Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Ruanda
Ruạnda Fläche: 26 338 km2
Einwohner: (1995) 7,95 Mio.
Hauptstadt: Kigali
Verwaltungsgliederung: 10 Präfekturen
Amtssprachen: Französisch und Kinyaruanda
Nationalfeiertag: 1. 7.
Währung: 1 Ruanda-Franc (F.Rw) = 100 Centimes
Zeitzone: OEZ
(Rwanda, amtlich frz. République Rwandaise, Kinyaruanda: Republika y'u Rwanda), Binnenstaat in Ostafrika, grenzt im N an Uganda, im O an Tansania, im S an Burundi, im W an die Demokrat. Rep. Kongo.
Staat und Recht: Nach der Verf. vom 5. 5. 1995 ist R. eine präsidiale Rep. mit Mehrparteiensystem. Staatsoberhaupt mit exekutiven Vollmachten ist der Präs. (auf fünf Jahre direkt gewählt), die Exekutive liegt bei der Reg. der nat. Einheit unter Vorsitz des Premiermin. Anstelle der 1994 aufgelösten Nationalversammlung fungiert bis zur Durchführung freier Wahlen ein Übergangsparlament (Nat. Entwicklungsrat; 70 Mitgl.) als Legislativorgan. Wichtigste Parteien: Patriot. Front R.s (FPR), Demokrat. Republikan. Bewegung (MDR), Sozialdemokrat. Partei (PSD), Liberale Partei (PL). Die ehem. staatstragende (Hutu-) Partei, die Republikan. Nat. Bewegung (MRND), ist im Parlament nicht mehr vertreten, weil sie für den Völkermord in R. mitverantwortlich gemacht wurde.
Landesnatur: R. liegt auf einem in Schollen zerbrochenen Hochlandblock, der im W in einer Stufe zum Zentralafrikan. Graben mit dem Kiwusee abbricht und sich nach O zur stark versumpften Senke des Kagera abdacht. Im NW erhebt sich die Kette der Virungavulkane, die im Karisimbi auf 4 507 m ü. M. ansteigt. Das wechselhafte trop. Klima ist durch die Höhenlage gemildert.
Bevölkerung: Die Bev. (Ruanda, Nyaruanda) besteht aus drei ethnisch, wirtsch. und sozial voneinander getrennten Gruppen: 1990 gehörten etwa 90 % zu den Ackerbau treibenden Hutu (Bantu), 9 % zu den Vieh züchtenden Tutsi (Hima), etwa 1 % waren Twa (Pygmäen). Typisch für das dicht besiedelte Land ist die Streusiedlung. - Allg. Schulpflicht besteht vom 7. bis 15. Lebensjahr; in Butare gibt es eine Univ. (gegr. 1963). - Über 75 % der Bev. gehören christl. Kirchen an (rd. 48 % der kath. Kirche). Rd. 10 % sind Muslime; ebenfalls etwa 10 % werden traditionellen afrikan. Religionen zugerechnet.
Wirtschaft, Verkehr: R. ist ein v. a. von der Subsistenzwirtschaft lebendes Agrarland; Anbau von Mais, Maniok, Jamswurzel, Hirse, Bohnen, Bataten, Kochbananen, für den Export Kaffee, Tee, Pyrethrum. In der Viehwirtschaft dominiert die Rinderhaltung. Geförderte Bodenschätze sind Zinn, Wolfram, Gold, Beryll, Columbit. Die bed. Methanvorkommen im Kiwusee werden bisher wenig genutzt. Die Industrie verarbeitet v. a. landwirtsch. Produkte; ferner Textil-, Holz-, Lederind. Ausfuhr von Kaffee (60 % der Exporterlöse), Tee, Zinn, Wolfram, Chinarinde, Häuten, Fellen. Haupthandelspartner sind Belgien, Dtl., Kenia und Japan. - Es gibt keine Eisenbahn; das Straßennetz ist 13 170 km lang (davon 900 km befestigt). Auf dem Kiwusee wird Binnenschifffahrt betrieben. Internat. Flughäfen bei Kigali und Kamembe.
Geschichte: Die im 15./16. Jh. eingewanderten Tutsi (Hima) errichteten eine aristokrat. Herrschaft (an der Spitze ein König, der »Mwami«) über die Bev.-Mehrheit der Hutu. 1899 brachte das Dt. Reich das Land unter sein Protektorat (Dt.-Ostafrika); 1920-46 als Völkerbundsmandat, 1946-62 als UN-Treuhandgebiet von Belgien verwaltet (Ruanda-Urundi). 1959 erhoben sich die Hutu und stürzten die Tutsiherrschaft. 1962 wurde R. - unter Abtrennung von Burundi - als Republik unabhängig. Die Überrepräsentierung der Tutsi in der sozialen Oberschicht führte zu ständigen Unruhen, bis nach einem unblutigen Armeeputsch 1973 General J. Habyarimana die Macht übernahm und als Staatspräs. (Wiederwahl 1978, 1983 und 1988) ein Einparteiensystem etablierte. Nach blutigen ethn. Auseinandersetzungen in Burundi flüchteten 1988 rd. 60 000 Hutu nach Ruanda.
Im Okt. 1990 drang die Patriot. Front R.s (FPR), eine Organisation der 1959 v. a. nach Uganda geflüchteten Tutsi, mit 4 000 Mann von Uganda aus in R. ein. Unter dem Druck der Tutsi-Offensive suchte die Reg. mit der Einführung des Mehrparteiensystems (Verf.änderung vom Juni 1991) die innenpolit. Spannungen bes. zw. der Hutu-Mehrheit und der Tutsi-Minderheit zu mildern. Nach versch. gescheiterten Anläufen schlossen Präs. Habyarimana und der FPR-Oberst A. Kanyarengwe am 4. 8. 1993 in Arusha (Tansania) einen Waffenstillstand. Im Nov. 1993 entsandte die UNO im Rahmen der UN-Assistance Mission (UNAMIR) eine Friedenstruppe (2 500 Soldaten) sowie zivile Mitarbeiter zur Überwachung des Friedensprozesses. Dennoch kam es nach dem Tod Habyarimanas beim Absturz seines Flugzeuges am 6. 4. 1994 (Ursachen ungeklärt) zu einem sofortigen Wiederaufflammen des Bürgerkriegs. Dabei fielen etwa 1 Mio. Ruander (meist Tutsi und oppositionelle Hutu) einer systemat. Ausrottungsaktion der extremist. Hutu-Milizen sowie Tausende Hutu den Racheakten der Tutsi zum Opfer, bevor sich die Truppen der FPR bis Anfang Juli 1994 durchsetzen und das ganze Land erobern konnten. 2 Mio. Menschen, meist Hutu, flohen aus Angst vor den Siegern in die Nachbarländer, bes. nach Zaire (heute: Demokrat. Rep. Kongo) und Tansania. Die organisator. und polit. Schwierigkeiten, die sich den zur Hilfe bereiten internat. Organisationen bei der Versorgung der Flüchtlinge entgegenstellten, beschworen die Gefahr einer Hungersnot herauf. Die siegreiche FPR, unter der Führung von P. Kagame, setzte am 19. 7. 1994 eine neue Reg. und den gemäßigten Hutu P. Bizimungu als Staatspräs. ein. Der staatl. Neuanfang (u. a. 1995 neue Verf.) wurde überschattet durch den Völkermord 1994, den u. a. das 1995 von den UN eingesetzte Kriegsverbrechertribunal untersucht (sog. R.-Tribunal), und erschwert durch die Rückkehr von Tutsi-Flüchtlingen (v. a. aus Uganda), Hutu-Flüchtlingen (v. a. aus Tansania) sowie von rd. 1 Mio. Hutu, die 1994 infolge des Bürgerkrieges in R. in das ehem. Zaire geflohen waren, jedoch nach der u. a. auch von R. unterstützten Machtübernahme durch Kabila 1997 von dort wieder vertrieben wurden. Integrationsprobleme führten deshalb wiederholt zu innenpolit. Spannungen sowie gegenseitige Racheakte zu Menschenrechtsverletzungen und blutigen Konflikten.
Literatur:
Hertefelt, M. d'u. Lame, D. de: Société, culture et histoire du Rwanda, 2 Bde. Tervuren 1987.
Werle, O. u. Weichert, K.-H.: R., ein landeskundl. Porträt. Koblenz 1987.
Als die Weißen kamen. R. u. die Deutschen 1885-1919, bearb. v. G. Honke u. a. Wuppertal 1990.
Scherrer, C. P.: Ethnisierung u. Völkermord in Zentralafrika. Genozid in Rwanda, Bürgerkrieg in Burundi u. die Rolle der Weltgemeinschaft. Frankfurt am Main u. a. 1997.
Strizek, H.: Kongo, Zaïre - R. - Burundi. Stabilität durch erneute Militärherrschaft? München 1998.
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