Meyers Großes Taschenlexikon in 25 Bänden
österreichische Literatur.
österreichische Literatur.Die Frage nach der nat. Eigenständigkeit, der zeitl. und räuml. Abgrenzung der ö. L. innerhalb der deutschsprachigen Literatur ist umstritten. Die Selbstreflexion und die krit. Besinnung auf diese Eigenständigkeit setzten unter Maria Theresia ein. Die Periodisierungen der dt. Literaturgeschichte (Sturm und Drang - Klassik - Romantik) lassen sich nicht auf die ö. L. übertragen, auch spätere Strömungen (Naturalismus, Expressionismus) sind hier weniger ausgebildet. Dennoch ist die ö. L. eng mit der übrigen deutschsprachigen Literatur verbunden. Innerhalb der österr. Grenzen gibt es heute neben der deutschsprachigen Literatur eine slowen., kroat. und ungar. Literatur der Minderheiten, die in der jeweiligen nationalsprachigen Literaturgeschichtsschreibung Berücksichtigung findet.Unter Joseph II. erlebte die Aufklärung in Österreich ihre eigene Ausprägung, ihre antiklerikalen und freimaurer. Bestrebungen bestimmten auch die Literatur (A. Blumauer; »Wiener Musenalmanach«, 1777-96). Die Dramatik fand früh durch das volkstüml. Stegreiftheater zu eigenen Formen (»Wiener Volkstheater«, begründet von J. A. Stranitzky, Blüte mit F. Raimund und J. Nestroy); die psycholog. Tragödien F. Grillparzers bilden einen Höhepunkt der ö. L. im 19. Jh., L. Anzengruber gab dem Volksstück größere Realitätsnähe; in der Prosa erschloss A. Stifter der gesamten deutschsprachigen Literatur eine neue Erzählkunst; weitere bed. Erzähler sind Marie von Ebner-Eschenbach, F. von Saar, C. Sealsfield sowie P. Rosegger. Überragender österr. Lyriker des 19. Jh. ist N. Lenau, die Mundartdichtung wird von F. Stelzhamer repräsentiert.
Die Vielzahl der Begriffe für die literar. Entwicklung der 1860er- bis 80er-Jahre (Symbolismus, Neuromantik, Wiener Expressionismus, Dekadenz) spiegelt die Vielfalt ihrer Vertreter wider. Auch den Kreis des so genannten »Jungen Wien« mit A. Schnitzler, R. Beer-Hofmann, H. von Hofmannsthal und dem Theoretiker der Gruppe, H. Bahr, verband kein eigentl. Programm; gemeinsam war lediglich das Wissen um das nur noch hinausgeschobene, unabwendbare Ende des Habsburgerreiches und ein gleichzeitiges Interesse an seel. Vorgängen. Der gesellschafts- und sprachkrit. Impuls von K. Kraus wirkte stark auf Autoren wie T. Däubler, T. Haecker. Eine weitere Gruppe innerhalb dieser Generation bildeten die deutschsprachigen Schriftsteller Prags: M. Brod, E. Weiß, F. Werfel, R. M. Rilke, G. Meyrink, F. Kafka und A. Kubin. Eine Sonderstellung nimmt das lyr. Werk G. Trakls ein. Ebenfalls noch zur Generation der vor 1900 Geborenen gehören die großen Erzähler H. Broch, A. P. Gütersloh, J. Roth, H. von Doderer, S. Zweig sowie R. Musil, der zu den großen Erneuerern der Romankunst im 20. Jh. zählt. Der bedeutendste Dramatiker der Zwischenkriegszeit war Ö. von Horváth, auch F. Bruckner war mit seinen psychoanalyt. Stücken sehr erfolgreich.
Nach 1945 blieb die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der ö. L. lange Zeit aus. Repräsentant dieser konservativen Haltung war A. Lernet-Holenia. Unter den nach 1945 aus dem Exil Zurückgekehrten ragen u. a. H. Weigel, F. Torberg und Hilde Spiel hervor. Autoren wie E. Fried, J. Lind und E. Canetti blieben, mit Ausnahme gelegentl. Besuche, Österreich fern und wurden z. T., wie v. a. Canetti, erst relativ spät rezipiert. Im Übrigen herrschte in Österreich eine ausgeprägt antikommunist. Atmosphäre (die Stücke B. Brechts wurden am Burgtheater nicht gespielt). Einen wesentl. Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit leistete F. T. Csokor, erster Nachkriegs-Präs. des österr. PEN-Clubs, mit seinen autobiograph. Schriften. Zentrum der ö. L. der Nachkriegszeit war Wien, prägende Persönlichkeiten waren junge Autoren wie Ingeborg Bachmann, G. Fritsch und Ilse Aichinger. Die poet. Antwort auf die Zeit des Nationalsozialismus formulierte die vom persönl. Leid der Verfolgung getragene dunkel-metaphor. Lyrik P. Celans. Die große satir. Tradition führten C. Merz und H. Qualtinger fort. Anfang der 50er-Jahre entstand in der Wiener Gruppe eine experimentelle Literatur (konkrete Poesie), deren Wirkung bis in die Gegenwart reicht (F. Achleitner, K. Bayer, G. Rühm, O. Wiener); typisch für ihre Texte ist die Einbeziehung des Dialekts, v. a. bei H. C. Artmann, daran knüpften später E. Jandl und Friederike Mayröcker an. Wichtige inhaltl. und formale Impulse für die Erneuerung gingen von den zahlreichen neu oder wieder gegründeten österr. Literaturzeitschriften aus, v. a. von den »manuskripten« des Grazer »Forum Stadtpark« (gegr. 1958). In der Dramatik setzten F. Mitterer und P. Turrini durch die Wiederbelebung des Volksstücks neue Akzente, W. Bauer spiegelte in seinen erfolgreichen Stücken die Jugend der 60er-Jahre. Die Brücke von der Vorkriegslit. der kath. Tradition zur Gegenwart schlugen Autorinnen wie Gertrud Fussenegger, Erika Mitterer und Christine Busta. Die Zusammenhänge von Sprache und Politik, Sprachregelung und sozialer Normierung in der österr. Gesellschaft beschäftigen viele Autoren, so A. Drach, M. Scharang, A. Brandstetter, Barbara Frischmuth und Brigitte Schwaiger, wobei häufig ein autobiograph. Hintergrund deutlich wird. Eine krit. Haltung gegenüber der österr. Wirklichkeit bestimmt auch das Schaffen von H. Eisenreich, G. Wolfgruber, F. Innerhofer, Marlen Haushofer und W. Kofler. P. Handkes vielseitiges, auch umstrittenes Werk führt vom experimentellen Sprachspiel über vom Nouveau Roman beeinflusste Prosa zu einer radikalen Subjektivität, die Schreiben als Selbstfindungsprozess begreift. Eine Schlüsselfunktion kommt T. Bernhard zu. Seine Stücke, die die Themen Vertrauensverlust, Ausweglosigkeit und Tod variieren, rechnen erbarmunglos mit der österr. Wirklichkeit ab. Auch Elfriede Jelinek will das Publikum schockieren, indem sie Tabuthemen in direkter Sprache auf die Bühne bringt; weitere wichtige zeitgenöss. Dramatiker sind W. Schwab und Marlene Streeruwitz. Originelle Beiträge zu einer eigenständigen ö. L., die hohe Sprachkunst mit vielfältigen regionalen Bezügen verschmilzt, leisteten seit den 70er-Jahren auch P. Rosei, G. Jonke, G. Roth, G. Amanshauser, H. Eisendle und J. Zoderer, seit Beginn der 80er-Jahre häufig unter Verwendung der unterschiedlichsten postmodernen Zeichen und Strukturen, so bei C. Ransmayr, R. Menasse, J. Haslinger, J. Winkler, R. Schneider, N. Gstrein, M. Köhlmeier und Marianne Fritz.
▣ Literatur:
Giebisch, H.u. Gugitz, G.: Bio-bibliograph. Literaturlexikon Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien 1964, Nachdr. ebd. 1984.
⃟ Die zeitgenöss. Literatur Österreichs, hg. v. H. Spiel. Zürich u. a. 1976.
⃟ Vogelsang, H.: Österr. Dramatik des 20. Jh. Wien 1981.
⃟ Adel, K.: Aufbruch u. Tradition. Einführung in die ö. L. seit 1945. Wien 1982.
⃟ Literatur der Nachkriegszeit u. der fünfziger Jahre in Österreich, hg. v. F. Aspetsberger u. N. Frei. Wien 1984.
⃟ Innerhofer, R.: Die Grazer Autorenversammlung (1973-1983). Zur Organisation einer »Avantgarde«. Wien u. a. 1985.
⃟ Österr. Schriftsteller im Exil, hg. v. S. M. Patsch. Wien u. a. 1986.
⃟ Die ö. L. Eine Dokumentation ihrer literarhistor. Entwicklung, hg. v. H. Zeman, 2 Teile. Graz 1989.
⃟ Ruiss, G. u. Vyoral, J. A.: Literar. Leben in Österreich. Neuausg. Wien 1991.
⃟ Zeyringer, K.: Innerlichkeit u. Öffentlichkeit. Ö. L. der achtziger Jahre. Tübingen 1992.
⃟ Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. H. Zeman, auf mehrere Bde. ber. Graz 1994 ff.
⃟ Sebald, W. G.: Die Beschreibung des Unglücks. Zur ö. L. von Stifter bis Handke. Frankfurt am Main 4.-5. Tsd. 1994.
⃟ Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst u. Musik zwischen 1890 u. 1910, hg. v. G. Wunberg. Neudr. Stuttgart 1995.
⃟ Geschichte der ö. L., hg. v. D. G. Daviau u. H. Arlt, 2 Bde. St. Ingbert 1996.
⃟ Literaturgeschichte Österreichs, hg. v. H. Zeman. Graz 1996.
⃟ Hauptwerke der ö. L., hg. v. E. Fischer. München 1997.
⃟ Melzer, G.: Die verschwiegenen Engel. Aufsätze zur ö. L. Graz 1998.
⃟ »Moderne«, »Spätmoderne« u. »Postmoderne« in der ö. L., hg. v. D. Goltschnigg u. a. Wien 1998.
Die Vielzahl der Begriffe für die literar. Entwicklung der 1860er- bis 80er-Jahre (Symbolismus, Neuromantik, Wiener Expressionismus, Dekadenz) spiegelt die Vielfalt ihrer Vertreter wider. Auch den Kreis des so genannten »Jungen Wien« mit A. Schnitzler, R. Beer-Hofmann, H. von Hofmannsthal und dem Theoretiker der Gruppe, H. Bahr, verband kein eigentl. Programm; gemeinsam war lediglich das Wissen um das nur noch hinausgeschobene, unabwendbare Ende des Habsburgerreiches und ein gleichzeitiges Interesse an seel. Vorgängen. Der gesellschafts- und sprachkrit. Impuls von K. Kraus wirkte stark auf Autoren wie T. Däubler, T. Haecker. Eine weitere Gruppe innerhalb dieser Generation bildeten die deutschsprachigen Schriftsteller Prags: M. Brod, E. Weiß, F. Werfel, R. M. Rilke, G. Meyrink, F. Kafka und A. Kubin. Eine Sonderstellung nimmt das lyr. Werk G. Trakls ein. Ebenfalls noch zur Generation der vor 1900 Geborenen gehören die großen Erzähler H. Broch, A. P. Gütersloh, J. Roth, H. von Doderer, S. Zweig sowie R. Musil, der zu den großen Erneuerern der Romankunst im 20. Jh. zählt. Der bedeutendste Dramatiker der Zwischenkriegszeit war Ö. von Horváth, auch F. Bruckner war mit seinen psychoanalyt. Stücken sehr erfolgreich.
Nach 1945 blieb die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der ö. L. lange Zeit aus. Repräsentant dieser konservativen Haltung war A. Lernet-Holenia. Unter den nach 1945 aus dem Exil Zurückgekehrten ragen u. a. H. Weigel, F. Torberg und Hilde Spiel hervor. Autoren wie E. Fried, J. Lind und E. Canetti blieben, mit Ausnahme gelegentl. Besuche, Österreich fern und wurden z. T., wie v. a. Canetti, erst relativ spät rezipiert. Im Übrigen herrschte in Österreich eine ausgeprägt antikommunist. Atmosphäre (die Stücke B. Brechts wurden am Burgtheater nicht gespielt). Einen wesentl. Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Vergangenheit leistete F. T. Csokor, erster Nachkriegs-Präs. des österr. PEN-Clubs, mit seinen autobiograph. Schriften. Zentrum der ö. L. der Nachkriegszeit war Wien, prägende Persönlichkeiten waren junge Autoren wie Ingeborg Bachmann, G. Fritsch und Ilse Aichinger. Die poet. Antwort auf die Zeit des Nationalsozialismus formulierte die vom persönl. Leid der Verfolgung getragene dunkel-metaphor. Lyrik P. Celans. Die große satir. Tradition führten C. Merz und H. Qualtinger fort. Anfang der 50er-Jahre entstand in der Wiener Gruppe eine experimentelle Literatur (konkrete Poesie), deren Wirkung bis in die Gegenwart reicht (F. Achleitner, K. Bayer, G. Rühm, O. Wiener); typisch für ihre Texte ist die Einbeziehung des Dialekts, v. a. bei H. C. Artmann, daran knüpften später E. Jandl und Friederike Mayröcker an. Wichtige inhaltl. und formale Impulse für die Erneuerung gingen von den zahlreichen neu oder wieder gegründeten österr. Literaturzeitschriften aus, v. a. von den »manuskripten« des Grazer »Forum Stadtpark« (gegr. 1958). In der Dramatik setzten F. Mitterer und P. Turrini durch die Wiederbelebung des Volksstücks neue Akzente, W. Bauer spiegelte in seinen erfolgreichen Stücken die Jugend der 60er-Jahre. Die Brücke von der Vorkriegslit. der kath. Tradition zur Gegenwart schlugen Autorinnen wie Gertrud Fussenegger, Erika Mitterer und Christine Busta. Die Zusammenhänge von Sprache und Politik, Sprachregelung und sozialer Normierung in der österr. Gesellschaft beschäftigen viele Autoren, so A. Drach, M. Scharang, A. Brandstetter, Barbara Frischmuth und Brigitte Schwaiger, wobei häufig ein autobiograph. Hintergrund deutlich wird. Eine krit. Haltung gegenüber der österr. Wirklichkeit bestimmt auch das Schaffen von H. Eisenreich, G. Wolfgruber, F. Innerhofer, Marlen Haushofer und W. Kofler. P. Handkes vielseitiges, auch umstrittenes Werk führt vom experimentellen Sprachspiel über vom Nouveau Roman beeinflusste Prosa zu einer radikalen Subjektivität, die Schreiben als Selbstfindungsprozess begreift. Eine Schlüsselfunktion kommt T. Bernhard zu. Seine Stücke, die die Themen Vertrauensverlust, Ausweglosigkeit und Tod variieren, rechnen erbarmunglos mit der österr. Wirklichkeit ab. Auch Elfriede Jelinek will das Publikum schockieren, indem sie Tabuthemen in direkter Sprache auf die Bühne bringt; weitere wichtige zeitgenöss. Dramatiker sind W. Schwab und Marlene Streeruwitz. Originelle Beiträge zu einer eigenständigen ö. L., die hohe Sprachkunst mit vielfältigen regionalen Bezügen verschmilzt, leisteten seit den 70er-Jahren auch P. Rosei, G. Jonke, G. Roth, G. Amanshauser, H. Eisendle und J. Zoderer, seit Beginn der 80er-Jahre häufig unter Verwendung der unterschiedlichsten postmodernen Zeichen und Strukturen, so bei C. Ransmayr, R. Menasse, J. Haslinger, J. Winkler, R. Schneider, N. Gstrein, M. Köhlmeier und Marianne Fritz.
▣ Literatur:
Giebisch, H.u. Gugitz, G.: Bio-bibliograph. Literaturlexikon Österreich. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Wien 1964, Nachdr. ebd. 1984.
⃟ Die zeitgenöss. Literatur Österreichs, hg. v. H. Spiel. Zürich u. a. 1976.
⃟ Vogelsang, H.: Österr. Dramatik des 20. Jh. Wien 1981.
⃟ Adel, K.: Aufbruch u. Tradition. Einführung in die ö. L. seit 1945. Wien 1982.
⃟ Literatur der Nachkriegszeit u. der fünfziger Jahre in Österreich, hg. v. F. Aspetsberger u. N. Frei. Wien 1984.
⃟ Innerhofer, R.: Die Grazer Autorenversammlung (1973-1983). Zur Organisation einer »Avantgarde«. Wien u. a. 1985.
⃟ Österr. Schriftsteller im Exil, hg. v. S. M. Patsch. Wien u. a. 1986.
⃟ Die ö. L. Eine Dokumentation ihrer literarhistor. Entwicklung, hg. v. H. Zeman, 2 Teile. Graz 1989.
⃟ Ruiss, G. u. Vyoral, J. A.: Literar. Leben in Österreich. Neuausg. Wien 1991.
⃟ Zeyringer, K.: Innerlichkeit u. Öffentlichkeit. Ö. L. der achtziger Jahre. Tübingen 1992.
⃟ Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart, hg. v. H. Zeman, auf mehrere Bde. ber. Graz 1994 ff.
⃟ Sebald, W. G.: Die Beschreibung des Unglücks. Zur ö. L. von Stifter bis Handke. Frankfurt am Main 4.-5. Tsd. 1994.
⃟ Die Wiener Moderne. Literatur, Kunst u. Musik zwischen 1890 u. 1910, hg. v. G. Wunberg. Neudr. Stuttgart 1995.
⃟ Geschichte der ö. L., hg. v. D. G. Daviau u. H. Arlt, 2 Bde. St. Ingbert 1996.
⃟ Literaturgeschichte Österreichs, hg. v. H. Zeman. Graz 1996.
⃟ Hauptwerke der ö. L., hg. v. E. Fischer. München 1997.
⃟ Melzer, G.: Die verschwiegenen Engel. Aufsätze zur ö. L. Graz 1998.
⃟ »Moderne«, »Spätmoderne« u. »Postmoderne« in der ö. L., hg. v. D. Goltschnigg u. a. Wien 1998.