Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Relativitätstheorie
Relativitätstheorie,von E. Mach, H. A. Lorentz, H. Minkowski und J. H. Poincaré vorbereitete, von A. Einstein (seit 1905) formulierte und von ihm u. a. ausgebaute physikal. Theorie der Struktur des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums (Raum).Den Ausgangspunkt der speziellen R. bildet das klass. Relativitätsprinzip, nach dem es z. B. für einen Beobachter im Innern eines geschlossenen Kastens unmöglich ist, durch mechan. Versuche zu entscheiden, ob der Kasten ruht oder sich gleichförmig-geradlinig bewegt. Bewegungen lassen sich nur relativ zu einem Bezugssystem beobachten und messen; alle relativ zueinander geradlinig und gleichförmig bewegten Systeme (Inertialsysteme) sind aber mechanisch gleichwertig: Die mechan. Grundgesetze haben in allen die gleiche Gestalt. Im 19. Jh. wurde die Fragestellung dahingehend erweitert, ob der Bewegungszustand eines Körpers durch optische (elektromagnet.) Versuche festgestellt werden könne. Solange man glaubte, dass das Licht eine Wellenbewegung in einem feinen Medium (dem »Äther«) sei, musste man erwarten, dass z. B. eine Bewegung der Erde relativ zum Äther durch Messungen der Lichtgeschwindigkeit in versch. Richtungen ermittelt werden könnte. Bei der Ausführung solcher Versuche (bes. A. A. Michelson 1881) zeigte sich, dass das von einem Stern zur Erde kommende Licht relativ zur Erde stets die gleiche Geschwindigkeit besitzt, einerlei, ob die Erde dem Licht entgegenläuft oder nicht. Diese paradoxe Erfahrung machte Einstein zum Prinzip der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit und baute darauf eine neue Lehre von Raum und Zeit auf. Er zeigte, dass die bis dahin in der Physik übl. Vorstellung von absoluter Gleichzeitigkeit sich nicht aufrechterhalten lässt, sondern dass jede Zeitangabe an ein Bezugssystem gebunden ist (Lorentz-Transformation). Das führt zu einer vom herkömml. Verständnis abweichenden Relativierung der Gleichzeitigkeit: zwei räumlich getrennte, in einem bestimmten Inertialsystem gleichzeitig stattfindende Ereignisse fallen in einem relativ dazu bewegten System zeitlich auseinander. Die Zeit eines in schnelle Bewegung versetzten Gegenstandes vergeht für den ruhenden Beobachter langsamer als für einen mitbewegten Beobachter (Zeitdilatation). Zugleich verkürzen sich die in die Bewegungsrichtung fallenden räuml. Abmessungen des bewegten Gegenstandes, von einem ruhenden Beobachter gemessen, gegenüber der vom mitbewegten Beobachter gemessenen Länge (Lorentz-Kontraktion, Längenkontraktion). Beide Effekte werden jedoch erst bei sehr hohen, mit der Lichtgeschwindigkeit c vergleichbaren Geschwindigkeiten merklich. Damit hängt eng zusammen, dass die Lichtgeschwindigkeit eine für Bewegungen unüberschreitbare Grenzgeschwindigkeit ist. Deshalb verlangt die R. auch, dass es nur Nahewirkung gebe, d. h., dass jeder physikal. Vorgang nur durch Vermittlung einer sich höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitenden Wirkung auf andere, räumlich entfernte Vorgänge einwirken könne. Eine weitere Folgerung aus der speziellen R. ist das Anwachsen der trägen Masse eines bewegten Körpers mit seiner Geschwindigkeit und die Äquivalenz von Masse m und Energie E, E = mc2. Diese Erkenntnis wurde von grundlegender Bedeutung für die Kern- und Elementarteilchenphysik; sie umfasst v. a. die Möglichkeit zur Gewinnung von Kernenergie.Mit der allgemeinen R. von A. Einstein (1915) kann man das Relativitätsprinzip auch für beschleunigte Bewegungen anwenden, wenn man Gravitationsfelder mit in Betracht zieht. Der in einem Kasten eingeschlossene Beobachter kann durch physikal. Versuche grundsätzlich nicht entscheiden, ob der Kasten sich im gravitationsfreien Raum geradlinig-gleichförmig bewegt (oder ruht), oder ob er durch ein Gravitationsfeld beschleunigt wird (in ihm »frei fällt«). Die Ununterscheidbarkeit beruht auf der universellen Gleichheit der schweren und der trägen Masse, woraus Einstein auf eine enge Verknüpfung der Metrik der vierdimensionalen Raum-Zeit-Welt mit dem Gravitationsfeld schloss. Alle durch homogene Gravitationsfelder beschleunigten Bewegungen sind physikalisch den nicht durch Gravitation beschleunigten Bewegungen im feldfreien Raum (Äquivalenzprinzip) gleichwertig. Das Vorhandensein von Gravitationsfeldern bedingt eine (von Ort zu Ort wechselnde) »Krümmung« des Raums; eine Bewegung unter dem Einfluss von Gravitationskräften ist so nur eine andere Beschreibungsweise für eine kräftefreie Bewegung bei Raumkrümmung. - Während im Rahmen der speziellen R. angenommen wurde, dass die Geometrie des vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuums unabhängig von der Materie ist, wird sie nach der allg. R. von der Verteilung und Bewegung der Materie im Weltall festgelegt. Wegweisende Anregungen hat die allg. R. für die Vorstellungen vom Aufbau des Universums gebracht (Kosmologie); sie wird durch eine ganze Reihe experimenteller Tests ihrer Vorhersagen bestätigt (Periheldrehung der Merkurbahn, Lichtablenkung im Gravitationsfeld, Gravitationslinsen, Rotverschiebung des Lichts im Gravitationsfeld u. a.). Der direkte Nachweis der von der allg. R. - die eine klass. Feldtheorie der Gravitation (einsteinsche Gravitationstheorie) ist - vorhergesagten Gravitationswellen steht noch aus.
Literatur:
Schröder, U. E.: Spezielle R. Frankfurt am Main 21987.
Calder, N.: Einsteins Universum. A. d. Engl. Stuttgart u. a. 1988.
Fritzsch, H.: Eine Formel verändert die Welt. Newton, Einstein u. die R. München u. a. 20.-29. Tsd., 31990.
Hentschel, K.: Interpretationen u. Fehlinterpretationen der speziellen u. allg. R. durch Zeitgenossen Albert Einsteins. Basel 1990.
Sexl, R. U. u. Urbantke, H. K.: Gravitation u. Kosmologie. Eine Einführung in die allgemeine R. Heidelberg u. a. 41995.
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