Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
russisch-orthodoxe Kirche
rụssisch-orthodọxe Kirche(offiziell Russische Orthodoxe Kirche, Abk. ROK), die autokephale orth. Kirche des Moskauer Patriarchats; ihr Oberhaupt führt den Titel »Patriarch von Moskau und ganz Russland«. Sitz des Patriarchen ist Moskau; liturg. Sprache Kirchenslawisch. Die Zahl der Menschen (Gläubigen), die sich der r.-o. K. verbunden wissen, wird für Russland mit etwa 60 Mio. angegeben, wobei orth. Publikationen oft (weitaus) höhere Zahlen nennen. Damit ist die r.-o. K. die größte orth. Landeskirche. Die Jurisdiktion des Moskauer Patriarchats insgesamt umfasst (Ende 1998) 122 Eparchien (Bistümer) in Russland, der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, Mittel- und Osteuropa, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Nord- und Südamerika (Kanada, USA, Argentinien) und Japan mit über 18 000 Gemeinden sowie 438 Klöster. - Nach der Legende gilt der Apostel Andreas als erster christl. Missionar im Gebiet der späteren r.-o. K. Die eigentl. Christianisierung der ostslaw. Völker begann jedoch erst im 10. Jh., nachdem der Kiewer Großfürst Wladimir I. die Taufe empfangen (988) und das Christentum zur Staatsreligion des Kiewer Reichs erklärt hatte. Kirchl. Zentrum (Sitz des Metropoliten) war zunächst Kiew, nach dem Beginn der Mongoleneinfälle (1222) Wladimir, seit 1326 auch, seit 1354 endgültig Moskau. Kirchenrechtlich unterstand die russ. Kirche dem Patriarchen von Konstantinopel und wurde bis 1448 meist von grch. Bischöfen geleitet. 1459 erklärte sie als »Metropolie von Moskau und ganz Russland« formell ihre Unabhängigkeit (Autokephalie), die jedoch seitens des Ökumen. Patriarchats erst 1589 mit ihrer Erhebung zum Moskauer Patriarchat anerkannt wurde. Nach der Einnahme Konstantinopels durch die Türken (1453) sah sich Moskau als Drittes Rom zum Bewahrer des orth. Glaubens und Russland zur Schutzmacht aller orth. Christen berufen. 1595/96 sagten sich große Teile der orth. Kirche in Polen-Litauen von Moskau los und vollzogen die Kirchenunion mit der kath. Kirche. Kirchl. Auseinandersetzungen in Russland (Nikon, Raskolniki) führten im 17. Jh. zur Spaltung der r.-o. K. Zar Peter I. nutzte die Schwächung der Macht des Patriarchen und hob 1721 das Patriarchenamt auf. Bis zu seiner Wiedereinführung nach der Februarrevolution 1917 wurde die r.-o. K. vom Hl. Synod, einem Kollektivorgan unter Kontrolle eines weltl. Beamten, des Oberprokurators, geleitet. Nach der Oktoberrevolution verfügte Lenin die Trennung von Staat und Kirche (1918). Die Kirche verlor die Rechte einer jurist. Person, v. a. das Recht, Eigentum zu besitzen. Das »Gesetz über religiöse Angelegenheiten« von 1929 beschränkte ihre Tätigkeit auf den Vollzug des Kultus in den vom Staat zur Verfügung gestellten Kirchengebäuden. Den Verfolgungen unmittelbar nach der Oktoberrevolution fielen mindestens 28 Bischöfe und Hunderte von Klerikern zum Opfer; in der Zeit bis 1940 gab es zahlr. Verhaftungen, Repressionen und eine staatlich organisierte antikirchl. Propaganda. Erst die mit dem dt. Angriff auf die UdSSR entstandene Situation bewirkte eine Umorientierung der staatl. Kirchenpolitik, da die r.-o. K. in der Unterstützung der für die Befreiung der »hl. russ. Erde« kämpfenden Truppen ihre ureigene Pflicht sah. Einige Repressionen wurden zurückgenommen, 1943 die Wahl eines neuen Patriarchen gestattet. Nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte der Staat in der zur UdSSR gekommenen Westukraine die Zwangseingliederung der ukrainisch-kath. Kirche in die r.-o. K. Nach Schwankungen der Kirchenpolitik in der Folgezeit führte erst die internat. stark beachtete 1 000-Jahr-Feier der r.-o. K. (1988) zu einer nachhaltigen Entspannung des Verhältnisses zw. Kirche und Staat. Im heutigen Russland ist die r.-o. K., deren »speziellen Beitrag zum Aufbau des russ. Staatswesens und zur Entwicklung des Geistes und der Kultur Russlands« die Präambel des »Religionsgesetzes der Russ. Föderation« (1997) ausdrücklich hervorhebt, bemüht, ihre traditionelle Stellung in der Gesellschaft zurückzuerlangen. Seit 1990 hat sie große Teile ihres Eigentums zurückerhalten; über die kirchl. Tätigkeit i. e. S. hinaus entfaltet sie eine umfangreiche Bildungsarbeit und publizist. Tätigkeit. Ein Hauptproblem stellen aus Sicht der r.-o. K. gegenwärtig die kirchl. Entwicklungen in der Ukraine dar (ukrainische Kirche). Das Verhältnis zur russisch-orthodoxen Auslandskirche ist durch beginnende informelle Gespräche gekennzeichnet.
▣ Literatur:
Döpmann, H.-D.: Die russ. orth. Kirche in Geschichte u. Gegenwart. Berlin 21981.
⃟ Das hl. Rußland. 1000 Jahre r.-o. K., bearb. v. K. Gamber. Freiburg im Breisgau 21988.
⃟ Die orth. Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte 860-1980, hg. v. P. Hauptmann u. a. Göttingen 1988.
⃟ Tausend Jahre Christentum in Rußland, hg. v. K. C. Felmy u. a. Göttingen 1988.
▣ Literatur:
Döpmann, H.-D.: Die russ. orth. Kirche in Geschichte u. Gegenwart. Berlin 21981.
⃟ Das hl. Rußland. 1000 Jahre r.-o. K., bearb. v. K. Gamber. Freiburg im Breisgau 21988.
⃟ Die orth. Kirche in Rußland. Dokumente ihrer Geschichte 860-1980, hg. v. P. Hauptmann u. a. Göttingen 1988.
⃟ Tausend Jahre Christentum in Rußland, hg. v. K. C. Felmy u. a. Göttingen 1988.