Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Psychoanalyse
Psycho|analyse,um 1900 von S. Freud entwickelte Methode zur Behandlung neurot. Störungen (Neurosen) im Rahmen einer Theorie zur Erklärung allgemeinpsycholog., psychopatholog. und soziokultureller Phänomene und die auf diesem Wege gewonnenen psycholog. Erkenntnisse. Als Untersuchungs- und Behandlungsmethode zielt die P. auf die Aufdeckung unbewusster psych. Prozesse und verdrängter Inhalte mithilfe freier Assoziation und psychoanalyt. Deutung von Wünschen, Träumen usw. (»Tiefenpsychologie«). In den entsprechenden Gesprächen kommt es dabei zu einer emotional-affektiven Aufarbeitung von Konflikten durch Übertragung (Wiederholung kindl. Gefühle und Einstellungen) auf den Therapeuten und Gegenübertragung (Einfluss des Klienten auf die unbewussten Gefühle und Reaktionen des Analytikers) und zu einem Widerstand, der sich gegen die aufdeckende Arbeit richtet. - Psych. Vorgängen liegt der in die drei funktional zusammenhängenden Strukturen des Es, Ich und Über-Ich gegliederte psych. Apparat zugrunde. Nach Freud bewegen das Individuum zwei Hauptantriebe: der Sexualtrieb, dessen psych. Energie (Libido) versch. Stadien in der frühkindl. Phase durchläuft, und der von Freud später postulierte Todes- oder Destruktionstrieb. Dem auf die Lustbefriedigung gerichteten Lustprinzip (Lust) steht das der Realität Rechnung tragende, den Lustgewinn regulierende Realitätsprinzip entgegen. Neben der Verdrängung triebhafter Regungen beschreibt Freud die Sublimation (geistige Verarbeitung in Kunst, Wiss. und Religion).Geschichte: Nach Arbeiten mit J. Breuer entwickelte Freud Ende der 1890er-Jahre die Grundzüge der P. Es folgten Kontakte zu E. Bleuler (1904), später zu C. G. Jung (1906). Pionierarbeit auf dem Gebiet der weibl. Sexualität leistete Helene Deutsch, die vor ihrer Emigration in die USA (1934) Mitarbeiterin Freuds war; zu den bekanntesten Schülern, die an den Hauptthesen der freudschen P. festhielten, gehören u. a. K. Abraham, S. Ferenczi, Freuds Tochter Anna Freud und M. Klein (Arbeiten zur Psychologie des Kindes), H. Hartmann, E. Kris und R. Löwenstein (Arbeiten zur Psychologie des Ich), W. Reich (Arbeiten zur Sexologie und über sexuelle Unterdrückung). Die Brücke zur Psychosomatik schlugen in Dtl. v. a. A. und M. Mitscherlich. Von der »orthodoxen« P. z. T. erheblich abweichend, entwickelte sich die Neo-P. bzw. Neoanalyse (wichtigster Vertreter: E. Fromm), für die eine Betonung der sozioökonom. Einflüsse und eine weitgehende Ablehnung der stark vom Materialismus des 19. Jh. geprägten Libidotheorie charakteristisch sind, ferner die Individualpsychologie A. Adlers und die analyt. Psychologie C. G. Jungs. Im Wechselspiel mit dem frz. Strukturalismus entwickelte sich die P. von J. Lacan. Grundannahmen wie Methoden der P. erfuhren seit ihrem Entstehen Angriffe, aber auch Weiterentwicklungen und Ergänzungen; die Konfliktmodelle sind z. T. umstritten. Die P. entfaltete breite Wirkung v. a. in den Geistes- und Sozialwiss. und den Künsten.
Literatur:
Arlow, J. A.u. Brenner, C.: Die Grundbegriffe der P. Aus dem Amerikan. Reinbek 1976.
Thomä, H. u. Kächele, H.: Lb. der psychoanalyt. Therapie, 2 Bde. Berlin u. a. 1985-89.
Wallerstein, R. S.: 42 lives in treatment. A study of psychoanalysis and psychotherapy. New York 1986.
Grünbaum, A.: Die Grundlagen der P. Aus dem Engl. Stuttgart 1988.
Luborsky, L. u. Crits-Christoph, P.: Understanding transference. The core conflictual relationship theme method. New York 1990.
Laplanche, J. u. Pontalis, J.-B.: Das Vokabular der P. Aus dem Frz. Frankfurt am Main 101991.
Rudolf, G. u. a.: Die therapeut. Arbeitsbeziehung. Berlin u. a. 1991.
Schönau, W.: Einf. in die psychoanalyt. Literaturwissenschaft. Stuttgart 1991.
Mertens, W.: P. München 1997.
Sie können einen Link zu dem Wort setzen

Ansicht: Psychoanalyse