Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Radioaktivität
Radio|aktivitätdie, Eigenschaft bestimmter Atomkerne oder allg. Nuklide (Radionuklide), sich spontan, d. h. ohne äußere Einwirkung, in andere Atomkerne umzuwandeln (radioaktiver Zerfall), wobei Energie in Form von Teilchen (wie Alphateilchen [α-Teilchen] und Betateilchen [β-Teilchen]) und/oder elektromagnet. Strahlung (Gammastrahlung [γ-Strahlung]) frei wird. Ursache der R. ist stets eine Instabilität der Kerne infolge eines Überschusses an Protonen oder Neutronen, der durch Aussendung der für die versch. Zerfallsarten charakterist. Teilchen oder durch Elektroneneinfang beseitigt wird. Je nachdem, ob die radioaktiven Nuklide oder Isotope in der Natur vorkommen oder künstlich durch Kernreaktionen erzeugt werden, unterscheidet man natürl. und künstl. R. - Der radioaktive Zerfall verläuft nach rein statist. Gesetzen. Welcher einzelne Atomkern aus einer Anzahl radioaktiver Atomkerne in einem Zeitabschnitt zerfallen wird, lässt sich nicht voraussagen, jedoch zerfällt je Zeiteinheit bei einem einheitl. radioaktiven Stoff stets der gleiche, der vorhandenen Gesamtmenge proportionale Bruchteil; von N0 radioaktiven Atomkernen zur Zeit t0 = 0 sind zur Zeit t nur noch N = N 0 e λt vorhanden. Die Zahl λ heißt Zerfallskonstante oder -rate. Sie gibt an, welcher Bruchteil einer Menge von Atomen eines Isotops in der Zeiteinheit radioaktiv zerfällt; auf die Halbwertszeit T1/2 bezogen gilt: T1/2 = ln 2/λ.Natürliche R.: Die von natürl. Strahlern ausgesandte Strahlung besteht aus Heliumkernen (Alphastrahlen), Elektronen (Betastrahlung) und γ-Quanten (Gammastrahlung). Da die Heliumkerne die Massenzahl 4 und die positive Ladung von zwei Elementarladungen haben, verwandelt sich ein α-Strahler bei seinem radioaktiven Zerfall in ein Nuklid eines neuen Elements, dessen Ordnungszahl um zwei und dessen Massenzahl um vier Einheiten geringer ist als die des Ursprungskerns. Bei einem β-Strahler tritt praktisch kein Massenverlust ein; die Ordnungszahl wird jedoch um eine Einheit erhöht. γ-Strahlen werden von angeregten Kernen, die z. B. nach Aussendung eines α- oder β-Teilchens zurückbleiben, beim Übergang in einen energetisch tieferen Zustand emittiert.
Man kann vier Zerfallsreihen für die radioaktiven Elemente mit Ordnungszahlen größer als 80 aufstellen, in denen die durch radioaktiven Zerfall auseinander entstehenden Kernarten angeordnet sind: die Uran-Radium-Reihe (Ausgangs- oder Mutternuklid 238U), die Thoriumreihe (Ausgangsnuklid 232Th), die Uran-Actinium-Reihe (Ausgangsnuklid 235U), die Neptuniumreihe. Letztere kommt in der Natur nicht vor, da ihr längstlebiges Glied und Ausgangsnuklid, 237Np, seit Entstehung des Sonnensystems praktisch vollständig zerfallen ist. In Uranerzen stehen sämtl. Folgeprodukte des Urans mit diesem und untereinander in radioaktivem Gleichgewicht. Die drei in der Natur vorkommenden Zerfallsreihen enden alle bei stabilen Isotopen des Bleis. Aus der Menge des Bleis in Uranerzen kann man auf die Menge des zerfallenen Urans und damit auf das Alter des betreffenden Erzes schließen. Dies erlaubt Rückschlüsse auf das Alter der Erde überhaupt. Geolog. Bedeutung hat auch die R. des Kaliumisotops 40K (Halbwertszeit 1,28 Mrd. Jahre). Wegen seiner großen Häufigkeit in Gesteinen ist die bei seinem Zerfall entstehende Wärme eine Hauptquelle der Erdwärme. Zur Altersbestimmung von organ. Stoffen wird das Kohlenstoffisotop 14C benutzt (Radiocarbonmethode). Auch der Zerfall der durch Wechselwirkung der Höhenstrahlung mit der Atmosphäre und mit Meteoriten erzeugten kurzlebigen Nuklide sowie die spontane Kernspaltung kann zur natürl. R. gerechnet werden.Künstliche R.: Die weit über 1 000 künstlich erzeugten Nuklide (z. B. durch Kernreaktionen mit hochenerget. Teilchen in Beschleunigern) sind fast durchweg β- und γ-Strahler; zusätzlich emittieren jedoch viele solcher Kerne Positronen (Positronenstrahler [β+-Strahler]), wodurch sich ihre Ordnungszahl um eine Einheit vermindert. Daneben gibt es bei künstlich radioaktiven Nukliden den K-Einfang (Einfangprozesse). Relativ selten sind Neutronen- und Protonenstrahler, bei denen der radioaktive Zerfall durch verzögerte Neutronen oder Protonen erfolgt.Messung der R.: Die SI-Einheit der Aktivität eines radioaktiven Stoffes ist das Becquerel (ältere Einheit Curie). Die physikal. Wirkung der radioaktiven Strahlung wird gekennzeichnet durch die Ionendosis (Dosis), gemessen in Coulomb/Kilogramm (ältere Einheit Röntgen), und die Energiedosis, gemessen in Gray (ältere Einheit Rad), die biolog. Wirkung am menschl. Körper durch die Äquivalentdosis, gemessen in Sievert (ältere Einheit Rem). Jede der emittierten Strahlungsarten kann (feste) Materie mehr oder weniger gut durchdringen und ionisieren. Zur Messung der R. ermittelt man z. B. mit Elektrometern die Ionisation einer Luftmenge, oder man zählt die Teilchen einzeln im Zählrohr oder macht ihre Bahnen in der Nebelkammer sichtbar. Auch die Schwärzung von Fotoplatten (Kernspurplatten) und die Dichte und Zahl der Szintillationen auf fluoreszierenden Oberflächen bilden ein Maß für die Radioaktivität.Biologische Wirkung: Die Wirkung radioaktiver Strahlung auf lebende Organismen, die stark von der Intensität und Reichweite abhängt, zeigt sich z. B. in einer Herabsetzung der Keimungsfähigkeit von Samen und in Entwicklungshemmungen und Missbildungen bei Mensch und Tier. Durch geringe Dosen kann das Wachstum jedoch auch angeregt werden. Gewebe sind umso empfindlicher, je jünger ihre Zellen und je größer deren Teilungsgeschwindigkeit ist. Daher werden v. a. Keimdrüsen und Blut bildende Organe bei zu hoher Strahlungsdosis geschädigt, aber auch schnell wachsende Geschwulstbildungen (Krebs, Sarkom). Hierauf beruht die Strahlentherapie bei Krebs. α-Strahlen sind wegen ihrer kurzen Reichweite weitgehend unschädlich, solange nicht alphastrahlende Substanzen in den Körper gelangen; Strahlenschäden werden daher v. a. von den durchdringenden γ-Strahlen und energiereichen β-Strahlen verursacht. (Strahlenschutz)Geschichte: Natürl. R. wurde zuerst 1896 von A. H. Becquerel am Uran nachgewiesen, 1898 fanden P. und Marie Curie in der Pechblende Polonium und Radium. Die künstl. R. wurde 1934 von F. und Irène Joliot-Curie entdeckt.
Literatur:
Pohlit, W.: R. Mannheim u. a. 1992.
Stolz, W.: R. Grundlagen, Messung, Anwendungen. Stuttgart u. a. 31996.
Umweltradioaktivität, hg. v. A. Siehl. Berlin 1996.
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