Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Pädagogik
Pädagogik[grch. »Erziehungskunst«] die, philosophisch orientierter Theoriezweig, der sich mit Bildung, Erziehung und Unterricht und den sie tragenden Grundvorstellungen einer Gesellschaft oder gesellschaftl. Gruppen auseinander setzt. Dabei werden Sinn und Maß, Begründung und Rechtfertigung, Möglichkeiten, Ziele und Grenzen von Entwürfen und Normen zur Führung und Begleitung ins Erwachsenwerden reflektiert. Zugleich ist P. auch eine empir. Forschungsdisziplin und wird unter diesem Aspekt als Erziehungswiss. bezeichnet. Nach den Schwerpunkten der Überlegungen und Forschungen über erzieher. Handeln in gegebenem Umfeld lassen sich versch. Disziplinen unterscheiden. Die Schul-P. ist die Berufswiss. des Lehrers. Ihr Gegenstand sind allg. Didaktik und Methodik (heute auch Unterrichtsforschung gen.). - Berufs- und Wirtschafts-P. dient in Theorie und Praxis der Vorbereitung auf eine berufl. Tätigkeit. Ferner bestehen aufgaben- und bereichsbezogene Einzelgebiete, z. B. Sexual- oder Medien-P. Die Sozialpädagogik hat die familien- und schulergänzende Erziehung und Bildung zur Aufgabe. Mit der Vorschulerziehung i. w. S. befasst sich die Früh-P. Sie beschäftigt sich mit der Bildsamkeit des Kindes und der Schaffung eines günstigen Rahmens für die Entfaltung seiner Fähigkeiten. I. w. S. erstreckt sich die P. auch auf Erwachsene; sie erarbeitet eine empirisch fundierte Theorie des Lehrens und Lernens in der zweiten Bildungsphase sowie in der berufl. und allg. Fort- und Weiterbildung (Erwachsenenbildung). Die Freizeit-P. als erziehungswiss. Teildisziplin erforscht Lernprozesse in Bezug auf das Freizeitverhalten.
Die Sonderpädagogik (auch Heil-P.) ist die Theorie und Praxis der Erziehung, Unterrichtung und Sozialhilfe bei behinderten Menschen. Geschichte: Erste Ansätze einer selbstständigen pädagog. Fachdisziplin gab es im 17. und 18. Jh. im Rahmen christlich-theolog. und kosmolog. Grundannahmen in Form didaktisch-method. Fragestellungen (v. a. J. A. Comenius). Während der Aufklärung (ab 1700) verlagerte sich der Schwerpunkt von der Unterrichtslehre zur eigentl. Erziehungsfrage (J. Locke, J.-J. Rousseau). Unter deren Eindruck entstand in der 2. Hälfte des 18. Jh. im Philanthropismus eine wirksame pädagog. Reformbewegung, die für eine vernünftig-natürl. Erziehung der Kinder eintrat. Die klassisch-idealist. Epoche entwickelte eine differenzierte Lehre von der allseitig gebildeten Persönlichkeit, wobei der Mensch u. a. in der Begegnung mit der klass. grch. Kultur Individualität entwickeln sollte (u. a. bei J. H. Pestalozzi, J. G. Herder und W. von Humboldt). Die Ansätze Pestalozzis wurden für die Kleinkind- und Volksschulerziehung v. a. von A. Diesterweg, F. Fröbel und J. F. Herbart weitergeführt, der das zu dieser Zeit wirksamste System einer wiss.-methodisch begründeten P. schuf (Herbartianismus). Dessen Konzeption, Ethik und Psychologie zu Grundwiss. der P. zu machen, hat zu Beginn des 20. Jh. dazu geführt, dass sich die wiss. P. in eine spekulativ verfahrende normative, d. h. von einem Normen- oder Wertesystem ausgehende P. (v. a. E. Kerschensteiner, E. Spranger) und eine psychologisch begründete, experimentell oder deskriptiv (phänomenologisch) verfahrende empir. P. spaltete. Eine Ergänzung bildete die geisteswiss. (hermeneut.) P.; sie wurde entscheidend mitgetragen durch die sich von 1900 an in Dtl. u. a. Ländern ausbreitende Reformpädagogik.
Literatur:
J. Oelkers P., Erziehungswiss. u. Systemtheorie, hg. v. u. a. Weinheim 1987.
Einführung in die histor. P., bearb. v. G. Böhme u. H.-E. Tenorth. Darmstadt 1990.
P. Handbuch für Studium u. Praxis, hg. v. L. Roth. Neuausg. München 1994.
Pädagog. Grundbegriffe, hg. v. D. Lenzen, 2 Bde. Reinbek 12.-14. Tsd. 1994-96.
Pädagog. Erkenntnis. Grundlagen pädagog. Theoriebildung, hg. v. H.-W. Leonhard u. a. Weinheim u. a. 1995.
Benner, D.: Allgemeine P. Eine systematisch-problemgeschichtl. Einführung in die Grundstruktur pädagog. Denkens u. Handelns. Weinheim u. a. 31996.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Pädagogik