Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Rassismus
Rassịsmusder, Gesamtheit der Theorien und polit. Lehren, die versuchen, kulturelle Fähigkeiten und Entwicklungslinien der menschl. Geschichte nicht auf polit. und soziale, sondern auf biologisch-anthropolog. (d. h. typolog.) Ursachen zurückzuführen; i. e. S. alle Lehren, die aus solchen Zusammenhängen eine Über- bzw. Unterlegenheit einer menschl. Rasse gegenüber einer anderen behaupten, um Herrschaftsverhältnisse zu rechtfertigen sowie mithilfe dieser Ideologie Massen für objektiv andere (z. B. polit. oder wirtsch.) Interessen zu mobilisieren. Der R. liefert innenpolitisch die Begründung für Diskriminierung, Unterprivilegierung oder Unterdrückung ethn. Gruppen (oft Minderheiten), die als Vertreter anderer Rassen bezeichnet werden. Außenpolitisch wird der R. zur Rechtfertigung von Imperialismus und Kolonialismus herangezogen.
Ideengeschichte: Seit dem Aufkommen der Ideale der bürgerl. Aufklärung - Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit - bedurften Sklaverei und Kolonialismus einer Rechtfertigungsideologie, die die »rassische« Überlegenheit der Europäer über die Weltbev. beweisen sollte. In anthropolog. Theorien über den Zusammenhang von Kultur und rass. Beschaffenheit wurde dabei der biolog. Begriff der Rasse mit dem ethnisch-soziolog. Begriff »Volk« vermengt. Verbreitung erreichte der R. v. a. im 19. Jh., als die Theorien C. R. Darwins von der natürl. Auslese in sozialdarwinist. Interpretation in die Rassentheorien übernommen wurden. J. A. Graf von Gobineau entwickelte die Lehre von der Ungleichheit innerhalb der weißen Rasse, deren reiner Kern die »arische« Rasse sei. Beeinflusst von dieser Theorie einer zur Herrschaft berufenen Eliterasse waren F. Nietzsche und H. S. Chamberlain. Ähnl. Rassenlehren entstanden im 19. Jh. auch in den USA. Im 20. Jh. verschmolzen nationalist. und rassentheoret. Gedankengänge zu rassist. Ideologien, v. a. im Antisemitismus (obwohl die Juden keine eigenständige biolog. Rasse darstellen) während der Zeit des Nationalsozialismus. Neuerdings bedient sich der R. z. B. verhaltensbiolog. Argumente.
Literatur:
Micksch, J.: Kulturelle Vielfalt statt nat. Einfalt. Eine Strategie gegen Nationalismus u. R. Frankfurt am Main 1989.
Mosse G. L.: Die Geschichte des R. in Europa. A. d. Amerikan. Frankfurt am Main 1990.
Geiss, I.: Geschichte des R. Frankfurt am Main 31991.
Miles, R.: R. Einführung in die Geschichte u. Theorie eines Begriffs. A. d. Engl. Hamburg u. a. 1991.
Balibar, É. u. Wallerstein, I.: Rasse, Klasse, Nation. Ambivalente Identitäten. A. d. Frz. Hamburg u. a. 21992.
Memmi, A.: R. Aus dem Frz. Neuausg. Hamburg 1992.
Theorien über R. Eine Tübinger Veranstaltungsreihe, hg. v. O. Autrata u. a. Hamburg u. a. 5.-6. Tsd. 1992.
Poliakov, L.: Der arische Mythos. Zu den Quellen von R. u. Nationalismus. A. d. Frz. Hamburg 1993.
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