Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Preußen
I Preußen,Volksstamm, Prußen.
II Preußen,
1) ehem. Herzogtum, entstanden durch die im Krakauer Vertrag (8. 4. 1525) zw. König Sigismund I. von Polen und dem Hochmeister des Dt. Ordens, Albrecht d. Ä., Markgraf von Brandenburg-Ansbach, vereinbarte Umwandlung des Ordensstaates in ein weltl. Herzogtum unter poln. Lehnshoheit. 1618 fiel es an die brandenburg. Linie der Hohenzollern, die bis 1660 (Frieden von Oliva) die Souveränität in P. erlangen konnten. 1701 (Preußen 2) ging die Geschichte des Herzogtums in der des fortan P. genannten brandenburg. Gesamtstaats auf.
2) ehem. Königreich und 1871-1945 das größte Land des Dt. Reiches. - Zur Gesch. vor 1701 Brandenburg, Ostpreußen, Preußen 1).Aufstieg zur Großmacht (1701-88): Am 18. 1. 1701 krönte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg in Königsberg mit Zustimmung Kaiser Leopolds I. als Friedrich I. zum »König in P.«. Der Titel galt jedoch zunächst nur für das Land P. (die spätere Provinz Ost-P.), das nicht zum Hl. Röm. Reich gehörte, während der König in seinen übrigen Staaten Kurfürst, Markgraf (von Brandenburg) bzw. Herzog (u. a. von Magdeburg, Kleve, Jülich, Pommern und Schlesien) blieb; seit Friedrich II., d. Gr. (erst ab 1772), nannten sich die preuß. Herrscher »König von P.«. - Friedrichs I. äußerlich glänzende Reg., v. a. die Pflege von Kunst und Wiss. (Gründung der Univ. Halle und der Kurfürstl.-Brandenburg. Societät der Wiss. [1700], der späteren Preuß. Akademie der Wiss., Prunkentfaltung im »preuß. Barock« [A. Schlüter]), brachte P. an den Rand des finanziellen Ruins. Friedrich Wilhelm I. (1713-40), der »Soldatenkönig«, schuf in Heerwesen und Verw. die Grundlagen des preuß. Militär- und Verwaltungsstaats: Der Offiziersstand wurde zum 1. Stand im Staat. Das Bürgertum sollte durch wachsende Wirtschaftserträge den Unterhalt der Armee decken und war dafür von der Rekrutengestellung nach dem Kantonsystem befreit; es stellte das neue Beamtentum in Zentral-, Provinzial- und Lokalbehörden; die Vorherrschaft des Militärischen über das Zivile sowie uneigennütziges Pflichtbewusstsein und Treue des Beamten wurden zum Kennzeichen des preuß. Staates. - Friedrich Wilhelm I. erwarb 1720 von Schweden Vorpommern bis zur Peene mit Stettin, Usedom, Wollin. - Mit der relativ größten und absolut besten Armee Europas fiel Friedrich II., d. Gr., fünf Monate nach seinem Reg.antritt (31. 5. 1740) in Schlesien ein. Die Eroberung und Behauptung dieser reichen österr. Provinz in den drei Schlesischen Kriegen (1740-42; 1744/45; 1756-63, Siebenjähriger Krieg) machte P. zu einer der europ. Großmächte und begründete den österr.-preuß. Dualismus. Durch den Erbanfall Ostfrieslands (1744) und den Erwerb West-P., des Ermlands und des Netzedistrikts in der 1. Poln. Teilung (1772) vergrößerte Friedrich d. Gr. das preuß. Staatsgebiet um fast zwei Drittel. Das Heer wurde auf eine Friedensstärke von zuletzt 188 000 Mann gebracht, der Wiederaufbau und Ausbau des in den Kriegen verwüsteten Landes sowie die Kolonisation (v. a. Oderbruch) verstärkt. In der Wirtschaftspolitik wurde der Merkantilismus streng durchgehalten, Macht- mit Wohlfahrtspolitik verbunden. Die Justizreform seit 1746 und die Kodifikation des Preuß. Allg. Landrechts (vollendet 1794) waren ein wichtiger Schritt auf dem Weg vom fürstl. Patrimonialstaat zum überpersönl. Rechts- und Verfassungsstaat. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wurde verankert und Justiz und Verw. strikt getrennt. Es erwachte eine eigene Staatsgesinnung. G. W. von Knobelsdorff prägte das friderizian. Rokoko (v. a. Potsdam); die Tafelrunde von Sanssouci und Friedrichs Freundschaft mit Voltaire machten P. zu einem Zentrum der dt. Aufklärung.Zusammenbruch, Reform und Wiederaufstieg (1789-1815): Friedrich Wilhelm II. (1789-97) leitete durch die Verständigung mit Österreich (Konvention von Reichenbach 1790) eine außenpolit. Umorientierung ein. P. und Österreich führten den 1. Koalitionskrieg (1792) gegen das revolutionäre Frankreich, P. zog sich im Basler Frieden (1795) aber zurück. Durch die 2. und 3. Poln. Teilung (1793, 1795) erhielt P. Danzig und Thorn sowie weitere polnisch und litauisch besiedelte Gebiete (Süd-P., Neu-Ost-P.). Friedrich Wilhelm III. (1797-1815) setzte die Neutralitätspolitik zunächst fort. Nach dem Untergang des Hl. Röm. Reiches musste P. den Konflikt mit Frankreich im 4. Koalitionskrieg allein führen und unterlag (Doppelschlacht von Jena und Auerstedt, 1806). Im Frieden von Tilsit (1807) verlor P. etwa die Hälfte seines Territoriums (alle westelb. und poln. Gebiete). P. wurde von frz. Truppen besetzt und mit hohen Kontributionen belastet.
Es begann die innere Erneuerung P.s: Verw.beamte, Staatsmänner, Offiziere und Gelehrte, Nichtpreußen wie Freiherr vom und zum Stein, Scharnhorst, Gneisenau und Niebuhr sowie Preußen wie W. von Humboldt, Boyen und Schleiermacher entwickelten aus Ideen der Frz. Revolution, des brit. Wirtschaftsliberalismus und I. Kants die preußischen Reformen. Doch erst nach dem Sieg der Verbündeten über Napoleon I. (Leipzig 1813; Waterloo 1815) konnte P. auf dem Wiener Kongress (1815) seine Großmachtstellung zurückgewinnen und sein Staatsgebiet wieder vergrößern (u. a. Neuerwerb der Provinz Sachsen). Mit allen Provinzen (außer Posen, West- und Ostpreußen) trat P. dem Dt. Bund bei. - In den Befreiungskriegen hatten sich stärker als je zuvor preuß. Staat und dt. Nationalgefühl verbunden, die für die Entwicklung zum Ind.staat wichtigsten dt. Gebiete waren jetzt preußisch.Restauration, Revolution und Reichsgründung (1815-71): Als Mitgl. des Dt. Bundes beteiligte sich P. an den Karlsbader Beschlüssen gegen die liberale und nat. Bewegung. Die Reformideen verfielen; am folgenschwersten wurde der Rückschlag in der Agrargesetzgebung für die östl. Provinzen. Die 1850 abgeschlossene Bauernbefreiung begünstigte auf lange Sicht neben den Bauern v. a. den Adel, der sich in eine gutsherrl. Unternehmerklasse verwandelte und bürgerl. Kräfte in sich aufnahm. Die Errichtung von Provinzialständen und Provinziallandtagen (1823) sowie eines ersten Vereinigten Landtages (1847) konnte die vom König versprochene Verf. nicht ersetzen. Unter Friedrich Wilhelm IV. (1840-61) verschärfte sich der Ggs. zum bürgerl. Liberalismus. Nach der Märzrevolution berief Friedrich Wilhelm IV. ein liberales Ministerium unter L. Camphausen (29. 3. 1848) und ließ eine preuß. Nationalversammlung wählen, in der die demokrat. Linke dominierte. Im Konflikt zw. der Reg. und der am 22. 5. eröffneten Nationalversammlung berief der König am 2. 11. 1848 ein konservatives Ministerium unter F. W. Graf von Brandenburg, löste die Nationalversammlung auf und oktroyierte eine Verf., die 1850 revidiert wurde und bis 1918 gültig blieb (konstitutionelle Monarchie, verantwortl. Min., Legislative bei König und Landtag, Dreiklassenwahlrecht). - Durch die Bildung des Dt. Zollvereins (1. 1. 1834) wurde auf wirtsch. Gebiet die dt. Einigung unter preuß. Führung vorbereitet. - 1853 erwarb P. von Oldenburg ein kleines Gebiet am Jadebusen zur Anlage eines Kriegshafens an der Nordsee und schuf damit die Voraussetzungen für eine Kriegsflotte; Wilhelmshaven und Kiel wurden preuß. Kriegshäfen. - Vor dem Hintergrund von Industrialisierung und Proletarisierung beschränkte sich die staatl. Sozialpolitik, zunächst auf den Schutz gegen Auswüchse der Kinderarbeit (1839), da diese oft die Wehrtauglichkeit der (späteren) Rekruten beeinträchtigte. In den 1860er-Jahren bildete sich die Arbeiterbewegung heraus, der Aufhebung des Koalitionsverbotes in P. 1867 folgte ein Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung. - 1849 hatte Friedrich Wilhelm IV. die ihm von der Frankfurter Nationalversammlung angetragene Kaiserkrone abgelehnt. Sein Versuch, eine kleindt. Union unter preuß. Führung zu schaffen, scheiterte am russ. Widerstand. In der Olmützer Punktation musste P. 1850 auf die Unionspolitik verzichten. Danach herrschte unter E. von Manteuffel eine hochkonservative »Kamarilla«. Die »Neue Ära« unter Wilhelm I. (1861-88, ab 1858 zunächst Prinzregent) führte im »preuß. Verf.konflikt« um die Heeresverstärkung (1860-66) zum Machtkampf zw. Krone/Reg. und Parlament, den O. von Bismarck (seit 1862 MinPräs. und Außenmin.) mit aller Entschiedenheit führte. Ihm gelang es nach dem Dt.-Dän. Krieg 1864, durch den Ausschluss Österreichs aus der dt. Politik nach dem Dt. Krieg 1866 sowie nach der Bildung des Norddt. Bundes 1867 im Dt.-Frz. Krieg 1870/71, die dt. Frage im kleindt. Sinne unter preuß. Führung zu lösen.Preußen im Dt. Reich (1871-1945/47): Mit der Reichsgründung und der Proklamation des preuß. Königs zum Dt. Kaiser 1871 ging die preuß. Gesch. in die deutsche über. In der Reichsverf. von 1871 war die preuß. Hegemonie abgesichert, zusätzlich gestützt durch die fast durchgehend bestehende Personalunion zw. preuß. MinPräs., preuß. Außenmin. und Reichskanzler sowie durch die enge personelle Verzahnung der preuß. Ministerien mit den entsprechenden Reichsämtern. Gleichzeitig betrafen Auseinandersetzungen in P. (Kulturkampf, Ostmarkenpolitik) das gesamte Reich. Unter Kaiser Friedrich (1888), bes. aber unter Wilhelm II. (1888-1918), trat das preuß. Königtum allmählich hinter dem Kaisertum zurück. Die größte und eigenständigste Leistung im Kaiserreich vollbrachte der preuß. Staat in der Kultur-, Wiss.- und Unterrichtspolitik, die Ländersache blieb. Im preuß. Abgeordnetenhaus hatten seit 1879 die Konservativen die Vorherrschaft. Dass die Arbeiterschaft hier fast völlig ausgeschlossen blieb, während im Reichstag die Sozialdemokratie bis 1912 zur stärksten Partei wurde, führte zu immer schärferen Auseinandersetzungen. Erst im Okt. 1918 wurde das Dreiklassenwahlrecht durch das allg. gleiche Wahlrecht ersetzt. Nach der Novemberrevolution 1918 übernahmen in P. (wie im Dt. Reich) SPD und USPD die Macht. Der durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages (1919) geschwächte Staat blieb als weitaus größtes Land des Dt. Reiches erhalten und wurde durch die Verf. vom 30. 11. 1920 wie die anderen dt. Länder ein demokratisch-parlamentar. Freistaat. Im Unterschied zum Reich blieben in P. die Reg. relativ stabil; ab 1919 wurde P. von der Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, DDP; zeitweise auch DVP) regiert, bis der Staatsstreich Papens die nur noch geschäftsführende Reg. am 20. 7. 1932 beseitigte und P. unter Reichsverw. stellte (»Preußenschlag«, auch »Preußenputsch«). Unter dem nat.-soz. MinPräs. H. Göring (1933-45) wurde in P. die Gleichschaltung vollzogen. Das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats vom 25. 2. 1947 besiegelte die Auflösung P.s als Staat.
▣ Literatur:
Bornhak, C.: Preuss. Staats- u. Rechtsgeschichte. Berlin 1903, Nachdr.ebd. 1979.
⃟ Grundriß zur dt. Verwaltungsgeschichte 1815-1945, hg. v. W. Hubatsch, Reihe A, 12 Bde. u. Reg.-Bd. Marburg 1975-81.
⃟ Moderne preuß. Gesch. 1648-1947, hg. v. O. Büsch u. a., 3 Bde. Berlin u. a. 1981.
⃟ Heinrich, G.: Gesch. P.s. Staat u. Dynastie. Neuausg. Frankfurt am Main 1984.
⃟ P. Seine Wirkung auf die dt. Gesch., Vorlesungen v. K. D. Erdmann u. a. Stuttgart 1985.
⃟ Hubatsch, W.: Grundlinien preuß. Gesch.. Königtum u. Staatsgestaltung 1701-1871. Darmstadt 31988.
⃟ Koselleck, R.: P. zw. Reform u. Revolution. Neuausg. München 1989.
⃟ Mittenzwei, I. u. Herzfeld, E.: Brandenburg-P. 1648-1789. Berlin (Ost)31990.
⃟ Handbuch der preußischen Geschichte, hg. v. O. Büsch, auf 3 Bde. ber. Berlin 1992 ff.
⃟ Salmonowicz, S.: P. Geschichte von Staat u. Gesellschaft. A. d. Poln., Herne 1995.
⃟ Schoeps, H. J.: P. Gesch. eines Staates. Neuausg. Berlin 1997.
⃟ Agrarische Verfassung u. politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte P.s 1700 - 1918, hg. v. W. Neugebauer u. R. Pröve. Berlin 1998.
⃟ Berg, T.: Landesordnungen in P. vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Lüneburg 1998.
⃟ Haffner, S.: P. ohne Legende. Neuausg. Berlin 1998.
⃟ Haffner, S. u. Venohr, W.: Preuß. Profile. Neuausg. Berlin 1998.
II Preußen,
1) ehem. Herzogtum, entstanden durch die im Krakauer Vertrag (8. 4. 1525) zw. König Sigismund I. von Polen und dem Hochmeister des Dt. Ordens, Albrecht d. Ä., Markgraf von Brandenburg-Ansbach, vereinbarte Umwandlung des Ordensstaates in ein weltl. Herzogtum unter poln. Lehnshoheit. 1618 fiel es an die brandenburg. Linie der Hohenzollern, die bis 1660 (Frieden von Oliva) die Souveränität in P. erlangen konnten. 1701 (Preußen 2) ging die Geschichte des Herzogtums in der des fortan P. genannten brandenburg. Gesamtstaats auf.
2) ehem. Königreich und 1871-1945 das größte Land des Dt. Reiches. - Zur Gesch. vor 1701 Brandenburg, Ostpreußen, Preußen 1).Aufstieg zur Großmacht (1701-88): Am 18. 1. 1701 krönte sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg in Königsberg mit Zustimmung Kaiser Leopolds I. als Friedrich I. zum »König in P.«. Der Titel galt jedoch zunächst nur für das Land P. (die spätere Provinz Ost-P.), das nicht zum Hl. Röm. Reich gehörte, während der König in seinen übrigen Staaten Kurfürst, Markgraf (von Brandenburg) bzw. Herzog (u. a. von Magdeburg, Kleve, Jülich, Pommern und Schlesien) blieb; seit Friedrich II., d. Gr. (erst ab 1772), nannten sich die preuß. Herrscher »König von P.«. - Friedrichs I. äußerlich glänzende Reg., v. a. die Pflege von Kunst und Wiss. (Gründung der Univ. Halle und der Kurfürstl.-Brandenburg. Societät der Wiss. [1700], der späteren Preuß. Akademie der Wiss., Prunkentfaltung im »preuß. Barock« [A. Schlüter]), brachte P. an den Rand des finanziellen Ruins. Friedrich Wilhelm I. (1713-40), der »Soldatenkönig«, schuf in Heerwesen und Verw. die Grundlagen des preuß. Militär- und Verwaltungsstaats: Der Offiziersstand wurde zum 1. Stand im Staat. Das Bürgertum sollte durch wachsende Wirtschaftserträge den Unterhalt der Armee decken und war dafür von der Rekrutengestellung nach dem Kantonsystem befreit; es stellte das neue Beamtentum in Zentral-, Provinzial- und Lokalbehörden; die Vorherrschaft des Militärischen über das Zivile sowie uneigennütziges Pflichtbewusstsein und Treue des Beamten wurden zum Kennzeichen des preuß. Staates. - Friedrich Wilhelm I. erwarb 1720 von Schweden Vorpommern bis zur Peene mit Stettin, Usedom, Wollin. - Mit der relativ größten und absolut besten Armee Europas fiel Friedrich II., d. Gr., fünf Monate nach seinem Reg.antritt (31. 5. 1740) in Schlesien ein. Die Eroberung und Behauptung dieser reichen österr. Provinz in den drei Schlesischen Kriegen (1740-42; 1744/45; 1756-63, Siebenjähriger Krieg) machte P. zu einer der europ. Großmächte und begründete den österr.-preuß. Dualismus. Durch den Erbanfall Ostfrieslands (1744) und den Erwerb West-P., des Ermlands und des Netzedistrikts in der 1. Poln. Teilung (1772) vergrößerte Friedrich d. Gr. das preuß. Staatsgebiet um fast zwei Drittel. Das Heer wurde auf eine Friedensstärke von zuletzt 188 000 Mann gebracht, der Wiederaufbau und Ausbau des in den Kriegen verwüsteten Landes sowie die Kolonisation (v. a. Oderbruch) verstärkt. In der Wirtschaftspolitik wurde der Merkantilismus streng durchgehalten, Macht- mit Wohlfahrtspolitik verbunden. Die Justizreform seit 1746 und die Kodifikation des Preuß. Allg. Landrechts (vollendet 1794) waren ein wichtiger Schritt auf dem Weg vom fürstl. Patrimonialstaat zum überpersönl. Rechts- und Verfassungsstaat. Die Glaubens- und Gewissensfreiheit wurde verankert und Justiz und Verw. strikt getrennt. Es erwachte eine eigene Staatsgesinnung. G. W. von Knobelsdorff prägte das friderizian. Rokoko (v. a. Potsdam); die Tafelrunde von Sanssouci und Friedrichs Freundschaft mit Voltaire machten P. zu einem Zentrum der dt. Aufklärung.Zusammenbruch, Reform und Wiederaufstieg (1789-1815): Friedrich Wilhelm II. (1789-97) leitete durch die Verständigung mit Österreich (Konvention von Reichenbach 1790) eine außenpolit. Umorientierung ein. P. und Österreich führten den 1. Koalitionskrieg (1792) gegen das revolutionäre Frankreich, P. zog sich im Basler Frieden (1795) aber zurück. Durch die 2. und 3. Poln. Teilung (1793, 1795) erhielt P. Danzig und Thorn sowie weitere polnisch und litauisch besiedelte Gebiete (Süd-P., Neu-Ost-P.). Friedrich Wilhelm III. (1797-1815) setzte die Neutralitätspolitik zunächst fort. Nach dem Untergang des Hl. Röm. Reiches musste P. den Konflikt mit Frankreich im 4. Koalitionskrieg allein führen und unterlag (Doppelschlacht von Jena und Auerstedt, 1806). Im Frieden von Tilsit (1807) verlor P. etwa die Hälfte seines Territoriums (alle westelb. und poln. Gebiete). P. wurde von frz. Truppen besetzt und mit hohen Kontributionen belastet.
Es begann die innere Erneuerung P.s: Verw.beamte, Staatsmänner, Offiziere und Gelehrte, Nichtpreußen wie Freiherr vom und zum Stein, Scharnhorst, Gneisenau und Niebuhr sowie Preußen wie W. von Humboldt, Boyen und Schleiermacher entwickelten aus Ideen der Frz. Revolution, des brit. Wirtschaftsliberalismus und I. Kants die preußischen Reformen. Doch erst nach dem Sieg der Verbündeten über Napoleon I. (Leipzig 1813; Waterloo 1815) konnte P. auf dem Wiener Kongress (1815) seine Großmachtstellung zurückgewinnen und sein Staatsgebiet wieder vergrößern (u. a. Neuerwerb der Provinz Sachsen). Mit allen Provinzen (außer Posen, West- und Ostpreußen) trat P. dem Dt. Bund bei. - In den Befreiungskriegen hatten sich stärker als je zuvor preuß. Staat und dt. Nationalgefühl verbunden, die für die Entwicklung zum Ind.staat wichtigsten dt. Gebiete waren jetzt preußisch.Restauration, Revolution und Reichsgründung (1815-71): Als Mitgl. des Dt. Bundes beteiligte sich P. an den Karlsbader Beschlüssen gegen die liberale und nat. Bewegung. Die Reformideen verfielen; am folgenschwersten wurde der Rückschlag in der Agrargesetzgebung für die östl. Provinzen. Die 1850 abgeschlossene Bauernbefreiung begünstigte auf lange Sicht neben den Bauern v. a. den Adel, der sich in eine gutsherrl. Unternehmerklasse verwandelte und bürgerl. Kräfte in sich aufnahm. Die Errichtung von Provinzialständen und Provinziallandtagen (1823) sowie eines ersten Vereinigten Landtages (1847) konnte die vom König versprochene Verf. nicht ersetzen. Unter Friedrich Wilhelm IV. (1840-61) verschärfte sich der Ggs. zum bürgerl. Liberalismus. Nach der Märzrevolution berief Friedrich Wilhelm IV. ein liberales Ministerium unter L. Camphausen (29. 3. 1848) und ließ eine preuß. Nationalversammlung wählen, in der die demokrat. Linke dominierte. Im Konflikt zw. der Reg. und der am 22. 5. eröffneten Nationalversammlung berief der König am 2. 11. 1848 ein konservatives Ministerium unter F. W. Graf von Brandenburg, löste die Nationalversammlung auf und oktroyierte eine Verf., die 1850 revidiert wurde und bis 1918 gültig blieb (konstitutionelle Monarchie, verantwortl. Min., Legislative bei König und Landtag, Dreiklassenwahlrecht). - Durch die Bildung des Dt. Zollvereins (1. 1. 1834) wurde auf wirtsch. Gebiet die dt. Einigung unter preuß. Führung vorbereitet. - 1853 erwarb P. von Oldenburg ein kleines Gebiet am Jadebusen zur Anlage eines Kriegshafens an der Nordsee und schuf damit die Voraussetzungen für eine Kriegsflotte; Wilhelmshaven und Kiel wurden preuß. Kriegshäfen. - Vor dem Hintergrund von Industrialisierung und Proletarisierung beschränkte sich die staatl. Sozialpolitik, zunächst auf den Schutz gegen Auswüchse der Kinderarbeit (1839), da diese oft die Wehrtauglichkeit der (späteren) Rekruten beeinträchtigte. In den 1860er-Jahren bildete sich die Arbeiterbewegung heraus, der Aufhebung des Koalitionsverbotes in P. 1867 folgte ein Aufschwung der Gewerkschaftsbewegung. - 1849 hatte Friedrich Wilhelm IV. die ihm von der Frankfurter Nationalversammlung angetragene Kaiserkrone abgelehnt. Sein Versuch, eine kleindt. Union unter preuß. Führung zu schaffen, scheiterte am russ. Widerstand. In der Olmützer Punktation musste P. 1850 auf die Unionspolitik verzichten. Danach herrschte unter E. von Manteuffel eine hochkonservative »Kamarilla«. Die »Neue Ära« unter Wilhelm I. (1861-88, ab 1858 zunächst Prinzregent) führte im »preuß. Verf.konflikt« um die Heeresverstärkung (1860-66) zum Machtkampf zw. Krone/Reg. und Parlament, den O. von Bismarck (seit 1862 MinPräs. und Außenmin.) mit aller Entschiedenheit führte. Ihm gelang es nach dem Dt.-Dän. Krieg 1864, durch den Ausschluss Österreichs aus der dt. Politik nach dem Dt. Krieg 1866 sowie nach der Bildung des Norddt. Bundes 1867 im Dt.-Frz. Krieg 1870/71, die dt. Frage im kleindt. Sinne unter preuß. Führung zu lösen.Preußen im Dt. Reich (1871-1945/47): Mit der Reichsgründung und der Proklamation des preuß. Königs zum Dt. Kaiser 1871 ging die preuß. Gesch. in die deutsche über. In der Reichsverf. von 1871 war die preuß. Hegemonie abgesichert, zusätzlich gestützt durch die fast durchgehend bestehende Personalunion zw. preuß. MinPräs., preuß. Außenmin. und Reichskanzler sowie durch die enge personelle Verzahnung der preuß. Ministerien mit den entsprechenden Reichsämtern. Gleichzeitig betrafen Auseinandersetzungen in P. (Kulturkampf, Ostmarkenpolitik) das gesamte Reich. Unter Kaiser Friedrich (1888), bes. aber unter Wilhelm II. (1888-1918), trat das preuß. Königtum allmählich hinter dem Kaisertum zurück. Die größte und eigenständigste Leistung im Kaiserreich vollbrachte der preuß. Staat in der Kultur-, Wiss.- und Unterrichtspolitik, die Ländersache blieb. Im preuß. Abgeordnetenhaus hatten seit 1879 die Konservativen die Vorherrschaft. Dass die Arbeiterschaft hier fast völlig ausgeschlossen blieb, während im Reichstag die Sozialdemokratie bis 1912 zur stärksten Partei wurde, führte zu immer schärferen Auseinandersetzungen. Erst im Okt. 1918 wurde das Dreiklassenwahlrecht durch das allg. gleiche Wahlrecht ersetzt. Nach der Novemberrevolution 1918 übernahmen in P. (wie im Dt. Reich) SPD und USPD die Macht. Der durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages (1919) geschwächte Staat blieb als weitaus größtes Land des Dt. Reiches erhalten und wurde durch die Verf. vom 30. 11. 1920 wie die anderen dt. Länder ein demokratisch-parlamentar. Freistaat. Im Unterschied zum Reich blieben in P. die Reg. relativ stabil; ab 1919 wurde P. von der Weimarer Koalition (SPD, Zentrum, DDP; zeitweise auch DVP) regiert, bis der Staatsstreich Papens die nur noch geschäftsführende Reg. am 20. 7. 1932 beseitigte und P. unter Reichsverw. stellte (»Preußenschlag«, auch »Preußenputsch«). Unter dem nat.-soz. MinPräs. H. Göring (1933-45) wurde in P. die Gleichschaltung vollzogen. Das Gesetz Nr. 46 des Alliierten Kontrollrats vom 25. 2. 1947 besiegelte die Auflösung P.s als Staat.
▣ Literatur:
Bornhak, C.: Preuss. Staats- u. Rechtsgeschichte. Berlin 1903, Nachdr.ebd. 1979.
⃟ Grundriß zur dt. Verwaltungsgeschichte 1815-1945, hg. v. W. Hubatsch, Reihe A, 12 Bde. u. Reg.-Bd. Marburg 1975-81.
⃟ Moderne preuß. Gesch. 1648-1947, hg. v. O. Büsch u. a., 3 Bde. Berlin u. a. 1981.
⃟ Heinrich, G.: Gesch. P.s. Staat u. Dynastie. Neuausg. Frankfurt am Main 1984.
⃟ P. Seine Wirkung auf die dt. Gesch., Vorlesungen v. K. D. Erdmann u. a. Stuttgart 1985.
⃟ Hubatsch, W.: Grundlinien preuß. Gesch.. Königtum u. Staatsgestaltung 1701-1871. Darmstadt 31988.
⃟ Koselleck, R.: P. zw. Reform u. Revolution. Neuausg. München 1989.
⃟ Mittenzwei, I. u. Herzfeld, E.: Brandenburg-P. 1648-1789. Berlin (Ost)31990.
⃟ Handbuch der preußischen Geschichte, hg. v. O. Büsch, auf 3 Bde. ber. Berlin 1992 ff.
⃟ Salmonowicz, S.: P. Geschichte von Staat u. Gesellschaft. A. d. Poln., Herne 1995.
⃟ Schoeps, H. J.: P. Gesch. eines Staates. Neuausg. Berlin 1997.
⃟ Agrarische Verfassung u. politische Struktur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte P.s 1700 - 1918, hg. v. W. Neugebauer u. R. Pröve. Berlin 1998.
⃟ Berg, T.: Landesordnungen in P. vom 16. bis zum 18. Jahrhundert. Lüneburg 1998.
⃟ Haffner, S.: P. ohne Legende. Neuausg. Berlin 1998.
⃟ Haffner, S. u. Venohr, W.: Preuß. Profile. Neuausg. Berlin 1998.