Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
polnische Literatur.
pọlnische Literatur.Die frühesten literar. Zeugnisse, in lat. Sprache abgefasst, sind religiöse und historiograph. Prosawerke aus dem 12. Jh. Seit dem 14. Jh. entstanden Predigten, Lieder, Bibelübersetzungen, Legenden u. a. in poln. Sprache.Renaissance (1500-1620): Unter dem Einfluss der italien. Renaissance entstand der poln. Humanismus, der erstmals eine umfangreiche Literatur in poln. Sprache hervorbrachte: zunächst Prosaübersetzungen mittelalterl. Stoffe, dann poln. Originalprosa. Erster bed. Vertreter war M. Réj. Die moralisch-didakt. und publizist. Ausrichtung zeigte sich bes. in den polit. Traktaten von A. Frycz Modrzewski und seines Gegners S. Orzechowski, in den historiograph. Werken von M. Bielski und B. Paprocki sowie in den Heiligenviten und Predigten des Jesuiten P. Skarga. Höhepunkt dieser Epoche ist die Lyrik J. Kochanowskis.Barock (1620-1764): Die wechselvollen Ereignisse (Kriege, Kosakenaufstände) spiegeln sich in der Literatur wider: histor. Epen (W. Potocki), histor. Gesänge (W. Kochowski) und Reimchroniken (S. Twardowski), Satiren (K. Opaliński). Die Lyrik erlebte durch den »christl. Horaz«, M. K. Sarbiewski (Sarbevius), durch S. Zimorowic und J. A. Morsztyn, die den Konzeptionismus und den Marinismus übernahmen, einen neuen Aufschwung. Mitte des 18. Jh. schrieben W. Rzewuski und Urszula Radziwiłłowa an frz. Vorbildern ausgerichtete Dramen.Aufklärung (1764-95): Sie stand im Zeichen der geistigen Erneuerung Polens. Kritik an den bestehenden Missständen übten Satiren (A. Naruszewicz, I. Krasicki, F. Bohomolec), Fabeln (Krasicki, F. D. Kniaźnin, S. Trembecki) und Komödien (Bohomolec, F. Zabłocki, J. U. Niemcewicz). Am Anfang des modernen poln. Romans stehen die Prosawerke Krasickis. Die Lyrik war durch die empfindsamen Gedichte F. Karpińskis sowie die patriot. Lieder und Liebesgedichte Kniaźnins vertreten. Neben der empfindsamen »Comédie larmoyante« hob sich die von der Folklore beeinflusste kom. Oper »Die Krakauer und die Goralen« (1794) von W. Bogusławski, dem Schöpfer des poln. Theaters, ab.Klassizismus und Empfindsamkeit (1795 bis 1822): Nach der 3. Poln. Teilung (1795) setzte der »Warschauer Klassizismus« die aufklärer. Tendenzen fort (histor. Gesänge von J. U. Niemcewicz, 1816), förderte die Entwicklung der poln. Sprache und die Ausbildung der Tragödie (A. Feliński ), Ode (K. Koźmian) und Satire (S. K. Graf Potocki). Fast gleichzeitig erschienen sentimentale Werke, wie die Idylle »Wiesław« (1820) von K. Brodziński und der Roman »Malwina« (1816) von Maria Wirtemberska. Durch »Balladen und Romanzen« (1822) und das Epos »Grażyna« sowie die dramat. Fragmente »Dziady« (1823) von A. Mickiewicz kam die Romantik zum Durchbruch.Romantik (1822-63): Nach dem Verlust der Staatlichkeit übernahm die Literatur die polit. Aufgabe, die nat. Einheit zu wahren. Die Werke der drei großen Romantiker A. Mickiewicz, J. Słowacki und Z. Krasiński sahen in diesem Sinn v. a. im poet. Drama die den persönl. und gesellschaftl. Konflikten des Menschen am besten entsprechende Form. Die von Mickiewicz formulierte messianist. Ideologie vom Polen als Christus der Völker wurde im dramat. Schaffen Słowackis philosophisch überhöht und wich dann der myst. Vorstellung einer Revolution aus dem Geist. Beide Dichter ragten auch als Lyriker hervor. Die zeitgenöss. Bühne wurde von histor. Dramen und Komödien beherrscht (A. Graf Fredro »Zemsta«, 1834). In der Versepik sind das poln. Nationalepos »Herr Thaddäus oder der letzte Eintritt in Litthauen« (1834) von Mickiewicz und das Epos »Beniowski« (1841) von Słowacki zu nennen. Die große Prosaform wurde durch die histor. Romane J. I. Kraszewskis und die fiktiven Memoiren alter poln. Adliger (H. Rzewuski, I. Chodźko) gefördert.Positivismus (1864-90): Nach Tendenzromanen und -erzählungen setzte sich der krit. Realismus mit verschärfter sozialer Problematik durch (Eliza Orzeszkowa, H. Sienkiewicz [Nobelpreis 1905], B. Prus). Daneben gab es histor. Romane, die den Patriotismus förderten (J. I. Kraszewski u. a.). In der Dramatik ragten die Tragödien und Komödien C. K. Norwids hervor.Modernismus (1890-1918): In dieser auch »Junges Polen« (»Młoda Polska«) genannten Epoche nahm die Lyrik, von westeurop. Symbolisten beeinflusst, neuen Aufschwung mit der Natur- und Liebeslyrik von K. Tetmajer-Przerwa, der »L'art-pour-l'art«-Dichtung S. Przybyszewskis, den hymn. Liedern von J. Kasprowicz und der Reflexionslyrik L. Staffs. Beim Drama heben sich die Bühnenwerke von S. Wyspiański hervor (»Die Hochzeit«, 1901; histor. Dramen), auch die gesellschaftskrit. Komödien Gabriela Zapolskas, die histor. Tragödien K. H. Rostworowskis und die expressionist. Dramen T. Micińskis. Im Roman wurden die positivist. Tendenzen fortgesetzt (W. S. Reymont »Die Bauern«, 1904-09; Nobelpreis 1924). S. Żeromski behandelte gesellschaftl. und geschichtl. Themen. W. Berent und K. Irzykowski setzten sich mit jungpoln. Konzeptionen auseinander. Große Bedeutung hatte die Literaturkritik.Zwischenkriegszeit (1918-39): Um die Zeitschrift »Skamander« (1920-28 und 1935-39) bildete sich eine Dichtergruppe, die für alltägl. Sprache und Inhalte in der Poesie eintrat, sonst aber das »Programm der Programmlosigkeit« verkündete (J. Tuwim, A. Słonimski, J. Lechoń, K. Wierzyński, J. Iwaszkiewicz). Um »Zdrój« (1917-22) gruppierten sich die Expressionisten J. und W. Hulewicz, J. Wittlin u. a., entscheidende Impulse kamen von den Futuristen T. Czyżewski, A. Stern. Die »Krakauer Avantgarde« scharte sich um T. Peiper und die Zeitschrift »Zwrotnica« (1922-27), deren Konzeption in »Linia« (1931-33) von A. Ważyk, J. Przyboś und J. Kurek weiterentwickelt wurde. Die Prosa beschäftigte sich hauptsächlich mit dem Weltkrieg und dem polit. und wirtsch. Wiederaufbau des Staates (Żeromski, A. Strug, J. Kaden-Bandrowski, J. Weyssenhof). Höhepunkte der Romanliteratur sind die Familiensaga »Nächte und Tage« (1932-34) von Maria Dąbrowska, Zofia Nałkowskas psycholog. Gesellschaftsanalyse »Die Schranke« (1935), die psycholog. Romane M. Choromańskis und Maria Kuncewiczowas, der proletar. Roman Wanda Wasilewskas sowie die antirealist., grotesken Romane von S. I. Witkiewicz, B. Schulz und W. Gombrowicz.Nachkriegszeit: Der Zweite Weltkrieg und die Zeit dt. Okkupation forderten unter den Schriftstellern viele Opfer. Nach 1945 herrschten in der Prosaliteratur zunächst Themen wie Kriegszeit (Z. Nałkowska, W. Żukrowski), KZ-Erlebnisse (T. Borowski), Nachkriegswirren (J. Andrzejewski, »Asche und Diamant«, 1948) vor. In der Lyrik spiegelte sich der Krieg in den Gedichten von T. Różewicz, Staff, Tuwim, W. Broniewski, J. Przyboś, C. Miłosz (Nobelpreis 1980) wider. Bes. beliebt war K. I. Gałczyński mit seinen grotesk-satir. Gedichten und Liebeslyrik. Der 1949 beschlossene sozialist. Realismus wurde mit der organisator. und personellen Gleichschaltung des Kulturlebens begonnen und führte zum Verlust künstler. Vielfalt. Die künstler. Monotonie wurde 1954 durch Staffs Gedichtband »Wiklina« durchbrochen; 1955 begann die Kritik an der staatl. Kulturpolitik. Als programmat. Schrift des »Tauwetters« gilt A. Ważyks »Ein Gedicht für Erwachsene« (1955), der eine Welle der »Abrechnungsliteratur« auslöste (K. Brandys, Andrzejewski, J. Broszkiewicz). Dem polit. Umbruch im Okt. 1956 folgte eine Welle von Übersetzungen moderner Werke, von formalen und themat. Experimenten. In der Prosa entstanden große Romane (J. Iwaszkiewicz), historische Erzählwerke und Sciencefictionliteratur (S. Lem), doch bald trat die kleine Erzählform in den Vordergrund: in der Darstellung des sozialist. Alltags (M. Hłasko, A. Brycht, S. Grochowiak, M. Nowakowski, W. Odojewski), in der Schilderung des Dorflebens (E. Bryll), in grotesken und surrealen Sujets (S. Mrożek, S. Zielinśki). Bes. reich an formalen Versuchen und themat. Varianten ist die Lyrik nach 1956. Zu den bereits bekannten Dichtern (T. Różewicz, W. Woroszylski, W. Wirpsza, Z. Herbert) trat eine neue Generation, für die künstler. Raffinement und iron. Haltung kennzeichnend sind (Wisława Szymborska [Nobelpreis 1996], Grochowiak, J. Harasymowicz). Als Dramatiker haben sich v. a. Grochowiak und Mrożek durchgesetzt.
Eine neue Krise des literar. Lebens begann 1968; die studentischen Märzunruhen veranlassten einige Schriftsteller zur Solidarisierung (z. B. L. Kołakowski), die Augustereignisse in der Tschechoslowakei wurden u. a. von Andrzejewski (Publikationsverbot) und Mrożek (danach im Ausland) scharf verurteilt. Die antisemit. Kampagne (seit 1967) zwang einige Autoren zum Verlassen des Landes. Die Lyrik reagierte darauf mit der sprach- und gesellschaftskritisch eingestellten Generation der »Neuen Welle« (J. Kornhauser, A. Zagajewski). In der Prosa profilierte sich die Dorfthematik (neben J. Kawalec, T. Nowak und E. Redliński v. a. W. Myśliwski), eine Hinwendung zum sprachlichen Experiment machte sich bemerkbar. Zu einer bis Ende der 80er-Jahre andauernden Polarisierung führte das im Dez. 1981 verhängte Kriegsrecht, das die Auflösung, Suspendierung oder linientreue Neugründung von Kulturverbänden zur Folge hatte. Die polit. Ereignisse dieser Zeit fanden ein vielfältiges Echo in der Literatur, die im Untergrund oder im Ausland gedruckt wurde: u. a. in den Erzählungen von M. Nowakowski, bei J. Głowacki, Brandys oder Herbert. Daneben ist jedoch nach 1985 eine Tendenz zur apolit., individualist., sprachlich-ästhetisch ausgerichteten Lyrik und Prosa festzustellen. Die Ablösung des kommunist. Regimes (1989) und die Einführung von polit. Pluralismus und Marktwirtschaft führten zu einer Krise des literar. Lebens und zur Verminderung der literar. Produktion. Durch Übersetzungen westl. Unterhaltungsliteratur ging der p. L. ein großer Teil des Lesepublikums verloren, gefragt blieben v. a. Publikationen der ehemaligen poln. Exilliteratur sowie bis dahin verbotene Werke. Einen themat. Schwerpunkt bilden in den letzten Jahren v. a. Prosawerke, die das komplizierte polnisch-jüd. Verhältnis und die dt.-poln. Beziehungen gestalten (Maria Nuroswka, A. Szczypiorski, P. Huelle, J. Rymkiewicz, P. Szewc).
Literatur:
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Miązek, B.: P. L. 1863-1914. Darstellung u. Analyse. Wien 1984.
Fleischer, M.: Die poln. Lyrik von 1945 bis 1985. Entwicklung - Generationenfolge - Periodisation. Essen 1986.
Kuczynski, K. A.: P. L. in dt. Übersetzung von den Anfängen bis 1985. Darmstadt 1987.
Scholze, D.: Zwischen Vergnügen u. Schock. Poln. Dramatik im 20. Jh. Berlin (Ost) 1989.
Ritz, G.: Die poln. Prosa 1956-1976. Bern u. a. 1990.
Miązek, B.: P. L. des Mittelalters u. der Renaissance. Frankfurt am Main u. a. 1993.
Dictionary of Polish literature, hg. v. E. J. Czerwinski. Westport, Conn., 1994.
Kuhnke, I.: Poln. schöne Lit. in dt. Übersetzung, 1900—1992/93. Mainz 21995.
Die Dichter Polens. Hundert Autoren vom Mittelalter bis heute, hg. v. K. Dedecius. Neuausg. Frankfurt am Main 1996.
Kroll, W.: Epochen der p. L. Göttingen 1996.
Zeitgenössische p. L. der achtziger u. neunziger Jahre, hg. v. H.-C. Trepte. Leipzig 1996.
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