Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Seele
Seele,das allen Lebewesen zukommende (metaphys.) Prinzip des Lebens; in den versch. Kulturen, Religionen und philosoph. Systemen mit einer Vielzahl von Vorstellungen verbunden: Häufig als immateriell bzw. von luft- oder geistartiger Gestalt vorgestellt, wird sie v. a. mit den Bildern des Windes, Wehens, Hauches oder Atems beschrieben, woher sich in vielen Sprachen die Begriffe für S. ableiten (z. B. grch. »psyche«, »pneuma«, lat. »spiritus«, »anima«, »animus«, hebr. »ruach«, ind. »atman«).
In der Philosophie wird die S. von idealist. Richtungen überwiegend als unstoffl. Substanz, in materialist. Sicht als unselbstständige Eigenschaft des Körperlichen angesehen. Dagegen vertritt der Panpsychismus die These, dass das Körperliche nur Erscheinung der S. sei. - Platon entwickelte eine Psychologie, die als S.-Teile das Triebhaft-Begehrliche, das Muthafte sowie Geist und Vernunft unterschied. Für Aristoteles war die S. - analog zu Platons Lehre aus vegetativer S., Sinnen-S. und Geist-S. bestehend gedacht - das den Körper belebende Prinzip (Entelechie); nur die Geist-S. (Nus) ist nach ihm präexistent und unsterblich. Descartes setzte die S. (res cogitans) als nicht ausgedehnte Substanz dem Körper als der materiellen, ausgedehnten Substanz entgegen. Aus dem Problem der Weise des Zusammenwirkens beider entwickelte sich das noch heute diskutierte psychophysische Problem. L. Klages sah den Geist als Widersacher der S. an. Heute werden anstelle des stark zurückgetretenen Begriffs der S. häufig Termini wie »Person«, »Geist«, »Bewusstsein« verwendet. - Als Träger psych. Vorgänge und Erscheinungen war die S. bis zum 19. Jh. Gegenstand der Psychologie als Teilgebiet der Philosophie. Die naturwiss. orientierte Psychologie überträgt heute die Aspekte der Kontinuität und Identität in den psych. Abläufen auf Begriffe wie Persönlichkeit und geht davon aus, dass sich psych. Vorgänge weder auf materielle reduzieren lassen noch von diesen getrennt werden können.
Religion: In frühen Kulturen und Naturreligionen ist S. die Lebenskraft (Weltseele) schlechthin, als deren »Sitz« meist bestimmte Organe (Herz, Leber, Nieren) oder das Blut gelten und die im Moment des Todes den Menschen verlässt, z. B. in Gestalt eines S.-Tieres (so als Rabe, Taube, Eule); im Hinduismus, Buddhismus und Dschainismus das dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten unterworfene »Selbst« (Selbst, Atman); im Judentum, Christentum und Islam die dem Menschen von Gott »eingehauchte« (1. Mose 2, 7) »Wesenheit«, die als Körper und Geist seine unverwechselbare Individualität bestimmt und auch durch den Tod nicht aufgehoben wird.
Literatur:
G. Jüttemann Die S. Ihre Geschichte im Abendland, hg. v. u. a. Weinheim 1991.
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