Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Schweiz
Schweiz⃟ Fläche: 41 285 km2
Einwohner: (1998) 7,1 Mio.
Hauptstadt: Bern
Verwaltungsgliederung: 26 Kantone
Amtssprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch, Rumantsch Grischun (Bündnerromanisch)
Nationalfeiertag: 1. 8.
Währung: 1 Schweizer Franken (sfr) = 100 Rappen (Rp)/Centimes (c)
Zeitzone: MEZ
(frz. Suisse, italien. Svizzera, bündnerroman. Svizzra, amtliche Namen: Schweizerische Eidgenossenschaft, Confédération Suisse, Confederazione Svizzera, lat. Confoederatio Helvetica), Abk. CH, Bundesstaat in Mitteleuropa, grenzt im N an Dtl., im NO und O an Österreich und Liechtenstein, im SO und S an Italien, im W an Frankreich.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1874 ist die S. eine föderative, demokrat. Republik, bestehend aus 20 Kantonen und sechs Halbkantonen. Den Bundesorganen stehen nur die ihnen von den Kantonen übertragenen Rechte zu. Staatsoberhaupt ist der Bundespräs., der jährlich aus den Reihen des Bundesrates gewählt wird und gegenüber seinen Regierungskollegen nur unbedeutende Vorrechte besitzt (Vorsitz in den Bundesratssitzungen, Vertretung der S. nach außen). Die Exekutive liegt beim Bundesrat, dessen sieben Mitgl. (Bundesräte) dem Parlament nicht verantwortlich sind und eine permanente »große Koalition« - ohne expliziten Koalitionsvertrag - bilden. Die Bundesräte verstehen sich in erster Linie als Chefs ihrer Ministerien (Departements) und erst in zweiter Linie als Mitgl. eines Kollegialorgans, das jedoch in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten formelle Entscheidungsinstanz bleibt. Während der Legislaturperiode des Nationalrats ist es der Bundesversammlung formell verwehrt, einen Bundesrat oder die Reg. abzusetzen. Die Legislative liegt bei der Bundesversammlung, die aus zwei gleichberechtigten Kammern besteht, dem Nationalrat und dem Ständerat. Die 200 Abg. des Nationalrats werden in kantonalen Wahlkreisen nach dem Verhältniswahlrecht auf vier Jahre gewählt (allg. Wahlrecht ab 18 Jahren, Frauenwahlrecht auf Bundesebene seit 1971). Die Mandate werden unter den Kantonen entsprechend ihrer Bev.zahl verteilt. In den Ständerat (46 Mitgl.) entsendet jeder Kanton zwei, jeder Halbkanton einen Vertreter. Wahlmodus und Mandatsdauer bestimmt das kantonale Recht. Die Bundesversammlung wählt den Bundesrat, den Bundespräs., das Bundesgericht, das Versicherungsgericht, den Bundeskanzler, den General der eidgenöss. Armee und entscheidet über Begnadigungsgesuche und Kompetenzstreitigkeiten zw. Bundesbehörden. Der Bundesversammlung obliegen neben der Gesetzgebung u. a. die Verwaltungskontrolle, das Budget, Bündnisse und Verträge mit dem Ausland und die Entscheidung über Krieg und Frieden. Die dominierende Stellung des Bundesrates im polit. System der S. hat ein gewisses Gegengewicht in den direktdemokrat. Rechten der Bürger (Referendum, Volksinitiative, Volksabstimmung). Der Charakter der S. als Bundesstaat bedingt eine weitgehende Aufteilung der Gesetzgebungszuständigkeit zw. Bund und Kantonen. Die Kantone sind im Rahmen der von der Bundesverf. gezogenen Grenzen autonom. Sie verfügen über eigene Verf. und staatl. Behörden. Gesetzgebendes Organ ist ein vom Volk gewählter Großer Rat (auch Kantonsrat oder Landrat), Exekutivorgan ist ein vom Volk oder der Landsgemeinde gewählter Reg.rat (auch Kleiner Rat oder Staatsrat). Die Parteienlandschaft weist, bedingt durch die unterschiedl. polit. Traditionen der Kantone, eine große Vielfalt auf. Die vier größten, im Verhältnis 2 : 2 : 2 : 1 (sog. Zauberformel) im Bundesrat vertretenen Parteien sind die liberale Freisinnig-Demokrat. Partei (FDP), die Sozialdemokrat. Partei (SPS), die bürgerl.-konservative Christlichdemokrat. Volkspartei (CVP) und die mittelständ. Schweizer. Volkspartei (SVP). Stärker auf Kantonsebene und darüber hinaus im Nationalrat vertreten sind ferner: der Landesring der Unabhängigen (LdU), die Evang. Volkspartei (EVP), die Grüne Partei (GPS), die Schweizer. Demokraten (SD; hervorgegangen aus der Nat. Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat), die Autopartei (APS) sowie die Partei der Arbeit (PdA; Nachfolgeorganisation der 1940 verbotenen KP).
Landesnatur: Die S. liegt im Gebiet der zentralen Alpen und deren nördl. Vorland. Landschaftlich gliedert sie sich in Jura, Mittelland und Alpen. Der Schweizer Anteil am Jura mit Mittelgebirgscharakter umfasst den Kettenjura, Teile des Platten- und Tafeljura. Das Schweizer Mittelland gehört zum Alpenvorland und erstreckt sich zw. Jura und Alpen, Bodensee und Genfer See als ein von Flusstälern stark zerschnittenes, 400-1 000 m hohes Hügelland. Die Schweizer Alpen nehmen rd. 60 % der Landesfläche ein. Sie sind durch die große Längstalzone Rhonetal-Rheintal und zahlr. Quertäler stark gegliedert und dem Verkehr geöffnet. Der nördl. Alpenzug erreicht in den stark vergletscherten Berner Alpen seine größte Höhe (Finsteraarhorn 4 274 m ü. M.); der südl. Teil trägt in den gletscherreichen Walliser Alpen den höchsten Punkt der S. überhaupt (Monte Rosa 4 637 m ü. M.), während im O die schon zu den Ostalpen gerechneten Rät. Alpen im Piz Bernina (4 049 m ü. M.) gipfeln. Mit dem Tessin hat die S. einen schmalen Anteil an der Südabdachung der Alpen. Das Sankt-Gotthard-Massiv ist das Quellgebiet zahlr. Flüsse: Rhein, Reuß, Aare, Rhone und Tessin. Das Hochtal des Engadin im O wird durch den Inn zur Donau entwässert. Sehr reich ist die S. an Seen; sie hat Anteil an den beiden größten nördl. Vorlandseen Bodensee und Genfer See und an den oberitalien. Seen Lago Maggiore und Luganer See und besitzt maler. Alpenrandseen, wie Vierwaldstätter See, Zürichsee, Thuner See, am Jurarand Neuenburger und Bieler See. Es herrscht feuchtgemäßigtes Klima mit hohen Niederschlägen. Die Pflanzenwelt ist mitteleuropäisch und nach Höhenlagen abgestuft (Alpen).
Bevölkerung: Die S. gliedert sich in drei Sprachräume: den dt. im N, im Zentrum und im O (Deutschschweizer), den frz. im W und den italien. Sprachraum im Kt. Tessin sowie in Teilen des Kt. Graubünden im S; innerhalb des dt. liegen die Gebiete der Rätoromanen, deren Sprache seit 1938 als vierte Landessprache, seit 1996 als Amtssprache anerkannt ist. Deutsch wird von 63,6 % der Bev. gesprochen, Französisch von 19,3 %, Italienisch von 7,6 %, Rätoromanisch von 0,6 %, andere Sprachen von 8,9 %. Der Bev.anteil der Ausländer beträgt 19 %. Am dichtesten besiedelt sind das Mittelland, das untere Tessin und Teile des Jura. Hauptsiedlungsräume im Gebirge sind die Alpentäler. Großstädte sind Zürich, Basel, Genf, Bern und Lausanne. - Das Schulwesen ist überwiegend Kantonsangelegenheit. Die Schulpflicht von acht (neun) Jahren umfasst i. Allg. eine Primarstufe von fünf oder sechs Jahren und eine Sekundarstufe I von 3 bis 5 Jahren, danach können Diplom-Mittelschulen (2-3 Jahre), Berufsschulen oder Gymnasien (Maturitätsschulen) besucht werden. Es gibt Univ. in Basel (gegr. 1460), Bern (1834), Freiburg (1889), Genf (1873), Lausanne (1890), Lugano (1996), Neuenburg (1909), Zürich (1833), zwei Eidgenöss. Techn. Hochschulen (Zürich, Lausanne), die Hochschule St. Gallen für Wirtschafts- und Sozialwiss. sowie Kunst-, Musik- u. a. Hochschulen. - Die Mehrheit der Bev. sind Christen (47,6 % kath., 44,3 % evang.); außerdem Altkatholiken und Juden.
Wirtschaft, Verkehr: Die S. zählt zu den führenden Ind.nationen der Welt. Hauptzweige sind verarbeitende Ind., Energiewirtschaft, Baugewerbe und Dienstleistungssektor. An erster Stelle der stark exportorientierten Produktion stehen Maschinen- und Apparatebau (elektron., elektrotechn. und opt. Geräte) sowie Fahrzeugbau; es folgen v. a. Metallverarbeitung, Uhren-, chem., pharmazeut., Textil- und Bekleidungs-, Papier-, Holz- und Möbel-, Zement-, Nahrungs- und Genussmittelindustrie (Käse, Schokolade). Wichtig sind Abbau von Steinen und Erden sowie Salzgewinnung. Der Energiebedarf wird durch Wasserkraftwerke zu 62 %, Kernkraftwerke zu 36 % und Wärmekraftwerke zu 2 % gedeckt. Im Dienstleistungsbereich kommen dem Bankgewerbe - die S. zählt zu den wichtigsten Finanzzentren der Welt - und dem Fremdenverkehr größte Bedeutung zu. Letzterer ist mit jährlich rd. 77 Mio. Übernachtungen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und spielt bes. in den Bergregionen, Seezonen und Großstädten eine dominierende Rolle. Die Landwirtschaft nutzt 38,3 % der Landesfläche, davon entfallen über die Hälfte auf Ackerland (Getreide, Hackfrucht, Gemüse), Wiesen, Weiden und Rebland, der andere Teil auf Almwirtschaft (bes. in den Bergregionen) mit einer hoch entwickelten Viehzucht zur Milch- und Fleischerzeugung; im S Obst- und Weinbau. Rd. 30 % des Landes sind mit Wald bedeckt. Hauptausfuhrgüter sind Maschinen, chem. und pharmazeut. Erzeugnisse, Apparate, Uhren, Textilien, Bekleidung, Nahrungsmittel; Haupthandelspartner sind Dtl., die EU-Länder und die USA. - Die S. ist ein wichtiges Transitland. Die W-O-Verbindungen führen durch das Mittelland; Alpenpässe und -tunnel, deren wichtigste Sankt-Gotthard-Tunnel, Simplon- und Lötschbergtunnel sind, leiten von N- nach S-Europa. Das vollständig elektrifizierte Eisenbahnnetz (5 029 km) und das 71 045 km lange Straßennetz bieten eine hervorragende verkehrstechn. Erschließung, hinzu kommen noch 814 km Zahnrad- und Seilbahnen in den Alpen. Wichtigster Schifffahrtsweg ist der Rhein mit dem Flusshafen Basel. Internat. Flughäfen haben Zürich, Genf und Basel.
Geschichte: Römisches Altertum und frühes Mittelalter: Die kelt. Helvetier, nach denen die S. sich noch heute nennt, wanderten kurz vor 100 v. Chr. zw. Jura und Alpen ein. 58 v. Chr. unterwarf Cäsar sie bei Bibracte; 15 v. Chr. wurden Räter und Alpenkelten dem Röm. Reich eingegliedert. Im O kamen sie zur Provinz Rätien, im W zur Provinz Gallien (Ursprung der rätoroman., italien. und frz. Sprache in der Schweiz). Im 5. Jh. ließen sich Burgunder im W, Alemannen im N der heutigen S. nieder. Seit 536 fränkisch (843 zum Ostfränk. Reich), kam der W um 900 zum Königreich Burgund, der Hauptteil zum Hl. Röm. Reich. Als 1032/34 Burgund an den Röm. König Konrad II. fiel, war ein loses Band um die meisten Gebiete hergestellt, doch entstanden bald zahlr. weltl. und geistl. Herrschaften (u. a. der Herzöge von Zähringen; Klöster wie St. Gallen, Einsiedeln, Saint-Maurice, die Bistümer Genf, Lausanne, Sitten, Basel, Chur, Konstanz). Ab um 1250-1300 erlangten die Grafen von Savoyen im SW, die Habsburger im N und O die Vorherrschaft.Die »alte« Eidgenossenschaft 1291-1798: Den beiden Tälern Uri und Schwyz verlieh Kaiser Friedrich II. 1231 und 1240 die Reichsunmittelbarkeit, die jedoch von den Habsburgern bestritten wurde. Anfang August 1291 schlossen die drei »Urkantone« (Waldstätte) Uri, Schwyz und Unterwalden einen »Ewigen Bund«. Die Befreiungssagen um W. Tell und den ersten Rütlischwur sind erst seit dem 15. Jh. belegt, wurden jedoch zum allg. schweizer. Gründungsmythos. - Die Urkantone siegten am Morgarten (1315) über ein österr. Ritterheer; darauf erneuerten sie den »Ewigen Bund«; ihm traten 1332 Luzern, 1351 die Reichsstadt Zürich, 1352 Glarus und Zug, 1353 die Reichsstadt Bern bei. So entwickelte sich aus dem Bund der drei »Orte« (Kantone) die Eidgenossenschaft der »Acht alten Orte«, auf die dann der Name von Schwyz als Gesamtbez. überging. Durch den Sieg bei Sempach (1386) über Habsburg sicherten sich die Waldstätte und Luzern, durch den Sieg bei Näfels (1388) die Glarner ihre Unabhängigkeit (Reichsunmittelbarkeit). 1415 eroberten die Eidgenossen den habsburg. Aargau, wehrten 1444 bei Sankt Jakob an der Birs (heute Stadtteil von Basel) die frz. Armagnaken (Armagnac) ab und eroberten 1460 den habsburg. Thurgau. In den Burgunderkriegen (1474-77) besiegten sie Karl den Kühnen bei Grandson, Murten und Nancy; dadurch erhielten sie internat. Ansehen und waren seitdem als Söldner (»Fremde Dienste«) im Ausland gefragt (Schweizergarde). 1481 schlossen sich Freiburg und Solothurn der Eidgenossenschaft an. Die Ablehnung der Reichsreformpläne unter Maximilian I. führte zum »Schwabenkrieg« von 1499, dessen Ergebnis die Loslösung der S. vom Hl. Röm. Reich war (Frieden von Basel). Durch die Aufnahme Basels und Schaffhausens (1501) sowie Appenzells (1513) erweiterte sich die Eidgenossenschaft zum Bund der »Dreizehn alten Orte«. Sie griffen 1512-16 als Gegner Frankreichs in den Kampf um das Herzogtum Mailand ein, erlitten zwar 1515 die Niederlage bei Marignano (Melegnano), gewannen aber 1516 das Tessin, der verbündete Freistaat der Drei Bünde (Graubünden) das Veltlin. Danach begann die Politik der Neutralität.
Die Reformation wurde seit 1519 in Zürich von H. Zwingli, später in Basel und Bern, in der französischsprachigen S. von J. Calvin (Genf) und G. Farel (Genf, Neuenburg) eingeführt; sie fand in den meisten Städtekantonen und deren Untertanenländern Eingang, während die Urkantone, Luzern, Zug, Freiburg und Solothurn katholisch blieben. Der »Zweite Kappeler Krieg« (1531) brachte durch den Sieg der Katholiken über Zürich und den Tod Zwinglis die Ausbreitung der Reformation in der dt. S. zum Stillstand; sie behauptete sich aber in Genf, das Mittelpunkt des Kalvinismus wurde, und am Genfer See. Mit der »Confessio Helvetica posterior« (1566) entstand die ref. Kirche. 1526 wurde Genf ein »zugewandter Ort« der Eidgenossenschaft, die Berner eroberten 1536 die Waadt. Während der Gegenreformation ließen sich die Jesuiten auch in der S. nieder. 1586 schlossen die kath. Orte den »Goldenen Bund«. Der Westfäl. Friede (1648) brachte auch die völkerrechtl. Loslösung vom Hl. Röm. Reich (»Exemtion«). Nach einem offenen gesamteidgenöss. Bürgerkrieg (»Villmerger Kriege« 1656 und 1712) ging die polit. Vorherrschaft von den kath. Fünf Orten auf die ref. Kantone Bern und Zürich über.
Den Kern der alten Eidgenossenschaft bildeten die »Dreizehn alten Orte«, eine Konföderation selbstständiger Kantone, der Verbündete (zugewandte Orte) angeschlossen waren. Die gemeinsamen Angelegenheiten wurden auf der »Tagsatzung« durch instruierte Gesandte behandelt. Eine einheitl. Außenpolitik war kaum möglich; daraus ergab sich eine Politik der Neutralität (1674 deklariert). Die Verf. der Stadtkantone wurden im 16./17. Jh. zünftisch-aristokratisch. Unselbstständig waren die von Landvögten verwalteten Landgebiete der Stadtkantone und die den Eidgenossen gemeinsam gehörenden Gebiete (Gemeine Herrschaften): Thurgau, Tessin, Veltlin, Teile des Aargaus und Rheintales.Von der Helvetischen Republik bis 1848: Von Anhängern der revolutionären Ideen (P. Ochs, F. C. de La Harpe) gerufen, griff Frankreich 1798 in die schweizer. Verhältnisse ein. Nach dem Vorbild der Frz. Revolution wurde die »Eine und unteilbare Helvetische Republik« als demokrat. Einheitsstaat (Rückstufung der Kantone auf Verw.bezirke) mit einer von dem Baseler P. Ochs ausgearbeiteten Verf. (Helvetik) geschaffen, der Widerstand der Inner-S. gebrochen; Mülhausen, das Bistum Basel sowie Biel und Genf kamen zu Frankreich, das Veltlin zur Zisalpin. Republik (Oberitalien). Als 1802 ein allg. Aufstand gegen die helvet. Regierung in Bern ausbrach, gab Napoléon Bonaparte durch die »Mediationsakte« vom 19. 2. 1803 der S. eine neue Verf., die den Staatenbund der Kantone wiederherstellte; sechs ehem. Untertanengebiete wurden zu neuen Kantonen (St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt). Genf blieb frz.; zugleich wurde das strategisch wichtige Wallis zu einem eigenen Freistaat erhoben, aber 1810 Frankreich einverleibt; Neuenburg war 1806-13 ein Fürstentum des frz. Marschalls Berthier. Der Gesamtstaat erhielt eine Verf. mit einer Gesamtbehörde (»Tagsatzung«). Nach den Befreiungskriegen wurden Ende 1813 wieder aristokrat. Regierungsformen eingeführt, aber nicht die Abhängigkeit der früheren Untertanenländer. Der 1. Pariser Frieden von 1814 gab der S. die an Frankreich gefallenen Gebiete zurück; das Veltlin blieb bei Österreich. Das säkularisierte Bistum Basel kam größtenteils an Bern (Berner Jura), während Genf, Wallis und Neuenburg die Zahl der Kantone auf 22 vermehrten; Neuenburg blieb zugleich noch ein Fürstentum der preuß. Könige (1707-1857). Der Wiener Kongress und der 2. Pariser Frieden von 1815 anerkannten die immer währende Neutralität der S. Der schweizer. »Bundesvertrag« vom 7. 8. 1815 errichtete nur einen lockeren Staatenbund der Kantone. Der Liberalismus erstrebte eine Reform der Bundesverf. und den Sturz der in den meisten Kantonen herrschenden Aristokratie. Durch die frz. Julirevolution erhielt er einen starken Antrieb; 1830/31 wurde in einigen Kantonen die Verf. im liberalen Sinne umgestaltet; so folgte auf die »Restauration« von 1813-15 die »Regenerationszeit« (1830-48). Den vordringenden Liberalen leistete die katholisch-konservative Partei zähen Widerstand; die kath. Kantone schlossen 1845 einen »Sonderbund«, dessen Auflösung aber im »Sonderbundkrieg« vom Nov. 1847 erzwungen wurde.Die Schweiz seit 1848: Die Verf. vom 12. 9. 1848 machte die S. zu einem Bundesstaat und Bern zur Bundesstadt; als oberste Reg. setzte sie den von beiden Kammern (Nationalrat und Ständerat) gewählten siebenköpfigen Bundesrat ein (kein Präsidialregime). Post, Münze, Maß, Gewicht und Zoll wurden zentralisiert. Die Freisinnig-Demokrat. Partei, die den entschiedenen Liberalismus vertrat, beherrschte lange Zeit Nationalrat und Bundesrat. Die neue Bundesverf. vom 29. 5. 1874 stärkte die Bundesgewalt und baute die demokrat. Einrichtungen aus; auch in den einzelnen Kantonen wurden nach und nach demokrat. Strukturen eingeführt (Volksbegehren, Volksentscheid, z. T. Trennung von Kirche und Staat). Der »Kulturkampf« gegen die kath. Kirche fand in erster Linie auf kantonaler Ebene statt (v. a. Bern und Genf). Im Ersten Weltkrieg bemühte sich die S. um völlige Neutralität; engagierte sich aber auf humanitärem Gebiet. Durch ihren Rohstoffmangel geriet sie wirtsch. unter Druck der Entente. Der von der Sozialdemokratie getragene »Landesstreik« im Nov. 1918 scheiterte am Widerstand des Bürger- und Bauerntums, führte aber zu sozialen Neuerungen.
Durch die Einführung der Verhältniswahl zum Nationalrat (Okt. 1918) verlor die FDP die absolute Mehrheit; es kam zum Ggs. zw. »Bürgerblock« und Sozialdemokratie. Im Zweiten Weltkrieg belasteten ab 1940 v. a. die Probleme der Asylgewährung (nicht selten Abweisung von rassisch oder politisch Verfolgten des NS-Regimes aus Dtl. und Österreich; Ausnahme: eigenmächtiges Handeln von P. Grüninger) und der Pressefreiheit die Innenpolitik. - Nach 1995 geriet das kompromissbereite Verhalten der S. in die internat. Diskussion, bes. die - v. a. über die Bank für Internat. Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel getätigten - Gold- und Devisengeschäfte mit dem nat.-soz. Dtl., die auch der eigenen Existenzsicherung dienten (Raubgold). - Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich im Bundesrat 1959/60 die noch heute bestehende Reg.koalition aus FDP, Katholisch-christlichsozialer Volkspartei (KCVP, seit 1970: CVP), SPS und Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, seit 1971: SVP). Mit der Errichtung des Kantons Jura (24. 9. 1978) fand eine jahrzehntelange Auseinandersetzung eine Lösung. 1981 stimmte die Bev. der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu. Im Prozess der innenpolit. Entscheidungsfindung lehnte die Bev. sowohl die zahlr. nationalistisch motivierten »Überfremdungsinitiativen« ab als auch die auf eine weitgehende Integration zielende »Mitenand-Initiative für eine neue Ausländerpolitik« (1981). 1989 scheiterte eine Initiative zur Abschaffung der schweizer. Armee. 1992 lehnte das Volk den Beitritt zum Europ. Wirtschaftsraum (EWR) ab. Eine Volksabstimmung forderte im Febr. 1994 die Verlegung des Transitgüterverkehrs bis 2004 von der Straße auf die Schiene (Alpeninitiative).Der Versailler Vertrag von 1919 erkannte die Neutralität der S. an. 1920 trat sie dem Völkerbund bei, der seinen Sitz in Genf genommen hatte; doch auch dem Völkerbund gegenüber vertrat sie den Grundsatz unbedingter Neutralität. Im Zweiten Weltkrieg verfolgte sie eine Neutralitätspolitik, die - bes. neuerdings - sowohl national wie international stark diskutiert wird. Nach 1945 beteiligte sich die S. in Fortsetzung ihrer Neutralitätspolitik (ohne sich im Ost-West-Konflikt auf eine ideolog. Neutralität festzulegen) an den internat. Hilfswerken und trat den kulturellen, wirtsch. und humanitären Sonderorganisationen der UNO bei. 1960 war sie Gründungsmitgl. der EFTA. 1963 trat sie dem Europarat bei. 1986 lehnte das Volk einen Beitritt zur UNO ab. Im Mai 1992 wurde die S. Mitgl. des IWF sowie der Weltbank. Am 12. 12. 1997 unterzeichnete die S. das Rahmendokument für die »NATO-Partnerschaft für den Frieden«. Der Kosovokonflikt (NATO-Einsätze 1999) brachte die Neutralitätspolitik erneut in die innenpolit. Diskussion.
▣ Literatur:
Gutersohn, H.: Geographie der S., 3 Bde. in 5 Tlen. Bern 1958-69.
⃟ Wiesli, U.: Die S. Darmstadt 1986.
⃟ Bausteine der S. Porträts der 26 Kantone, hg. v. Kurt Müller. Zürich 1987.
⃟ Die S., Beiträge v. H. Elsasser u. a. Stuttgart u. a. 1988.
⃟ Bergier, J.-F.: Wirtschaftsgeschichte der S. Basel 21990.
⃟ Blumenthal, V. von: Bildungspolitik in der S. München 1991.
⃟ Geschichte der S., bearb. v. H. von Greyerz u. a. München 1991.
⃟ Hantke, R.: Landschaftsgeschichte der S. u. ihrer Nachbargebiete. Thun 1991.
⃟ Schaffer, F.: Abriß der Schweizergeschichte. Frauenfeld 151992.
⃟ Burri, K.: S. Geograph. Betrachtungen. Naturraum, Bevölkerung u. Siedlungen, Wirtschaft, Typlandschaften, Karten u. Wetter, Zahlen u. Begriffe. Luzern u. a. 1995.
⃟ Die S. in der Geschichte, 2 Bde. Zürich 1995-97.
⃟ Wachter, D.: S. Eine moderne Geographie. Zürich 1995.
⃟ Historische Statistik der S., hg. v. H. Ritzmann-Blickenstorfer. Zürich 1996.
⃟ Rings, W.: Raubgold aus Deutschland. Die »Golddrehscheibe« S.im Zweiten Weltkrieg. Neuausg. Zürich 1996.
⃟ Der Aufbruch der Kantone nach Europa, hg. v. S. Kux u. a. Basel 1997.
⃟ Balzli, B.: Treuhänder des Reichs. Die S. u. die Vermögen der Naziopfer. Zürich 1997.
⃟ Kappel, R. u. Landmann, O.: Die S. im globalen Wandel. Zürich 1997.
⃟ Die ersten Jahrtausende. Die S. von den Anfängen bis zur Eisenzeit, hg. v. A. Furger u. a. Zürich 1998.
⃟ Kästli, T.: Die S. - eine Republik in Europa. Geschichte des Nationalstaats seit 1798. Zürich 1998.
⃟ Labhart, T. P.: Geologie der S. Thun 41998.
⃟ Obinger, H.: Politische Institutionen u. Sozialpolitik in der S. Frankfurt am Main 1998.
⃟ Die S. - für Europa? Über Kultur u. Politik, hg. v. Martin Meyer u. G. Kohler. München 1998.
Einwohner: (1998) 7,1 Mio.
Hauptstadt: Bern
Verwaltungsgliederung: 26 Kantone
Amtssprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch, Rumantsch Grischun (Bündnerromanisch)
Nationalfeiertag: 1. 8.
Währung: 1 Schweizer Franken (sfr) = 100 Rappen (Rp)/Centimes (c)
Zeitzone: MEZ
(frz. Suisse, italien. Svizzera, bündnerroman. Svizzra, amtliche Namen: Schweizerische Eidgenossenschaft, Confédération Suisse, Confederazione Svizzera, lat. Confoederatio Helvetica), Abk. CH, Bundesstaat in Mitteleuropa, grenzt im N an Dtl., im NO und O an Österreich und Liechtenstein, im SO und S an Italien, im W an Frankreich.
Staat und Recht: Nach der Verf. von 1874 ist die S. eine föderative, demokrat. Republik, bestehend aus 20 Kantonen und sechs Halbkantonen. Den Bundesorganen stehen nur die ihnen von den Kantonen übertragenen Rechte zu. Staatsoberhaupt ist der Bundespräs., der jährlich aus den Reihen des Bundesrates gewählt wird und gegenüber seinen Regierungskollegen nur unbedeutende Vorrechte besitzt (Vorsitz in den Bundesratssitzungen, Vertretung der S. nach außen). Die Exekutive liegt beim Bundesrat, dessen sieben Mitgl. (Bundesräte) dem Parlament nicht verantwortlich sind und eine permanente »große Koalition« - ohne expliziten Koalitionsvertrag - bilden. Die Bundesräte verstehen sich in erster Linie als Chefs ihrer Ministerien (Departements) und erst in zweiter Linie als Mitgl. eines Kollegialorgans, das jedoch in allen wichtigen Regierungsangelegenheiten formelle Entscheidungsinstanz bleibt. Während der Legislaturperiode des Nationalrats ist es der Bundesversammlung formell verwehrt, einen Bundesrat oder die Reg. abzusetzen. Die Legislative liegt bei der Bundesversammlung, die aus zwei gleichberechtigten Kammern besteht, dem Nationalrat und dem Ständerat. Die 200 Abg. des Nationalrats werden in kantonalen Wahlkreisen nach dem Verhältniswahlrecht auf vier Jahre gewählt (allg. Wahlrecht ab 18 Jahren, Frauenwahlrecht auf Bundesebene seit 1971). Die Mandate werden unter den Kantonen entsprechend ihrer Bev.zahl verteilt. In den Ständerat (46 Mitgl.) entsendet jeder Kanton zwei, jeder Halbkanton einen Vertreter. Wahlmodus und Mandatsdauer bestimmt das kantonale Recht. Die Bundesversammlung wählt den Bundesrat, den Bundespräs., das Bundesgericht, das Versicherungsgericht, den Bundeskanzler, den General der eidgenöss. Armee und entscheidet über Begnadigungsgesuche und Kompetenzstreitigkeiten zw. Bundesbehörden. Der Bundesversammlung obliegen neben der Gesetzgebung u. a. die Verwaltungskontrolle, das Budget, Bündnisse und Verträge mit dem Ausland und die Entscheidung über Krieg und Frieden. Die dominierende Stellung des Bundesrates im polit. System der S. hat ein gewisses Gegengewicht in den direktdemokrat. Rechten der Bürger (Referendum, Volksinitiative, Volksabstimmung). Der Charakter der S. als Bundesstaat bedingt eine weitgehende Aufteilung der Gesetzgebungszuständigkeit zw. Bund und Kantonen. Die Kantone sind im Rahmen der von der Bundesverf. gezogenen Grenzen autonom. Sie verfügen über eigene Verf. und staatl. Behörden. Gesetzgebendes Organ ist ein vom Volk gewählter Großer Rat (auch Kantonsrat oder Landrat), Exekutivorgan ist ein vom Volk oder der Landsgemeinde gewählter Reg.rat (auch Kleiner Rat oder Staatsrat). Die Parteienlandschaft weist, bedingt durch die unterschiedl. polit. Traditionen der Kantone, eine große Vielfalt auf. Die vier größten, im Verhältnis 2 : 2 : 2 : 1 (sog. Zauberformel) im Bundesrat vertretenen Parteien sind die liberale Freisinnig-Demokrat. Partei (FDP), die Sozialdemokrat. Partei (SPS), die bürgerl.-konservative Christlichdemokrat. Volkspartei (CVP) und die mittelständ. Schweizer. Volkspartei (SVP). Stärker auf Kantonsebene und darüber hinaus im Nationalrat vertreten sind ferner: der Landesring der Unabhängigen (LdU), die Evang. Volkspartei (EVP), die Grüne Partei (GPS), die Schweizer. Demokraten (SD; hervorgegangen aus der Nat. Aktion gegen die Überfremdung von Volk und Heimat), die Autopartei (APS) sowie die Partei der Arbeit (PdA; Nachfolgeorganisation der 1940 verbotenen KP).
Landesnatur: Die S. liegt im Gebiet der zentralen Alpen und deren nördl. Vorland. Landschaftlich gliedert sie sich in Jura, Mittelland und Alpen. Der Schweizer Anteil am Jura mit Mittelgebirgscharakter umfasst den Kettenjura, Teile des Platten- und Tafeljura. Das Schweizer Mittelland gehört zum Alpenvorland und erstreckt sich zw. Jura und Alpen, Bodensee und Genfer See als ein von Flusstälern stark zerschnittenes, 400-1 000 m hohes Hügelland. Die Schweizer Alpen nehmen rd. 60 % der Landesfläche ein. Sie sind durch die große Längstalzone Rhonetal-Rheintal und zahlr. Quertäler stark gegliedert und dem Verkehr geöffnet. Der nördl. Alpenzug erreicht in den stark vergletscherten Berner Alpen seine größte Höhe (Finsteraarhorn 4 274 m ü. M.); der südl. Teil trägt in den gletscherreichen Walliser Alpen den höchsten Punkt der S. überhaupt (Monte Rosa 4 637 m ü. M.), während im O die schon zu den Ostalpen gerechneten Rät. Alpen im Piz Bernina (4 049 m ü. M.) gipfeln. Mit dem Tessin hat die S. einen schmalen Anteil an der Südabdachung der Alpen. Das Sankt-Gotthard-Massiv ist das Quellgebiet zahlr. Flüsse: Rhein, Reuß, Aare, Rhone und Tessin. Das Hochtal des Engadin im O wird durch den Inn zur Donau entwässert. Sehr reich ist die S. an Seen; sie hat Anteil an den beiden größten nördl. Vorlandseen Bodensee und Genfer See und an den oberitalien. Seen Lago Maggiore und Luganer See und besitzt maler. Alpenrandseen, wie Vierwaldstätter See, Zürichsee, Thuner See, am Jurarand Neuenburger und Bieler See. Es herrscht feuchtgemäßigtes Klima mit hohen Niederschlägen. Die Pflanzenwelt ist mitteleuropäisch und nach Höhenlagen abgestuft (Alpen).
Bevölkerung: Die S. gliedert sich in drei Sprachräume: den dt. im N, im Zentrum und im O (Deutschschweizer), den frz. im W und den italien. Sprachraum im Kt. Tessin sowie in Teilen des Kt. Graubünden im S; innerhalb des dt. liegen die Gebiete der Rätoromanen, deren Sprache seit 1938 als vierte Landessprache, seit 1996 als Amtssprache anerkannt ist. Deutsch wird von 63,6 % der Bev. gesprochen, Französisch von 19,3 %, Italienisch von 7,6 %, Rätoromanisch von 0,6 %, andere Sprachen von 8,9 %. Der Bev.anteil der Ausländer beträgt 19 %. Am dichtesten besiedelt sind das Mittelland, das untere Tessin und Teile des Jura. Hauptsiedlungsräume im Gebirge sind die Alpentäler. Großstädte sind Zürich, Basel, Genf, Bern und Lausanne. - Das Schulwesen ist überwiegend Kantonsangelegenheit. Die Schulpflicht von acht (neun) Jahren umfasst i. Allg. eine Primarstufe von fünf oder sechs Jahren und eine Sekundarstufe I von 3 bis 5 Jahren, danach können Diplom-Mittelschulen (2-3 Jahre), Berufsschulen oder Gymnasien (Maturitätsschulen) besucht werden. Es gibt Univ. in Basel (gegr. 1460), Bern (1834), Freiburg (1889), Genf (1873), Lausanne (1890), Lugano (1996), Neuenburg (1909), Zürich (1833), zwei Eidgenöss. Techn. Hochschulen (Zürich, Lausanne), die Hochschule St. Gallen für Wirtschafts- und Sozialwiss. sowie Kunst-, Musik- u. a. Hochschulen. - Die Mehrheit der Bev. sind Christen (47,6 % kath., 44,3 % evang.); außerdem Altkatholiken und Juden.
Wirtschaft, Verkehr: Die S. zählt zu den führenden Ind.nationen der Welt. Hauptzweige sind verarbeitende Ind., Energiewirtschaft, Baugewerbe und Dienstleistungssektor. An erster Stelle der stark exportorientierten Produktion stehen Maschinen- und Apparatebau (elektron., elektrotechn. und opt. Geräte) sowie Fahrzeugbau; es folgen v. a. Metallverarbeitung, Uhren-, chem., pharmazeut., Textil- und Bekleidungs-, Papier-, Holz- und Möbel-, Zement-, Nahrungs- und Genussmittelindustrie (Käse, Schokolade). Wichtig sind Abbau von Steinen und Erden sowie Salzgewinnung. Der Energiebedarf wird durch Wasserkraftwerke zu 62 %, Kernkraftwerke zu 36 % und Wärmekraftwerke zu 2 % gedeckt. Im Dienstleistungsbereich kommen dem Bankgewerbe - die S. zählt zu den wichtigsten Finanzzentren der Welt - und dem Fremdenverkehr größte Bedeutung zu. Letzterer ist mit jährlich rd. 77 Mio. Übernachtungen ein wichtiger Wirtschaftsfaktor und spielt bes. in den Bergregionen, Seezonen und Großstädten eine dominierende Rolle. Die Landwirtschaft nutzt 38,3 % der Landesfläche, davon entfallen über die Hälfte auf Ackerland (Getreide, Hackfrucht, Gemüse), Wiesen, Weiden und Rebland, der andere Teil auf Almwirtschaft (bes. in den Bergregionen) mit einer hoch entwickelten Viehzucht zur Milch- und Fleischerzeugung; im S Obst- und Weinbau. Rd. 30 % des Landes sind mit Wald bedeckt. Hauptausfuhrgüter sind Maschinen, chem. und pharmazeut. Erzeugnisse, Apparate, Uhren, Textilien, Bekleidung, Nahrungsmittel; Haupthandelspartner sind Dtl., die EU-Länder und die USA. - Die S. ist ein wichtiges Transitland. Die W-O-Verbindungen führen durch das Mittelland; Alpenpässe und -tunnel, deren wichtigste Sankt-Gotthard-Tunnel, Simplon- und Lötschbergtunnel sind, leiten von N- nach S-Europa. Das vollständig elektrifizierte Eisenbahnnetz (5 029 km) und das 71 045 km lange Straßennetz bieten eine hervorragende verkehrstechn. Erschließung, hinzu kommen noch 814 km Zahnrad- und Seilbahnen in den Alpen. Wichtigster Schifffahrtsweg ist der Rhein mit dem Flusshafen Basel. Internat. Flughäfen haben Zürich, Genf und Basel.
Geschichte: Römisches Altertum und frühes Mittelalter: Die kelt. Helvetier, nach denen die S. sich noch heute nennt, wanderten kurz vor 100 v. Chr. zw. Jura und Alpen ein. 58 v. Chr. unterwarf Cäsar sie bei Bibracte; 15 v. Chr. wurden Räter und Alpenkelten dem Röm. Reich eingegliedert. Im O kamen sie zur Provinz Rätien, im W zur Provinz Gallien (Ursprung der rätoroman., italien. und frz. Sprache in der Schweiz). Im 5. Jh. ließen sich Burgunder im W, Alemannen im N der heutigen S. nieder. Seit 536 fränkisch (843 zum Ostfränk. Reich), kam der W um 900 zum Königreich Burgund, der Hauptteil zum Hl. Röm. Reich. Als 1032/34 Burgund an den Röm. König Konrad II. fiel, war ein loses Band um die meisten Gebiete hergestellt, doch entstanden bald zahlr. weltl. und geistl. Herrschaften (u. a. der Herzöge von Zähringen; Klöster wie St. Gallen, Einsiedeln, Saint-Maurice, die Bistümer Genf, Lausanne, Sitten, Basel, Chur, Konstanz). Ab um 1250-1300 erlangten die Grafen von Savoyen im SW, die Habsburger im N und O die Vorherrschaft.Die »alte« Eidgenossenschaft 1291-1798: Den beiden Tälern Uri und Schwyz verlieh Kaiser Friedrich II. 1231 und 1240 die Reichsunmittelbarkeit, die jedoch von den Habsburgern bestritten wurde. Anfang August 1291 schlossen die drei »Urkantone« (Waldstätte) Uri, Schwyz und Unterwalden einen »Ewigen Bund«. Die Befreiungssagen um W. Tell und den ersten Rütlischwur sind erst seit dem 15. Jh. belegt, wurden jedoch zum allg. schweizer. Gründungsmythos. - Die Urkantone siegten am Morgarten (1315) über ein österr. Ritterheer; darauf erneuerten sie den »Ewigen Bund«; ihm traten 1332 Luzern, 1351 die Reichsstadt Zürich, 1352 Glarus und Zug, 1353 die Reichsstadt Bern bei. So entwickelte sich aus dem Bund der drei »Orte« (Kantone) die Eidgenossenschaft der »Acht alten Orte«, auf die dann der Name von Schwyz als Gesamtbez. überging. Durch den Sieg bei Sempach (1386) über Habsburg sicherten sich die Waldstätte und Luzern, durch den Sieg bei Näfels (1388) die Glarner ihre Unabhängigkeit (Reichsunmittelbarkeit). 1415 eroberten die Eidgenossen den habsburg. Aargau, wehrten 1444 bei Sankt Jakob an der Birs (heute Stadtteil von Basel) die frz. Armagnaken (Armagnac) ab und eroberten 1460 den habsburg. Thurgau. In den Burgunderkriegen (1474-77) besiegten sie Karl den Kühnen bei Grandson, Murten und Nancy; dadurch erhielten sie internat. Ansehen und waren seitdem als Söldner (»Fremde Dienste«) im Ausland gefragt (Schweizergarde). 1481 schlossen sich Freiburg und Solothurn der Eidgenossenschaft an. Die Ablehnung der Reichsreformpläne unter Maximilian I. führte zum »Schwabenkrieg« von 1499, dessen Ergebnis die Loslösung der S. vom Hl. Röm. Reich war (Frieden von Basel). Durch die Aufnahme Basels und Schaffhausens (1501) sowie Appenzells (1513) erweiterte sich die Eidgenossenschaft zum Bund der »Dreizehn alten Orte«. Sie griffen 1512-16 als Gegner Frankreichs in den Kampf um das Herzogtum Mailand ein, erlitten zwar 1515 die Niederlage bei Marignano (Melegnano), gewannen aber 1516 das Tessin, der verbündete Freistaat der Drei Bünde (Graubünden) das Veltlin. Danach begann die Politik der Neutralität.
Die Reformation wurde seit 1519 in Zürich von H. Zwingli, später in Basel und Bern, in der französischsprachigen S. von J. Calvin (Genf) und G. Farel (Genf, Neuenburg) eingeführt; sie fand in den meisten Städtekantonen und deren Untertanenländern Eingang, während die Urkantone, Luzern, Zug, Freiburg und Solothurn katholisch blieben. Der »Zweite Kappeler Krieg« (1531) brachte durch den Sieg der Katholiken über Zürich und den Tod Zwinglis die Ausbreitung der Reformation in der dt. S. zum Stillstand; sie behauptete sich aber in Genf, das Mittelpunkt des Kalvinismus wurde, und am Genfer See. Mit der »Confessio Helvetica posterior« (1566) entstand die ref. Kirche. 1526 wurde Genf ein »zugewandter Ort« der Eidgenossenschaft, die Berner eroberten 1536 die Waadt. Während der Gegenreformation ließen sich die Jesuiten auch in der S. nieder. 1586 schlossen die kath. Orte den »Goldenen Bund«. Der Westfäl. Friede (1648) brachte auch die völkerrechtl. Loslösung vom Hl. Röm. Reich (»Exemtion«). Nach einem offenen gesamteidgenöss. Bürgerkrieg (»Villmerger Kriege« 1656 und 1712) ging die polit. Vorherrschaft von den kath. Fünf Orten auf die ref. Kantone Bern und Zürich über.
Den Kern der alten Eidgenossenschaft bildeten die »Dreizehn alten Orte«, eine Konföderation selbstständiger Kantone, der Verbündete (zugewandte Orte) angeschlossen waren. Die gemeinsamen Angelegenheiten wurden auf der »Tagsatzung« durch instruierte Gesandte behandelt. Eine einheitl. Außenpolitik war kaum möglich; daraus ergab sich eine Politik der Neutralität (1674 deklariert). Die Verf. der Stadtkantone wurden im 16./17. Jh. zünftisch-aristokratisch. Unselbstständig waren die von Landvögten verwalteten Landgebiete der Stadtkantone und die den Eidgenossen gemeinsam gehörenden Gebiete (Gemeine Herrschaften): Thurgau, Tessin, Veltlin, Teile des Aargaus und Rheintales.Von der Helvetischen Republik bis 1848: Von Anhängern der revolutionären Ideen (P. Ochs, F. C. de La Harpe) gerufen, griff Frankreich 1798 in die schweizer. Verhältnisse ein. Nach dem Vorbild der Frz. Revolution wurde die »Eine und unteilbare Helvetische Republik« als demokrat. Einheitsstaat (Rückstufung der Kantone auf Verw.bezirke) mit einer von dem Baseler P. Ochs ausgearbeiteten Verf. (Helvetik) geschaffen, der Widerstand der Inner-S. gebrochen; Mülhausen, das Bistum Basel sowie Biel und Genf kamen zu Frankreich, das Veltlin zur Zisalpin. Republik (Oberitalien). Als 1802 ein allg. Aufstand gegen die helvet. Regierung in Bern ausbrach, gab Napoléon Bonaparte durch die »Mediationsakte« vom 19. 2. 1803 der S. eine neue Verf., die den Staatenbund der Kantone wiederherstellte; sechs ehem. Untertanengebiete wurden zu neuen Kantonen (St. Gallen, Graubünden, Aargau, Thurgau, Tessin und Waadt). Genf blieb frz.; zugleich wurde das strategisch wichtige Wallis zu einem eigenen Freistaat erhoben, aber 1810 Frankreich einverleibt; Neuenburg war 1806-13 ein Fürstentum des frz. Marschalls Berthier. Der Gesamtstaat erhielt eine Verf. mit einer Gesamtbehörde (»Tagsatzung«). Nach den Befreiungskriegen wurden Ende 1813 wieder aristokrat. Regierungsformen eingeführt, aber nicht die Abhängigkeit der früheren Untertanenländer. Der 1. Pariser Frieden von 1814 gab der S. die an Frankreich gefallenen Gebiete zurück; das Veltlin blieb bei Österreich. Das säkularisierte Bistum Basel kam größtenteils an Bern (Berner Jura), während Genf, Wallis und Neuenburg die Zahl der Kantone auf 22 vermehrten; Neuenburg blieb zugleich noch ein Fürstentum der preuß. Könige (1707-1857). Der Wiener Kongress und der 2. Pariser Frieden von 1815 anerkannten die immer währende Neutralität der S. Der schweizer. »Bundesvertrag« vom 7. 8. 1815 errichtete nur einen lockeren Staatenbund der Kantone. Der Liberalismus erstrebte eine Reform der Bundesverf. und den Sturz der in den meisten Kantonen herrschenden Aristokratie. Durch die frz. Julirevolution erhielt er einen starken Antrieb; 1830/31 wurde in einigen Kantonen die Verf. im liberalen Sinne umgestaltet; so folgte auf die »Restauration« von 1813-15 die »Regenerationszeit« (1830-48). Den vordringenden Liberalen leistete die katholisch-konservative Partei zähen Widerstand; die kath. Kantone schlossen 1845 einen »Sonderbund«, dessen Auflösung aber im »Sonderbundkrieg« vom Nov. 1847 erzwungen wurde.Die Schweiz seit 1848: Die Verf. vom 12. 9. 1848 machte die S. zu einem Bundesstaat und Bern zur Bundesstadt; als oberste Reg. setzte sie den von beiden Kammern (Nationalrat und Ständerat) gewählten siebenköpfigen Bundesrat ein (kein Präsidialregime). Post, Münze, Maß, Gewicht und Zoll wurden zentralisiert. Die Freisinnig-Demokrat. Partei, die den entschiedenen Liberalismus vertrat, beherrschte lange Zeit Nationalrat und Bundesrat. Die neue Bundesverf. vom 29. 5. 1874 stärkte die Bundesgewalt und baute die demokrat. Einrichtungen aus; auch in den einzelnen Kantonen wurden nach und nach demokrat. Strukturen eingeführt (Volksbegehren, Volksentscheid, z. T. Trennung von Kirche und Staat). Der »Kulturkampf« gegen die kath. Kirche fand in erster Linie auf kantonaler Ebene statt (v. a. Bern und Genf). Im Ersten Weltkrieg bemühte sich die S. um völlige Neutralität; engagierte sich aber auf humanitärem Gebiet. Durch ihren Rohstoffmangel geriet sie wirtsch. unter Druck der Entente. Der von der Sozialdemokratie getragene »Landesstreik« im Nov. 1918 scheiterte am Widerstand des Bürger- und Bauerntums, führte aber zu sozialen Neuerungen.
Durch die Einführung der Verhältniswahl zum Nationalrat (Okt. 1918) verlor die FDP die absolute Mehrheit; es kam zum Ggs. zw. »Bürgerblock« und Sozialdemokratie. Im Zweiten Weltkrieg belasteten ab 1940 v. a. die Probleme der Asylgewährung (nicht selten Abweisung von rassisch oder politisch Verfolgten des NS-Regimes aus Dtl. und Österreich; Ausnahme: eigenmächtiges Handeln von P. Grüninger) und der Pressefreiheit die Innenpolitik. - Nach 1995 geriet das kompromissbereite Verhalten der S. in die internat. Diskussion, bes. die - v. a. über die Bank für Internat. Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel getätigten - Gold- und Devisengeschäfte mit dem nat.-soz. Dtl., die auch der eigenen Existenzsicherung dienten (Raubgold). - Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete sich im Bundesrat 1959/60 die noch heute bestehende Reg.koalition aus FDP, Katholisch-christlichsozialer Volkspartei (KCVP, seit 1970: CVP), SPS und Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei (BGB, seit 1971: SVP). Mit der Errichtung des Kantons Jura (24. 9. 1978) fand eine jahrzehntelange Auseinandersetzung eine Lösung. 1981 stimmte die Bev. der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu. Im Prozess der innenpolit. Entscheidungsfindung lehnte die Bev. sowohl die zahlr. nationalistisch motivierten »Überfremdungsinitiativen« ab als auch die auf eine weitgehende Integration zielende »Mitenand-Initiative für eine neue Ausländerpolitik« (1981). 1989 scheiterte eine Initiative zur Abschaffung der schweizer. Armee. 1992 lehnte das Volk den Beitritt zum Europ. Wirtschaftsraum (EWR) ab. Eine Volksabstimmung forderte im Febr. 1994 die Verlegung des Transitgüterverkehrs bis 2004 von der Straße auf die Schiene (Alpeninitiative).Der Versailler Vertrag von 1919 erkannte die Neutralität der S. an. 1920 trat sie dem Völkerbund bei, der seinen Sitz in Genf genommen hatte; doch auch dem Völkerbund gegenüber vertrat sie den Grundsatz unbedingter Neutralität. Im Zweiten Weltkrieg verfolgte sie eine Neutralitätspolitik, die - bes. neuerdings - sowohl national wie international stark diskutiert wird. Nach 1945 beteiligte sich die S. in Fortsetzung ihrer Neutralitätspolitik (ohne sich im Ost-West-Konflikt auf eine ideolog. Neutralität festzulegen) an den internat. Hilfswerken und trat den kulturellen, wirtsch. und humanitären Sonderorganisationen der UNO bei. 1960 war sie Gründungsmitgl. der EFTA. 1963 trat sie dem Europarat bei. 1986 lehnte das Volk einen Beitritt zur UNO ab. Im Mai 1992 wurde die S. Mitgl. des IWF sowie der Weltbank. Am 12. 12. 1997 unterzeichnete die S. das Rahmendokument für die »NATO-Partnerschaft für den Frieden«. Der Kosovokonflikt (NATO-Einsätze 1999) brachte die Neutralitätspolitik erneut in die innenpolit. Diskussion.
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