Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Selbstmord
Selbstmord(Selbsttötung, Suizid, Freitod), die selbst herbeigeführte Beendigung des eigenen Lebens. Die Motive für den S. liegen meist in einer für unüberwindbar gehaltenen Diskrepanz zw. Lebensanspruch und Realität, in einem subjektiven und objektiven Scheitern oder einem schicksalhaft als unerträglich eingeschätzten Leidensdruck. Die Intention, die mit einer S.-Handlung verbunden ist, kann unterschiedlich sein, z. B. der Wunsch nach Ruhe, das Ausweichen vor einer drohenden Katastrophe, Rache für eine massive Kränkung. In unterschiedl. Anteilen sind dabei der Appell an die Umwelt, der Wunsch nach einer entlastenden Ruhepause und der Abbau von Aggression am Zustandekommen der S.-Handlung beteiligt. Bilanz-S., die nach eingehender distanzierter Abwägung (meist unter geplantem Ausschluss jegl. Rettungsmöglichkeiten) geschehen, sind relativ selten. Bei den meisten S. und S.-Versuchen handelt es sich um eine kurzschlussartige Handlung mit stark affektivem Charakter; häufig werden dabei Rettungsmöglichkeiten offen gelassen, sodass die Tat letztlich als Appell um Hilfe verstanden werden kann (bei etwa 90 % aller S.-Versuche). 10-20 % aller Suizidanten werden jedoch nach erfolgter Rettung rückfällig, bes. wenn sie nach dem meist kurzen Klinikaufenthalt in ihre alten, unveränderten Lebensverhältnisse zurückkehren. Nachfolgende S.-Versuche haben zunehmend ernsthafteren Charakter. - In Dtl. sterben jährlich fast 14 000 Menschen durch S. (d. h. 20 S. je 100 000 Ew.); um das 10- bis 20fache höher liegt die Zahl der S.-Versuche. Ein gesteigertes S.-Risiko besteht bei bestimmten psych. Erkrankungen (z. B. Psychose, Depression), unheilbar kranken und sozial isolierten Menschen, Suchtmittelabhängigen, Geschiedenen, Arbeitslosen, aber auch Jugendlichen (in den Altersgruppen zw. 10 und 25 Jahren ist der S. die zweithäufigste Todesursache). - Die beste Suizidprävention (S.-Vorbeugung) von Anfang an sowie nach erfolgtem Versuch ist die Herstellung tragfähiger sozialer Beziehungen. Neben Maßnahmen zur Verbesserung der gesellschaftl. Strukturen müssen gemeindenahe Beratungseinrichtungen treten, z. B. Suizidverhütungszentren (wie die Dt. Ges. für Suizidprävention, Telefonseelsorge, psychotherapeut. ambulante Dienste).
Die eth. Bewertung des S. hat zw. schärfster Verurteilung und sittl. Rechtfertigung oder sogar Verherrlichung geschwankt (z. B. Harakiri in Japan). Die Stoiker und Epikureer bejahten den S. in bestimmten Fällen. Im alten Rom wurde S. aus edlen Beweggründen als Kennzeichen seel. Größe empfunden. Das Christentum verwarf ihn von Anfang an als sündhaften Eingriff in die Schöpfungsordnung. Im MA. war daher der S. nach kirchl. und weltl. Recht strafbar, der Selbstmörder verfiel unehrenhaftem Begräbnis.
Im dt. Strafrecht ist der S. straflos, ebenso der S.-Versuch sowie die Anstiftung und Beihilfe zum Selbstmord. Dagegen kann die Bestimmung eines Willenlosen zum S. als mittelbare Tötung strafbar sein. - In Österreich wird die Mitwirkung am S. mit Freiheitsstrafe zw. sechs Monaten und fünf Jahren bestraft (§ 78 StGB). Das schweizer. StGB (Art. 115) bedroht den, der aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum S. verleitet oder ihm dazu Hilfe leistet, mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit Gefängnis, wenn der S. ausgeführt oder versucht wird.
Literatur:
C. Reimer. S. Ergebnisse u. Therapie, hg. v. Berlin u. a. 1982.
Selbstmordverhütung, hg. v. E. Ringel. Eschborn 41987.
Lindner-Braun, C.: Soziologie des S. Opladen 1990.
Orbach, I.: Kinder, die nicht leben wollen. A. d. Hebr. Göttingen 1990.
Améry, J.: Hand an sich legen. Stuttgart 51991.
Dorrmann, W.: Suizid. Therapeut. Interventionen bei Selbsttötungsabsichten. München 1991.
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