Raszien, das er mit Zeta (Montenegro) vereinigte, erkämpfen. Dieses altserb. Reich (seit 1217 Königreich) erreichte unter Stephan IV. Dušan Uroš (1331-55) seine größte Ausdehnung (u. a. Zugewinn von Makedonien, Thessalien, Albanien und Epirus), verfiel aber nach seinem Tod rasch. Nach der serb. Niederlage in der Schlacht auf dem Amselfeld (am Vidovdan 1389) unterwarfen die Osmanen bis 1521 (Eroberung Belgrads) das ganze Gebiet. Ende des 17. Jh. wanderten viele Serben aufgrund osman. Repressalien nach S-Ungarn aus (u. a. in die Wojwodina); in die frei gewordenen serb. Kerngebiete (Alt-S., Engeres S.) rückten Albaner nach (Kosovo). 1804 kam es zu einer Erhebung gegen die Osmanen unter Karađorđe, 1815 zu einem 2. Aufstand unter Miloš Obrenović; beide Fürstenhäuser rivalisierten im 19. und Anfang des 20. Jh. um die Herrschaft in S., das 1830 als autonomes Erbfürstentum unter osman. Oberhoheit, 1878 (Berliner Kongress) als unabhängiger Staat anerkannt wurde (1882 Proklamation zum Königreich durch Milan I. Obrenović). Nach der Ermordung von König Alexander I. Obrenović 1903 Berufung von Peter I. Karađorđević und Einführung eines parlamentar. Regierungssystems mit der Radikalen Volkspartei unter N. Pasić als Hauptträger. Die Einverleibung Bosniens und der Herzegowina durch Österreich (1908) und die serb. Erfolge in den Balkankriegen 1912/13 (Zugewinn Makedoniens und des Kosovo) steigerten den österr.-serb. Gegensatz. Das Attentat von Sarajevo (Schwarze Hand) führte am 28. 7. 1914 zur Kriegserklärung Österreich-Ungarns an S. und damit zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. 1915/16-18 war S. von den Mittelmächten besetzt. Am 1. 12. 1918 kam es zur Bildung eines S., Montenegro und alle südslaw. Gebiete Österreich-Ungarns umfassenden Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen (Jugoslawien, Bundesstaat, Geschichte); 1941-44 zur dt. Besetzung. 1945/46 wurde S. (mit der Wojwodina und dem Kosovo) größte Teilrepublik Jugoslawiens. Mit den Unruhen in dem v. a. von muslim. Albanern bewohnten Kosovo 1981 begannen die Versuche nicht serb. Bev.gruppen, die serb. Vorherrschaft in Jugoslawien zu beenden; sie führten nach schweren Auseinandersetzungen (1989/90) zur Aufhebung der Autonomie im Kosovo und der Wojwodina (Juni 1990) durch die serb. Regierung. S., das sowohl das Staatspräsidium als auch die Bundesarmee dominierte, setzte den seit 1990 zunehmenden Bestrebungen von Kroatien und Slowenien nach nat. Selbstständigkeit wachsenden - auch militär. - Druck entgegen. Bei den Wahlen im Dez. 1990 und Dez. 1993 siegte die Sozialist. Partei S.s (SPS; im Juli 1990 aus dem Bund der Kommunisten S.s hervorgegangen); sie stellt seit 1990 den Präs. (1989-97 S. Milošević) und die Regierung.
Nach der Selbstständigkeitserklärung von Kroatien (25./26. 6. 1991) begann S. mit der Begründung, die serb. Siedlungsräume dort schützen zu müssen, einen blutigen Eroberungskrieg. Unter seinem Schutz bildete sich 1991 in der v. a. von Serben bewohnten Krajina die Serb. Republik Krajina. Am 27. 4. 1992 proklamierte S. gemeinsam mit Montenegro eine neue Bundesrep. Jugoslawien.Als am 7. 4. 1992 die Serben in Bosnien und Herzegowina eine Serb. Rep. (Hptst.: Banja Luka; Ziel: Anschluss an S.) ausriefen, begann dort Anfang April 1992 der 2. Krieg zur Vereinigung aller serb. Siedlungsräume. Gestützt auf die Hilfe der serb. Regierung, ließen die bosn. Serben zunächst versch. Pläne zur Lösung der ethn. Konflikte in Bosnien und Herzegowina scheitern. Nachdem S. seine panserb. Ziele zurückgestellt und Präs. Milošević für die bosn. Serben das Friedensabkommen von Dayton 1995 unterzeichnet hatte, lockerte sich der internat. Druck auf Jugoslawien bzw. Serbien.
Innerhalb S.s setzte der Präs. seinen autoritär geprägten Kurs fort (Einschränkung der öffentl. Meinungsbildung). Durch die auf Antrag der SPS von Gerichten verfügte Annullierung von Kommunalwahlergebnissen, die im Nov. 1996 im ersten Wahlgang Kandidaten des Oppositionsbündnisses »Zajedno« (dt. »Gemeinsam«) in vielen Gemeinden die Mehrheit gebracht hatte, kam es von November 1996 bis Februar 1997 zu täglich stattfindenden Massenprotesten. Bei den Präsidentenwahlen 1997, bei denen die Opposition zum Boykott aufgerufen hatte, siegte nach mehreren Wahlgängen (notwendig aufgrund der wegen des Wahlboykotts der Oppositionsparteien zu niedrigen Wahlbeteiligung) Milan Milutinović (SPS) über V. Šešelj, den Kandidaten der extrem nationalist. Serb. Radikalen Partei (SRP). Ab 1998 verschärften sich die nat. Gegensätze im Kosovo und eskalierten zu einer internat. Krise; nach NATO-Militäraktion (24. 3.-10. 6. 1999) Abzug der serb. Truppen aus der Provinz, der die weitgehende Autonomie innerhalb S.s gewährt werden soll (deshalb Austritt von Šešelj aus der Reg. von S., Juni 1999).
▣ Literatur:
Jireček, C.: Staat u. Gesellschaft im mittelalterl. S., 4 Bde. Wien 1912-19, Nachdr. Leipzig 1974, 1 Bd.
⃟ Sundhaussen, H.: Geschichte Jugoslawiens 1918-80. Stuttgart u. a. 1982.
⃟ Calic, M.-J.: Sozialgeschichte S.s. München 1994.
⃟ Olschewski, M.: Der serbische Mythos. Die verspätete Nation. München 1998.
⃟ S.s Weg in den Krieg, hg. v. T. Bremer u. a. Berlin 1998.
Nach der Selbstständigkeitserklärung von Kroatien (25./26. 6. 1991) begann S. mit der Begründung, die serb. Siedlungsräume dort schützen zu müssen, einen blutigen Eroberungskrieg. Unter seinem Schutz bildete sich 1991 in der v. a. von Serben bewohnten Krajina die Serb. Republik Krajina. Am 27. 4. 1992 proklamierte S. gemeinsam mit Montenegro eine neue Bundesrep. Jugoslawien.Als am 7. 4. 1992 die Serben in Bosnien und Herzegowina eine Serb. Rep. (Hptst.: Banja Luka; Ziel: Anschluss an S.) ausriefen, begann dort Anfang April 1992 der 2. Krieg zur Vereinigung aller serb. Siedlungsräume. Gestützt auf die Hilfe der serb. Regierung, ließen die bosn. Serben zunächst versch. Pläne zur Lösung der ethn. Konflikte in Bosnien und Herzegowina scheitern. Nachdem S. seine panserb. Ziele zurückgestellt und Präs. Milošević für die bosn. Serben das Friedensabkommen von Dayton 1995 unterzeichnet hatte, lockerte sich der internat. Druck auf Jugoslawien bzw. Serbien.
Innerhalb S.s setzte der Präs. seinen autoritär geprägten Kurs fort (Einschränkung der öffentl. Meinungsbildung). Durch die auf Antrag der SPS von Gerichten verfügte Annullierung von Kommunalwahlergebnissen, die im Nov. 1996 im ersten Wahlgang Kandidaten des Oppositionsbündnisses »Zajedno« (dt. »Gemeinsam«) in vielen Gemeinden die Mehrheit gebracht hatte, kam es von November 1996 bis Februar 1997 zu täglich stattfindenden Massenprotesten. Bei den Präsidentenwahlen 1997, bei denen die Opposition zum Boykott aufgerufen hatte, siegte nach mehreren Wahlgängen (notwendig aufgrund der wegen des Wahlboykotts der Oppositionsparteien zu niedrigen Wahlbeteiligung) Milan Milutinović (SPS) über V. Šešelj, den Kandidaten der extrem nationalist. Serb. Radikalen Partei (SRP). Ab 1998 verschärften sich die nat. Gegensätze im Kosovo und eskalierten zu einer internat. Krise; nach NATO-Militäraktion (24. 3.-10. 6. 1999) Abzug der serb. Truppen aus der Provinz, der die weitgehende Autonomie innerhalb S.s gewährt werden soll (deshalb Austritt von Šešelj aus der Reg. von S., Juni 1999).
▣ Literatur:
Jireček, C.: Staat u. Gesellschaft im mittelalterl. S., 4 Bde. Wien 1912-19, Nachdr. Leipzig 1974, 1 Bd.
⃟ Sundhaussen, H.: Geschichte Jugoslawiens 1918-80. Stuttgart u. a. 1982.
⃟ Calic, M.-J.: Sozialgeschichte S.s. München 1994.
⃟ Olschewski, M.: Der serbische Mythos. Die verspätete Nation. München 1998.
⃟ S.s Weg in den Krieg, hg. v. T. Bremer u. a. Berlin 1998.