Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Rationalismus
Rationalịsmus[zu lat. ratio »Vernunft«] der, die Überzeugung, dass die Struktur der Welt der Vernunft gemäß, d. h. von log., gesetzmäßig berechenbarer Beschaffenheit, sei. Der metaphys. R. behauptet eine Identität von Vernunft (Denken) und Wirklichkeit (Sein; so Parmenides, Platon, Hegel). Der erkenntnistheoret. R. geht, im Ggs. zum Empirismus (Locke, Hume), davon aus, dass es Vernunftwahrheiten gebe, die nicht aus der Erfahrung geschöpft, ihr vielmehr, sie ermöglichend, zugrunde liegen, und dass auf ihnen das Gebäude der Philosophie zu errichten sei (Kant). Als Vorbild reiner Vernunfterkenntnis gelten die Mathematik und die Naturwiss. Nach rationalist. Auffassung sind auch alle geschichtl. Erscheinungen, bes. die Kulturgebilde, aus vernunftgeleiteten Erwägungen und Entschlüssen der handelnden Menschen entstanden, z. B. der Staat aus bewusster Vereinbarung, Sprache und Kunst aus absichtsvoller Erfindung, Religion ohne Offenbarung. - Gegen die in der neuzeitl. Philosophie mit Descartes beginnenden und in der Philosophie von Leibniz und C. Wolff gipfelnden rationalist. Systeme wandte sich Kants Kritik; er sprach der Vernunft lediglich eine die menschl. Erfahrung konstituierende bzw. regelnde Funktion zu (method. R.), ihr dabei jedes Ausgreifen auf das Sein an sich verbietend. Die Auswirkungen des R. waren, bes. in der Religionswiss. und prot. Theologie, vom 17. bis zum 19. Jh. groß (Überprüfung der Glaubenslehre an den Maßstäben der Vernunft, Umdeutung der Dogmen in Vernunftwahrheiten, der Wunder in natürl. Vorgänge). kritischer Rationalismus.
Literatur:
Zelený, J.: Dialektik der Rationalität. Köln 1986.
Bachelard, G.: Die Bildung des wiss. Geistes. A. d. Frz. Frankfurt am Main 1987.
Böhme, G.: Wirkungsgeschichte des Humanismus im Zeitalter des R. Darmstadt 1988.
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