Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
russische Musik
rụssische Musik,die Musik der Großrussen, der Ukrainer und der Weißrussen. Volks- und Kirchenmusik bestimmten bis zum 17. Jh. allein die r. M., deren Anfänge bis in die Vor- und Frühgeschichte der slaw. Bev. dieses Raumes zurückreichen. Gattungen der Volksmusik sind das bäuerl. Brauchtumslied, zu dem auch der Epengesang (Bylina) gehört, das lyr. oder lyrisch-erzählende »gedehnte« Lied und das volkstüml. »städt.« Lied, in neuerer Zeit auch das Scherzlied (Tschastuschka). Charakteristisch sind das Schwanken zw. Dur und Moll ohne ein deutl. Überwiegen des einen oder anderen Tongeschlechts und die geringe Stabilität des Grundtons, der innerhalb einer Melodie von einer zur anderen Tonstufe verschoben werden kann. Volksinstrumente sind u. a. Gudok, Kobsa, Bandura, Domra, Balalaika, Gusli, (Saiteninstrumente), Dudka, Schaleika (Blasinstrumente).Die russ. Kirchenmusik, bis ins 17. Jh. einstimmig, entstand mit der Christianisierung 988 durch Übernahme der Liturgie - jedoch in kirchenslaw. Übersetzung - von den Byzantinern. Damit wurden auch das System der acht Kirchentöne (Kirchentonarten) und das Verbot von Instrumenten im Gottesdienst übernommen. Schon das Kiewer Reich (12. Jh.) entwickelte spezifisch russ. Neumen (Krjuki-Notation); über volkssprachl. Übersetzungen liturg. Texte setzten sich nat. Elemente durch. Wichtig für die künstler. Entfaltung der russ. Kirchenmusik wurde die Aufnahme der abendländ. Polyphonie und später der vokalinstrumentalen Formen des italien. Barock und der Vorklassik in Werken u. a. von D. S. Bortnjanski. Bed. geistl. Werke schufen bis 1917 u. a. A. Lwow, A. D. Kastalski und S. W. Rachmaninow; nach 1917 spielte die Kirchenmusik kaum mehr eine Rolle.Die weltl. Kunstmusik entwickelte sich seit der 2. Hälfte des 17. Jh. und stand bes. seit Peter d. Gr. unter dt., frz. und v. a. italien. Einfluss. Die russ. Oper erreichte unter Katharina II. einen ersten Höhepunkt. M. I. Glinka und A. S. Dargomyschski waren die Begründer der nat. russ. Schule. In den Opern »Ein Leben für den Zaren« (1836) und »Ruslan und Ljudmila« (1842) verband Glinka italien. Opernkunst mit der Eigenart der russ. Volksmusik. Weitergeführt wurden die nat. Bestrebungen von dem »Mächtigen Häuflein« (Gruppe der Fünf) um M. A. Balakirew: A. P. Borodin, Z. A. Kjui, M. P. Mussorgski und N. A. Rimski-Korsakow. Mussorgski schuf mit »Boris Godunow« (1874) eines der großen musikdramat. Werke seiner Zeit, das auch über Russland hinaus wirkte. Gegenüber den nat. Bestrebungen vertrat A. G. Rubinstein am Moskauer Konservatorium (1866 gegr.) eine mehr kosmopolit., akadem. Richtung. A. N. Serow setzte sich für die dt. Neuromantik ein und wies als Erster in Russland auf R. Wagner hin. Eine Verbindung zw. beiden Richtungen stellte P. I. Tschaikowsky her, der russ. Motive verwendete, aber seinem Stil nach der westeurop. Musik nahe steht. In seiner Nachfolge standen S. I. Tanejew und S. W. Rachmaninow. A. N. Skrjabin wandte sich, von F. Chopin, F. Liszt und R. Wagner ausgehend, einem expressiven Mystizismus zu. I. Strawinsky, einer der bedeutendsten Vertreter der Neuen Musik, nahm früh impressionist. Impulse in die neuromant. Tradition auf; S. S. Prokofjew begann mit klassizist. Stilmitteln und vertrat später eine gemäßigte Moderne.Nach der Oktoberrevolution (1917) herrschte zunächst in Abkehr von der als bürgerlich empfundenen r. M. des 19. Jh. eine Vorliebe für die westeurop. Moderne und allg. Experimentierfreudigkeit. Seit dem ersten Fünfjahrplan, bes. seit 1932, wurde die Neue Musik als formalistisch verdammt und eine realist., optimist., für die Massen verständl. und eindrucksvoll heroische Musik gefordert (sozialistischer Realismus). Dies führte zu einem Rückgriff auf die russ. Volksmusik, auf die traditionelle Harmonik und Sinfonik des 19. Jh., auch zu vielen öffentl. Maßregelungen bed. Komponisten, deren Werke von der vorgeschriebenen Art abwichen. Von den älteren Komponisten spielten u. a. A. Glasunow, R. M. Glier, N. J. Mjaskowski und M. O. Steinberg auch in dieser Zeit eine Rolle. Als bedeutendster jüngerer Komponist trat D. D. Schostakowitsch v. a. mit Sinfonien hervor, neben ihm wurde der Armenier A. Chatschaturjan international bekannt. Auf die UdSSR beschränkte sich die Wirkung von J. A. Schaporin, W. J. Schebalin, D. B. Kabalewski und I. I. Dserschinski.
In der Spätphase der Sowjetunion nahm die offizielle Kulturpolitik gegenüber avantgardist. Musikbestrebungen eine zunehmend liberale Haltung ein. Die Beschäftigung mit Zwölftontechnik, serieller Musik, Collagetechniken und anderen, auch experimentellen Kompositionsweisen wurde geduldet und nicht mehr mit dem Verdikt der »formalist. Verfallskunst« belegt. Als bed. Vertreter avantgardist. Musik gilt W. W. Silwestrow. Der experimentellen Musik wandten sich u. a. S. Gubaidulina, E. W. Denissow, A. G. Schnittke und J. Firsowa zu. Daneben wird die r. M. bestimmt durch Komponisten wie A. P. Petrow, R. K. Schtschedrin, B. I. Tischtschenko, A. A. Knaifel und D. Smirnow.
▣ Literatur:
Schwarz, B.: Musik u. Musikleben in der Sowjetunion von 1917 bis zur Gegenwart, 6 Tle. A. d. Amerikan. Wilhelmshaven 1982.
⃟ Seroff, V. I.: Die mächtigen Fünf. Balakirew, Mussorgsky, Borodin, Rimsky-Korsakow, Cui. Der Ursprung der russ. Nationalmusik. A. d. Engl. Zürich 31987.
⃟ Altruss. Musik. Einführung in ihre Geschichte u. Probleme, hg. v. N. Gerasimowa-Persidskaia. Graz 1993.
⃟ Mühlbach, M.: Russ. Musikgeschichte im Überblick. Ein Hb. Berlin 1994.
⃟ Redepenning, D.: Geschichte der russ. u. der sowjet. Musik, auf 2 Bde. ber. Laaber 1994 ff.
In der Spätphase der Sowjetunion nahm die offizielle Kulturpolitik gegenüber avantgardist. Musikbestrebungen eine zunehmend liberale Haltung ein. Die Beschäftigung mit Zwölftontechnik, serieller Musik, Collagetechniken und anderen, auch experimentellen Kompositionsweisen wurde geduldet und nicht mehr mit dem Verdikt der »formalist. Verfallskunst« belegt. Als bed. Vertreter avantgardist. Musik gilt W. W. Silwestrow. Der experimentellen Musik wandten sich u. a. S. Gubaidulina, E. W. Denissow, A. G. Schnittke und J. Firsowa zu. Daneben wird die r. M. bestimmt durch Komponisten wie A. P. Petrow, R. K. Schtschedrin, B. I. Tischtschenko, A. A. Knaifel und D. Smirnow.
▣ Literatur:
Schwarz, B.: Musik u. Musikleben in der Sowjetunion von 1917 bis zur Gegenwart, 6 Tle. A. d. Amerikan. Wilhelmshaven 1982.
⃟ Seroff, V. I.: Die mächtigen Fünf. Balakirew, Mussorgsky, Borodin, Rimsky-Korsakow, Cui. Der Ursprung der russ. Nationalmusik. A. d. Engl. Zürich 31987.
⃟ Altruss. Musik. Einführung in ihre Geschichte u. Probleme, hg. v. N. Gerasimowa-Persidskaia. Graz 1993.
⃟ Mühlbach, M.: Russ. Musikgeschichte im Überblick. Ein Hb. Berlin 1994.
⃟ Redepenning, D.: Geschichte der russ. u. der sowjet. Musik, auf 2 Bde. ber. Laaber 1994 ff.