Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Raum
Raum,1) Mathematik: urspr. (sowie in der Elementargeometrie) ein sich in drei Dimensionen (Länge, Breite, Höhe) ohne feste Grenzen ausdehnendes Gebiet (Anschauungs-R.); i. w. S. jede mit einer bestimmten Struktur versehene Menge von Elementen, z. B. Punkte, Vektoren (Vektor-R.), Funktionen (Funktionen-R.), zw. denen bestimmte Relationen bestehen (abstrakter R.). Dem Anschauungs-R. am nächsten kommt der dreidimensionale euklid. R.3, dessen Weiterentwicklung der n-dimensionale euklid. R. ℝn ist. Der ℝn lässt sich darüber hinaus mit der Struktur eines Vektorraumes versehen; eine Verallgemeinerung führt vom ℝ n zum Begriff des abstrakten Vektor-R., dessen Dimension nicht mehr endlich sein muss. Zu den aus der nichteuklid. Geometrie entwickelten nichteuklid. R. gehört der riemannsche R. Der Begriff des Abstandes zweier Elemente in einem metr. R. (Metrik) führt zur Definition eines Umgebungsbegriffs, der in topolog. R. (Topologie), der allgemeinsten Form des R., definiert ist.
2) Philosophie: R.-Theorien wurden v. a. im Rahmen von kosmolog. Systembildungen entwickelt. In der R.-Theorie von Demokrits Atomismus wird der R. als Leere bestimmt, in der sich die Atome bewegen. Die philosoph. R.-Theorien des MA. sind orientiert an der gegen Demokrit gerichteten aristotel. Vorstellung des R. als des die Körper Begrenzenden; der R. könne daher nicht leer sein. Während Thomas von Aquin von einem engen Zusammenhang zw. R. und Materie ausgeht, identifiziert Descartes R. (Ausdehnung) mit Materie. - Ansätze zu einer im eigentl. Sinn wiss. Theorie des R. finden sich v. a. bei Leibniz, der den bisher herrschenden Begriff des absoluten R., den auch Newton vertritt, durch den Inbegriff von Ordnung und Beziehung abgelöst wissen will. Erkenntnistheoretisch bestimmt Kant den R. als reine Anschauungsform und damit als eine der Möglichkeitsbedingungen jeder Erfahrung; der Wirklichkeit unabhängig vom Erfahrenden spricht er somit Räumlichkeit ab.
Literatur:
Reichenbach, H.: Gesammelte Werke, Bd. 2: Philosophie der R.-Zeit-Lehre. Braunschweig u. a. 1977.
Jammer, M.: Das Problem des R. Die Entwicklung der Raumtheorien. A. d. Engl. Darmstadt 21980.
3) Physik: grundlegender Begriff der Physik, mit dem man v. a. die Ausdehnung, gegenseitige Anordnung und Wechselwirkung von Körpern und Feldern erfasst; urspr. nur der von materiellen Objekten ausgefüllte dreidimensionale physikal. R. Die von der klass. Physik angenommene Existenz eines absoluten R., der isotrop und homogen und dessen Eigenschaften unabhängig von den darin vorhandenen materiellen Gegenständen und deren Veränderungen sein sollten, wurde von der Relativitätstheorie widerlegt. Nach der speziellen Relativitätstheorie hängen die Ergebnisse von Längen- und Zeitmessungen vom relativen Bewegungszustand des Beobachters bezüglich des Messobjekts ab; ein absolutes Bezugssystem existiert nicht, ebenso wenig eine absolute Zeit. Die drei R.-Dimensionen werden mit der Zeit als vierte Koordinate zu einem vierdimensionalen metr. R. (R.-Zeit, R.-Zeit-Kontinuum, R.-Zeit-Welt) vereinigt, der in der speziellen Relativitätstheorie durch den Minkowski-Raum beschrieben wird (ebene R.-Zeit). Nach der allg. Relativitätstheorie hängen die Maßverhältnisse im R. von der in ihm enthaltenen Materie ab (experimentell durch die Lichtablenkung in starken Gravitationsfeldern bestätigt). Den Massen und ihrer Gravitation entspricht eine von der jeweiligen Materieverteilung abhängige Krümmung der nun nichteuklid. R.-Zeit (gekrümmte R.-Zeit, R.-Krümmung), die durch eine vierdimensionale riemannsche Geometrie beschrieben wird. Der R. kann dabei endlich oder unendlich sein und selbst dynam. Verhalten wie Expansion oder Kontraktion zeigen. Nach der modernen Kosmologie ist das Weltall (analog einer Kugeloberfläche) ein endlicher, aber unbegrenzter R., dessen Radius und Volumen endlich sind, der aber durch seine Krümmung in sich selbst zurückläuft und daher unbegrenzt ist. Im Bereich sehr kleiner Entfernungen (von der Größenordnung der planckschen Elementarlänge) scheint das R.-Zeit-Kontinuum ständigen Fluktuationen unterworfen zu sein, die nach der Quantentheorie der Gravitation dem leeren R. (Vakuum) in Form »virtueller Teilchen« zugeschrieben werden und z. B. zu dessen Polarisation führen. - Für die theoret. Physik von großer Bedeutung sind abstrakte R. als mehrdimensionale Zustands-R. physikal. Systeme, wie der Phasen-R. der statist. Mechanik und der Hilbert-R. der quantenmechan. Zustandsfunktionen.
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