Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Russland
Rụssland⃟ Fläche: 17 075 400 km2
Einwohner: (1999) 146,3 Mio.
Hauptstadt: Moskau
Verwaltungsgliederung: 21 Republiken, 6 Regionen, 49 Gebiete, 2 bundesunmittelbare Städte, 1 autonomes Gebiet, 10 autonome Kreise
Amtssprache: Russisch
Nationalfeiertag: 2. 4., 9. 5. und 12. 6.
Währung: 1 Rubel (Rbl) = 100 Kopeken
Zeitzone: MEZ (von W nach O) +2 bis +11 Std.
(russ. Rossija, amtlich russ. Rossiskaja Federazija, dt. Russische Föderation, auch Russländische Föderation), Staat in O-Europa und N-Asien (mit Sibirien und dem Fernen Osten); grenzt im NW an Norwegen, Finnland, Estland und Lettland sowie mit der Exklave des Gebietes Kaliningrad (Königsberg) an Litauen und Polen; im N an das Nordpolarmeer mit Barentssee, Karasee, Laptewsee und Ostsibir. See; im NO an die Beringstraße; im O an den Pazifik mit Beringmeer und Ochotsk. Meer; im SO an das Japan. Meer, Nord-Korea und China; im S an China, die Rep. Mongolei und Kasachstan; im SW an das Kasp. Meer, Aserbaidschan und Georgien; im W an das Schwarze Meer, die Ukraine und Weißrussland.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 12. 12. 1993 ist R. eine föderative Rep. mit Präsidialsystem. Staatsoberhaupt und Oberster Befehlshaber der Streitkräfte ist der mit weitgehenden Vollmachten ausgestattete Präs. (auf vier Jahre direkt gewählt). Er ernennt mit Zustimmung der Staatsduma den MinPräs. und auf dessen Vorschlag die Mitgl. des Kabinetts, bestimmt die Richtlinien der Politik, hat das Recht auf Gesetzesinitiative, verfügt über ein Vetorecht und maßgebl. Notstandsbefugnisse und kann die Staatsduma auflösen. Dekrete und Anordnungen des Präs. sind für die gesamte Föderation verbindlich. Der Präs. kann nur dann vom Föderationsrat seines Amtes enthoben werden, wenn eine Anklage der Staatsduma wegen Hochverrats oder anderer schwerer Verbrechen durch das Oberste Gericht bestätigt wird. Höchstes Vertretungs- und Gesetzgebungsorgan ist die Föderalversammlung (Zweikammerparlament), bestehend aus dem Föderationsrat (178 Mitgl.; jeweils zwei Vertreter der 89 Föderationssubjekte) und der Staatsduma (450 auf vier Jahre gewählte Abg.; je 50 % der Mandate aus Listen- und Direktwahl). Die Parteienlandschaft ist instabil und vielfach auf Personen fixiert. Zu den einflussreichsten Parteien und Bündnissen zählen die Kommunist. Partei der Russ. Föderation (KPRF), Unser Haus - R. (NDR), der Reformblock »Jabloko«, die Agrarpartei, R.s Demokrat. Wahl und die radikal-nationalist. Liberaldemokrat. Partei (LDPR). An Gewicht gewinnen auch »Vaterland« (1998 gegr. Partei) und die Bewegung »Ganz Russland«.
Landesnatur: R. erstreckt sich über mehr als 9 000 km von der Danziger Bucht im W bis zum Kap Deschnjow an der Beringstraße im O und über 4 000 km vom Nordpolarmeer im N bis zu den Bergländern S-Sibiriens im S und dem Großen Kaukasus im SW. Die Oberflächengestalt wird zu 75 % von Ebenen bestimmt, die westlich des Jenissei vorherrschend sind. Sie werden durch den Ural in die Osteurop. Ebene (Russ. Ebene) und in das Westsibir. Tiefland mit den Hauptströmen Ob und Irtysch geteilt. An die von der Wolga durchflossene Osteurop. Ebene schließen sich im NW die Bergländer Kareliens und der Halbinsel Kola, im S Nordkaukasiens bis zum Kamm des Großen Kaukasus (Elbrus, mit 5 642 m ü. M. höchste Erhebung des Landes) und die Kasp. Senke bis zur unteren Wolga (bei Astrachan bis 28 m u. M.) an. Östlich des Jenissei erstreckt sich bis zur Lena das Mittelsibir. Bergland, östlich der Lena schließen sich die bis 3 147 m ü. M. aufragenden Gebirge O-Sibiriens (Sibirien) sowie, jenseits der Wasserscheide zw. Nordpolarmeer und Pazif. Ozean, die bis 2 077 m ü. M. hohen Gebirge des Fernen Ostens an. Der Gebirgsgürtel wird am Pazif. Ozean durch das Korjakengebirge (bis 2 562 m ü. M.) sowie durch die an Vulkanen (u. a. Kljutschewskaja Sopka, 4 868 m ü. M.) reichen Gebirge Kamtschatkas und der Inselkette der Kurilen abgeschlossen. Vor der fernöstl. Küste liegt Sachalin, die größte russ. Insel. Das Bergland Sibiriens geht im N in das Nordsibir. Tiefland über, das sich östlich der Lena im Jana-Indigirka-Tiefland fortsetzt. Am Mittellauf der Lena und am Aldan erstreckt sich das Zentraljakut. Tiefland. Der nordsibir. Küste sind zahlr. Inseln und Archipele vorgelagert: Nowaja Semlja, Sewernaja Semlja, die Neusibir. Inseln und Franz-Josef-Land. Der südsibir. Gebirgsgürtel beginnt im W mit dem Gebirgssystem des Altai (Belucha, 4 506 m ü. M.); östlich davon liegen West- und Ostsajan sowie die Gebirge Transbaikaliens, östlich der Lena das Stanowoi- und das sich nach N zum ostsibir. Gebirgsgürtel erstreckende Dschugdschurgebirge.
Klima: R. erstreckt sich vom Bereich des arkt. Klimas (N-Sibirien) bis zu dem des subtrop. Klimas (Schwarzmeerküste); der größte Teil des Landes gehört jedoch zur gemäßigten Klimazone. Diese ist bis auf den S des Fernen Ostens, der im Monsunbereich liegt, ausgesprochen kontinental. Bei Ojmjakon und Werchojansk im ostsibir. Gebirgsland liegen die Kältepole der N-Halbkugel. Als Folge der kalten, lang anhaltenden und schneearmen Winter herrscht auf rd. drei Fünfteln der Landesfläche Dauerfrost.
Durch die bes. klimat. Verhältnisse haben sich ausgeprägte Vegetationszonen ausgebildet. Im N herrscht die Tundra von der Halbinsel Kola bis Kamtschatka auf einer Fläche von 3 Mio. km2 (die arkt. Inselgruppen liegen zum größten Teil im Gürtel der polaren Kältewüsten). Nach S schließt sich die Taiga (boreale Nadelwaldzone) an (11 Mio. km2), in der Moore weit verbreitet sind. Im europ. Bereich folgt weiter südlich eine Laub-Mischwaldzone, die sich gegen den südwärts verlaufenden Steppengürtel in Laubwaldinseln und Galeriewäldern (Waldsteppe) auflöst. Die Steppe wird heute für Ackerbau und Viehzucht genutzt. Im Kaspitiefland ist Halbwüste verbreitet.
Bevölkerung: Den größten Teil der Bev. stellen mit (1994) 83,0 % die Russen. Unter den mehr als 100 nat. Minderheiten bilden Tataren mit 3,8 % die größte Gruppe, gefolgt von Ukrainern (2,3 %), Tschuwaschen (1,2 %), Baschkiren (0,9 %), Weißrussen (0,7 %) und Deutschen (0,6 %). 1996 wohnten 76 % der Bewohner in Städten, etwa 1,3 Mio. Menschen sind Flüchtlinge oder Asylsuchende. Die Bev. ist sehr ungleich verteilt. Weite Gebiete haben Bev.dichten unter 1 bis höchstens 10 Ew./km2, z. B. der nordöstl. europ. Teil und der größte Teil Sibiriens. Die größte Bev.dichte weisen der zentrale und südl. europ. Teil und das nördl. Vorland des Großen Kaukasus auf. - Die gesetzl. Schulpflicht beträgt acht (nach Durchführung der Schulreform neun) Jahre. Neben der Russ. Akademie der Wiss. gibt es 553 Hochschulen (1995), darunter 43 Universitäten. - Religion: Es besteht Religionsfreiheit. Größte Religionsgemeinschaft ist die russisch-orthodoxe Kirche, deren Bedeutung in der Geschichte R.s das russ. Religionsgesetz (1997) ausdrücklich hervorhebt; daneben mindestens 1 Mio. evang. Christen (bes. Baptisten, Adventisten, Pfingstler, Lutheraner) und rd. 400 000 kath. Christen. Nichtchristl. Religionsgemeinschaften: etwa 12 Mio. Muslime (bes. in Tatarstan, Baschkirien, Nordkaukasus [Dagestan; Tschetschenien]); rd. 600 000 Juden; Buddhisten (bes. in Burjatien, Kalmückien und Tuwinien); Bekenner des Schamanismus unter den »kleinen Völkern des Nordens« (z. B. bei den Jakuten). Zahlr. (neu-)religiöse Sondergemeinschaften.
Wirtschaft, Verkehr: R. war Kernland der Sowjetunion, an deren Ind.produktion war es mit (1988) 61 %, an deren landwirtsch. Produktion mit 50 % beteiligt. Die seit 1928 (1. Fünfjahrplan) nach zentralen Planvorgaben gelenkte Wirtschaft war v. a. auf die Grundstoff-, Produktionsgüter-, Schwer- und Rüstungsind. ausgerichtet und vernachlässigte die Konsumgüterproduktion. Stagnation und Rückgang der wirtsch. Entwicklung sind seit den 1970er-Jahren Folge einer zentral gelenkten Investitionspolitik, der weitere wirtsch. Verfall führte R. 1990/91 an den Rand des Zusammenbruchs. Nach dem Zerfall der Sowjetunion eröffnete sich in R. die Möglichkeit der Einführung der Marktwirtschaft. Die hierfür eingeleiteten Reformen brachten noch nicht die gewünschten Ergebnisse, die Wirtschaftslage hat sich vielmehr weiter verschlechtert. Die Politik der Liberalisierung der Wirtschaft und Stabilisierung der Preise war bisher wenig erfolgreich, die Inflation verstärkte sich und nahm zeitweise den Charakter einer Hyperinflation an. 1998 wurde zu Jahresbeginn der Rubel um 1 000 % abgewertet. Im Januar 1999 waren 12,4 % der Erwerbstätigen arbeitslos.Landwirtschaft: Klimatisch bedingt umfasst die landwirtsch. Nutzfläche R.s nur 210 Mio. ha (12 % der Landesfläche), davon sind 61 % Ackerland, 37 % Weiden und Grasland (zur Heugewinnung). Nachdem bei der Kollektivierung der Landwirtschaft (seit 1928) ein selbstständiges Bauerntum gänzlich beseitigt worden war, kann seit Anfang 1992 Land der Kolchosen zur individuellen Bewirtschaftung (Pachtsystem) überlassen werden, jedoch sind Kooperativen, Kolchosen und Sowchosen die Hauptbetriebsform in der Landwirtschaft. Wertmäßig hat die Viehzucht größere Bedeutung als der Pflanzenbau. Ihre Hauptzweige sind Rinder- (bes. im Wolgagebiet, im europ. Zentrum und in W-Sibirien), Schweine- (in N-Kaukasien, im Wolgagebiet, im zentralen Schwarzerdegebiet) und Schafzucht (im Wolgagebiet, in N-Kaukasien und O-Sibirien) sowie Geflügelhaltung. Im arkt. N wird Renzucht, im N und O auch Pelztierjagd und -zucht betrieben. Von der Ackerfläche sind 53 % mit Getreide (bes. Weizen) bestanden, 36 % mit Futterpflanzen und 11 % mit anderen Kulturen, v. a. Zuckerrüben und Sonnenblumen (beides bes. in N-Kaukasien und im zentralen Schwarzerdegebiet), Flachs (im zentralen und im nordwestl. europ. Teil) und Kartoffeln (bes. im zentralen europ. Teil) sowie Gemüse; Zentrum des Obst- und Weinbaus ist N-Kaukasien.Industrie: R. ist reich an Bodenschätzen; es besitzt ein Fünftel der weltweit nachgewiesenen Goldvorkommen, die Hälfte der Weltkohlevorkommen (Kusnezker Kohlenbecken, Petschora-, Moskauer, Kansk-Atschinsker, Südjakut. Kohlenbecken, östl. Donez-Kohlenbecken) und sehr große Erdöl- und Erdgaslagerstätten (Westsibirien, Wolga-Ural-Erdölgebiet, N-Kaukasien, Rep. Komi, Sachalin). Die Elektrizitätswirtschaft stützt sich zu 68 % auf Wärmekraft-, zu 12 % auf Kernkraft- und 20 % auf Wasserkraftwerke (bes. an Wolga, Kama, Jenissei, Angara). Basierend auf dem Erzbergbau (Eisenerze: Kursk, Ural, Schorijabergland, S-Jakutien, Angara, Karelien, Halbinsel Kola; Nichteisenerze: Ural, Transbaikalien) entstanden Eisen- (Ural, Tula, Lipezk, Kursk, Moskau, Tscherepowez, Kusnezker Kohlenbecken) und Nichteisenerzverhüttung (Ural, Halbinsel Kola, N-Kaukasien, N-Sibirien, Ferner Osten). Bes. im Wolgagebiet, im NW, im Ural und in Moskau befinden sich Betriebe des Maschinen- und Fahrzeug- sowie des Geräte- und Anlagenbaus; im Ural um Jekaterinburg konzentrieren sich die Schwer- und Rüstungsind. Wichtige Standorte der chem. und Erdöl verarbeitenden Ind. liegen im zentraleurop. und nordwestl. Teil, im Wolgagebiet und im Ural. Die Holzind. ist in den nördl. und östl. Landesteilen, die Textilind. bes. im zentralen und nordwestl. europäischen Teil und die Nahrungsmittelind. in den zentralen europ. Landesteilen, in N-Kaukasien und im SW Sibiriens vertreten. Neben den alten Hauptind.standorten Moskau, Sankt Petersburg, Nischni Nowgorod, Saratow, Rostow am Don und Wolgograd entwickelten sich nach 1945 neue Ind.-Standorte im Ural, im Kusnezker Kohlenbecken und in N-Kaukasien, in Sibirien, im Bereich der Kursker Magnetanomalie, im Timan-Petschora-Becken und um Orenburg.Außenhandel: Haupthandelspartner sind Ukraine und Dtl., mit deutl. Abstand gefolgt von den USA, Italien und den Niederlanden. Der Anteil der GUS- und der balt. Staaten am Außenhandelsvolumen beträgt etwa 25 %. Exportiert werden: Elektroenergie, Kohle, Erdgas, Maschinen, Ausrüstungen, Transportmittel, Erze, Metalle, Metallerzeugnisse, Holz, Zellstoff, Papier, Nahrungsmittel, Pelze u. a. Importiert werden: Maschinen, Ausrüstungen, Anlagen, Fahrzeuge, Nahrungsmittel, Konsumfertigwaren, chem. Erzeugnisse (Düngemittel), Textilrohstoffe.Die Dichte des Verkehrsnetzes (1996: 87 469 km Eisenbahnstrecken und 743 000 km Straßen) nimmt von W nach O ab; seine Leistungsfähigkeit entspricht nicht den wirtsch. Erfordernissen. Durch Sibirien verläuft die Transsibirische Eisenbahn sowie weiter südlich die Baikal-Amur-Magistrale. Der Flugverkehr (Hauptflughäfen: Moskau, Sankt Petersburg) hat bes. in Sibirien und im Fernen Osten große Bedeutung. Die Binnenschifffahrt wird durch die lange Vereisungsdauer der Flüsse behindert; Schifffahrtskanäle (Wolga-Don-, Weißmeer-Ostsee-Kanal, Wolga-Ostsee-Wasserweg) existieren nur im europ. Teil. Wichtigste Seehäfen sind Nachodka-Wostotschny, Wladiwostok, Sankt Petersburg, Murmansk, Archangelsk, Noworossisk und Astrachan. Durch die Nordostpassage wird die Hochseeschifffahrt auch mithilfe von Eisbrechern betrieben. Erdöl- und Erdgasfernleitungen führen von den Fördergebieten in die Verarbeitungszentren R.s und anderer Staaten. Die wichtigsten Erholungsgebiete sind die Schwarzmeerküste und der Große Kaukasus.
Geschichte: Vorgeschichte: Das z. T. seit der Altsteinzeit (Paläolithikum) besiedelte Territorium des heutigen R. war Wohnsitz und Durchzugs- bzw. Expansionsgebiet zahlr. Stämme und Völkerschaften (weiteres Osteuropa, Sibirien). Das wohl schon im 2. Jt. v. Chr. in Süd-R. auftauchende nomad. Reitervolk der Kimmerier wurde etwa im 8. Jh. v. Chr. durch die aus dem O vorstoßenden Skythen verdrängt; östlich von Don und Wolga lebten die Sarmaten, die bei ihrem Zug nach W im 4. Jh. v. Chr. die Skythen vertrieben. Die Griechen gründeten seit dem 7. Jh. v. Chr. an der Schwarzmeerküste Städte (u. a. Tyras, Chersonesos, Pantikapaion). Das im 5. Jh. v. Chr. an der N-Küste des Schwarzen Meeres beiderseits der Straße von Kertsch errichtete Bosporan. Reich wurde im 4. Jh. n. Chr. durch die aus Zentralasien vordringenden Hunnen zerstört. Ihnen folgten die Awaren, die zu Beginn des 6. Jh. die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres durchzogen, bei ihrem Vorstoß nach Pannonien in die Siedlungsräume der sich allmählich über O-Europa ausbreitenden Slawen eindrangen und durch deren Vertreibung eine Wanderung slaw. Stämme (bis an die obere Oka und Wolga) bewirkten. Versch. ostslaw. Stämme wurden durch das zw. Don und Wolga entstandene Chasarenreich (7.-10. Jh.) unterworfen, das auch die seit dem 7. Jh. an der mittleren Wolga ansässigen Bulgaren (Wolgabulgaren) beherrschte.Das Kiewer Reich:Der Zusammenschluss der von Stammesfürsten geführten ostslaw. Stammesverbände (Poljanen, Drewljanen, Ilmenslawen, Kriwitschen, Wolhynier u. a.) schuf die Grundlage für die Entstehung des altruss. Staates im 9. Jh., die Kiewer Rus.
Eine zentrale Rolle spielten dabei die skandinav. Waräger, die als krieger. Fernhändler seit dem 8. Jh. auf den der Wolga und dem Dnjepr folgenden Handelsstraßen nach Byzanz zogen. Der nach dem Bericht der »Nestorchronik« 862 nach Nowgorod berufene Rurik wurde zum Stammvater dieser waräg. Herrschaften (nach ihm benannt die Dynastie der Rurikiden); in Kiew setzten sich Askold und Dirund Dir fest. Ruriks Nachfolger Oleg eroberte 882 Kiew, das er zu seiner Residenz machte, und unterwarf die benachbarten ostslaw. Stämme der Tributpflicht. Die skandinav. Oberschicht (der Fürst und seine Gefolgschaft, die Druschina) wurde innerhalb weniger Generationen slawisiert. Swjatoslaw Igorjewitsch (945-972/973), für den bis 962 seine Mutter Olga eine vormundschaftl. Regierung führte, besiegte das Chasarenreich. Das Christentum fand dauernden Eingang unter Wladimir dem Heiligen (980-1015). Unter Wladimir und dessen Sohn Jaroslaw dem Weisen (1019-54) erreichte die Macht des Kiewer Reiches ihren Höhepunkt.
Die Rus unterhielt außer zu Byzanz auch zu Böhmen, Polen u. a. Reichen rege Beziehungen und entwickelte eine hohe eigenständige Kultur sowie eine kirchlich geprägte Schriftlichkeit (Russkaja Prawda als wichtigste altruss. Rechtssammlung, Kiewer Höhlenkloster, Igorlied; russische Literatur). Aus den Gefolgsleuten der Fürsten bildete sich ein Land besitzender Adel (Bojaren) heraus. Nach dem Tod Jaroslaws (1054) führten Thronfolgestreitigkeiten zw. seinen Söhnen zu einem schnellen Niedergang der Kiewer Rus. Die über die südruss. Steppengebiete herrschenden Polowzer (Kumanen) unterbrachen den Handel nach Byzanz.Die Zeit der Teilfürstentümer und der Herrschaft der Mongolen: Nachdem es Wladimir II. Monomach (1113-25) noch einmal gelungen war, die Einheit des Reiches im Kampf gegen die Polowzer herzustellen, zerfiel es endgültig in Teilfürstentümer, deren wichtigste Galitsch-Wolhynien im SW, Nowgorod im NW und Rostow-Susdal im NO wurden. Fürst Rostow eroberte 1169 Kiew, verlegte seine Residenz aber nach Wladimir (seitdem Fürstentum Wladimir-Susdal). Um Nowgorod entwickelte sich eine Bojaren- und Kaufmannsrepublik.
Dem Einfall der Mongolen im 13. Jh. konnten die russ. Fürstentümer keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen. 1223 wurde ihr gemeinsames Heer an der Kalka vernichtend geschlagen; 1237/40 eroberte Batu Khan das russ. Territorium (mit Ausnahme des Fürstentums Nowgorod, das aber Tributzahlungen leisten musste), zerstörte zahlr. Städte (1240 Einnahme Kiews) und gründete am Unterlauf der Wolga das Reich der Goldenen Horde mit der Hptst. Sarai. Zu dieser Zeit musste sich Nowgorod der Invasion Schwedens und des Dt. Ritterordens erwehren; unter seinem Fürsten Alexander besiegte es in der Schlacht an der Newa 1240 die Schweden und 1242 auf dem Eis des Peipussees die dt. Kreuzritter. Der Goldenen Horde blieben die meisten russ. Fürstentümer mehr als 200 Jahre tributpflichtig. Alexander Newskis jüngster Sohn Daniel Alexandrowitsch erhielt 1263 das kleine Teilfürstentum Moskau, in dem zw. 1317 und 1325 der Metropolit seinen Sitz nahm und ihm damit Autorität verschaffte. Fürst Iwan I. Kalita, dem der Mongolenkhan 1328 die Würde des Großfürsten verlieh, begann mit der »Sammlung der russ. Erde« (Wiedervereinigung der Gebiete des Kiewer Reichs). Großfürst Dmitri Iwanowitsch Donskoi (1359-89) gelang es 1380, die Mongolen in der Schlacht auf dem Schnepfenfeld erstmals zu schlagen und damit den Niedergang der Goldenen Horde einzuleiten. Der im 14. Jh. vom Großfürstentum Litauen im Kampf gegen die Mongolen besetzte SW und W des russ. Reiches (das heutige Weißrussland und große Teile der Ukraine) nahm nach der Union Litauens mit Polen (1386) eine stärker mit Mittel- und W-Europa verbundene Entwicklung, was zur allmähl. Differenzierung der ostslaw. Völkerschaften in Russen (Großrussen), Weißrussen und Ukrainer (Kleinrussen) führte.
Unter der Regentschaft des Moskauer Großfürsten Iwan III. (1462-1505) bildete sich der russ. Zentralstaat heraus (1478 Eingliederung Nowgorods, 1485 Twers und 1489 Wjatkas) und wurde die Mongolenherrschaft beendet (1480 Einstellung der Tributzahlungen). Wassili III. Iwanowitsch erweiterte das Reich um Pskow (1510), Smolensk (1514), Rjasan (1521). Nach der Heirat (1472) mit der Nichte des letzten byzantin. Kaisers verkündete Iwan III. den Anspruch Moskaus, der Erbe von Byzanz und das Dritte Rom zu sein.Das russische Zarenreich: Der 1547 zum ersten »Zaren von ganz Russland« gekrönte Iwan IV., der Schreckliche, konsolidierte den Staat u. a. durch eine neue Rechtskodifizierung (1550) und Reformen in der Verwaltung und im Heer; mit der »Opritschnina«, einer 1565 von ihm geschaffenen militär. Truppe, brach er den Widerstand der alten Fürsten- und Bojarenaristokratie bei gleichzeitiger Förderung des Dienstadels. Mit der Eroberung Kasans (1552) und Astrachans (1556) kam das Wolgagebiet in russ. Besitz. Die Erschließung und nachfolgende Angliederung Sibiriens wurde 1581 (oder schon 1579) eingeleitet durch die im Auftrag der Händler- und Unternehmerfamilie Stroganow vordringende Kosakenabteilung unter Jermak Timofejewitsch, die 1582 das Khanat Sibir eroberte (Sibirien, Geschichte). Der um einen Zugang zur Ostsee mit Livland geführte Krieg (1558-82/83) endete trotz anfängl. Erfolge (1558 Eroberung Narwas) nach dem Eingreifen Schwedens und Polens mit dem Verlust aller Eroberungen. Die bedrückende soziale Lage der russ. Leibeigenen, noch verschärft durch die ständigen Kriege, veranlasste viele von ihnen zur Flucht in die südruss. Steppen, wo im 16. Jh. die Kosakengemeinschaft der Saporoger Setsch entstand. Erfolglosigkeit im Livländ. Krieg, polit. Instabilität durch Machtkämpfe um den Zarenthron nach Erlöschen der Rurikidendynastie (1598), Missernten und Pestepidemien führten Ende des 16./Anfang des 17. Jh. zu einer schweren inneren Krise. Es kam zu städt. Unruhen und zu spontanen Erhebungen der Bauern, bes. unter I. I. Bolotnikow (1606/07). Nach dem Tod des Zaren Boris Godunow (1605) begann die »Smuta« (»Zeit der Wirren«), die Polen und Schweden zur militär. Intervention nutzten. Mit poln. Hilfe gelangte 1605 ein Usurpator, der falsche Dmitri (Pseudodemetrius), auf den russ. Thron, scheiterte jedoch ebenso wie ihm folgende unrechtmäßige Thronprätendenten. 1606-10 regierte der Bojarenzar Wassili IV. Iwanowitsch Schuiski. 1610 eroberten poln. Magnaten Moskau, wurden aber zwei Jahre später durch das russ. Volksaufgebot unter K. M. Minin vertrieben. Der 1613 zum Zaren gewählte Michail Fjodorowitsch begründete das bis 1917 regierende Haus Romanow. Nach dem Krieg mit Polen (1654-67) erhielt R. im Frieden von Andrussowo 1667 den östlich des Dnjepr gelegenen Teil der Ukraine. Der von dem Donkosaken S. Rasin angeführte Bauernaufstand (1670/71) erfasste den gesamten SO des Reiches. Die kirchl. Reformen des Patriarchen Nikon (1652-66) führten zur religiösen Spaltung in eine öffentl. und dem Staat zugehörige Kirche und in eine Schar Altgläubiger, die den alten Riten und Bräuchen anhingen und vom Staat grausam verfolgt wurden.Aufstieg Russlands zur Großmacht: 1682 wurden Peter I., d. Gr., und sein debiler Halbbruder Iwan V. (✝ 1696) gemeinsam Zaren unter der Regentschaft ihrer älteren Schwester Sophia (bis 1689) und Peters Mutter; 1694 übernahm Peter die Reg.geschäfte. Seine Politik zielte darauf ab, die »Europäisierung« R.s voranzutreiben. Gestützt auf ausländ. Berater (u. a. der Genfer F. Lefort, der Schotte P. Gordon) baute Peter I. ein nach westl. Vorbild organisiertes Heer und eine Kriegsflotte auf; ab 1695 nahm er den Kampf gegen die Türken auf (1696 Eroberung der Festung Asow). Nach Rückkehr von einer ausgedehnten Studienreise nach W-Europa (»Große Gesandtschaft«, 1697/98), die zugleich der Gewinnung von Bündnispartnern diente (Allianz mit Polen gegen Schweden), hielt Peter I. ein blutiges Strafgericht über die Strelitzen, die sich während seiner Abwesenheit gegen ihn erhoben hatten. Mit seinem Sieg über die Schweden bei Poltawa (1709) im Großen Nordischen Krieg (1700-21) ging die Rolle der Vormacht im Ostseeraum von Schweden auf R. über; durch den Frieden von Nystad (1721) wurde es europ. Großmacht. Der Aufbau von Heer, Flotte und neuer Hptst. (seit 1712 das 1703 an der Newa gegründete Sankt Petersburg) sowie der lange Krieg verschlangen gewaltige Summen, die durch Steuern aufgebracht werden sollten. Dieser Druck auf die Untertanen führte zu mehreren Aufständen (z. B. in Astrachan 1705/06, die Bauernerhebung unter Bulawin am Don 1707/08). Im Rahmen seiner innenpolit. Reformen gestaltete Peter I., der 1721 den Kaisertitel annahm, die Staatsverwaltung neu. An die Stelle des Patriarchats trat 1722 der Hl. Synod, womit die Kirche dem Staat untergeordnet wurde. In der Reg.zeit Peters I. wurden der Handel und die Entstehung von Manufakturen gefördert und der Uralbergbau ausgedehnt. 1724/25 wurde die Petersburger Akademie der Wiss. gegründet, 1755 auf Initiative W. M. Lomonossows die Moskauer Univ. Unter den Nachfolgern Peters I. kam es wiederholt zu Palastrevolten und raschen Thronwechseln; Günstlinge erlangten eine dominierende Stellung. So herrschte unter der Zarin Anna Iwanowna (1730-40) faktisch Graf Biron. Unter Elisabeth Petrowna (1741-62), einer Tochter Peters I., nahm R. am Siebenjährigen Krieg an der Seite Österreichs und Frankreichs gegen Preußen teil. Unter Katharina II., d. Gr. (1762-96), errang R. außerordentl. außenpolit. Erfolge: Der Friede von Küçük Kaynarcɪ schloss den ersten siegreichen Türkenkrieg (1768-74) mit dem endgültigen Gewinn von Asow und der Schwarzmeerküste zw. Dnjepr und Südl. Bug ab; 1783 annektierte Katharina die Krim. R. war nun Schwarzmeermacht mit freier Schifffahrt durch die Meerengen. Ein zweiter Türkenkrieg (1787-92) erbrachte den Gewinn der Schwarzmeerküste bis zur Dnjestrmündung. Gegen das in staatl. Auflösung befindl. Polen setzte R. im Verein mit Preußen und Österreich seine territorialen Ziele durch (Polen, Geschichte). Katharina II. begann ihre Innenpolitik im Geiste des aufgeklärten Absolutismus (Reorganisation der Zentralbehörden 1763), verschärfte jedoch mit Rücksicht auf den Adel die bäuerl. Leibeigenschaft; in der Ukraine wurde die Kosakenautonomie durch die Leibeigenschaft ersetzt. Die dadurch ausgelösten Bauern- und Kosakenaufstände (bes. der Volksaufstand unter J. I. Pugatschow, 1773-75) führten zu einer zunehmend repressiven Innenpolitik. Von Katharina II. aufgerufen, wanderten ab 1763/64 Deutsche in das untere Wolgagebiet ein (Russlanddeutsche). 1801 geriet Georgien, 1809 Finnland und 1812 Bessarabien unter die Herrschaft des Russ. Reiches. Als Napoleon I. im russ. Feldzug von 1812 mit seiner Großen Armee bis Moskau vordrang (Napoleonische Kriege), leistete das Land energ. Widerstand (»Vaterländ. Krieg«). An die Spitze der russ. Armee wurde M. I. Kutusow berufen; der Rückzug der Franzosen aus dem niedergebrannten Moskau und ihr verlustreicher Übergang über die Beresina endeten mit einem militär. Fiasko. R. nahm am europ. Befreiungskrieg gegen Frankreich bis zur Absetzung Napoleons I. (1814) teil. Als »Retter Europas« bestimmte Alexander I. auf dem Wiener Kongress 1815 die neue Ordnung des Kontinents maßgeblich mit und legte der Hl. Allianz das monarch. Prinzip (Monarchie) zugrunde. R. gewann auf Kosten Preußens und Österreichs weite Gebiete Polens durch die Schaffung eines in Personalunion mit R. verbundenen poln. Königreichs (»Kongresspolen«). Die für R. geplanten liberalen Reformen wurden jedoch nicht verwirklicht; die Enttäuschung darüber gipfelte nach dem Tod Alexanders 1825 im Aufstand der Dekabristen. Unter Nikolaus I. (1825-55) verband sich ein kleinliches Polizeiregime im Innern mit einer unverhüllt imperialist. Außenpolitik. R. setzte die Expansion nach O fort (1860 Gründung von Wladiwostok); China musste vertraglich Amur und Ussuri als Grenze anerkennen. In Europa spielte R. die Rolle eines »Gendarmen«: Es schlug u. a. den poln. Aufstand von 1830/31 sowie die ungar. Revolution von 1849 nieder und beseitigte die poln. Autonomie fast völlig. Die militär. Niederlage im Krimkrieg (1853/54-56) beendete die russ. Hegemonialstellung (Durchsetzung einer Entmilitarisierung der Schwarzmeerküste durch die Westmächte im Frieden von Paris 1856). Der Russ.-Türk. Krieg von 1877/78 schien das Programm der Panslawisten, den polit. und kulturellen Zusammenschluss aller Slawen, zu verwirklichen: Serbien und Montenegro wurden vergrößert, Bulgarien, wenn auch noch unter osman. Oberhoheit, neu geschaffen. Österreich und Großbritannien erzwangen jedoch unter dt. Vermittlung den Berliner Kongress (1878), auf dem R. einen Schiedsspruch der europ. Mächte hinnehmen musste: Die Territorien der Balkanstaaten wurden zugunsten des Osman. Reiches beschränkt. Österreich erhielt Bosnien und die Herzegowina, Großbritannien Zypern. 1864-85 eroberte R. Mittelasien. 1867 wurde das in russ. Besitz befindl. Alaska an die USA verkauft.
Im Fernen Osten konzentrierte R. seine Bestrebungen auf die Mandschurei und Korea; 1896 sicherte sich R. die Konzession für den Bau der ostchines. Eisenbahn in der Mandschurei, außerdem erhielt es 1898 Port Arthur. Spannungen mit Japan, das in diesem Gebiet ebenfalls engagiert war, mündeten in den Russ.-Japan. Krieg (1904/05), der mit dem japan. Sieg endete.Die innere Entwicklung Russlands bis 1917: Das Leibeigenschaftssystem behinderte die industrielle Entwicklung des immer weiter hinter den westeurop. Ländern zurückbleibenden R. Die Auseinandersetzungen zw. Slawophilen und Westlern, die um das Verhältnis von R. zu W-Europa kreisten, spiegelten das polit. Ringen zw. Konservativen und Liberalen wider. Die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern 1861 löste die wirtsch. Probleme nicht, denn die befreiten Bauern erhielten zu wenig und nur minderwertigen Boden. Es kam erneut zu Bauernunruhen. Auf dem Boden dieser sozialen Konflikte entstand die insbesondere von Intellektuellen getragene Bewegung der Narodniki (Geheimgesellschaften Semlja i Wolja, Narodnaja Wolja), die den Sturz der zarist. Selbstherrschaft durch eine Bauernrevolution erstrebte und auch terrorist. Tendenzen aufwies. Die übrigen Reformen Alexanders II. (u. a. Schaffung lokaler Selbstverwaltungsorgane 1864; Semstwo ) bezweckten eine Angleichung der Verw. an westeurop. Verhältnisse; die Einschränkung der Autokratie durch eine liberale Verf. unterblieb jedoch. Die Ermordung Alexanders II. (1881) durch die radikale Opposition führte unter seinem Sohn Alexander III. zu einer Politik schärfster Unterdrückung: Sie äußerte sich nicht nur im sozialen und polit. Bereich, sondern brachte auch die rücksichtslose Russifizierung der nichtruss. Völker des Reiches, aus der sich vielfältige nat. Konflikte entwickelten. Aufgrund der Misserfolge der revolutionären Bewegung wandte sich die russ. Intelligenzija in den Zirkeln dem Marxismus zu. In der 2. Hälfte des 19. Jh. schritt die Industrialisierung R.s voran, seit den 1890er-Jahren insbesondere gefördert durch große Auslandsanleihen unter Finanzmin. S. J. Witte, über die sich v. a. der Einfluss Frankreichs und Großbritanniens verstärkte. Die wirtsch. Erschließung Sibiriens beschleunigte sich durch den Bau der Transsibir. Eisenbahn (1891-1916). Neben den Ind.gebieten um Sankt Petersburg und Moskau bildeten sich neue Zentren heraus wie das Donezbecken (Steinkohle), Kriwoi Rog (Eisenerz) und Baku (Erdöl). Um die Ind.städte konzentrierte sich eine unter elenden sozialen Verhältnissen lebende Fabrikarbeiterschaft. Im letzten Drittel des 19. Jh. entstanden die ersten proletar. Organisationen (u. a. 1875 der Südruss. Arbeiterbund in Odessa). 1898 wurde in Minsk die Sozialdemokrat. Arbeiterpartei (SDAPR) gegründet, die sich 1903 in die von Lenin geführten Bolschewiki (radikaler Flügel) und die gemäßigten Menschewiki spaltete. Um die proletar. Bewegung zu kontrollieren, unternahm die Reg. den Versuch, polizeilich gelenkte Arbeiterorganisationen durch den Chef der Moskauer Geheimpolizei S. W. Subatow ins Leben zu rufen (»Polizeisozialismus«). 1901/02 konstituierte sich aus Narodniki-Organisationen die Partei der Sozialrevolutionäre. Die Revolution von 1905-07 zeigte die Unzufriedenheit der breiten Massen. Den allg. Aufstand löste der Blutsonntag (22. 1. 1905) aus. In Sankt Petersburg und Moskau, später im ganzen Land, bildeten sich Sowjets (Räte) von Arbeiterdeputierten. Im Okt. 1905 musste Nikolaus II. den Liberalen eine gewählte Repräsentativversammlung mit gesetzgebender Funktion (Duma) gewähren.
Nachdem die I. und die II. Duma mit sozialist. Mehrheiten hartnäckige Opposition geleistet hatten, wurde das Wahlrecht 1907 geändert, um eine der Reg. genehme Zusammensetzung der Duma zu sichern. Im Ersten Weltkrieg stand R. aufseiten der Entente. Nach Anfangserfolgen musste das russ. Heer 1915 den Rückzug antreten; Polen, Litauen und Kurland wurden geräumt. Die wirtschaftl. Katastrophe führte schließlich zum Zusammenbruch der Monarchie. Massendemonstrationen in Petrograd, die sich seit 8. 3. 1917 zu einem allgemeinen Arbeiter- und Soldatenaufstand ausweiteten (Februarrevolution), erzwangen am 15. 3. 1917 die Abdankung Nikolaus' II. Die Regierungsverantwortung übernahm bis zum Zusammentritt einer Verfassunggebenden Versammlung eine vom Provisor. Dumakomitee proklamierte Provisor. Reg. unter Fürst G. J. Lwow. Die Handlungsfähigkeit dieser bürgerl. Reg. war von Anfang an eingeschränkt durch den Kontrollanspruch des Petrograder Rates (Sowjets) der Arbeiter- und Soldatendeputierten (»Doppelherrschaft«). Mit seiner in den »Aprilthesen« erhobenen Forderung »Alle Macht den Räten!« bereitete Lenin die alleinige Machtübernahme durch die Bolschewiki in der Oktoberrevolution 1917 vor. Am 26. 10. (8. 11.) 1917 wurde im Petrograder Smolny die erste Sowjetregierung (Rat der Volkskommissare) unter dem Vorsitz Lenins gebildet, die hier bis zur Verlegung der Hptst. nach Moskau (März 1918) ihren Sitz hatte. Im Ergebnis des Ersten Weltkrieges befand sich der russ. Vielvölkerstaat in Auflösung; Finnland erklärte 1917 seine staatl. Unabhängigkeit, die balt. Gebiete (Estland, Lettland und Litauen), Polen sowie die Ukraine, Weißrussland, Georgien u. a. folgten nach.Die »Russ. Sozialist. Föderative Sowjetrep.« (RSFSR): Am 10. 7. 1918 wurde die erste Verf. der Russ. Sozialist. Föderativen Sowjetrep. angenommen; 1918-20/21 musste sich Sowjet-R. eines von den weißgardist. Armeen ausgelösten Bürgerkriegs und einer Intervention der Ententemächte sowie Dtl.s und Polens erwehren. Mit dem bolschewist. Sieg wurden auch versch. Gebiete des ehem. russ. Imperiums, die sich bereits für unabhängig proklamiert hatten, wieder von sowjetruss. Truppen besetzt (Kaukasien, die Ukraine und Weißrussland). Die RSFSR bildete am 30. 12. 1922 mit der Ukraine, Weißrussland und der Transkaukas. Föderation die Union der Sozialist. Sowjetrep. (UdSSR). Die RSFSR dominierte von Anfang an die gesamte Entwicklung der Sowjetunion. Die russ. Zentralgewalt gewährte den einzelnen Rep. und Nationalitäten (Verf. von 1924, auch in der von 1936 und 1977) zwar formal Selbstverwaltungs- bzw. Autonomierechte, jedoch wurden überall einheitl. kommunist. Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen durchgesetzt und die Entwicklung an den von der Zentralmacht und der KPdSU vorgegebenen zentralen Zielen der Sowjetunion ausgerichtet. Russisch wurde Amts- und Verkehrssprache in der gesamten Union; die in den nichtruss. Rep. angesiedelten russ. Bev.teile stellten dort die polit. und wirtsch. Elite. Die 1917 gebildete Tscheka war der Beginn einer ständig mächtiger werdenden (wiederholt den Namen wechselnden) polit. Geheimpolizei, die als Repressivorgan des Stalinismus jegl. Opposition oder polit. Abweichung verfolgte und seit den 1930er-Jahren über ein großes Konzentrationslagersystem (GULAG) verfügte.
In den 1920er- und 1930er-Jahren wurden im Rahmen einer forcierten Industrialisierung zahlr. Betriebe in der RSFSR errichtet. Im Zweiten Weltkrieg war R. ab 1941 der osteurop. Hauptkriegsschauplatz; der zunächst rasche Vorstoß dt. Truppen bis weit ins Territorium der RSFSR hinein wurde im Dez. 1941 vor Moskau gestoppt; entscheidende Niederlagen erlitt die dt. Wehrmacht 1942/43 bei Stalingrad und 1943 bei Kursk; 1944 hatte die Rote Armee das Territorium der RSFSR befreit. Die 1924 innerhalb der RSFSR gegründete Wolgadt. Republik wurde 1941 aufgelöst (unter dem zu Unrecht erhobenen Vorwurf der kollektiven Kollaboration mit Dtl.); die Russlanddeutschen wurden zwangsweise v. a. nach Mittelasien umgesiedelt. Das 1945 annektierte nördl. Ostpreußen wurde als Gebiet Kaliningrad der RSFSR eingegliedert, 1954 die Krim per Beschluss des Obersten Sowjets aus der RSFSR herausgelöst und der Ukraine zugeschlagen; nach Umbildung der Karelofinn. SSR in die Karel. ASSR (1956) kam diese zur RSFSR.Als die von M. S. Gorbatschow 1985 eingeleitete Politik von Glasnost und Perestroika Ende der 1980er-Jahre in eine Krise geriet, kam es in den Großstädten immer häufiger zu Massenprotesten und Streiks. V. a. unter dem Druck der demokrat. Kräfte in R., die sich in der 1990 entstandenen Sammelbewegung »Demokrat. Russland« organisierten, verzichtete die KPdSU auf ihr Machtmonopol (Febr. 1990). Konservative kommunist. Kräfte reagierten darauf mit der Gründung einer eigenen KPR (Juni 1990). Angesichts des Verfalls der Zentralmacht erstarkten die radikalreformer. Kräfte unter B. N. Jelzin, der 1988 von Gorbatschow aus seinen polit. Spitzenämtern entlassen worden war, aber mit seiner Wahl zum Vors. des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR im Mai 1990 das höchste russ. Staatsamt erlangte.Russlands Weg zum neuen, eigenständigen Staat - Die »Russ. Föderation - Russland«:Am 12. 6. 1990 erklärte R. seine Souveränität. Im Juni 1991 wurde Jelzin zum russ. Staatspräs. gewählt. Im Aug. 1991 stellte er sich an die Spitze des Widerstandes gegen den Putsch konservativer kommunist. Führungskräfte. Nach dessen Scheitern wurde die Tätigkeit von KPdSU und russ. KP verboten. - In einem Vertrag mit Dtl. vom Nov. 1991 sicherte R. zu, die Autonomie der Russlanddeutschen wiederherzustellen. - Als der von Gorbatschow favorisierte neue Unionsvertrag zum Erhalt der UdSSR nach monatelangen Verhandlungen bis Ende 1991 nicht zustande kam, gründeten R. und die beiden anderen slaw. Republiken, Weißrussland und Ukraine, am 8. 12. 1991 in Minsk die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der am 21. 12. 1991 (mit Ausnahme der balt. Staaten und Georgiens, das erst 1993 Mitgl. wurde) auch die anderen ehem. Sowjetrepubliken beitraten. Am 25. 12. 1991 benannte sich die RSFSR in »Russ. (Russländ.) Föderation« um.Im Rahmen der von Jelzin verfolgten radikalen Wirtschaftspolitik erfolgte im Jan. 1992 eine von Bevölkerungsprotesten begleitete allg. Preisfreigabe. Am 31. 3. 1992 wurde der neue Föderationsvertrag unterzeichnet, der die Beziehungen zw. der Moskauer Reg. und den autonomen Gebieten und Rep. der Russ. Föderation regelte. Tatarstan und die Rep. der Tschetschenen und Inguschen traten dem Abkommen nicht bei. Nachdem Tschetschenien bereits 1991 einseitig seine Unabhängigkeit proklamiert hatte, wurde auf Beschluss des russ. Parlaments 1992 die Rep. Inguschetien innerhalb der Russ. Föderation gebildet. Im Dez. 1994 intervenierte R. militärisch in Tschetschenien, um die Sezessionsbestrebungen der nordkaukas. Rep. zu unterbinden; die blutigen, auf beiden Seiten verlustreichen Kämpfe (fast völlige Zerstörung von Grosny, auch hohe Opferzahlen unter der Zivilbev., brutale Geiselnahmen durch tschetschen. Freischärler u. a. im Juni 1995 in Budjonnowsk) spalteten die russ. Öffentlichkeit und führten zu internat. Kritik. Erst im August 1996 gelang der Abschluss eines Waffenstillstandes (im Januar 1997 Abzug der letzten russ. Truppen, im Mai 1997 Unterzeichnung eines Friedensvertrages ohne Regelung des polit. Status von Tschetschenien). Territorialstreitigkeiten zw. den Rep. Inguschetien und Nordossetien lösten zw. beiden 1992 (erneut 1997) einen blutigen Konflikt aus; die zunehmenden Eigenständigkeitsbestrebungen der Völker Kaukasiens (im russ. wie auch georg. Teil) ließen diese Region zu einem Krisenherd werden.
Im April 1992 beschloss der Kongress der Volksdeputierten als neuen Staatsnamen »Russ. Föderation - Russland«. Präs. Jelzin gab das Amt des MinPräs. im Juni 1992 an J. Gaidar ab, der das Land einer marktwirtschaftl. Schocktherapie unterzog, was aber die sozialen Spannungen verschärfte, ohne den wirtschaftl. Niedergang zu stoppen. Vor dem Hintergrund der sich rapide verschlechternden Wirtschaftslage stieß der von Jelzin radikal betriebene Reformkurs seit 1992 zunehmend auf den Widerstand altkommunist. und nationalist. Kräfte, die im Obersten Sowjet und dem Kongress der Volksdeputierten über die Mehrheit verfügten. Diese polit. Auseinandersetzung wurde ideologisch überlagert durch den alten, nunmehr wieder aufgebrochenen Ggs. zw. Westlern und Slawophilen. Im Dez. 1992 musste Jelzin unter dem Druck des Volksdeputiertenkongresses MinPräs. Gaidar entlassen; sein Nachfolger wurde W. S. Tschernomyrdin, der den Wirtschaftskurs in stark modifizierter Form (u. a. neue Preisregulierungen) fortsetzte. Im März 1993 eskalierte der Machtkampf zw. Jelzin und dem von R. Chasbulatow geführten Parlament sowie Vizepräs. A. Ruzkoi zu einer schweren Staats- und Verf.krise. Nachdem der Kongress der Volksdeputierten alle Vermittlungsvorschläge Jelzins abgelehnt und sich auch gegen dessen Plan einer Volksabstimmung über Staatspräs. und Parlament ausgesprochen hatte, verkündete Jelzin am 20. 3. 1993 die begrenzte Einführung der Präsidentenherrschaft und setzte ein Referendum an. Dieses erbrachte am 25. 4. 1993 ein Vertrauensvotum für ihn (rd. 58 % der Wahlbeteiligten) und eine knappe Befürwortung seiner Wirtschaftspolitik (rd. 53 %).
Der Machtkampf zw. Parlament und Präs. Jelzin war begleitet von einer sich drastisch verschärfenden Wirtschaftskrise und einem wachsenden Streben der neben den Rep. der Föderation bestehenden Regionen nach mehr Eigenständigkeit. Die von Jelzin am 21. 9. 1993 verfügte Auflösung des Obersten Sowjets und des Kongresses der Volksdeputierten stieß auf den offenen Widerstand zahlr. Abg., die sich im Parlamentsgebäude (»Weißes Haus«) verschanzten und im Gegenzug A. Ruzkoi zum »amtierenden Präs.« ernannten. Ein bewaffneter Aufstand v. a. nationalist. und kommunist. Kräfte am 3./4. 10. 1993 in Moskau wurde von Eliteeinheiten der Armee niedergeschlagen (Erstürmung des »Weißen Hauses«, Verhaftung von Chasbulatow und Ruzkoi, 1994 Amnestierung der Putschisten). Jelzin verhängte nach den blutigen Unruhen (über 100 Tote) einen 14-tägigen Ausnahmezustand über Moskau. Bei den Parlamentswahlen vom 12. 12. 1993 wurde das reformorientierte Bündnis »Russlands Wahl« stärkste Fraktion in der Staatsduma, sah sich dort aber mit einem einflussreichen nationalist. und kommunist. Flügel konfrontiert. Die von dem Rechtsextremisten W. Schirinowski geführte radikalnationalist. Liberaldemokrat. Partei erzielte einen sehr hohen Stimmenanteil. Der von MinPräs. Tschernomyrdin im Jan. 1994 neu gebildeten Reg. gehörten die meisten Radikalreformer nicht mehr an. In einem Memorandum vom 28. 4. 1994 suchte Jelzin die polit. Kräfte des Landes auf einen »Bürgerfrieden« festzulegen.
Bei den Wahlen zur Staatsduma am 17. 12. 1995 gelang es nur vier von 43 zugelassenen Parteien, die Fünfprozenthürde des Wahl-Ges. zu überwinden. Die (1993 konstituierte) Kommunist. Partei der Russ. Föderation (KPRF) unter G. Sjuganow wurde stärkste Partei (22,3 % der Stimmen und 157 Sitze), vor der rechtsextremist. »Liberaldemokrat. Partei« (11,1 %; 55), der von Tschernomyrdin geführten Gruppe »Unser Haus Russland« (9,9 %; 51) und dem Reformblock »Jabloko« (6,9 %; 45). Gajdars »Russlands Wahl« verfehlte knapp den Einzug ins Parlament, errang aber neun Direktmandate; die Agrarpartei kam auf 20 Sitze. Trotz des Wahlsieges der Kommunisten, die die Wiederherstellung des von Moskau regierten Staates in den Grenzen der Sowjetunion forderten, betonte Präs. Jelzin die Weiterführung des Reformkurses. Bei den Präsidentschaftswahlen im Juni/Juli 1996 setzte sich Jelzin mit 53,7 % (im 2. Wahlgang) vor Sjuganow, dem kommunist. Kandidaten, durch, was ihm durch ein Zweckbündnis mit dem Drittplatzierten des 1. Wahlgangs, dem populären Exgeneral A. I. Lebed gelang, den er anschließend für kurze Zeit zum Sekr. des Sicherheitsrates und Sicherheitsberater ernannte (nach dessen entscheidender Rolle bei der Beendigung des Tschetschenienkrieges Entlassung im Okt. 1996). Der anhaltende Machtkampf zw. Präs. Jelzin und dem von kommunistisch-nationalist. Kräften dominierten Parlament äußerte sich u. a. in wiederholten Versuchen der Staatsduma, gegen Jelzin ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten (zuletzt im Mai 1999).
Die gesellschaftl. Situation R.s spitzte sich ständig weiter zu. Neben einer beträchtl. Schattenwirtschaft nahmen auch Korruption, hohe (v. a. organisierte) Kriminalität sowie soziale Deklassierung und Verarmung breiter Bev.-Schichten ein bedrohl. Ausmaß an. Lohnzahlungsrückstände der Reg. führten in den 90er-Jahren immer wieder zu landesweiten Streiks und Protesten (z. B. Blockade wichtiger Eisenbahnlinien) und diese wiederum zu einer Verschärfung der ohnehin angespannten Wirtschaftslage. Angesichts der zunehmenden Finanznot der Reg. verschlechterte sich auch (v. a. nach Abschluss des Rückzugs der russ. Truppen aus den früheren Stationierungsländern in Mittel- und Osteuropa sowie aus verschiedenen ehem. Sowjetrepubliken) der Zustand der Streitkräfte (Sinken von Ansehen und Moral durch mangelhafte Versorgung und Ausrüstung, Soldrückstände, Verwicklung hochrangiger Armeeangehöriger in Korruptionsaffären, zahlr. Zwischenfälle). Extremist. Strömungen gewannen innenpolitisch zunehmend an Gewicht; Anschläge gegen demokrat. Politiker, aber ebenso gegen Journalisten und Geschäftsleute mehrten sich. Im Zuge der sich verschärfenden Situation erhielt auch der aus dem KGB über mehrere Umstrukturierungen und Umbenennungen hervorgegangene russ. Geheimdienst (seit 1995 »Föderaler Sicherheitsdienst«, Abk. FSB) immer weitreichendere Befugnisse.
Angesichts einer neuen Finanzkrise im Frühjahr 1998 sah sich die Reg. vor der dringenden Aufgabe einer Sanierung des defizitären Staatshaushalts und einer Weiterführung der fast völlig ins Stocken geratenen Wirtschaftsreformen; insbesondere die russ. Finanzpolitik geriet immer stärker in die Abhängigkeit internat. Kreditgeber (u. a. IWF und Weltbank). Nach wiederholten Umbildungen des Kabinetts, in das mehrere junge Reformpolitiker (u. a. Boris Nemzow, *1959; Anatoli Tschubajs, *1955) aufgenommen wurden, entließ Jelzin im März 1998 die Reg. Tschernomyrdin und nominierte den vorherigen Energie-Min. Sergei Kirijenko (* 1962) zum MinPräs. (erst in der dritten Abstimmung durch die Staatsduma im April 1998 bestätigt). Kirijenko, der im Juni 1998 ein rigoroses Antikrisenprogramm vorlegte, aber bei der Staatsduma mit geplanten Steuergesetzen zur Deckung der Haushaltslücken auf Ablehnung stieß, verlor sein Amt bereits im Aug. 1998. Zu seinem Nachfolger wurde der vorherige Außen-Min. J. M. Primakow im Sept. 1998 von der Staatsduma gewählt; er konnte zwar eine zeitweilige innenpolit. Beruhigung, aber in seiner kurzen Amtszeit keine Besserung der wirtschaftl. Lage erreichen, woraufhin Jelzin ihn im Mai 1999 ebenfalls entließ (Einsetzung des bisherigen Innen-Min. S. W. Stepaschin als geschäftsführenden Reg.-Chef).Außenpolitisch trat R. mit dem Anspruch einer Ordnungsmacht im »nahen Ausland« auf und ließ auch großmachtpolit. Ambitionen (in Anlehnung an die frühere Weltmachtrolle der UdSSR) erkennen. Von den Mitgl. der GUS wurde ihm im Dez. 1991 der Sitz der früheren Sowjetunion in der UNO und in deren Sicherheitsrat zugesprochen. Der Versuch R.s, sich in der GUS als Führungskraft zu etablieren, stieß bes. auf den Widerstand der Ukraine, mit der es zu einem Streit um die Schwarzmeerflotte sowie um die Krim kam; erst Ende Mai 1997 schlossen R. und die Ukraine einen Grundlagenvertrag. Da der von R. dominierte Reintegrationsprozess großer Teile des ehem. Unionsterritoriums im Rahmen der GUS hinter den russ. Erwartungen zurückblieb, versuchte R. über Verträge bes. auf wirtschafts- und militärpolit. Gebiet mit einzelnen oder Gruppen von Nachfolgestaaten der Sowjetunion seine Beziehungen zu diesen Ländern neu zu gestalten. So vereinbarten am 29. 3. 1996 R. und Weißrussland mit Kasachstan und Kirgistan die Gründung einer »Gemeinschaft Integrierter Staaten«. Am 2. 4. 1996 begründeten R. und Weißrussland eine »Gemeinschaft Souveräner Republiken« mit dem in beiden Ländern nicht unumstrittenen Ziel der Schaffung eines »gemeinsamen Unionsstaates«.Zu Spannungen mit den drei balt. Republiken kam es aufgrund des nur zögerl. Abzugs der dort stationierten russ. Truppen und wegen der bes. in Estland sowie Lettland erlassenen Einbürgerungs- bzw. Ausländer-Ges. und Wahlrechtsbestimmungen, die mit Einschränkungen für den dort lebenden russ. Bev.teil verbunden waren. Die in anderen Rep. der GUS stationierten russ. Truppen wurden z. T. in militär. Auseinandersetzungen dieser Staaten verwickelt (z. B. in die 1993 ausgebrochenen tadschikisch-afghan. Grenzkämpfe).
In den weltweiten Beziehungen setzte R. die unter Präs. M. S. Gorbatschow begründete Zusammenarbeit mit den westl. Staaten fort, bes. auf den Gebieten der Abrüstung und des internat. Krisenmanagements (Unterzeichnung des Vertrages über die Verringerung der strateg. Atomwaffen, START II, 1993; Unterzeichnung der C-Waffen-Konvention 1997), betonte dabei jedoch in wachsendem Maße seine Sonderinteressen, z. B. bei der Lösung des Bosnienkonfliktes. 1993 nahm Jelzin erstmals als Gast, 1994 erstmals als politisch gleichberechtigter Partner am Weltwirtschaftsgipfel der führenden Ind.staaten teil. Im Juni 1994 unterzeichnete er ein Abkommen mit der EG (EU) über Partnerschaft und Zusammenarbeit. Mit dem Abzug der letzten russ. Truppen aus Dtl. endete am 31. 8. 1994 eine fast 50-jährige Epoche russ. Militärpräsenz. 1996 wurde R. Mitgl. des Europarates. Im Juni 1994 trat es dem NATO-Programm »Partnerschaft für den Frieden« bei, ohne jedoch einen Sonderstatus durchsetzen zu können. Unterstützt von der russ. Öffentlichkeit, wandte sich die Reg. immer stärker gegen die Osterweiterung der NATO, stellte aber im Juli 1997 mit einer »Grundlagenakte« die Beziehungen R.s zur NATO auf eine vertragl. Basis. Bereits im Mai desselben Jahres hatte R. aber auch eine neue Sicherheitsdoktrin verabschiedet, die (nach dem einseitigen Verzicht der UdSSR auf den Ersteinsatz von Atomwaffen 1982) erneut die Möglichkeit eines atomaren Erstschlags vorsah.
Vor dem Hintergrund der anvisierten NATO-Osterweiterung in Europa intensivierte R. bes. seine Beziehungen zur VR China: u. a. 1993 Abschluss eines Abkommens über die militär. Zusammenarbeit, 1997 Verabschiedung einer »Gemeinsamen sino-russ. Erklärung zur multipolaren Welt und zur Schaffung einer neuen Weltordnung« und Unterzeichnung eines Grenzabkommens. Im Streit mit Japan um die Kurilen ergab sich 1997 eine gewisse Entspannung (Absichtserklärung, einen seit Jahrzehnten ausstehenden russisch-jap. Friedensvertrag bis zum Jahr 2000 abzuschließen; im Febr. 1998 Verhandlungsbeginn). Im Kosovo-Konflikt, in dem R. zunächst die Haltung vertrat, er sei eine innere Angelegenheit Serbiens, versuchte es nach Beginn der NATO-Militäraktion gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im März 1999 zu vermitteln. Zu dem serb. Antrag vom April 1999, sich der russisch-weißruss. »Gemeinschaft Souveräner Republiken« anzuschließen, verhielt R. sich jedoch zurückhaltend.
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Einwohner: (1999) 146,3 Mio.
Hauptstadt: Moskau
Verwaltungsgliederung: 21 Republiken, 6 Regionen, 49 Gebiete, 2 bundesunmittelbare Städte, 1 autonomes Gebiet, 10 autonome Kreise
Amtssprache: Russisch
Nationalfeiertag: 2. 4., 9. 5. und 12. 6.
Währung: 1 Rubel (Rbl) = 100 Kopeken
Zeitzone: MEZ (von W nach O) +2 bis +11 Std.
(russ. Rossija, amtlich russ. Rossiskaja Federazija, dt. Russische Föderation, auch Russländische Föderation), Staat in O-Europa und N-Asien (mit Sibirien und dem Fernen Osten); grenzt im NW an Norwegen, Finnland, Estland und Lettland sowie mit der Exklave des Gebietes Kaliningrad (Königsberg) an Litauen und Polen; im N an das Nordpolarmeer mit Barentssee, Karasee, Laptewsee und Ostsibir. See; im NO an die Beringstraße; im O an den Pazifik mit Beringmeer und Ochotsk. Meer; im SO an das Japan. Meer, Nord-Korea und China; im S an China, die Rep. Mongolei und Kasachstan; im SW an das Kasp. Meer, Aserbaidschan und Georgien; im W an das Schwarze Meer, die Ukraine und Weißrussland.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 12. 12. 1993 ist R. eine föderative Rep. mit Präsidialsystem. Staatsoberhaupt und Oberster Befehlshaber der Streitkräfte ist der mit weitgehenden Vollmachten ausgestattete Präs. (auf vier Jahre direkt gewählt). Er ernennt mit Zustimmung der Staatsduma den MinPräs. und auf dessen Vorschlag die Mitgl. des Kabinetts, bestimmt die Richtlinien der Politik, hat das Recht auf Gesetzesinitiative, verfügt über ein Vetorecht und maßgebl. Notstandsbefugnisse und kann die Staatsduma auflösen. Dekrete und Anordnungen des Präs. sind für die gesamte Föderation verbindlich. Der Präs. kann nur dann vom Föderationsrat seines Amtes enthoben werden, wenn eine Anklage der Staatsduma wegen Hochverrats oder anderer schwerer Verbrechen durch das Oberste Gericht bestätigt wird. Höchstes Vertretungs- und Gesetzgebungsorgan ist die Föderalversammlung (Zweikammerparlament), bestehend aus dem Föderationsrat (178 Mitgl.; jeweils zwei Vertreter der 89 Föderationssubjekte) und der Staatsduma (450 auf vier Jahre gewählte Abg.; je 50 % der Mandate aus Listen- und Direktwahl). Die Parteienlandschaft ist instabil und vielfach auf Personen fixiert. Zu den einflussreichsten Parteien und Bündnissen zählen die Kommunist. Partei der Russ. Föderation (KPRF), Unser Haus - R. (NDR), der Reformblock »Jabloko«, die Agrarpartei, R.s Demokrat. Wahl und die radikal-nationalist. Liberaldemokrat. Partei (LDPR). An Gewicht gewinnen auch »Vaterland« (1998 gegr. Partei) und die Bewegung »Ganz Russland«.
Landesnatur: R. erstreckt sich über mehr als 9 000 km von der Danziger Bucht im W bis zum Kap Deschnjow an der Beringstraße im O und über 4 000 km vom Nordpolarmeer im N bis zu den Bergländern S-Sibiriens im S und dem Großen Kaukasus im SW. Die Oberflächengestalt wird zu 75 % von Ebenen bestimmt, die westlich des Jenissei vorherrschend sind. Sie werden durch den Ural in die Osteurop. Ebene (Russ. Ebene) und in das Westsibir. Tiefland mit den Hauptströmen Ob und Irtysch geteilt. An die von der Wolga durchflossene Osteurop. Ebene schließen sich im NW die Bergländer Kareliens und der Halbinsel Kola, im S Nordkaukasiens bis zum Kamm des Großen Kaukasus (Elbrus, mit 5 642 m ü. M. höchste Erhebung des Landes) und die Kasp. Senke bis zur unteren Wolga (bei Astrachan bis 28 m u. M.) an. Östlich des Jenissei erstreckt sich bis zur Lena das Mittelsibir. Bergland, östlich der Lena schließen sich die bis 3 147 m ü. M. aufragenden Gebirge O-Sibiriens (Sibirien) sowie, jenseits der Wasserscheide zw. Nordpolarmeer und Pazif. Ozean, die bis 2 077 m ü. M. hohen Gebirge des Fernen Ostens an. Der Gebirgsgürtel wird am Pazif. Ozean durch das Korjakengebirge (bis 2 562 m ü. M.) sowie durch die an Vulkanen (u. a. Kljutschewskaja Sopka, 4 868 m ü. M.) reichen Gebirge Kamtschatkas und der Inselkette der Kurilen abgeschlossen. Vor der fernöstl. Küste liegt Sachalin, die größte russ. Insel. Das Bergland Sibiriens geht im N in das Nordsibir. Tiefland über, das sich östlich der Lena im Jana-Indigirka-Tiefland fortsetzt. Am Mittellauf der Lena und am Aldan erstreckt sich das Zentraljakut. Tiefland. Der nordsibir. Küste sind zahlr. Inseln und Archipele vorgelagert: Nowaja Semlja, Sewernaja Semlja, die Neusibir. Inseln und Franz-Josef-Land. Der südsibir. Gebirgsgürtel beginnt im W mit dem Gebirgssystem des Altai (Belucha, 4 506 m ü. M.); östlich davon liegen West- und Ostsajan sowie die Gebirge Transbaikaliens, östlich der Lena das Stanowoi- und das sich nach N zum ostsibir. Gebirgsgürtel erstreckende Dschugdschurgebirge.
Klima: R. erstreckt sich vom Bereich des arkt. Klimas (N-Sibirien) bis zu dem des subtrop. Klimas (Schwarzmeerküste); der größte Teil des Landes gehört jedoch zur gemäßigten Klimazone. Diese ist bis auf den S des Fernen Ostens, der im Monsunbereich liegt, ausgesprochen kontinental. Bei Ojmjakon und Werchojansk im ostsibir. Gebirgsland liegen die Kältepole der N-Halbkugel. Als Folge der kalten, lang anhaltenden und schneearmen Winter herrscht auf rd. drei Fünfteln der Landesfläche Dauerfrost.
Durch die bes. klimat. Verhältnisse haben sich ausgeprägte Vegetationszonen ausgebildet. Im N herrscht die Tundra von der Halbinsel Kola bis Kamtschatka auf einer Fläche von 3 Mio. km2 (die arkt. Inselgruppen liegen zum größten Teil im Gürtel der polaren Kältewüsten). Nach S schließt sich die Taiga (boreale Nadelwaldzone) an (11 Mio. km2), in der Moore weit verbreitet sind. Im europ. Bereich folgt weiter südlich eine Laub-Mischwaldzone, die sich gegen den südwärts verlaufenden Steppengürtel in Laubwaldinseln und Galeriewäldern (Waldsteppe) auflöst. Die Steppe wird heute für Ackerbau und Viehzucht genutzt. Im Kaspitiefland ist Halbwüste verbreitet.
Bevölkerung: Den größten Teil der Bev. stellen mit (1994) 83,0 % die Russen. Unter den mehr als 100 nat. Minderheiten bilden Tataren mit 3,8 % die größte Gruppe, gefolgt von Ukrainern (2,3 %), Tschuwaschen (1,2 %), Baschkiren (0,9 %), Weißrussen (0,7 %) und Deutschen (0,6 %). 1996 wohnten 76 % der Bewohner in Städten, etwa 1,3 Mio. Menschen sind Flüchtlinge oder Asylsuchende. Die Bev. ist sehr ungleich verteilt. Weite Gebiete haben Bev.dichten unter 1 bis höchstens 10 Ew./km2, z. B. der nordöstl. europ. Teil und der größte Teil Sibiriens. Die größte Bev.dichte weisen der zentrale und südl. europ. Teil und das nördl. Vorland des Großen Kaukasus auf. - Die gesetzl. Schulpflicht beträgt acht (nach Durchführung der Schulreform neun) Jahre. Neben der Russ. Akademie der Wiss. gibt es 553 Hochschulen (1995), darunter 43 Universitäten. - Religion: Es besteht Religionsfreiheit. Größte Religionsgemeinschaft ist die russisch-orthodoxe Kirche, deren Bedeutung in der Geschichte R.s das russ. Religionsgesetz (1997) ausdrücklich hervorhebt; daneben mindestens 1 Mio. evang. Christen (bes. Baptisten, Adventisten, Pfingstler, Lutheraner) und rd. 400 000 kath. Christen. Nichtchristl. Religionsgemeinschaften: etwa 12 Mio. Muslime (bes. in Tatarstan, Baschkirien, Nordkaukasus [Dagestan; Tschetschenien]); rd. 600 000 Juden; Buddhisten (bes. in Burjatien, Kalmückien und Tuwinien); Bekenner des Schamanismus unter den »kleinen Völkern des Nordens« (z. B. bei den Jakuten). Zahlr. (neu-)religiöse Sondergemeinschaften.
Wirtschaft, Verkehr: R. war Kernland der Sowjetunion, an deren Ind.produktion war es mit (1988) 61 %, an deren landwirtsch. Produktion mit 50 % beteiligt. Die seit 1928 (1. Fünfjahrplan) nach zentralen Planvorgaben gelenkte Wirtschaft war v. a. auf die Grundstoff-, Produktionsgüter-, Schwer- und Rüstungsind. ausgerichtet und vernachlässigte die Konsumgüterproduktion. Stagnation und Rückgang der wirtsch. Entwicklung sind seit den 1970er-Jahren Folge einer zentral gelenkten Investitionspolitik, der weitere wirtsch. Verfall führte R. 1990/91 an den Rand des Zusammenbruchs. Nach dem Zerfall der Sowjetunion eröffnete sich in R. die Möglichkeit der Einführung der Marktwirtschaft. Die hierfür eingeleiteten Reformen brachten noch nicht die gewünschten Ergebnisse, die Wirtschaftslage hat sich vielmehr weiter verschlechtert. Die Politik der Liberalisierung der Wirtschaft und Stabilisierung der Preise war bisher wenig erfolgreich, die Inflation verstärkte sich und nahm zeitweise den Charakter einer Hyperinflation an. 1998 wurde zu Jahresbeginn der Rubel um 1 000 % abgewertet. Im Januar 1999 waren 12,4 % der Erwerbstätigen arbeitslos.Landwirtschaft: Klimatisch bedingt umfasst die landwirtsch. Nutzfläche R.s nur 210 Mio. ha (12 % der Landesfläche), davon sind 61 % Ackerland, 37 % Weiden und Grasland (zur Heugewinnung). Nachdem bei der Kollektivierung der Landwirtschaft (seit 1928) ein selbstständiges Bauerntum gänzlich beseitigt worden war, kann seit Anfang 1992 Land der Kolchosen zur individuellen Bewirtschaftung (Pachtsystem) überlassen werden, jedoch sind Kooperativen, Kolchosen und Sowchosen die Hauptbetriebsform in der Landwirtschaft. Wertmäßig hat die Viehzucht größere Bedeutung als der Pflanzenbau. Ihre Hauptzweige sind Rinder- (bes. im Wolgagebiet, im europ. Zentrum und in W-Sibirien), Schweine- (in N-Kaukasien, im Wolgagebiet, im zentralen Schwarzerdegebiet) und Schafzucht (im Wolgagebiet, in N-Kaukasien und O-Sibirien) sowie Geflügelhaltung. Im arkt. N wird Renzucht, im N und O auch Pelztierjagd und -zucht betrieben. Von der Ackerfläche sind 53 % mit Getreide (bes. Weizen) bestanden, 36 % mit Futterpflanzen und 11 % mit anderen Kulturen, v. a. Zuckerrüben und Sonnenblumen (beides bes. in N-Kaukasien und im zentralen Schwarzerdegebiet), Flachs (im zentralen und im nordwestl. europ. Teil) und Kartoffeln (bes. im zentralen europ. Teil) sowie Gemüse; Zentrum des Obst- und Weinbaus ist N-Kaukasien.Industrie: R. ist reich an Bodenschätzen; es besitzt ein Fünftel der weltweit nachgewiesenen Goldvorkommen, die Hälfte der Weltkohlevorkommen (Kusnezker Kohlenbecken, Petschora-, Moskauer, Kansk-Atschinsker, Südjakut. Kohlenbecken, östl. Donez-Kohlenbecken) und sehr große Erdöl- und Erdgaslagerstätten (Westsibirien, Wolga-Ural-Erdölgebiet, N-Kaukasien, Rep. Komi, Sachalin). Die Elektrizitätswirtschaft stützt sich zu 68 % auf Wärmekraft-, zu 12 % auf Kernkraft- und 20 % auf Wasserkraftwerke (bes. an Wolga, Kama, Jenissei, Angara). Basierend auf dem Erzbergbau (Eisenerze: Kursk, Ural, Schorijabergland, S-Jakutien, Angara, Karelien, Halbinsel Kola; Nichteisenerze: Ural, Transbaikalien) entstanden Eisen- (Ural, Tula, Lipezk, Kursk, Moskau, Tscherepowez, Kusnezker Kohlenbecken) und Nichteisenerzverhüttung (Ural, Halbinsel Kola, N-Kaukasien, N-Sibirien, Ferner Osten). Bes. im Wolgagebiet, im NW, im Ural und in Moskau befinden sich Betriebe des Maschinen- und Fahrzeug- sowie des Geräte- und Anlagenbaus; im Ural um Jekaterinburg konzentrieren sich die Schwer- und Rüstungsind. Wichtige Standorte der chem. und Erdöl verarbeitenden Ind. liegen im zentraleurop. und nordwestl. Teil, im Wolgagebiet und im Ural. Die Holzind. ist in den nördl. und östl. Landesteilen, die Textilind. bes. im zentralen und nordwestl. europäischen Teil und die Nahrungsmittelind. in den zentralen europ. Landesteilen, in N-Kaukasien und im SW Sibiriens vertreten. Neben den alten Hauptind.standorten Moskau, Sankt Petersburg, Nischni Nowgorod, Saratow, Rostow am Don und Wolgograd entwickelten sich nach 1945 neue Ind.-Standorte im Ural, im Kusnezker Kohlenbecken und in N-Kaukasien, in Sibirien, im Bereich der Kursker Magnetanomalie, im Timan-Petschora-Becken und um Orenburg.Außenhandel: Haupthandelspartner sind Ukraine und Dtl., mit deutl. Abstand gefolgt von den USA, Italien und den Niederlanden. Der Anteil der GUS- und der balt. Staaten am Außenhandelsvolumen beträgt etwa 25 %. Exportiert werden: Elektroenergie, Kohle, Erdgas, Maschinen, Ausrüstungen, Transportmittel, Erze, Metalle, Metallerzeugnisse, Holz, Zellstoff, Papier, Nahrungsmittel, Pelze u. a. Importiert werden: Maschinen, Ausrüstungen, Anlagen, Fahrzeuge, Nahrungsmittel, Konsumfertigwaren, chem. Erzeugnisse (Düngemittel), Textilrohstoffe.Die Dichte des Verkehrsnetzes (1996: 87 469 km Eisenbahnstrecken und 743 000 km Straßen) nimmt von W nach O ab; seine Leistungsfähigkeit entspricht nicht den wirtsch. Erfordernissen. Durch Sibirien verläuft die Transsibirische Eisenbahn sowie weiter südlich die Baikal-Amur-Magistrale. Der Flugverkehr (Hauptflughäfen: Moskau, Sankt Petersburg) hat bes. in Sibirien und im Fernen Osten große Bedeutung. Die Binnenschifffahrt wird durch die lange Vereisungsdauer der Flüsse behindert; Schifffahrtskanäle (Wolga-Don-, Weißmeer-Ostsee-Kanal, Wolga-Ostsee-Wasserweg) existieren nur im europ. Teil. Wichtigste Seehäfen sind Nachodka-Wostotschny, Wladiwostok, Sankt Petersburg, Murmansk, Archangelsk, Noworossisk und Astrachan. Durch die Nordostpassage wird die Hochseeschifffahrt auch mithilfe von Eisbrechern betrieben. Erdöl- und Erdgasfernleitungen führen von den Fördergebieten in die Verarbeitungszentren R.s und anderer Staaten. Die wichtigsten Erholungsgebiete sind die Schwarzmeerküste und der Große Kaukasus.
Geschichte: Vorgeschichte: Das z. T. seit der Altsteinzeit (Paläolithikum) besiedelte Territorium des heutigen R. war Wohnsitz und Durchzugs- bzw. Expansionsgebiet zahlr. Stämme und Völkerschaften (weiteres Osteuropa, Sibirien). Das wohl schon im 2. Jt. v. Chr. in Süd-R. auftauchende nomad. Reitervolk der Kimmerier wurde etwa im 8. Jh. v. Chr. durch die aus dem O vorstoßenden Skythen verdrängt; östlich von Don und Wolga lebten die Sarmaten, die bei ihrem Zug nach W im 4. Jh. v. Chr. die Skythen vertrieben. Die Griechen gründeten seit dem 7. Jh. v. Chr. an der Schwarzmeerküste Städte (u. a. Tyras, Chersonesos, Pantikapaion). Das im 5. Jh. v. Chr. an der N-Küste des Schwarzen Meeres beiderseits der Straße von Kertsch errichtete Bosporan. Reich wurde im 4. Jh. n. Chr. durch die aus Zentralasien vordringenden Hunnen zerstört. Ihnen folgten die Awaren, die zu Beginn des 6. Jh. die Steppen nördlich des Schwarzen Meeres durchzogen, bei ihrem Vorstoß nach Pannonien in die Siedlungsräume der sich allmählich über O-Europa ausbreitenden Slawen eindrangen und durch deren Vertreibung eine Wanderung slaw. Stämme (bis an die obere Oka und Wolga) bewirkten. Versch. ostslaw. Stämme wurden durch das zw. Don und Wolga entstandene Chasarenreich (7.-10. Jh.) unterworfen, das auch die seit dem 7. Jh. an der mittleren Wolga ansässigen Bulgaren (Wolgabulgaren) beherrschte.Das Kiewer Reich:Der Zusammenschluss der von Stammesfürsten geführten ostslaw. Stammesverbände (Poljanen, Drewljanen, Ilmenslawen, Kriwitschen, Wolhynier u. a.) schuf die Grundlage für die Entstehung des altruss. Staates im 9. Jh., die Kiewer Rus.
Eine zentrale Rolle spielten dabei die skandinav. Waräger, die als krieger. Fernhändler seit dem 8. Jh. auf den der Wolga und dem Dnjepr folgenden Handelsstraßen nach Byzanz zogen. Der nach dem Bericht der »Nestorchronik« 862 nach Nowgorod berufene Rurik wurde zum Stammvater dieser waräg. Herrschaften (nach ihm benannt die Dynastie der Rurikiden); in Kiew setzten sich Askold und Dirund Dir fest. Ruriks Nachfolger Oleg eroberte 882 Kiew, das er zu seiner Residenz machte, und unterwarf die benachbarten ostslaw. Stämme der Tributpflicht. Die skandinav. Oberschicht (der Fürst und seine Gefolgschaft, die Druschina) wurde innerhalb weniger Generationen slawisiert. Swjatoslaw Igorjewitsch (945-972/973), für den bis 962 seine Mutter Olga eine vormundschaftl. Regierung führte, besiegte das Chasarenreich. Das Christentum fand dauernden Eingang unter Wladimir dem Heiligen (980-1015). Unter Wladimir und dessen Sohn Jaroslaw dem Weisen (1019-54) erreichte die Macht des Kiewer Reiches ihren Höhepunkt.
Die Rus unterhielt außer zu Byzanz auch zu Böhmen, Polen u. a. Reichen rege Beziehungen und entwickelte eine hohe eigenständige Kultur sowie eine kirchlich geprägte Schriftlichkeit (Russkaja Prawda als wichtigste altruss. Rechtssammlung, Kiewer Höhlenkloster, Igorlied; russische Literatur). Aus den Gefolgsleuten der Fürsten bildete sich ein Land besitzender Adel (Bojaren) heraus. Nach dem Tod Jaroslaws (1054) führten Thronfolgestreitigkeiten zw. seinen Söhnen zu einem schnellen Niedergang der Kiewer Rus. Die über die südruss. Steppengebiete herrschenden Polowzer (Kumanen) unterbrachen den Handel nach Byzanz.Die Zeit der Teilfürstentümer und der Herrschaft der Mongolen: Nachdem es Wladimir II. Monomach (1113-25) noch einmal gelungen war, die Einheit des Reiches im Kampf gegen die Polowzer herzustellen, zerfiel es endgültig in Teilfürstentümer, deren wichtigste Galitsch-Wolhynien im SW, Nowgorod im NW und Rostow-Susdal im NO wurden. Fürst Rostow eroberte 1169 Kiew, verlegte seine Residenz aber nach Wladimir (seitdem Fürstentum Wladimir-Susdal). Um Nowgorod entwickelte sich eine Bojaren- und Kaufmannsrepublik.
Dem Einfall der Mongolen im 13. Jh. konnten die russ. Fürstentümer keinen wirksamen Widerstand entgegensetzen. 1223 wurde ihr gemeinsames Heer an der Kalka vernichtend geschlagen; 1237/40 eroberte Batu Khan das russ. Territorium (mit Ausnahme des Fürstentums Nowgorod, das aber Tributzahlungen leisten musste), zerstörte zahlr. Städte (1240 Einnahme Kiews) und gründete am Unterlauf der Wolga das Reich der Goldenen Horde mit der Hptst. Sarai. Zu dieser Zeit musste sich Nowgorod der Invasion Schwedens und des Dt. Ritterordens erwehren; unter seinem Fürsten Alexander besiegte es in der Schlacht an der Newa 1240 die Schweden und 1242 auf dem Eis des Peipussees die dt. Kreuzritter. Der Goldenen Horde blieben die meisten russ. Fürstentümer mehr als 200 Jahre tributpflichtig. Alexander Newskis jüngster Sohn Daniel Alexandrowitsch erhielt 1263 das kleine Teilfürstentum Moskau, in dem zw. 1317 und 1325 der Metropolit seinen Sitz nahm und ihm damit Autorität verschaffte. Fürst Iwan I. Kalita, dem der Mongolenkhan 1328 die Würde des Großfürsten verlieh, begann mit der »Sammlung der russ. Erde« (Wiedervereinigung der Gebiete des Kiewer Reichs). Großfürst Dmitri Iwanowitsch Donskoi (1359-89) gelang es 1380, die Mongolen in der Schlacht auf dem Schnepfenfeld erstmals zu schlagen und damit den Niedergang der Goldenen Horde einzuleiten. Der im 14. Jh. vom Großfürstentum Litauen im Kampf gegen die Mongolen besetzte SW und W des russ. Reiches (das heutige Weißrussland und große Teile der Ukraine) nahm nach der Union Litauens mit Polen (1386) eine stärker mit Mittel- und W-Europa verbundene Entwicklung, was zur allmähl. Differenzierung der ostslaw. Völkerschaften in Russen (Großrussen), Weißrussen und Ukrainer (Kleinrussen) führte.
Unter der Regentschaft des Moskauer Großfürsten Iwan III. (1462-1505) bildete sich der russ. Zentralstaat heraus (1478 Eingliederung Nowgorods, 1485 Twers und 1489 Wjatkas) und wurde die Mongolenherrschaft beendet (1480 Einstellung der Tributzahlungen). Wassili III. Iwanowitsch erweiterte das Reich um Pskow (1510), Smolensk (1514), Rjasan (1521). Nach der Heirat (1472) mit der Nichte des letzten byzantin. Kaisers verkündete Iwan III. den Anspruch Moskaus, der Erbe von Byzanz und das Dritte Rom zu sein.Das russische Zarenreich: Der 1547 zum ersten »Zaren von ganz Russland« gekrönte Iwan IV., der Schreckliche, konsolidierte den Staat u. a. durch eine neue Rechtskodifizierung (1550) und Reformen in der Verwaltung und im Heer; mit der »Opritschnina«, einer 1565 von ihm geschaffenen militär. Truppe, brach er den Widerstand der alten Fürsten- und Bojarenaristokratie bei gleichzeitiger Förderung des Dienstadels. Mit der Eroberung Kasans (1552) und Astrachans (1556) kam das Wolgagebiet in russ. Besitz. Die Erschließung und nachfolgende Angliederung Sibiriens wurde 1581 (oder schon 1579) eingeleitet durch die im Auftrag der Händler- und Unternehmerfamilie Stroganow vordringende Kosakenabteilung unter Jermak Timofejewitsch, die 1582 das Khanat Sibir eroberte (Sibirien, Geschichte). Der um einen Zugang zur Ostsee mit Livland geführte Krieg (1558-82/83) endete trotz anfängl. Erfolge (1558 Eroberung Narwas) nach dem Eingreifen Schwedens und Polens mit dem Verlust aller Eroberungen. Die bedrückende soziale Lage der russ. Leibeigenen, noch verschärft durch die ständigen Kriege, veranlasste viele von ihnen zur Flucht in die südruss. Steppen, wo im 16. Jh. die Kosakengemeinschaft der Saporoger Setsch entstand. Erfolglosigkeit im Livländ. Krieg, polit. Instabilität durch Machtkämpfe um den Zarenthron nach Erlöschen der Rurikidendynastie (1598), Missernten und Pestepidemien führten Ende des 16./Anfang des 17. Jh. zu einer schweren inneren Krise. Es kam zu städt. Unruhen und zu spontanen Erhebungen der Bauern, bes. unter I. I. Bolotnikow (1606/07). Nach dem Tod des Zaren Boris Godunow (1605) begann die »Smuta« (»Zeit der Wirren«), die Polen und Schweden zur militär. Intervention nutzten. Mit poln. Hilfe gelangte 1605 ein Usurpator, der falsche Dmitri (Pseudodemetrius), auf den russ. Thron, scheiterte jedoch ebenso wie ihm folgende unrechtmäßige Thronprätendenten. 1606-10 regierte der Bojarenzar Wassili IV. Iwanowitsch Schuiski. 1610 eroberten poln. Magnaten Moskau, wurden aber zwei Jahre später durch das russ. Volksaufgebot unter K. M. Minin vertrieben. Der 1613 zum Zaren gewählte Michail Fjodorowitsch begründete das bis 1917 regierende Haus Romanow. Nach dem Krieg mit Polen (1654-67) erhielt R. im Frieden von Andrussowo 1667 den östlich des Dnjepr gelegenen Teil der Ukraine. Der von dem Donkosaken S. Rasin angeführte Bauernaufstand (1670/71) erfasste den gesamten SO des Reiches. Die kirchl. Reformen des Patriarchen Nikon (1652-66) führten zur religiösen Spaltung in eine öffentl. und dem Staat zugehörige Kirche und in eine Schar Altgläubiger, die den alten Riten und Bräuchen anhingen und vom Staat grausam verfolgt wurden.Aufstieg Russlands zur Großmacht: 1682 wurden Peter I., d. Gr., und sein debiler Halbbruder Iwan V. (✝ 1696) gemeinsam Zaren unter der Regentschaft ihrer älteren Schwester Sophia (bis 1689) und Peters Mutter; 1694 übernahm Peter die Reg.geschäfte. Seine Politik zielte darauf ab, die »Europäisierung« R.s voranzutreiben. Gestützt auf ausländ. Berater (u. a. der Genfer F. Lefort, der Schotte P. Gordon) baute Peter I. ein nach westl. Vorbild organisiertes Heer und eine Kriegsflotte auf; ab 1695 nahm er den Kampf gegen die Türken auf (1696 Eroberung der Festung Asow). Nach Rückkehr von einer ausgedehnten Studienreise nach W-Europa (»Große Gesandtschaft«, 1697/98), die zugleich der Gewinnung von Bündnispartnern diente (Allianz mit Polen gegen Schweden), hielt Peter I. ein blutiges Strafgericht über die Strelitzen, die sich während seiner Abwesenheit gegen ihn erhoben hatten. Mit seinem Sieg über die Schweden bei Poltawa (1709) im Großen Nordischen Krieg (1700-21) ging die Rolle der Vormacht im Ostseeraum von Schweden auf R. über; durch den Frieden von Nystad (1721) wurde es europ. Großmacht. Der Aufbau von Heer, Flotte und neuer Hptst. (seit 1712 das 1703 an der Newa gegründete Sankt Petersburg) sowie der lange Krieg verschlangen gewaltige Summen, die durch Steuern aufgebracht werden sollten. Dieser Druck auf die Untertanen führte zu mehreren Aufständen (z. B. in Astrachan 1705/06, die Bauernerhebung unter Bulawin am Don 1707/08). Im Rahmen seiner innenpolit. Reformen gestaltete Peter I., der 1721 den Kaisertitel annahm, die Staatsverwaltung neu. An die Stelle des Patriarchats trat 1722 der Hl. Synod, womit die Kirche dem Staat untergeordnet wurde. In der Reg.zeit Peters I. wurden der Handel und die Entstehung von Manufakturen gefördert und der Uralbergbau ausgedehnt. 1724/25 wurde die Petersburger Akademie der Wiss. gegründet, 1755 auf Initiative W. M. Lomonossows die Moskauer Univ. Unter den Nachfolgern Peters I. kam es wiederholt zu Palastrevolten und raschen Thronwechseln; Günstlinge erlangten eine dominierende Stellung. So herrschte unter der Zarin Anna Iwanowna (1730-40) faktisch Graf Biron. Unter Elisabeth Petrowna (1741-62), einer Tochter Peters I., nahm R. am Siebenjährigen Krieg an der Seite Österreichs und Frankreichs gegen Preußen teil. Unter Katharina II., d. Gr. (1762-96), errang R. außerordentl. außenpolit. Erfolge: Der Friede von Küçük Kaynarcɪ schloss den ersten siegreichen Türkenkrieg (1768-74) mit dem endgültigen Gewinn von Asow und der Schwarzmeerküste zw. Dnjepr und Südl. Bug ab; 1783 annektierte Katharina die Krim. R. war nun Schwarzmeermacht mit freier Schifffahrt durch die Meerengen. Ein zweiter Türkenkrieg (1787-92) erbrachte den Gewinn der Schwarzmeerküste bis zur Dnjestrmündung. Gegen das in staatl. Auflösung befindl. Polen setzte R. im Verein mit Preußen und Österreich seine territorialen Ziele durch (Polen, Geschichte). Katharina II. begann ihre Innenpolitik im Geiste des aufgeklärten Absolutismus (Reorganisation der Zentralbehörden 1763), verschärfte jedoch mit Rücksicht auf den Adel die bäuerl. Leibeigenschaft; in der Ukraine wurde die Kosakenautonomie durch die Leibeigenschaft ersetzt. Die dadurch ausgelösten Bauern- und Kosakenaufstände (bes. der Volksaufstand unter J. I. Pugatschow, 1773-75) führten zu einer zunehmend repressiven Innenpolitik. Von Katharina II. aufgerufen, wanderten ab 1763/64 Deutsche in das untere Wolgagebiet ein (Russlanddeutsche). 1801 geriet Georgien, 1809 Finnland und 1812 Bessarabien unter die Herrschaft des Russ. Reiches. Als Napoleon I. im russ. Feldzug von 1812 mit seiner Großen Armee bis Moskau vordrang (Napoleonische Kriege), leistete das Land energ. Widerstand (»Vaterländ. Krieg«). An die Spitze der russ. Armee wurde M. I. Kutusow berufen; der Rückzug der Franzosen aus dem niedergebrannten Moskau und ihr verlustreicher Übergang über die Beresina endeten mit einem militär. Fiasko. R. nahm am europ. Befreiungskrieg gegen Frankreich bis zur Absetzung Napoleons I. (1814) teil. Als »Retter Europas« bestimmte Alexander I. auf dem Wiener Kongress 1815 die neue Ordnung des Kontinents maßgeblich mit und legte der Hl. Allianz das monarch. Prinzip (Monarchie) zugrunde. R. gewann auf Kosten Preußens und Österreichs weite Gebiete Polens durch die Schaffung eines in Personalunion mit R. verbundenen poln. Königreichs (»Kongresspolen«). Die für R. geplanten liberalen Reformen wurden jedoch nicht verwirklicht; die Enttäuschung darüber gipfelte nach dem Tod Alexanders 1825 im Aufstand der Dekabristen. Unter Nikolaus I. (1825-55) verband sich ein kleinliches Polizeiregime im Innern mit einer unverhüllt imperialist. Außenpolitik. R. setzte die Expansion nach O fort (1860 Gründung von Wladiwostok); China musste vertraglich Amur und Ussuri als Grenze anerkennen. In Europa spielte R. die Rolle eines »Gendarmen«: Es schlug u. a. den poln. Aufstand von 1830/31 sowie die ungar. Revolution von 1849 nieder und beseitigte die poln. Autonomie fast völlig. Die militär. Niederlage im Krimkrieg (1853/54-56) beendete die russ. Hegemonialstellung (Durchsetzung einer Entmilitarisierung der Schwarzmeerküste durch die Westmächte im Frieden von Paris 1856). Der Russ.-Türk. Krieg von 1877/78 schien das Programm der Panslawisten, den polit. und kulturellen Zusammenschluss aller Slawen, zu verwirklichen: Serbien und Montenegro wurden vergrößert, Bulgarien, wenn auch noch unter osman. Oberhoheit, neu geschaffen. Österreich und Großbritannien erzwangen jedoch unter dt. Vermittlung den Berliner Kongress (1878), auf dem R. einen Schiedsspruch der europ. Mächte hinnehmen musste: Die Territorien der Balkanstaaten wurden zugunsten des Osman. Reiches beschränkt. Österreich erhielt Bosnien und die Herzegowina, Großbritannien Zypern. 1864-85 eroberte R. Mittelasien. 1867 wurde das in russ. Besitz befindl. Alaska an die USA verkauft.
Im Fernen Osten konzentrierte R. seine Bestrebungen auf die Mandschurei und Korea; 1896 sicherte sich R. die Konzession für den Bau der ostchines. Eisenbahn in der Mandschurei, außerdem erhielt es 1898 Port Arthur. Spannungen mit Japan, das in diesem Gebiet ebenfalls engagiert war, mündeten in den Russ.-Japan. Krieg (1904/05), der mit dem japan. Sieg endete.Die innere Entwicklung Russlands bis 1917: Das Leibeigenschaftssystem behinderte die industrielle Entwicklung des immer weiter hinter den westeurop. Ländern zurückbleibenden R. Die Auseinandersetzungen zw. Slawophilen und Westlern, die um das Verhältnis von R. zu W-Europa kreisten, spiegelten das polit. Ringen zw. Konservativen und Liberalen wider. Die Aufhebung der Leibeigenschaft der Bauern 1861 löste die wirtsch. Probleme nicht, denn die befreiten Bauern erhielten zu wenig und nur minderwertigen Boden. Es kam erneut zu Bauernunruhen. Auf dem Boden dieser sozialen Konflikte entstand die insbesondere von Intellektuellen getragene Bewegung der Narodniki (Geheimgesellschaften Semlja i Wolja, Narodnaja Wolja), die den Sturz der zarist. Selbstherrschaft durch eine Bauernrevolution erstrebte und auch terrorist. Tendenzen aufwies. Die übrigen Reformen Alexanders II. (u. a. Schaffung lokaler Selbstverwaltungsorgane 1864; Semstwo ) bezweckten eine Angleichung der Verw. an westeurop. Verhältnisse; die Einschränkung der Autokratie durch eine liberale Verf. unterblieb jedoch. Die Ermordung Alexanders II. (1881) durch die radikale Opposition führte unter seinem Sohn Alexander III. zu einer Politik schärfster Unterdrückung: Sie äußerte sich nicht nur im sozialen und polit. Bereich, sondern brachte auch die rücksichtslose Russifizierung der nichtruss. Völker des Reiches, aus der sich vielfältige nat. Konflikte entwickelten. Aufgrund der Misserfolge der revolutionären Bewegung wandte sich die russ. Intelligenzija in den Zirkeln dem Marxismus zu. In der 2. Hälfte des 19. Jh. schritt die Industrialisierung R.s voran, seit den 1890er-Jahren insbesondere gefördert durch große Auslandsanleihen unter Finanzmin. S. J. Witte, über die sich v. a. der Einfluss Frankreichs und Großbritanniens verstärkte. Die wirtsch. Erschließung Sibiriens beschleunigte sich durch den Bau der Transsibir. Eisenbahn (1891-1916). Neben den Ind.gebieten um Sankt Petersburg und Moskau bildeten sich neue Zentren heraus wie das Donezbecken (Steinkohle), Kriwoi Rog (Eisenerz) und Baku (Erdöl). Um die Ind.städte konzentrierte sich eine unter elenden sozialen Verhältnissen lebende Fabrikarbeiterschaft. Im letzten Drittel des 19. Jh. entstanden die ersten proletar. Organisationen (u. a. 1875 der Südruss. Arbeiterbund in Odessa). 1898 wurde in Minsk die Sozialdemokrat. Arbeiterpartei (SDAPR) gegründet, die sich 1903 in die von Lenin geführten Bolschewiki (radikaler Flügel) und die gemäßigten Menschewiki spaltete. Um die proletar. Bewegung zu kontrollieren, unternahm die Reg. den Versuch, polizeilich gelenkte Arbeiterorganisationen durch den Chef der Moskauer Geheimpolizei S. W. Subatow ins Leben zu rufen (»Polizeisozialismus«). 1901/02 konstituierte sich aus Narodniki-Organisationen die Partei der Sozialrevolutionäre. Die Revolution von 1905-07 zeigte die Unzufriedenheit der breiten Massen. Den allg. Aufstand löste der Blutsonntag (22. 1. 1905) aus. In Sankt Petersburg und Moskau, später im ganzen Land, bildeten sich Sowjets (Räte) von Arbeiterdeputierten. Im Okt. 1905 musste Nikolaus II. den Liberalen eine gewählte Repräsentativversammlung mit gesetzgebender Funktion (Duma) gewähren.
Nachdem die I. und die II. Duma mit sozialist. Mehrheiten hartnäckige Opposition geleistet hatten, wurde das Wahlrecht 1907 geändert, um eine der Reg. genehme Zusammensetzung der Duma zu sichern. Im Ersten Weltkrieg stand R. aufseiten der Entente. Nach Anfangserfolgen musste das russ. Heer 1915 den Rückzug antreten; Polen, Litauen und Kurland wurden geräumt. Die wirtschaftl. Katastrophe führte schließlich zum Zusammenbruch der Monarchie. Massendemonstrationen in Petrograd, die sich seit 8. 3. 1917 zu einem allgemeinen Arbeiter- und Soldatenaufstand ausweiteten (Februarrevolution), erzwangen am 15. 3. 1917 die Abdankung Nikolaus' II. Die Regierungsverantwortung übernahm bis zum Zusammentritt einer Verfassunggebenden Versammlung eine vom Provisor. Dumakomitee proklamierte Provisor. Reg. unter Fürst G. J. Lwow. Die Handlungsfähigkeit dieser bürgerl. Reg. war von Anfang an eingeschränkt durch den Kontrollanspruch des Petrograder Rates (Sowjets) der Arbeiter- und Soldatendeputierten (»Doppelherrschaft«). Mit seiner in den »Aprilthesen« erhobenen Forderung »Alle Macht den Räten!« bereitete Lenin die alleinige Machtübernahme durch die Bolschewiki in der Oktoberrevolution 1917 vor. Am 26. 10. (8. 11.) 1917 wurde im Petrograder Smolny die erste Sowjetregierung (Rat der Volkskommissare) unter dem Vorsitz Lenins gebildet, die hier bis zur Verlegung der Hptst. nach Moskau (März 1918) ihren Sitz hatte. Im Ergebnis des Ersten Weltkrieges befand sich der russ. Vielvölkerstaat in Auflösung; Finnland erklärte 1917 seine staatl. Unabhängigkeit, die balt. Gebiete (Estland, Lettland und Litauen), Polen sowie die Ukraine, Weißrussland, Georgien u. a. folgten nach.Die »Russ. Sozialist. Föderative Sowjetrep.« (RSFSR): Am 10. 7. 1918 wurde die erste Verf. der Russ. Sozialist. Föderativen Sowjetrep. angenommen; 1918-20/21 musste sich Sowjet-R. eines von den weißgardist. Armeen ausgelösten Bürgerkriegs und einer Intervention der Ententemächte sowie Dtl.s und Polens erwehren. Mit dem bolschewist. Sieg wurden auch versch. Gebiete des ehem. russ. Imperiums, die sich bereits für unabhängig proklamiert hatten, wieder von sowjetruss. Truppen besetzt (Kaukasien, die Ukraine und Weißrussland). Die RSFSR bildete am 30. 12. 1922 mit der Ukraine, Weißrussland und der Transkaukas. Föderation die Union der Sozialist. Sowjetrep. (UdSSR). Die RSFSR dominierte von Anfang an die gesamte Entwicklung der Sowjetunion. Die russ. Zentralgewalt gewährte den einzelnen Rep. und Nationalitäten (Verf. von 1924, auch in der von 1936 und 1977) zwar formal Selbstverwaltungs- bzw. Autonomierechte, jedoch wurden überall einheitl. kommunist. Gesellschafts- und Wirtschaftsstrukturen durchgesetzt und die Entwicklung an den von der Zentralmacht und der KPdSU vorgegebenen zentralen Zielen der Sowjetunion ausgerichtet. Russisch wurde Amts- und Verkehrssprache in der gesamten Union; die in den nichtruss. Rep. angesiedelten russ. Bev.teile stellten dort die polit. und wirtsch. Elite. Die 1917 gebildete Tscheka war der Beginn einer ständig mächtiger werdenden (wiederholt den Namen wechselnden) polit. Geheimpolizei, die als Repressivorgan des Stalinismus jegl. Opposition oder polit. Abweichung verfolgte und seit den 1930er-Jahren über ein großes Konzentrationslagersystem (GULAG) verfügte.
In den 1920er- und 1930er-Jahren wurden im Rahmen einer forcierten Industrialisierung zahlr. Betriebe in der RSFSR errichtet. Im Zweiten Weltkrieg war R. ab 1941 der osteurop. Hauptkriegsschauplatz; der zunächst rasche Vorstoß dt. Truppen bis weit ins Territorium der RSFSR hinein wurde im Dez. 1941 vor Moskau gestoppt; entscheidende Niederlagen erlitt die dt. Wehrmacht 1942/43 bei Stalingrad und 1943 bei Kursk; 1944 hatte die Rote Armee das Territorium der RSFSR befreit. Die 1924 innerhalb der RSFSR gegründete Wolgadt. Republik wurde 1941 aufgelöst (unter dem zu Unrecht erhobenen Vorwurf der kollektiven Kollaboration mit Dtl.); die Russlanddeutschen wurden zwangsweise v. a. nach Mittelasien umgesiedelt. Das 1945 annektierte nördl. Ostpreußen wurde als Gebiet Kaliningrad der RSFSR eingegliedert, 1954 die Krim per Beschluss des Obersten Sowjets aus der RSFSR herausgelöst und der Ukraine zugeschlagen; nach Umbildung der Karelofinn. SSR in die Karel. ASSR (1956) kam diese zur RSFSR.Als die von M. S. Gorbatschow 1985 eingeleitete Politik von Glasnost und Perestroika Ende der 1980er-Jahre in eine Krise geriet, kam es in den Großstädten immer häufiger zu Massenprotesten und Streiks. V. a. unter dem Druck der demokrat. Kräfte in R., die sich in der 1990 entstandenen Sammelbewegung »Demokrat. Russland« organisierten, verzichtete die KPdSU auf ihr Machtmonopol (Febr. 1990). Konservative kommunist. Kräfte reagierten darauf mit der Gründung einer eigenen KPR (Juni 1990). Angesichts des Verfalls der Zentralmacht erstarkten die radikalreformer. Kräfte unter B. N. Jelzin, der 1988 von Gorbatschow aus seinen polit. Spitzenämtern entlassen worden war, aber mit seiner Wahl zum Vors. des Präsidiums des Obersten Sowjets der RSFSR im Mai 1990 das höchste russ. Staatsamt erlangte.Russlands Weg zum neuen, eigenständigen Staat - Die »Russ. Föderation - Russland«:Am 12. 6. 1990 erklärte R. seine Souveränität. Im Juni 1991 wurde Jelzin zum russ. Staatspräs. gewählt. Im Aug. 1991 stellte er sich an die Spitze des Widerstandes gegen den Putsch konservativer kommunist. Führungskräfte. Nach dessen Scheitern wurde die Tätigkeit von KPdSU und russ. KP verboten. - In einem Vertrag mit Dtl. vom Nov. 1991 sicherte R. zu, die Autonomie der Russlanddeutschen wiederherzustellen. - Als der von Gorbatschow favorisierte neue Unionsvertrag zum Erhalt der UdSSR nach monatelangen Verhandlungen bis Ende 1991 nicht zustande kam, gründeten R. und die beiden anderen slaw. Republiken, Weißrussland und Ukraine, am 8. 12. 1991 in Minsk die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), der am 21. 12. 1991 (mit Ausnahme der balt. Staaten und Georgiens, das erst 1993 Mitgl. wurde) auch die anderen ehem. Sowjetrepubliken beitraten. Am 25. 12. 1991 benannte sich die RSFSR in »Russ. (Russländ.) Föderation« um.Im Rahmen der von Jelzin verfolgten radikalen Wirtschaftspolitik erfolgte im Jan. 1992 eine von Bevölkerungsprotesten begleitete allg. Preisfreigabe. Am 31. 3. 1992 wurde der neue Föderationsvertrag unterzeichnet, der die Beziehungen zw. der Moskauer Reg. und den autonomen Gebieten und Rep. der Russ. Föderation regelte. Tatarstan und die Rep. der Tschetschenen und Inguschen traten dem Abkommen nicht bei. Nachdem Tschetschenien bereits 1991 einseitig seine Unabhängigkeit proklamiert hatte, wurde auf Beschluss des russ. Parlaments 1992 die Rep. Inguschetien innerhalb der Russ. Föderation gebildet. Im Dez. 1994 intervenierte R. militärisch in Tschetschenien, um die Sezessionsbestrebungen der nordkaukas. Rep. zu unterbinden; die blutigen, auf beiden Seiten verlustreichen Kämpfe (fast völlige Zerstörung von Grosny, auch hohe Opferzahlen unter der Zivilbev., brutale Geiselnahmen durch tschetschen. Freischärler u. a. im Juni 1995 in Budjonnowsk) spalteten die russ. Öffentlichkeit und führten zu internat. Kritik. Erst im August 1996 gelang der Abschluss eines Waffenstillstandes (im Januar 1997 Abzug der letzten russ. Truppen, im Mai 1997 Unterzeichnung eines Friedensvertrages ohne Regelung des polit. Status von Tschetschenien). Territorialstreitigkeiten zw. den Rep. Inguschetien und Nordossetien lösten zw. beiden 1992 (erneut 1997) einen blutigen Konflikt aus; die zunehmenden Eigenständigkeitsbestrebungen der Völker Kaukasiens (im russ. wie auch georg. Teil) ließen diese Region zu einem Krisenherd werden.
Im April 1992 beschloss der Kongress der Volksdeputierten als neuen Staatsnamen »Russ. Föderation - Russland«. Präs. Jelzin gab das Amt des MinPräs. im Juni 1992 an J. Gaidar ab, der das Land einer marktwirtschaftl. Schocktherapie unterzog, was aber die sozialen Spannungen verschärfte, ohne den wirtschaftl. Niedergang zu stoppen. Vor dem Hintergrund der sich rapide verschlechternden Wirtschaftslage stieß der von Jelzin radikal betriebene Reformkurs seit 1992 zunehmend auf den Widerstand altkommunist. und nationalist. Kräfte, die im Obersten Sowjet und dem Kongress der Volksdeputierten über die Mehrheit verfügten. Diese polit. Auseinandersetzung wurde ideologisch überlagert durch den alten, nunmehr wieder aufgebrochenen Ggs. zw. Westlern und Slawophilen. Im Dez. 1992 musste Jelzin unter dem Druck des Volksdeputiertenkongresses MinPräs. Gaidar entlassen; sein Nachfolger wurde W. S. Tschernomyrdin, der den Wirtschaftskurs in stark modifizierter Form (u. a. neue Preisregulierungen) fortsetzte. Im März 1993 eskalierte der Machtkampf zw. Jelzin und dem von R. Chasbulatow geführten Parlament sowie Vizepräs. A. Ruzkoi zu einer schweren Staats- und Verf.krise. Nachdem der Kongress der Volksdeputierten alle Vermittlungsvorschläge Jelzins abgelehnt und sich auch gegen dessen Plan einer Volksabstimmung über Staatspräs. und Parlament ausgesprochen hatte, verkündete Jelzin am 20. 3. 1993 die begrenzte Einführung der Präsidentenherrschaft und setzte ein Referendum an. Dieses erbrachte am 25. 4. 1993 ein Vertrauensvotum für ihn (rd. 58 % der Wahlbeteiligten) und eine knappe Befürwortung seiner Wirtschaftspolitik (rd. 53 %).
Der Machtkampf zw. Parlament und Präs. Jelzin war begleitet von einer sich drastisch verschärfenden Wirtschaftskrise und einem wachsenden Streben der neben den Rep. der Föderation bestehenden Regionen nach mehr Eigenständigkeit. Die von Jelzin am 21. 9. 1993 verfügte Auflösung des Obersten Sowjets und des Kongresses der Volksdeputierten stieß auf den offenen Widerstand zahlr. Abg., die sich im Parlamentsgebäude (»Weißes Haus«) verschanzten und im Gegenzug A. Ruzkoi zum »amtierenden Präs.« ernannten. Ein bewaffneter Aufstand v. a. nationalist. und kommunist. Kräfte am 3./4. 10. 1993 in Moskau wurde von Eliteeinheiten der Armee niedergeschlagen (Erstürmung des »Weißen Hauses«, Verhaftung von Chasbulatow und Ruzkoi, 1994 Amnestierung der Putschisten). Jelzin verhängte nach den blutigen Unruhen (über 100 Tote) einen 14-tägigen Ausnahmezustand über Moskau. Bei den Parlamentswahlen vom 12. 12. 1993 wurde das reformorientierte Bündnis »Russlands Wahl« stärkste Fraktion in der Staatsduma, sah sich dort aber mit einem einflussreichen nationalist. und kommunist. Flügel konfrontiert. Die von dem Rechtsextremisten W. Schirinowski geführte radikalnationalist. Liberaldemokrat. Partei erzielte einen sehr hohen Stimmenanteil. Der von MinPräs. Tschernomyrdin im Jan. 1994 neu gebildeten Reg. gehörten die meisten Radikalreformer nicht mehr an. In einem Memorandum vom 28. 4. 1994 suchte Jelzin die polit. Kräfte des Landes auf einen »Bürgerfrieden« festzulegen.
Bei den Wahlen zur Staatsduma am 17. 12. 1995 gelang es nur vier von 43 zugelassenen Parteien, die Fünfprozenthürde des Wahl-Ges. zu überwinden. Die (1993 konstituierte) Kommunist. Partei der Russ. Föderation (KPRF) unter G. Sjuganow wurde stärkste Partei (22,3 % der Stimmen und 157 Sitze), vor der rechtsextremist. »Liberaldemokrat. Partei« (11,1 %; 55), der von Tschernomyrdin geführten Gruppe »Unser Haus Russland« (9,9 %; 51) und dem Reformblock »Jabloko« (6,9 %; 45). Gajdars »Russlands Wahl« verfehlte knapp den Einzug ins Parlament, errang aber neun Direktmandate; die Agrarpartei kam auf 20 Sitze. Trotz des Wahlsieges der Kommunisten, die die Wiederherstellung des von Moskau regierten Staates in den Grenzen der Sowjetunion forderten, betonte Präs. Jelzin die Weiterführung des Reformkurses. Bei den Präsidentschaftswahlen im Juni/Juli 1996 setzte sich Jelzin mit 53,7 % (im 2. Wahlgang) vor Sjuganow, dem kommunist. Kandidaten, durch, was ihm durch ein Zweckbündnis mit dem Drittplatzierten des 1. Wahlgangs, dem populären Exgeneral A. I. Lebed gelang, den er anschließend für kurze Zeit zum Sekr. des Sicherheitsrates und Sicherheitsberater ernannte (nach dessen entscheidender Rolle bei der Beendigung des Tschetschenienkrieges Entlassung im Okt. 1996). Der anhaltende Machtkampf zw. Präs. Jelzin und dem von kommunistisch-nationalist. Kräften dominierten Parlament äußerte sich u. a. in wiederholten Versuchen der Staatsduma, gegen Jelzin ein Amtsenthebungsverfahren einzuleiten (zuletzt im Mai 1999).
Die gesellschaftl. Situation R.s spitzte sich ständig weiter zu. Neben einer beträchtl. Schattenwirtschaft nahmen auch Korruption, hohe (v. a. organisierte) Kriminalität sowie soziale Deklassierung und Verarmung breiter Bev.-Schichten ein bedrohl. Ausmaß an. Lohnzahlungsrückstände der Reg. führten in den 90er-Jahren immer wieder zu landesweiten Streiks und Protesten (z. B. Blockade wichtiger Eisenbahnlinien) und diese wiederum zu einer Verschärfung der ohnehin angespannten Wirtschaftslage. Angesichts der zunehmenden Finanznot der Reg. verschlechterte sich auch (v. a. nach Abschluss des Rückzugs der russ. Truppen aus den früheren Stationierungsländern in Mittel- und Osteuropa sowie aus verschiedenen ehem. Sowjetrepubliken) der Zustand der Streitkräfte (Sinken von Ansehen und Moral durch mangelhafte Versorgung und Ausrüstung, Soldrückstände, Verwicklung hochrangiger Armeeangehöriger in Korruptionsaffären, zahlr. Zwischenfälle). Extremist. Strömungen gewannen innenpolitisch zunehmend an Gewicht; Anschläge gegen demokrat. Politiker, aber ebenso gegen Journalisten und Geschäftsleute mehrten sich. Im Zuge der sich verschärfenden Situation erhielt auch der aus dem KGB über mehrere Umstrukturierungen und Umbenennungen hervorgegangene russ. Geheimdienst (seit 1995 »Föderaler Sicherheitsdienst«, Abk. FSB) immer weitreichendere Befugnisse.
Angesichts einer neuen Finanzkrise im Frühjahr 1998 sah sich die Reg. vor der dringenden Aufgabe einer Sanierung des defizitären Staatshaushalts und einer Weiterführung der fast völlig ins Stocken geratenen Wirtschaftsreformen; insbesondere die russ. Finanzpolitik geriet immer stärker in die Abhängigkeit internat. Kreditgeber (u. a. IWF und Weltbank). Nach wiederholten Umbildungen des Kabinetts, in das mehrere junge Reformpolitiker (u. a. Boris Nemzow, *1959; Anatoli Tschubajs, *1955) aufgenommen wurden, entließ Jelzin im März 1998 die Reg. Tschernomyrdin und nominierte den vorherigen Energie-Min. Sergei Kirijenko (* 1962) zum MinPräs. (erst in der dritten Abstimmung durch die Staatsduma im April 1998 bestätigt). Kirijenko, der im Juni 1998 ein rigoroses Antikrisenprogramm vorlegte, aber bei der Staatsduma mit geplanten Steuergesetzen zur Deckung der Haushaltslücken auf Ablehnung stieß, verlor sein Amt bereits im Aug. 1998. Zu seinem Nachfolger wurde der vorherige Außen-Min. J. M. Primakow im Sept. 1998 von der Staatsduma gewählt; er konnte zwar eine zeitweilige innenpolit. Beruhigung, aber in seiner kurzen Amtszeit keine Besserung der wirtschaftl. Lage erreichen, woraufhin Jelzin ihn im Mai 1999 ebenfalls entließ (Einsetzung des bisherigen Innen-Min. S. W. Stepaschin als geschäftsführenden Reg.-Chef).Außenpolitisch trat R. mit dem Anspruch einer Ordnungsmacht im »nahen Ausland« auf und ließ auch großmachtpolit. Ambitionen (in Anlehnung an die frühere Weltmachtrolle der UdSSR) erkennen. Von den Mitgl. der GUS wurde ihm im Dez. 1991 der Sitz der früheren Sowjetunion in der UNO und in deren Sicherheitsrat zugesprochen. Der Versuch R.s, sich in der GUS als Führungskraft zu etablieren, stieß bes. auf den Widerstand der Ukraine, mit der es zu einem Streit um die Schwarzmeerflotte sowie um die Krim kam; erst Ende Mai 1997 schlossen R. und die Ukraine einen Grundlagenvertrag. Da der von R. dominierte Reintegrationsprozess großer Teile des ehem. Unionsterritoriums im Rahmen der GUS hinter den russ. Erwartungen zurückblieb, versuchte R. über Verträge bes. auf wirtschafts- und militärpolit. Gebiet mit einzelnen oder Gruppen von Nachfolgestaaten der Sowjetunion seine Beziehungen zu diesen Ländern neu zu gestalten. So vereinbarten am 29. 3. 1996 R. und Weißrussland mit Kasachstan und Kirgistan die Gründung einer »Gemeinschaft Integrierter Staaten«. Am 2. 4. 1996 begründeten R. und Weißrussland eine »Gemeinschaft Souveräner Republiken« mit dem in beiden Ländern nicht unumstrittenen Ziel der Schaffung eines »gemeinsamen Unionsstaates«.Zu Spannungen mit den drei balt. Republiken kam es aufgrund des nur zögerl. Abzugs der dort stationierten russ. Truppen und wegen der bes. in Estland sowie Lettland erlassenen Einbürgerungs- bzw. Ausländer-Ges. und Wahlrechtsbestimmungen, die mit Einschränkungen für den dort lebenden russ. Bev.teil verbunden waren. Die in anderen Rep. der GUS stationierten russ. Truppen wurden z. T. in militär. Auseinandersetzungen dieser Staaten verwickelt (z. B. in die 1993 ausgebrochenen tadschikisch-afghan. Grenzkämpfe).
In den weltweiten Beziehungen setzte R. die unter Präs. M. S. Gorbatschow begründete Zusammenarbeit mit den westl. Staaten fort, bes. auf den Gebieten der Abrüstung und des internat. Krisenmanagements (Unterzeichnung des Vertrages über die Verringerung der strateg. Atomwaffen, START II, 1993; Unterzeichnung der C-Waffen-Konvention 1997), betonte dabei jedoch in wachsendem Maße seine Sonderinteressen, z. B. bei der Lösung des Bosnienkonfliktes. 1993 nahm Jelzin erstmals als Gast, 1994 erstmals als politisch gleichberechtigter Partner am Weltwirtschaftsgipfel der führenden Ind.staaten teil. Im Juni 1994 unterzeichnete er ein Abkommen mit der EG (EU) über Partnerschaft und Zusammenarbeit. Mit dem Abzug der letzten russ. Truppen aus Dtl. endete am 31. 8. 1994 eine fast 50-jährige Epoche russ. Militärpräsenz. 1996 wurde R. Mitgl. des Europarates. Im Juni 1994 trat es dem NATO-Programm »Partnerschaft für den Frieden« bei, ohne jedoch einen Sonderstatus durchsetzen zu können. Unterstützt von der russ. Öffentlichkeit, wandte sich die Reg. immer stärker gegen die Osterweiterung der NATO, stellte aber im Juli 1997 mit einer »Grundlagenakte« die Beziehungen R.s zur NATO auf eine vertragl. Basis. Bereits im Mai desselben Jahres hatte R. aber auch eine neue Sicherheitsdoktrin verabschiedet, die (nach dem einseitigen Verzicht der UdSSR auf den Ersteinsatz von Atomwaffen 1982) erneut die Möglichkeit eines atomaren Erstschlags vorsah.
Vor dem Hintergrund der anvisierten NATO-Osterweiterung in Europa intensivierte R. bes. seine Beziehungen zur VR China: u. a. 1993 Abschluss eines Abkommens über die militär. Zusammenarbeit, 1997 Verabschiedung einer »Gemeinsamen sino-russ. Erklärung zur multipolaren Welt und zur Schaffung einer neuen Weltordnung« und Unterzeichnung eines Grenzabkommens. Im Streit mit Japan um die Kurilen ergab sich 1997 eine gewisse Entspannung (Absichtserklärung, einen seit Jahrzehnten ausstehenden russisch-jap. Friedensvertrag bis zum Jahr 2000 abzuschließen; im Febr. 1998 Verhandlungsbeginn). Im Kosovo-Konflikt, in dem R. zunächst die Haltung vertrat, er sei eine innere Angelegenheit Serbiens, versuchte es nach Beginn der NATO-Militäraktion gegen die Bundesrepublik Jugoslawien im März 1999 zu vermitteln. Zu dem serb. Antrag vom April 1999, sich der russisch-weißruss. »Gemeinschaft Souveräner Republiken« anzuschließen, verhielt R. sich jedoch zurückhaltend.
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