Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Schlesien
Schlesi|en,1) (poln. Śląsk, tschech. Slezko), histor. Landschaft beiderseits der mittleren und oberen Oder. S. umfasst die O-Abdachung der Sudeten. Ihnen vorgelagert sind die inselartigen Sudetenvorberge, die fruchtbaren Flussebenen an der Oder und ihren Nebenflüssen (Schles. Bucht, mit den flachen Mulden des Breslau-Magdeburger und des Glogau-Baruther Urstromtals) und die flachwelligen Hügelketten der binnenländ. Landschwelle (Nordschles. Landrücken) mit Katzengebirge und Dalkauer Hügeln. Im SO geht der Nordschles. Landrücken südlich der Malapane in die Oberschles. Platte über, zu der das Hügelland des Oberschles. Höhenrückens (Tarnowitzer Höhen mit dem Annaberg) gehört.Geschichte: Das um die Mitte des 1. Jt. v. Chr. von den Skythen eroberte Gebiet wurde im 4. Jh. v. Chr. von Kelten besiedelt und kurz vor der Zeitenwende von german. Wandalen in Besitz genommen. Der Name S. leitet sich wohl von einem Teilstamm der Wandalen, den Silingen, ab, die links der Oder um ihr Heiligtum auf dem Zobten lebten. Nach Abzug großer Teile der Germanen während der Völkerwanderungszeit rückten ab dem 6. Jh. slaw. Stämme nach. Im 10. Jh. stand S. unter böhm. Herrschaft, seit 990 besaßen es (von den böhm. Přemysliden häufig angefochten) die poln. Piasten. Nach der Christianisierung wurde 1000 unter Mitwirkung Kaiser Ottos III. das Landesbistum Breslau gegründet und Gnesen unterstellt. 1138 entstand durch Erbteilung das piast. Teilfürstentum S., 1163/73 bildeten sich zwei schles. Herzogtümer heraus: Nieder-S. mit Breslau und Ober-S. mit Ratibor, Beuthen und etwas später Oppeln. Durch weitere Teilungen nach dem Mongoleneinfall (1241, Tod des Herzogs Heinrich II. in der Schlacht auf der Wahlstatt bei Liegnitz) zerfiel S. in zahlr. Teilherzogtümer. Seit Heinrich I. (1201-38) förderten die schles. Herzöge die Ansiedlung dt. Kolonisten (Entstehung zahlr. Dörfer und Städte dt. Rechts, Klostergründungen). 1327-29 unterstellten sich alle oberschles. und die meisten niederschles. Herzöge der Lehnshoheit Böhmens und kamen dadurch mittelbar an das Hl. Röm. Reich; 1348 wurde S. vom späteren Kaiser Karl IV. in die Krone Böhmens inkorporiert. Die poln. Krone verzichtete seit dem Vertrag von Trentschin (1335) auf ihre Ansprüche auf S.. 1523 erwarb Markgraf Georg von Ansbach-Bayreuth, ein Förderer der sich rasch ausbreitenden Reformation, das Herzogtum Jägerndorf sowie weiteren schles. Besitz. 1526 fiel S. mit Böhmen an die österr. Habsburger. Der Dreißigjährige Krieg (1618-48) fügte dem schles. Gebiet schweren Schaden zu; die Gegenreformation setzte ein. V. a. im 17. Jh. erlebte S. eine kulturelle Hochblüte der barocken Dichtung und Baukunst. Nach dem 1. Schles. Krieg fielen 1742 (Frieden von Berlin) Nieder-S., ein großer Teil Ober-S. und die böhm. Grafschaft Glatz an Preußen, das diesen Besitz im 2. Schles. Krieg verteidigte (Schlesische Kriege). Die 1807 geschaffene preuß. Provinz S. wurde 1815 um große Teile der vorher sächs. Oberlausitz erweitert. Die habsburgisch gebliebenen südl. Teile von Ober-S. (Gebiete um Troppau, Jägerndorf, Teschen, Bielitz und ein Teil des Neißer Bistumlandes) bildeten bis 1918 das Kronland Österreichisch-S. (Hptst. Troppau), das nach dem Ersten Weltkrieg im Friedensvertrag von Saint-Germain-en-Laye (1919) größtenteils an die Tschechoslowakei kam. Das Teschener Gebiet wurde 1920 zw. der Tschechoslowakei und Polen geteilt; der poln. Teil bildete mit den polnisch gewordenen Gebieten von Ober-S. die Wwschaft Śląsk. Durch den Versailler Vertrag 1919 (in Kraft seit 1920) kamen Gebiete des RegBez. Breslau an Polen, das Hultschiner Ländchen an die Tschechoslowakei. Eine Volksabstimmung sollte über die poln. Ansprüche auf Ober-S. entscheiden; am 11. 2. 1920 übernahm eine »Interalliierte Reg.- und Plebiszitkommission« unter frz. Vorsitz die Verw. des Abstimmungsgebietes. Beim Plebiszit am 20. 3. 1921 stimmten (bei einer Beteiligung von 97 %) 59,6 % der Bev. für den Verbleib von Ober-S. bei Dtl. Daraufhin brachen im Mai 1921 blutige Kämpfe zw. poln. Freischaren unter W. Korfanty und dt. Freiwilligenverbänden aus (Höhepunkt das Gefecht um den Annaberg am 21. 5. 1921). Am 20. 10. 1921 gab der »Oberste Rat der Alliierten« eine Teilung von Ober-S. bekannt; der östl. Teil (»Ostoberschlesien« mit dem Ind.schwerpunkt und dem Hauptteil der Kohlenlager) fiel an Polen, der westl. (»Westoberschlesien«) blieb bei Dtl. Durch ein dt.-poln. Abkommen in Genf (15. 5. 1922) wurden minderheitenrechtl. und wirtsch. Sonderbestimmungen getroffen. Die beiden preuß. Prov. Nieder-S. (Hptst.: Breslau) und Ober-S. (Hptst.: Oppeln) waren 1938-41 zusammengefasst; 1938-45 gehörte das Hultschiner Ländchen wieder zu S. 1939 wurden die an Polen verlorenen Gebiete (einschl. des Teschener und des Olsagebietes) dem Dt. Reich wieder angegliedert. 1945 besetzten sowjet. Truppen S., das im Potsdamer Abkommen (2. 8. 1945) unter poln. Verw. gestellt wurde (ausgenommen ein kleines Gebiet westlich der Lausitzer Neiße, heute zum Bundesland Sachsen gehörig). Bei der Vertreibung der Deutschen (Höhepunkt 1946) mussten rd. 3,2 Mio. Menschen S. verlassen; etwa 500 000 Schlesier verloren ihr Leben. Weitere 700 000 blieben zunächst in S. zurück, v. a. mehrsprachige »Autochthone« (Polendeutsche). S. wurde mit Menschen aus den an die Sowjetunion gefallenen ostpoln. Gebieten und aus Zentralpolen neu besiedelt. Seit den 50er-Jahren wanderten zahlr. Deutsche aus, nach 1970 (Dt.-Poln. Vertrag von Warschau) setzte erneut eine Aussiedlerbewegung ein. Im Deutsch-Polnischen Grenzvertrag (14. 11. 1990) wurde die nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch vollzogene Eingliederung von S. in das poln. Staatsterritorium endgültig anerkannt.
Literatur:
L. Petry, Geschichte S.s, hg. v. 2 Bde. Sigmaringen 2-51988.
Ullmann, K.: S.-Lexikon. Mannheim 51989.
Kontinuität u. Wandel. S. zw. Österreich u. Preußen, hg. v. P. Baumgart. Sigmaringen 1990.
2) (poln. Województwo Śląskie), Wwschaft (seit 1999) im S Polens, 12 294 km2, (1998) 4,89 Mio. Ew.; Verw.zentrum ist Kattowitz.
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