Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
Palästina
Palästina[»Land der Philister«] (arab. Filastin), histor. Landschaft in Vorderasien; in der jüd. Tradition das Gelobte Land, in der christl. das Heilige Land; heute Bez. für das Gebiet zw. dem Mittelmeer im W und dem Jordangraben bis zum Toten Meer im O, zw. dem Libanongebirge im N bis zum N-Saum des Negev im S. Kernraum sind die Gebiete nördlich der Linie Gaza - Beer Sheva - Totes Meer mit den drei histor. Landschaften Judäa, Samaria und Galiläa. Größter Fluss ist der Jordan. Hauptseen: das Tote Meer und der See Genezareth. P. hat Mittelmeerklima mit reichl. Winterniederschlägen im Gebirge (oft Schnee), geringeren an der Küste und spärl. im südl. Jordantal. Die Sommer sind warm, die Winter an der Küste frostfrei. P. hat viele dem Christentum, Judentum und Islam heilige Stätten.Geschichte: P. ist als Bestandteil des Fruchtbaren Halbmonds eng mit der Vorgeschichte dieser Region verbunden (Vorderasien). Nach dem blutigen Aufstand 132-135 unter Führung von Bar Kochba wurde der röm. Prov.name Iudaea (Judäa) in Syria Palaestina (unter Kaiser Diokletian geteilt) geändert. Nach 395 gehörte P. zum Oström. (Byzantin.) Reich. Der Aufstieg des Christentums im 4. Jh. und dessen Interesse am Hl. Land verschoben die Mehrheitsverhältnisse im Land, gefördert durch rechtl. Einschränkungen für die Juden (nach 425/426 Aufhebung des Patriarchats). Die arab. Eroberung (ab 634) versetzte auch die Christen in den Status einer begrenzt geduldeten Minderheit neben den Juden. Ab 878 gehörte P. (mit Unterbrechungen) zu Ägypten. 1099 eroberten die Kreuzfahrer Jerusalem und bildeten das christl. Königreich Jerusalem (bis 1291). Unter der Toleranz und Dynamik des aufstrebenden Osman. Reiches nach 1517 wuchs auch die jüd. Bevölkerung in P. sprunghaft an. Anfang des 18. Jh. folgten neue Zuwanderungen aus osteuropäisch-chassid., im 19. Jh. auch aus anderen orth. Kreisen. Ab 1882 begann die P.-Besiedlung durch osteurop. Juden; der Zionismus verursachte mit seiner Forderung (seit 1897), eine »öffentlich-rechtlich gesicherte Heimstätte in P.« für das jüd. Volk zu schaffen, ab 1905 eine verstärkte Zuwanderung (v. a. aus Osteuropa). Die Balfour-Deklaration vom 2. 11. 1917 (Balfour) leitete nach der Eroberung durch die Briten 1917/18 eine intensive zionist. Aufbauphase ein, während der sich bereits Widerstand unter der arab. Bev. bemerkbar machte. Großbritannien erhielt 1920/22 das Völkerbundsmandat für P. und trennte das Ostjordanland als Emirat Transjordanienab. Es kam zu wachsenden Konflikten zw. Juden und Arabern, die einen unabhängigen arab. Staat P. forderten. Sie mündeten in einen arab. P.-Aufstand (1936-39) und führten bes. in den 1940er-Jahren auch zu Auseinandersetzungen zw. Juden und brit. Verwaltung (Israel, Geschichte). Schließlich brachte Großbritannien die Palästinafrage vor die UN, deren Vollversammlung am 29. 11. 1947 die Zweiteilung P.s in einen jüd. und einen arab. Staat empfahl. Diese Empfehlung - von den Arabern abgelehnt - führte mit Erlöschen des brit. Mandats und Abzug der brit. Truppen zur Ausrufung des Staates Israel am 14. 5. 1948. In der Folge des 1. Israelisch-Arab. Kriegs (»P.-Krieg«, 1948/49; Nahostkonflikt) fiel das für den arab. palästinens. Staat vorgesehene Gebiet an mehrere Krieg führende Mächte; Ost-P. wurde 1950 Jordanien angegliedert (Westjordanland); der Gazastreifen kam unter ägypt. Treuhandverwaltung. Im 3. Israelisch-Arab. Krieg (»Sechstagekrieg«) 1967 besetzte Israel die Halbinsel Sinai, den Gazastreifen, das Westjordanland und die Golanhöhen. 1974 wurde die 1964 gegr. Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) als alleinige Vertreterin der Palästinenser anerkannt. Trotz Abschluss des ägyptisch-israel. Friedensvertrags vom März 1979 blieb das Gebiet eine der brisantesten Krisenregionen. Anfang Dez. 1987 brach in den israelisch besetzten Gebieten die Intifada aus. Seit Mitte Dez. 1987 gewann die radikale, sich am islam. Fundamentalismus (Muslim-Bruderschaft) orientierende Islam. Widerstandsbewegung »Hamas« zunehmend an Bedeutung; sie strebt die Errichtung eines islam. Staates in ganz P. (und darüber hinaus in ganz Arabien) an und lehnt - entgegen der PLO - Friedensverhandlungen mit Israel ab. Nachdem Jordanien im Juli 1988 seine rechtl. und administrativen Bindungen zum Westjordanland abgebrochen und es faktisch an die PLO abgetreten hatte, rief diese im Nov. 1988 einen unabhängigen Staat P. aus (1989 Ernennung von J. Arafat zum provisor. Staatsoberhaupt). Diplomat. Bemühungen v. a. der USA führten ab Okt. 1991 erstmals seit 1947 zu direkten Gesprächen zw. Israel, arab. Staaten und Palästinensern (Nahostfriedenskonferenz).Nach der gegenseitigen Anerkennung Israels und der PLO ( 9./10. 9. 1993) und der Grundsatzerklärung über eine Teilautonomie der Palästinenser im Gazastreifen und in der Stadt Jericho (Gaza-Jericho-Abkommen, 13. 9. 1993) legten beide Seiten die Bereiche fest (Zoll, Steuern, Ind., Landwirtschaft und Tourismus), die den zukünftigen Autonomiegebieten übertragen werden sollten. Das Abkommen über die palästinensische Teilautonomie (auch Kairoer Abkommen, 4. 5. 1994) sowie das Interimsabkommen (auch Taba-Abkommen, 24. 9. 1995) bestimmten Umfang und Zahl der einzelnen autonomen Teilgebiete, die Kompetenzen und die Organisationsstruktur der Autonomiegebiete. Die israel. Militär- und Zivilverw. in den Autonomiegebieten wurde abgebaut und die israel. Besatzung zurückgezogen. Die Kompetenzen für Polizei, Verw., Rechtsprechung und - in bestimmten Fällen - die Gesetzgebung wurde den Organen der Autonomiebehörde übertragen.Im Rahmen des Taba-Abkommens wählten die Palästinenser am 20. 1. 1996 einen »Palästinenserrat« (PR) und den Präs. (»Rais«) des Exekutivrates des PR (J. Arafat). Mit 88,1 % der Stimmen stellt Al-Fatah im Palästinenserrat die weitaus meisten Abgeordneten. Im April 1996 und endgültig 1998 strich der Palästinens. Nationalrat den Passus über den bewaffneten Kampf gegen Israel aus der PLO-Charta. Der Aufbau staatl. Strukturen wird jedoch stark beeinträchtigt durch die wirtsch. und soziale Unterentwicklung, durch den Bau weiterer jüd. Siedlungen in arab. Gebieten; er wird verschärft durch die Aktivitäten terrorist. Gruppen und israel. Antiterrormaßnahmen (bes. die Sperrung der Autonomiegebiete zu Israel nach terrorist. Anschlägen).Verhandlungen über den Endstatus wurden bis zum 4. 5. 1999 (Datum des Auslaufens der »Osloer Vereinbarungen«) noch nicht begonnen. Der amerikan. Präs. B. Clinton sagte Arafat Anfang 1999 seine Unterstützung für den Aufbau palästinens. Staatlichkeit zu..
Literatur:
R. Owen. Studies in the economic and social history of Palestine in the 19th and 20th centuries, hg. v. London 1982.
Smith, P. A.: Palestine and the Palestinians 1876-1983. London 1984.
Die P.-Frage 1917 - 1948. Histor. Ursprünge u. internat. Dimensionen eines Nationenkonfliktes, hg. v. H. Mejcher. Paderborn u. a. 21993.
Jaroš, K.: Kanaan, Israel, P. Ein Gang durch die Geschichte des Heiligen Landes. Mainz 21994.
Smith, C. D.: Palestine and the Arab-Israeli conflict. New York 31996.
Wolffsohn, M.: Wem gehört das Heilige Land? Die Wurzeln des Streits zw. Juden und Arabern. Neuausgabe München 1997.
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