Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Scholastik
Scholạstik[lat., zu grch. scholastikós »mit der Wissenschaft befasst«] die, die zwischen der karloling. Zeit und der Renaissance zunächst an Dom- und Klosterschulen, dann an den Universitäten (insbes. Paris, Oxford) ausgebildete philosophisch-theolog. Spekulation. - Inhaltlich ist sie gekennzeichnet durch die Verbindung der christl. Offenbarungslehre mit philosoph. Denken auf dem Grunde einer angenommenen Einheit des menschl. Geistes. Ihr Ziel war die rationale Begründung, Deutung, Systematisierung und Verteidigung der (Glaubens-)Wahrheit, von der man annahm, dass sie in der Theologie vorläge. Kennzeichen des method. Herangehens sind das klare Herausarbeiten der Fragen, die scharfe Abgrenzung und Unterscheidung der Begriffe, logisch geformte Beweise sowie Erörterung der Gründe und Gegengründe in formstrenger Disputation. Charakteristisch für die gesamte S. war ihre Bindung an die Autorität (v. a. der Bibel, Kirchenväter, »des Philosophen« Aristoteles). - Die beiden z. T. heftig umstrittenen inhaltl. Hauptprobleme der Frühscholastik (9.-12. Jh.) waren das Problem des Verhältnisses von Theologie und Philosophie und das der Universalien. Im erstgenannten Problem, ob die Vernunft (ratio) über die Wahrheit zu entscheiden habe (z. B. Berengar von Tours) oder die (kirchl.) Autorität (Petrus Damiani), fand Anselm von Canterbury mit seiner Formel »Credo, ut intelligam« (»ich glaube, damit ich verstehe«) eine vermittelnde Lösung. - Im Universalienstreit dominierte ein neuplatonisch geprägter Realismus (Thierry von Chartres), der den Begriffen insofern Realität zuerkennt, als sie Gottes Gedanken sind, nach denen die Dinge geschaffen sind. - In der Hochscholastik (13. bis frühes 14. Jh.) wurden neue Univ. gegründet, die Franziskaner und Dominikaner traten in das wiss. Leben ein, und die naturwiss. Schriften des Aristoteles sowie die Werke von arab. und jüd. Gelehrten (z. B. Ibn Ruschd, Ibn Sina) wurden bekannt. Diese wollte man mit den theolog. Dogmen in Einklang bringen. V. a. Thomas von Aquin versuchte eine rationalist. Harmonisierung von Glauben und Wissen. Dagegen ordnete die jüngere Franziskanerschule (Duns Scotus u. a.) in ihrer Erkenntnislehre das Denken dem Willen unter, um die individuelle Wissensbildung von einer universalen Autorität zu befreien. Aufgrund des skept. Verzichts auf Harmonisierung von Glauben und Wissen (bes. an der Pariser Univ.) kam es durch die Annahme einer doppelten Wahrheit zum Konflikt mit der Kirche. - Die Spätscholastik (spätes 14. und 15. Jh.) brachte eine konservierende Verschulung der Systementwürfe der Hoch-S., v. a. von Thomas von Aquin im Thomismus und von Duns Scotus im Scotismus, sowie die Ablösung des wiss. Denkens von den theolog. Prämissen v. a. durch Wilhelm von Ockham. - Über die Erneuerung der S. seit der Mitte des 19. Jh. Neuscholastik.
▣ Literatur:
Vries, J. de: Grundbegriffe der S. Darmstadt 21983.
⃟ Grabmann, M.: Die Geschichte der scholast. Methode, 2 Bde. Freiburg im Breisgau 1909-11, Nachdr. Berlin 1988.
⃟ Seidel, H.: S., Mystik u. Renaissancephilosophie. Berlin (Ost) 1990.
⃟ Schönberger, R.: Was ist S.? Hildesheim 1991.
⃟ Flasch, K.: Einführung in die Philosophie des Mittelalters. Darmstadt 31994.
Scholạstik[lat., zu grch. scholastikós »mit der Wissenschaft befasst«] die, die zwischen der karloling. Zeit und der Renaissance zunächst an Dom- und Klosterschulen, dann an den Universitäten (insbes. Paris, Oxford) ausgebildete philosophisch-theolog. Spekulation. - Inhaltlich ist sie gekennzeichnet durch die Verbindung der christl. Offenbarungslehre mit philosoph. Denken auf dem Grunde einer angenommenen Einheit des menschl. Geistes. Ihr Ziel war die rationale Begründung, Deutung, Systematisierung und Verteidigung der (Glaubens-)Wahrheit, von der man annahm, dass sie in der Theologie vorläge. Kennzeichen des method. Herangehens sind das klare Herausarbeiten der Fragen, die scharfe Abgrenzung und Unterscheidung der Begriffe, logisch geformte Beweise sowie Erörterung der Gründe und Gegengründe in formstrenger Disputation. Charakteristisch für die gesamte S. war ihre Bindung an die Autorität (v. a. der Bibel, Kirchenväter, »des Philosophen« Aristoteles). - Die beiden z. T. heftig umstrittenen inhaltl. Hauptprobleme der Frühscholastik (9.-12. Jh.) waren das Problem des Verhältnisses von Theologie und Philosophie und das der Universalien. Im erstgenannten Problem, ob die Vernunft (ratio) über die Wahrheit zu entscheiden habe (z. B. Berengar von Tours) oder die (kirchl.) Autorität (Petrus Damiani), fand Anselm von Canterbury mit seiner Formel »Credo, ut intelligam« (»ich glaube, damit ich verstehe«) eine vermittelnde Lösung. - Im Universalienstreit dominierte ein neuplatonisch geprägter Realismus (Thierry von Chartres), der den Begriffen insofern Realität zuerkennt, als sie Gottes Gedanken sind, nach denen die Dinge geschaffen sind. - In der Hochscholastik (13. bis frühes 14. Jh.) wurden neue Univ. gegründet, die Franziskaner und Dominikaner traten in das wiss. Leben ein, und die naturwiss. Schriften des Aristoteles sowie die Werke von arab. und jüd. Gelehrten (z. B. Ibn Ruschd, Ibn Sina) wurden bekannt. Diese wollte man mit den theolog. Dogmen in Einklang bringen. V. a. Thomas von Aquin versuchte eine rationalist. Harmonisierung von Glauben und Wissen. Dagegen ordnete die jüngere Franziskanerschule (Duns Scotus u. a.) in ihrer Erkenntnislehre das Denken dem Willen unter, um die individuelle Wissensbildung von einer universalen Autorität zu befreien. Aufgrund des skept. Verzichts auf Harmonisierung von Glauben und Wissen (bes. an der Pariser Univ.) kam es durch die Annahme einer doppelten Wahrheit zum Konflikt mit der Kirche. - Die Spätscholastik (spätes 14. und 15. Jh.) brachte eine konservierende Verschulung der Systementwürfe der Hoch-S., v. a. von Thomas von Aquin im Thomismus und von Duns Scotus im Scotismus, sowie die Ablösung des wiss. Denkens von den theolog. Prämissen v. a. durch Wilhelm von Ockham. - Über die Erneuerung der S. seit der Mitte des 19. Jh. Neuscholastik.
▣ Literatur:
Vries, J. de: Grundbegriffe der S. Darmstadt 21983.
⃟ Grabmann, M.: Die Geschichte der scholast. Methode, 2 Bde. Freiburg im Breisgau 1909-11, Nachdr. Berlin 1988.
⃟ Seidel, H.: S., Mystik u. Renaissancephilosophie. Berlin (Ost) 1990.
⃟ Schönberger, R.: Was ist S.? Hildesheim 1991.
⃟ Flasch, K.: Einführung in die Philosophie des Mittelalters. Darmstadt 31994.